Dr. Anita Sengupta, Mitbegründerin, Airspace Experience Technologies (ASX), USA. Forschungsprofessorin für Raumfahrttechnik, Universität von Südkalifornien

Mobilität und Verkehr:
Wie Raumfahrttechnologie den CO2-Fußabdruck reduzieren wird

Wie kann Raumfahrttechnologie unseren CO2-Ausstoß reduzieren? Die Amerikanerin Dr. Anita Sengupta, die als Luft- und Raumfahrtingenieurin viele Jahre bei der NASA tätig war, hat sich als Chefentwicklerin des sogenannten Hyperloops einen Namen gemacht. Im Jahr 2019 wurde sie Mitgründerin und Chief Product Officer von Airspace Experience Technologies (ASX) - ein Start-Up, das ein hybridelektrisches, vertikal startendes und landendes städtisches Luftmobilitätssystem entwickelt. Die Pilotin wird im Februar 2020 auf der OOP-Konferenz in München zeigen, wie Raumfahrt-Technologie in Verbindung mit Venture Capital einen umweltfreundlichen Verkehr ermöglicht. Ich durfte in einem Telefoninterview mit ihr darüber sprechen, wie sie Mobilität revolutionieren und den CO2-Fußabdruck des Flugverkehrs reduzieren will.

Können Sie kurz die Projekte skizzieren, an denen Sie als Luft- und Raumfahrtingenieurin in den letzten Jahren gearbeitet haben?

Ich habe den größten Teil meiner Karriere im Raumfahrtprogramm der NASA gearbeitet. Meine Doktorarbeit beschäftigte sich mit Plasmaantrieben, ja, das ist Raketenwissenschaft. Danach arbeitete ich an Einstiegssystemen für die Landung auf der Oberfläche anderer Planeten, insbesondere mit dem Landungssystem für den Curiosity Rover auf dem Mars, einem Venus Lander, einem Mars-Aufstiegsfahrzeug und der Orion Earth Return Capsule. Anschließend wechselte ich als Missionsleiterin zur International Space Station (ISS), um dort das Kaltatom-Labor zu entwickeln und zu leiten. Im Jahr 2017 entschied ich mich, die NASA zu verlassen, um meine Expertise der Entwicklung grüner Transportmittel zu widmen, zunächst als Führungskraft bei Virgin Hyperloop und nun als Mitbegründer eines Unternehmens für elektrische VTOL-Flugzeuge, oder besser bekannt als Lufttaxis.

Das Unternehmen Airspace Experience Technologies ASX, das Sie mitgegründet haben, will die urbane Mobilität revolutionieren. Worum geht es da genau?

ASX ist ein Start-Up, das ein emissionsfreies Flugmobilitätsfahrzeug entwickelt. Ziel ist es, den Share Ride Transport in städtischen und vorstädtischen Umgebungen, die unter Straßenüberlastung leiden, zu erleichtern. Ich persönlich sehe ein Ende des individuellen Autobesitzes zugunsten einer gemeinsamen, emissionsfreien Transportmöglichkeit am Boden und in der Luft. Die Urbane Luftmobilität (UAM) wird die Entwicklung der elektrischen Luftfahrt anstoßen, und zwar durch die Nutzung von gespeicherter Energie aus Batterien. Wenn das Netz mit grünem Strom wie Sonne oder Wind betrieben wird, wird der CO2-Fußabdruck deutlich reduziert. Was als nächstes kommt, sind mit Wasserstoff-Brennstoffzellen betriebene Regionalflugzeuge und schließlich Langstrecken-Jet-Flugzeuge, die auf Wasserstoff beruhen.

 

“Einer der effizientesten Verkehrsträger pro Passagierkilometer ist der kommerzielle Flugverkehr, der aber immer noch auf fossile Brennstoffe angewiesen ist.”

 

Der Verkehr in den europäischen Metropolregionen steht vor dem Kollaps. Inwieweit wird die Luft- und Raumfahrttechnik echte Alternativen bieten können?

Als Amerikanerin bin ich sehr beeindruckt von Europas riesigem Eisenbahnnetz, den städtischen U- und Stadtbahnsystemen und dem Drang, in nachhaltige Luftfahrttechnologien zu investieren. Ironischerweise ist eine der energieeffizientesten Reisemöglichkeiten pro Passagierkilometer der kommerzielle Flugverkehr, da er als Shared Service betrieben wird. Das Problem ist jedoch, dass der Luftverkehr immer noch auf fossile Brennstoffe angewiesen ist. Der Übergang zu einem emissionsfreien Flugverkehr wird einen Paradigmenwechsel in unserer Energiewirtschaft und unserer CO2-Bilanz ermöglichen. Massenverkehrsmittel, öffentliche Verkehrsmittel und der Verzicht auf die individuelle Autonutzung sind die Lösung.

 

“Der Flugverkehr ist bereits heute größtenteils auf den Autopiloten angewiesen. Ein kommerzieller Flug und die Autonomie in der Luft ermöglicht ein effizienteres Verkehrsmanagement. Daher ist die Ausdehnung auf die Nutzung des Luftraums in niedriger Höhe mit urbaner Luftmobilität eine natürliche Entwicklung.”

 

Weltweit gibt es etwa 140 Projekte für Lufttaxis. Was unterscheidet Ihr Projekt bei Airspace Experience Technologies von den anderen?

Wir entwickeln ein Kippflügelflugzeug, das auch konventionell starten und landen kann, wobei die bestehende Flughafeninfrastruktur maximal genutzt wird und das mit einer höheren Effizienz als ein Rotorflugzeug. Das Lufttaxi ist so konzipiert, dass es kurze Strecken innerhalb von Stadtgebieten zurücklegen kann. Wir setzen Technolgie aus dem Automotivebereich wirksam ein, um Kosten zu senken und die Massenproduktion zu erleichtern. D.h. wir nutzen Technologien, die bereits in der Elektroautoindustrie eingesetzt werden: zum Beispiel Batterien, Motoren und Steuerungssoftware. Da wir die bestehende Technologie dort einsetzen wollen, wo es sinnvoll ist, können wir die Tiefflugzeuge erschwinglicher machen und den täglichen Taxinutzern eine Fahrt via Lufttaxi ermöglichen.

Glauben Sie, dass eine Revolution im Bereich des emissionsfreien Verkehrs bevorsteht?

Ja, in den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir die ersten kommerziellen Flüge von Lufttaxis sehen und in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine Verlagerung auf den emissionsfreien Flugverkehr über längere Strecken.

 

“Gemeinsame Lufttaxis mit öffentliche Nahverkehr aus U- und S-Bahn sowie die Eliminierung der individuellen Autonutzung ist die Lösung.”

 

Wann werden die ASX Taxis voraussichtlich marktreif sein?

Wir planen, unsere Lufttaxis ab 2023 in der Logistik einzusetzen, zum Beispiel für den Transport von Medikamenten, Ärzten und Verbrauchsmaterial. Zwei bis drei Jahre später planen wir die Lufttaxis für den Personentransport einzusetzen.

Wie weit sind Sie in der Entwicklung der ASX Taxis fortgeschritten?

Bis heute haben wir sechs Fahrzeuge gebaut, die im Subscale-Bereich angesiedelt sind, das größte davon ist ein Drittel der Entwicklungsskala. Wir haben bisher Vertikalstart, Reiseflug und Landung unter der Softwarekontrolle unserer Vollverbund-Flugzeuge demonstriert.

Welche Technologie muss noch entwickelt werden, damit die elektrische Luftfahrt Realität wird?

Batterien mit verbesserter Energiedichte für Kurzstrecken-Lufttaxis, dicht gefolgt von Wasserstoff-Brennstoffzellen für Regionalflugzeuge.

 

“Die Geschäftsluftfahrt ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, sowohl beim Treibstoff als auch bei den Plattformen. Elektroflugzeuge sind die nächste Evolution.”

 

Ist eine staatliche Regulierung notwendig für die Technik, die Flugsicherung etc.? Wäre eine Regulierung eine Hilfe oder ein Hindernis?

Eine Regulierung, die Hand in Hand mit neuer Technologie entwickelt wird, sorgt dafür, dass wir sichere, zuverlässige Transporte und nützliche Lösungen für den öffentlichen Verkehr haben. Wir alle, der öffentliche und der private Sektor, haben eine Rolle zu spielen, um sicherzustellen, dass Technologien entwickelt werden, die unseren CO2-Fußabdruck sicher und effizient reduzieren.

Wer werden die wirklichen Nutzer solcher innovativer Verkehrskonzepte sein? Sprechen wir von privilegierten Bürgern, die sich teure Verkehrsmittel leisten können?

Unser Ziel ist es, die Luftmobilität für jeden zugänglich und erschwinglich zu machen. Sie ist für den öffentlichen Verkehr gedacht, also für jeden, der ein Taxi nehmen würde.

Und das Taxi selbst, wie viel wird es kosten?

Eine Fahrt wird ähnlich teuer sein wie die mit einem herkömmlichen Taxi oder einem Uberfahrzeug, aber die Fahrzeit wird bis zu fünf mal so schnell sein.

Die ASX Lufttaxis sollen in einer späteren Entwicklungsphase autonom fliegen können. Wie bringen Sie die Menschen dazu, Ihrer Technologie zu vertrauen?

Dr. Anita Sengupta
Dr. Anita Sengupta, Mitgründerin, Airspace Experience Technologies (ASX), USA. Forschungsprofessorin für Raumfahrttechnik, Universität von Südkalifornien

Ich denke, urbane Luftmobilität (UAM) wird anfangs natürlich mit Piloten im Einsatz beginnen. Sicherheit ist das wichtigste, was wir als Ingenieure, als Führungskräfte und als Bürger beachten müssen.

Vielen Dank, für die interessanten Einblicke, Dr. Sengupta!

Weiterführende Links:

Über Dr. Anita Sengupta

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Hippokratischer Eid für IT-Berufe

 


Retouren senken durch bessere Passform

So macht es Zalando: Retouren senken durch bessere Passformen

Zalando möchte, dass weniger Kunden ihre Kleidung wegen Passformproblemen zurückschicken. Denn obwohl Auswahlkäufe im Fashion-Onlinehandel zum Geschäftsmodell dazu gehören, verursachen sie hohe Kosten – und auch der Kunde ist enttäuscht, wenn der bestellte Sneaker wider Erwarten nicht passt. Aktuelle Studien besagen, dass jeder retournierte Fashionartikel den Händler durchschnittlich rund 5 Euro kosten – bei einer Retourenquote von fast 40 Prozent kommt das die Händler also teuer zu stehen. Retouren senken steht daher weit oben auf ihrer To-do-Liste.

Bei Zalando erfolgen etwa ein Drittel aller Retouren aufgrund von zu klein oder zu groß bestellten Artikeln. Um die Retouren zu senken, hat der IT-Konzern viele innovative Ideen – die meisten davon sind aber noch Zukunftsmusik. Bis sie einsatzfähig sind, behilft sich Zalando erstaunlich klassischer Methoden. Ich habe mit Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando, über ihre Pläne gesprochen.

Wie steht Zalando zu Retouren?

Retouren sind für Zalando im Allgemeinen kein Problem. Wir sehen es als einen wichtigen Teil unseres Leistungsversprechens für unsere Kunden. Wenn ihnen ein Artikel nicht gefällt, können sie ihn zurückgeben, so wie sie ihn in einem Offline-Shop wieder zurück ins Regal legen können. Durch Verbesserungen im Online-Kundenerlebnis können jedoch größenbedingte Retouren reduziert werden. Während eine Offline-Umgebung es dem Kunden ermöglicht, Artikel anzuprobieren, beinhaltet der Onlinekauf von Kleidung den zusätzlichen Schritt einer Rückgabe. Dieser zusätzliche Schritt erfordert, dass wir prüfen, wie wir den Kunden vor dem Kauf eine Größen- und Passform-Beratung anbieten können, um eine unnötige Rückgabe zu vermeiden.

Retouren senken ist ein wichtiges Thema im Online-Handel. Andere Anbieter schränken bereits ihren kostenlosen Versand ein. Ist das auch für Zalando eine Option?

In einigen Märkten haben wir einen Mindestbestellwert eingeführt, wie viele andere Anbieter auch. Dies ist in Deutschland derzeit nicht der Fall.

Die Bestellung eines Produkts in verschiedenen Größen ist einfach und kostenlos. Wie wollen Sie Ihre Kunden motivieren, nur eine Größe zu bestellen?

Für Kunden, die mehrere Größen bestellen und die meisten zurückschicken möchten, ist diese Option weiterhin kostenlos verfügbar, sie ist wie gesagt ein wichtiger Teil unseres Leistungsversprechens. Wir möchten den Käufern jedoch Ratschläge geben, um ihr Erlebnis zu verbessern. Innerhalb des Sizing-Teams tun wir dies durch Beratung zu Größe und Passform. Wenn wir Kunden davon überzeugen können, dass unsere Sizing-Beratung einen Mehrwert für ihre Erfahrung darstellt, dann hoffen wir, dass sie bei der ersten Bestellung die richtige Größe erhalten. Wir hoffen, das gibt ihnen das Vertrauen, neue Marken und Looks zu entdecken.

In den letzten Jahren gab es verschiedene Ideen, wie man passformbedingte Retouren reduzieren kann. Das bisherige Problem bestand darin, die Daten der Kunden mit den Daten der Produkte abzugleichen. Wie bekommen Sie die Maße der Kleidung und der Kunden?

Unsere Beratung für die aktuelle Größe konzentriert sich auf ein tiefes Verständnis unserer Produkte. Wir bieten unseren Kunden eine Größenberatung zu rund 80 Prozent unseres Sortiments in zwei Formen an: Die erste ist eine Größenmarkierung, die den Kunden darüber informiert, ob bestimmte Artikel größer oder kleiner ausfallen. So kann der Kunde die Wahl treffen, eine Nummer größer oder kleiner zu bestellen. Die zweite Form der Beratung ist eine personalisierte Größenempfehlung, bei der wir aktiv eine bestimmte Größe empfehlen, die sowohl auf unserem Verständnis des Produkts als auch auf der Kaufhistorie des Kunden und den Präferenzen bei Größe und Marke basiert.

Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando spricht über Retourenvermeidung

"In Zukunft erforschen wir außerdem neue Technologien, wie z.B. die visuelle Anpassung. Der Schlüssel dazu sind die Körpermaße der Kunden und ihre Bereitschaft, uns diese Informationen zur Verfügung zu stellen", Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando

Wir erforschen Methoden wie beispielsweise die Verwendung von Smartphones zur Erzeugung von 3D-Bildern von Kunden und ermöglichen es Kunden, Avatare auszuwählen, die ihrem Profil entsprechen. Aber das alles ist noch in der Zukunft. Ziel ist es, unsere Expertise bei den Produktdaten mit einem besseren Verständnis über unsere Kunden zu verbinden und ein besseres Kundenerlebnis zu bieten.

Wie findet Zalando heraus, welche Abmessungen ein Produkt hat? Kommen die Maße von den Herstellern oder anderen Datenlieferanten?

Nach unserer Erfahrung sind Messungen der Hersteller nicht immer zuverlässig. Dies hat viele Gründe, z.B. wenn sich das Material des Endprodukts vom Muster unterscheidet. Deshalb testet unser Team von Passformmodels bei den 80 Prozent der Artikel, die in den Shop kommen, ob sie maßgerecht sind. Diese Produkte werden anprobiert und ausgemessen. Dies alles trägt dazu bei, dass wir unsere Produkte besser verstehen. Außerdem erforschen wir hier Technologien, wie z.B. die Computer-Vision zur Bestimmung von Messungen und ob ein Gegenstand wahrscheinlich größenbedingte Probleme hat oder nicht, basierend auf einem Machine-Learning Algorithmus.

Es gibt erste Versuche, die Körpermaße auf der Grundlage umfangreicher Reihenmessungen von Menschen in verschiedenen Ländern zu bestimmen und daraus Fit-Daten abzuleiten. Arbeiten Sie mit solchen Projekten?

Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Teams in der gesamten Modebranche zusammen, die an der Größe und den dazugehörenden Themen forschen. Im Moment würden wir keine konkrete Zusammenarbeit öffentlich bekannt geben.

Eine Messung von Körper und Kleidung allein reicht wahrscheinlich nicht aus, um Passformen in der Kleidung zu definieren, insbesondere Skinny Fit Passformen. Wie löst man das Problem?

Dabei hilft uns unser Team von Fittingmodels. Wir haben rund 30 Models, die eine Vielzahl unseres Sortiments anprobieren: Schuhe, Jeans, Kleider, Hemden und viele andere Artikel. Unsere Fittingmodels bestimmen, ob ein Gegenstand maßgerecht ist oder ob die Passform tatsächlich etwas größer oder kleiner als die angegebene Größe ist. Unsere Models wissen, wie Skinny Fit Artikel passen sollen und geben uns den nötigen Input, ob wir eine Größenempfehlung für den Artikel abgeben sollten oder nicht.

Gibt es Lösungen, um den Stretcheffekt von Stoffen zu berechnen und ihn in Passformmodelle zu integrieren?

Stretch ist stark von der Stoffzusammensetzung abhängig; wir erforschen verschiedene Wege, um Daten über die Stoffzusammensetzung zu erhalten und daraus Regeln abzuleiten. Es ist noch zu früh, um über diese Experimente zu sprechen.

Ist die Größenberatung für alle Produkte und Zielgruppen geeignet? Womit haben Sie begonnen?

Wir haben mit Schuhen begonnen und uns dann entschieden, in drei weitere Kategorien zu wechseln: die Kategorien, die am häufigsten aufgrund von Größenproblemen zurückgeschickt werden, die schwer zu reparieren sind und die einen hohen Wert für die Kunden haben. Dazu gehören Jeans, Damenkleider und Herrenhemden. Wir haben jetzt außerdem noch Shorts und Jacken hinzugenommen. Grundsätzlich können alle Produkte angepasst werden, aber wir passen derzeit noch nicht die Kategorien Sport und Kinder an.

Sind unsere heutigen Kleidergrößen überhaupt noch ausreichend, um unseren Körper zu beschreiben?

Auf keinen Fall! Größensysteme, die zum Verkauf von Kleidung und Schuhen verwendet werden, sind ziemlich starr - menschliche Körper nicht! Wir verwenden diese Systeme heute in dem Bewusstsein, dass sie im Laufe der Zeit durch etwas ersetzt werden, das sich mehr um den Körper des einzelnen Kunden und seine Passformpräferenzen dreht. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Sie keine Größe wählen müssten, um eine Jeans zu kaufen - wie toll wäre das!

Brauchen wir also bald keine Kleidergrößen mehr, weil wir Produkte personalisiert produzieren?

Das ist definitiv eine Möglichkeit, aber sie liegt noch weit in der Zukunft. Unsere aktuelle Vision ist es, Größenprobleme bei Massenbekleidung durch entsprechende Beratung zu lösen. Natürlich schreiten die Technologien in einem unglaublichen Tempo voran, deshalb glaube ich, dass personalisierte Kleidung etwas ist, was wir in naher Zukunft sehen werden.

Wie arbeiten Sie mit Ihren Lieferanten zusammen, um die Passgenauigkeit zu erhöhen?

Derzeit besteht unsere Aufgabe darin, unsere Kunden auf der Grundlage der Produkte unserer Lieferanten zu beraten. Wir führen jedoch auch einen Dialog mit unseren Partnern, und informieren unsere sie darüber, welche Größen-Ratschläge wir unseren Kunden geben, und über die Möglichkeiten, die sie haben, das Erlebnis für unsere Kunden zu verbessern.

Zalando entwickelt eigene Kollektionen. Wie nutzen Sie Ihr Wissen über die Körpermaße Ihrer Kunden bei der Entwicklung neuer Produkte?

Unser Private Label-Team nutzt die Sizing-Daten zur Optimierung seiner Produkte. An den Eigenmarkenprodukten werden regelmäßige Rücklaufanalysen durchgeführt und diese Daten mit den Größenangaben verglichen. So stellen wir fest, inwieweit Größenprobleme die Ursache für die Rückgabe sein können.

Weiterführende Links:

Studie des EHI Retail Institut: https://www.ehi.org/de/pressemitteilungen/geklickt-gekauft-und-retourniert/

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Interview Ryan Mullins: Über das Verschwinden des Digitalen

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Sven Rittau auf der K5

K5 Macher Sven Rittau:
„Investoren sind der Anfang vom Ende deiner eigenen Firma“

Normalerweise ist Sven Rittau derjenige, der die Fragen stellt, wenn er im Cheftreff mit Branchengrößen aus dem Nähkästchen plaudert. Diesmal heißt es aber Rollentausch in seinem Podcast-Studio in der Winzererstraße in München: Sven gibt Einblick in seine unternehmerischen Erfahrungen und persönlichen Erkenntnisse. Wir sprechen über Werte und Wertschätzung, Persönlichkeitsfindung und die Grenzen traditioneller Denkweisen im digitalen Zeitalter. Und er gibt einen Ausblick auf die K5 2020. Ein Porträt über den leidenschaftlichen E-Commerce-Unternehmer und Macher der K5.

Rollentausch: changelog-Autorin Vera Vaubel interviewt Sven Rittau in seinem Cheftreff-Podcaststudio.

Sven ist schon als Kind vom Unternehmertum fasziniert - vielleicht, weil er selbst aus einem ganz anderen Umfeld kommt. Während er zu Schulzeiten sein Taschengeld bei Penny als Regalarbeiter aufpoliert, schnappt er sich die Lebensmittelzeitung, die sein Chef und Filialleiter abonniert hatte und verfolgt mit großem Interesse das Branchengeschehen. Dass er später tatsächlich im E-Commerce landet, ist dann einfach so passiert.

Seinen ersten Job tritt er als Unternehmensberater bei Roland Berger an. Seine Aufgabe: Eine Preisstrategie für die Großhandelssteuerung bei Viessmann Heiztechnik zu entwickeln. Dafür lebt er als Nomade aus dem Koffer. 60-Stunden-Woche steht auf der Tagesordnung, den Rest der Zeit verbringt er in Hotelzimmern. Nach knapp einem Jahr sieht er sich am Limit. „Am Ende eines solchen Projekts kann einen durchaus eine Sinnkrise überkommen. Da fragt man sich schon, was kommt danach?“

Aus Krisen wachsen

Etwa ein Jahr später, 1999, erfolgt die Gründung eines Online-Zoofachhandels. Zusammen mit seinen Mitgründern Cornelius Patt, Florian Seubert und Roland Honekamp verfolgt er mit großem Interesse den aufsteigenden Kometen in den USA, das Online-Geschäftsmodell von pets.com. So etwas gibt es zu dieser Zeit in Europa nicht. Er macht, was er im Studium im schweizerischen Fribourg und bei Roland Berger gelernt hat: eine umfangreiche Konsummarktanalyse. Das Gründerteam kommt zu dem Schluss, dass die Chancen gut stehen. Der Markt für Tiernahrung und –bedarf ist fragmentiert, preisstabil und es handelt sich um emotionale Convenience Produkte.

 

„Du brauchst immer in etwa fünf Jahre, um dein Business aufzubauen und zu etablieren. Dann spürst du merklich, dass dein persönliches Engagement Früchte trägt.“

 

Der Erfolg gibt ihnen Recht. Zooplus startet durch, Investoren steigen ein, das Start-Up expandiert ins Ausland. Rückblickend gibt Sven schmunzelnd preis: „Sobald du dir einen Investor reinholst, ist es der Anfang vom Ende deiner eigenen Firma. Natürlich gibt es dazwischen noch ein paar Abstufungen. Aber am Ende des Tages läuft es darauf hinaus.“

2001 platzt die Dotcom Blase – jegliche Art der Finanzierung ist auf Eis gelegt. Zooplus muss Auslandmärkte schließen und 30 Mitarbeiter entlassen. Das Gründerteam versucht, Deckungsbeiträge so gut es geht zu optimieren, um das Unternehmen vor der Insolvenz zu bewahren. Die Durststrecke dauert zwei Jahre, bis Zooplus wieder auf Kurs ist. Sein Learning von damals: „Krisen und Knappheit führen zu kreativen Lösungen. Und eigentlich sollte man jede Firma regelmäßig durch künstliche Krisen führen!“

Netzwerk als Grundqualifikation

Heute ist Sven auf seinem Karriereweg dort angekommen, wo er sich wohl fühlt und Ausgeglichenheit verspürt. Anfangs noch geprägt von Disziplin, Zielerreichung, Input-Output-Relation und dem Ziel, monetären Erfolg zu erreichen, sind für ihn an deren Stelle andere Werte getreten. „Das ist auch eine Lifestyle-Frage. Arbeit 24/7 ist wahrscheinlich eher was für die jüngere Generation“, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu. Für ihn ist die Wertschätzung seiner persönlichen Kontakte und seines Netzwerks sehr wichtig. Seine feste Überzeugung ist, dass Vernetzung heute ein absoluter Skill ist. Egal ob digital oder analog.

 

„Stelle dir erst das richtige Team zusammen, bevor du unternehmerisch tätig wirst.“

 

Seinen heutigen Geschäftspartner Jochen Krisch lernt er 2011 kennen – Sven ist Speaker auf der allerersten K5. Sie laufen sich immer wieder in verschiedenen Beiratskonstellationen über den Weg, in denen sie Jungunternehmern zur Seite stehen. 2013 ist für Sven ein „Hänger-Jahr“, wie er es nennt. Bei Shirtinator steckt er in einer Sackgasse, die Konstellation passt nicht mehr wirklich. Im damaligen Handelsumfeld sieht er nichts, wo er sich hätte mit Begeisterung engagieren wollen. Letztendlich entscheidet er aus Bauchgefühl, mit Jochen die K5 als Plattform weiter auszubauen.

K5: Haptik der Begeisterung

Von außen gesehen ist das zunächst eine explosive Konstellation, die sich formen muss. „Jochen – the brain, und ich – die Rampensau! Obwohl, ein bisschen Hirn hab ich auch“, lacht Sven. Es gibt in den ersten Jahren durchaus Reibungspunkte. Aber es gelingt den beiden relativ zügig, sich die komplementären Stärken zunutze zu machen.

Was beiden dabei hilft, ist gegenseitiges Vertrauen und eine strategische Weitsicht zu entwickeln. Sie finden die Schnittstellen, die es ihnen ermöglichen, ein gemeinsames Produktverständnis zu formen. Handel der Zukunft, neue Technologien, neue Modelle und Prozesse. Relevanter Content und ein Netzwerk mit Digitalkompetenz.

Auch die Frage danach, wie sich Wachstum im digitalen Wandel finanziert, woher das Kapital kommt und wie man das Investmentrisiko minimiert, eint die beiden Partner und führt stringent im Jahr 2015 zur Gründung des Glore50, dem ersten globalen E-Commerce Aktienfonds.

Selbst- und Fremdbild

Sven will Leute begeistern, Veränderungen anstoßen und inszenieren, weil ihm das ein gutes Gefühl gibt. Das tut er nicht aus altruistischen Gedanken heraus. „Die Empfindung, die ich dieses Jahr bei der K5 hatte, lässt sich für mich persönlich als Manifest beschreiben. Wir gestalten hier und jetzt gemeinsam die Zukunft und ich bin ein Teil davon! Auch wenn es esoterisch klingen mag, aber positive Impulse, die man gibt, werden als positive Energie wieder zurückkommen.“

Sven legt starken Wert auf Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung – und holt sich darin auch externe Unterstützung. „Die eigene Wahrnehmung ist eine sehr einseitige Sichtweise. Ich frage daher immer wieder Menschen, die mir wichtig sind, was sie an mir schätzen und was nicht. Das ist eine gute Methode, um seinen Charakter weiter zu entwickeln.“ So hat er ein klares Bild vor Augen, dem er wie einem Polarstern folgen und an dem er sich immer wieder orientieren kann.

Faszination Geschäftsmodell

Sven schwärmt von der „Schönheit eines Geschäftsmodells“. Das muss er näher erläutern: Wenn ein Problem auf eine andere Art und Weise gelöst wird und das dann ökonomisch Sinn macht. Innovation entsteht u.a. dann, wenn gegebene Faktoren neu kombiniert werden.

Er macht es an einem Beispiel im E-Commerce fest. Wenn man Retouren und Free Shipping als Teil des Geschäftsmodells von Anfang an mit einkalkuliert, kommt man eben auf andere Lösungen – bestes Beispiel ist Zalando. Picnic ist für ihn aktuell das andere Paradebeispiel im Food Bereich: Weg mit der klassischen DHL-Paketdenke, Entwicklung eigener Lieferfahrzeuge, angepasste App-basierte Routenplanung und der Fahrer wird Teil des Kundenerlebnisses.

Grenzen klassischer Denkweisen

Diese Art der Denke kann man seiner Meinung nach auch viel größer stricken. „Vermeide oder bekämpfe Probleme wie Armut, Zuwanderung oder CO2 Ausstoß ist ein alter Denkansatz. Da stoßen wir schnell an Grenzen. Der andere wäre, diese Themen wie eine Ressource bzw. Rohstoff und Teil unserer Gleichung zu behandeln.“ Traditionelle Denkweisen bringen uns nicht weiter.

 

„Content-First ist Maxime: Du musst es schaffen, dass die Leute über deine Inhalte diskutieren. Und den hohen Qualitätsanspruch konsequent verteidigen, besser noch weiter ausbauen.“

 

Das adaptiert er auch für sich persönlich. Er ist der festen Überzeugung, dass die K5 als Plattform durchaus noch ausbaufähig ist. Ideen dafür hat er schon im Kopf. Warum nicht Formate mit exklusivem Zugang zu Wissen und Digital Leadership konzipieren? Noch ist nichts spruchreif. Vielleicht wird das die Basis für ein Sprungbrett, im nächsten Schritt wirklich Veränderungen zu bewirken, die auch einen gesellschaftlichen Wert haben. Indem gegebene Faktoren neu kombiniert werden.

Nicht nur sein Job, sondern seine Leidenschaft: Sven Rittau eröffnet zusammen mit Jochen Krisch die K5 2019 in Berlin.

Ausblick K5 2020: Zehnjähriges Jubiläum

Für die Konferenz am 26./27. Mai 2020 hat er sich zusammen mit dem K5-Team viel vorgenommen. Schließlich feiert die K5 Zehnjähriges! Die Ausstellung ist schon so gut wie ausgebucht. Noch wird intensiv am Programmkonzept gearbeitet. Sven verrät schon mal so viel, dass es eine zweite Content-Bühne geben und sich die Konferenz internationaler ausrichten wird. Stay tuned!

 

 

 

 

Weiterführende Links

K5 2020

Cheftreff Podcast

Global Online Retail Fonds

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Digitaler Wandel Überwindung Ungewissheit

Digitaler Wandel: „Es geht nicht um Technologien, sondern um Menschen“

Susanne Nickel weiß aus ihrer eigenen Lebensgeschichte, wie sich Veränderung mit allen Höhen und Tiefen anfühlt. Diese Erfahrung hat die Rechtsanwältin und Wirtschaftsmediatorin zu ihrer Mission gemacht. Sie unterstützt Unternehmen, den digitalen Wandel mit dem Commitment der Menschen umzusetzen. Im Interview erklärt sie, auf was es in Change Prozessen ankommt und wie man erkennt, ob die persönliche Erfolgsleiter an der richtigen Wand steht.

 Laut einer Studie von McKinsey scheitern 70 Prozent aller Change-Projekte in Unternehmen – woran liegt das deiner Meinung nach?

Rechtsanwältin Susanne Nickel ist Expertin für Change. Change Business ist Peoples Business, so ihre Überzeugung.

Das liegt vor allem daran, dass Unternehmen oder Organisation den Druck etwas zu verändern erst dann verspüren, wenn es eigentlich zu spät ist. Seien wir doch mal ehrlich, wann erkennt man, dass man etwas verändern muss? Doch erst dann, wenn man in Schieflagen gerät. Das gilt übrigens für Organisationen wie für jeden Einzelnen. Es heißt nicht umsonst, dass Erfolg Innovationen killt. Das Gespür für die Dringlichkeit ist zum Beispiel bei erfolgsverwöhnten Unternehmen überhaupt nicht gegeben, es gibt gar keine Notwendigkeit dazu, etwas zu verändern.

Es heißt Menschen sind Gewohnheitswesen, das ist der Killer für jede Veränderungen. Was rätst du, wie man Mitarbeiter zu „freiwilliger“ Veränderung bewegt?

Nun ja, zunächst gilt es, die Widerstände zu überwinden. Es gibt keinen Widerstand ohne Grund – dieses Verständnis ist sehr hilfreich beim Umgang mit Widerstand. Und es gibt unterschiedliche Formen von Widerstand. Die erste Form ist das „Ich kann nicht“. Dem ist noch relativ einfach zu begegnen, indem man die Mitarbeiter weiterbildet, Kompetenzen aufbaut und die Leute trainiert. Die zweite Form ist das „Ich will nicht“. Das muss man emotional abgreifen, den Menschen in seinen Bedürfnissen abholen, Überzeugungsarbeit leisten. Und die dritte und schwierigste Form ist „Ich will Dich nicht“. Hier ist der Chef „verbrannt“, vielleicht weil einfach zu viel Change in Folge war. Das Vertrauen ist zerstört, es aufzubauen dauert lange, zerstören kann man es sehr schnell.

Warum, glaubst du, rückt heutzutage die Sinnfrage eines Unternehmens auch bei den Mitarbeitern immer mehr in den Fokus?

Menschen wollen etwas tun, was Sinn macht und ihnen Sinn gibt. Gerade die jungen Generationen stellen die Sinnfrage mehr denn je. Wenn das Wofür und der Purpose geklärt ist, dann vereinfacht das das WAS und das WIE. Stell dir eine einfache Frage: Wofür stehst du morgens auf und gehst gerne an die Arbeit? Geld verdienen, um leben zu können, ist lediglich das Resultat. Menschen wollen sinnstiftend gestalten und sich einbringen, auch in Unternehmen. Sachlich-inhaltlich hat dieses „Wofür“ auch mit Motivation, Orientierung und Navigation zu tun. In Unternehmen nennen wir das Purpose Driven Organizations.

 

"Eine Kernkompetenz für digitalen Wandel ist die Reflexionskompetenz."

 

Du plädierst für ein barrierefreies Denken – was genau müssen wir uns darunter vorstellen?

Menschen neigen dazu, in bekannten Mustern zu denken, mit dem Resultat, dass das klassische Schubladendenken zum Teil des Problems wird. Der US-Therapeut Steve de Shazer hat mit seiner Methode des lösungsorientierten Arbeitens einen Perspektivwechsel eingebracht, er setzte auf die Dekonstruktion der Sichtweisen. Es könnte so sein, aber vielleicht auch ganz anders. Er sagt: Wenn Du eine Hypothese hast, nimm ein Aspirin und warte, bis der Anfall vorbei ist. Dies ist ein schönes Bild und meint, man solle seine Hypothesen prüfen und sie ggfs wieder verwerfen und sich nicht nur auf eine stützen sondern eben barrierefrei im Kopf vorgehen. Es geht bei barrierefreiem Denken darum, mehrere Hypothesen aufzustellen, die richtigen Fragen zu stellen und in kleinen Schritten zu validieren. Dahinter versteckt sich eine wichtige Kompetenz für Change: Die Reflexionskompetenz. Nur so bekommen wir den Kopf frei für Veränderung.

Das erfordert jedoch eine enorme Willenskraft, oder?

Ja, und die Herausforderung ist dabei: Wollen ist wie machen, nur fauler. 40 Prozent unserer Verhaltensmuster beruhen auf Gewohnheit. Der Trick ist, an den alten Mustern anzudocken und darauf aufbauend sich neue Gewohnheiten anzutrainieren. Das nenne ich den Change Loop. Einfaches Beispiel: Wir nehmen eine Gewohnheit, der wir mehrfach am Tag nachgehen. Der Gang in die Kaffeeküche. Hier kann ich mir vornehmen, wertschätzend meinen Mitarbeitern oder Kollegen gegenüber zu sein. Ich frage, wie es ihnen geht, bin offen, halte auch mal meinen Mund und höre einfach zu und zeige Interesse und vielleicht mache ich auch mal ein Kompliment. In kurzer Zeit entsteht so eine enorme Dynamik und Raum für Inspiration und Austausch und eine von Wertschätzung geprägte Atmosphäre. Wenn sich das ein paar Kollegen oder Führungskräfte vornehmen, implementieren sie eine - wie ich sie nenne - „Schatzjäger-Haltung“ für einen wertschätzenden Umgang.

Welche Rolle kommt dabei der Führungskraft zu?

Die Grundkompetenz der Führungskraft im Change-Prozess ist Kommunikation, Offenheit und Transparenz. Die Führungskraft muss Vertrauen und Empathie bei den Mitarbeitern schaffen bzw. halten können. Dazu gehört auch, Phasen für Scheitern, Selbstreflexion und Resilienz zuzulassen, um diese in Mut, Motivation und Veränderungswille zu transformieren. Den Führungskräften kommt also die Rolle des „Befähigers“ zu. Gleichzeitig müssen sie für Stabilität und Effizienz sorgen. Keine leichte Aufgabe.

 

"Im digitalen Wandel kommt Führungskräften die Rolle des „Enablers“ zu, gleichzeitig müssen sie für Stabilität und Effizienz in ihren Teams sorgen."

 

Wie gelingt in der Unternehmensführung der Spagat zwischen Agilität und Flexibilität für Innovationen und Stabilität und Effizienz für bewährte Prozesse und Modelle?

Ambidextrie heißt das neue Schlagwort in der Führung digital transformierter Unternehmen, wörtlich übersetzt Beidhändigkeit. Im übertragenen Sinn konzentriert sich die rechte Hand auf das Optimieren und Absichern des Kerngeschäfts. Die linke Hand beschäftigt sich mit innovativen Geschäftsfeldern.

Wie schafft man ein einheitliches Commitment für den Change?

Die aktive Einbindung aller Stakeholder, und damit meine ich Kunden, Partner und Mitarbeiter, ist die Voraussetzung, dass der Change-Prozess überhaupt erst ins Rollen kommt. Und das auf Augenhöhe. Mit der Co-Creation Methode schafft man es, in Iterationen Lösungsansätze für die gemeinsamen Herausforderungen zu erarbeiten. Seht den Change-Prozess also nicht nur in der internen Organisation, sondern weitet die Perspektive auch auf das Umfeld aus, denn auch dort gibt es Auswirkungen.

Technologie rückt immer mehr in den Vordergrund, sowohl im Alltag als auch in Unternehmen. Besteht die Gefahr, dass der Mensch dabei auf der Strecke bleibt?

Die Technologie ist nicht das Problem, es geht darum, sie sinnvoll einzusetzen und für uns zu nutzen. Im Mittelpunkt wird immer der Mensch stehen,  dafür sind aber Veränderungen notwendig, die uns an Grenzen bringen, die uns belasten, die uns Überwindung kosten. Den einen mehr, den anderen weniger.

 

"Oft ist fehlende Anerkennung und Wertschätzung die Ursache für Konflikte in Change-Prozessen."

 

Laut Statista hat sich die Diagnosehäufigkeit von Burn-Out-Erkrankungen im letzten Jahrzehnt beinahe verdreifacht. Siehst du einen Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und der aktuellen Transformation in eine Digitalgesellschaft?

Sicherlich, die Digitalisierung beschleunigt unser Leben in allen Facetten und gerade im Arbeitsleben führt das oft zu Überlastung, Überforderung und damit zu Kontrollverlust. Aber allzu oft spielt auch das Zwischenmenschliche und nicht bereinigte Konflikte eine Rolle. Einfach, weil Menschen sich zu wenig wertschätzen und die Anerkennung fehlt.

Warum fällt uns Menschen Wertschätzung für andere und die Leistungen anderer so schwer?

Digitaler Wandel: Wann deine Erfolgsleiter an der richtigen Wand steht.

Ich bin davon überzeugt, dass das bei jedem einzelnen von uns bei sich selbst anfängt. Wer 100 Prozent zu sich selbst steht, ist in der Lage, eine positive Haltung und Wertschätzung anderen entgegenzubringen. In Coachings fordere ich immer wieder meine Klienten dazu auf: Seid Schatzjäger, bei euch selbst und bei anderen. Dann erkennt ihr sofort die richtige Wand für eure Erfolgsleiter.

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch, liebe Susanne!

 

Weiterführende Links

McKinsey: Changing Change Management

Über Susanne Nickel

Taschenbuchempfehlung zum Thema Change und digitaler Wandel

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Seit Albert Einstein wissen wir, dass Probleme nicht mit denselben Denkweisen gelöst werden können, durch die sie letztendlich entstanden sind. Mit der Forderung nach mehr Diversität in Unternehmen soll genau diese Problematik angegangen werden. Denn: Je vielfältiger ein Team hinsichtlich Geschlecht, Herkunft, Alter, kulturellem Hintergrund, Denkweise, Fähigkeit und Berufserfahrung ist, desto umfassender und innovativer sind seine Lösungsansätze. Ich habe mit Jutta Eckstein, Keynote-Speakerin, Autorin mehrerer Fachbücher zum Thema Agile Software Entwicklung, Programmverantwortliche der Fachkonferenz OOP, kurz: eine der renommiertesten IT-Expertinnen Deutschlands über das Thema gesprochen. Das Ergebnis: Überraschend!

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Jutta Eckstein, OOP Konferenz
Frau Eckstein, wie sind Sie eigentlich in der IT gelandet?

Tatsächlich über Umwege. Nach einem Lehramt-Studium mit Sport und Kunsttechnik habe ich mich 1992 entschlossen, nochmal etwas ganz anderes zu studieren: Product Engineering mit dem Schwerpunkt Software Entwicklung.

Wie kann man sich die Studienlandschaft zu dieser Zeit vorstellen?

Natürlich sehr männerlastig. In allen technischen Studiengängen lag der Anteil der weiblichen Studentinnen im einstelligen Bereich. In manchen Studiengängen wie der Ingenieur-Informatik bei null.

Was hat Sie an der IT so fasziniert?

Ich bin tatsächlich erst recht spät mit IT in Kontakt gekommen – und sie haben mich gleich fasziniert. Mir haben vor allem die unendlich kreativen Möglichkeiten gefallen. Auch die Tatsache, dass man, wenn man sich nur intensiv mit einem Problem auseinandersetzt, es auch gelöst bekommt. Hinzu kommt - und das widerspricht dem heute immer noch verbreiteten Bild der IT-Branche – mir gefiel, dass IT ein „Teamsport“ ist. Ohne es explizit so zu benennen, wusste man schon damals, dass komplexe Probleme am besten im Team gelöst werden können.

Dann stimmt das Bild vom einsamen, nerdy Software-Entwickler nicht?

Nein! Ich habe das früher nicht so erlebt und auch heute brauchen wir andere Typen in der Software-Entwickler. Kommunikationsfähigkeit gegenüber Kunden und Kollegen ist extrem wichtig! Es ist tatsächlich das größte Problem unserer Branche, dass wir immer noch diesen unvorteilhaften Ruf haben und Menschen, die nichts mit IT zu tun haben, glauben, dass wir alles einsame Wölfe wären. Zudem zieht diese Reputation auch nicht immer die richtigen Leute in unsere Studiengänge.

 

"Niemand kann heute die Herausforderungen unserer Zeit alleine vor dem Rechner lösen. Das geht nur in Teams mit unterschiedlichen Kompetenzen." Jutta Eckstein

 

Hat sich die Position von Frauen in der IT im Laufe der Zeit geändert?

Tatsächlich waren viele Computerpioniere, also die Menschen, die die ersten Computer programmierten, Frauen. Und interessanterweise wuchs in den USA die Zahl der Frauen, die Informatik studierten, jahrzehntelang schneller als die Zahl der Männer. Mitte der 1980er Jahre änderte sich das. Der Anteil der Frauen in der Informatik verringerte sich dramatisch – obwohl er in anderen technischen Bereichen weiter stieg. Laut Statistik liegt in Deutschland der Frauenanteil in der IT bei rund 16 Prozent. In meiner „agilen Ecke“ ist der Anteil höher, auch weil wir uns in diesem Fachgebiet der IT einen anderen Ruf erarbeitet haben. Es geht also aufwärts, aber immer noch sehr langsam.

Wie erklären man sich diesen Einbruch Mitte der 80er Jahre?

Der Anteil der Frauen in der Informatik begann ungefähr zu dem Zeitpunkt zu sinken, als PCs die privaten Haushalte überall auf der Welt eroberten. Diese frühen PCs waren zwar nicht viel mehr als Spielzeuge, aber sie adressierten vor allem Männer und Jungen. Das verschaffte männlichen Studienanfängern einen großen Vorteil. Weibliche Studenten hingegen hatten das Gefühl, den Vorsprung nicht aufholen zu können und wandten sich anderen Studien zu. Dieses Bild, dass Computer bzw. IT Männer- oder Jungensache sei, existiert bis heute und es verblasst nur sehr langsam.

USA: Der Anteil der Informatik-Studentinnen sank Mitte 1980 dramatisch
USA: Der Anteil der Informatik-Studentinnen sank Mitte 1980 dramatisch
War es schwierig, sich unter all den Männern zu behaupten?

Am Anfang gab es Momente, die waren schwierig. Jungsein UND weiblich waren zu Beginn eine problematische Kombination. Natürlich gab es auch bei mir Situationen, in denen man mich zunächst nicht ernst genommen hat, etwa, wenn ich Schulungen durchführte. Rückblickend gab es aber auch Vorteile, denn als Frau in der IT fällt man natürlich auch auf.

Bei der Forderung nach mehr Diversität in Unternehmen hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Gerade erst hat z.B. Zalando bekannt gegeben, verschiedene Diversity Targets einzuführen. Welche Rolle spielt Diversität in IT-Teams?

Eine sehr große! Heute und in Zukunft wird es immer mehr Berührungspunkte mit Produkten und Anwendungen geben, die softwaregesteuert sind. Umso wichtiger, dass diese Technologien auch von der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit genutzt werden können. Tatsache aber ist, dass die Technik-Abteilungen dieser Welt vor allem aus männlichen, weißen Personen bestehen. Auch der Kulturkreis dieser Personen ist eher der westlichen oder asiatischen Welt zuzuordnen. Was auf den ersten Blick für viele wenig problematisch aussieht, zeigt im Detail allerdings einige Risiken. Denn fehlende Diversität kann bei der Entwicklung von IT-Produkten zu Problemen führen.

Inwiefern?

Je weniger divers Entwicklungsteams sind, umso eher passieren Fehler, weil Aspekte nicht bedacht werden – das geschieht völlig unabsichtlich!

 

"Nicht die Technologie selbst ist dann das Problem, sondern der ökonomische oder soziale Kontext, in dem die Technologie entwickelt wurde!" Jutta Eckstein

Können Sie ein Beispiel nennen, warum Diversität und Technik ein Dream Team sind?

Wenn Tests in homogenen Gruppen durchgeführt werden, fallen Anwendungsprobleme für Nutzer außerhalb dieser Gruppe nicht so auf. Berühmtestes Beispiel hierfür ist wohl der automatische Seifenspender, dessen Sensor nur bei weißer und nicht bei schwarzer Haut reagierte. Bei selbstlernender Software dagegen besteht z.B. die Gefahr, dass Systeme nicht ausreichend ausgeglichenes Lernmaterial zur Verfügung gestellt bekommen. Gesichtserkennungs-Software etwa kann weiße, männliche Gesichter besser unterscheiden, da sie meist von homogenen Teams aus weißen Männern entwickelt und vorwiegend mit Bildern weißer Männer trainiert wird. Auch besteht das Risiko, dass z.B. KI-gesteuerte Jobangebote Menschen diskriminieren können, weil sie allein aus der Datenbasis gelernt haben, dass z.B. Frauen viel seltener eine technisch ausgerichtete Stelle annehmen. Das System hat dann „gelernt“, dass es sich nicht lohnt, Frauen solche Stellen anzubieten. Divers zusammengesetzte Teams sind sehr viel sensibler für solche unabsichtlichen Fehlentwicklungen und können von vorneherein gegensteuern.

Warum glauben Sie ist das Thema Diversität in der IT heute so aktuell?

Die Zeit ist einfach ein Stück reifer das Thema, denn die Forderung danach gibt es in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dieser Prozess braucht Zeit, denn wir reden ja schon seit Jahren darüber. Aber es tut sich etwas. Sogar Fonds-Gesellschaften machen Aktivitäten in diesem Bereich zur Bedingung für ihre Anlageentscheidung weil sie wissen, dass Unternehmen mit Diversity-Aktivitäten eine verbesserte Performance aufweisen! Anderes Beispiel:

 

"Vor fünf bis sieben Jahren hatte keine Konferenz einen Code of Conduct. Heute haben ihn alle! Und nicht wenige Speaker machen ihr Kommen davon abhängig." Jutta Eckstein

 

Gerade erst wurde die Entwicklerkonferenz PhpCE in Dresden wegen fehlender Diversität bei den Vortragenden abgesagt. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung?

Das finde ich schon erstaunlich, aber eigentlich bestätigt es nur meinen Eindruck, dass auch in der IT heute keiner mehr reine Männerriegen sehen will. Ich kenne diese Konferenz allerdings nicht.

Auch wenn wir gerne ein ausgewogenes Bild in den IT-Teams hätten, die Realität sieht anders aus. Wie schafft man es dennoch, IT-Produkte zu entwickeln, die für alle funktionieren?

Ganz wichtig ist es, ein Bewusstsein für die bestehende einseitige Perspektive zu schaffen! Kontinuierliche Reflexion hilft, und es macht Sinn, alle Entscheidungen im Entwicklungsprozess anhand eines vorab definierten Diversity-Katalogs zu prüfen.

Vielen Dank für das superinteressante Gespräch!

Weiterführende Links:

McKinsey Studie: https://www.mckinsey.com/de/news/presse/neue-studie-belegt-zusammenhang-zwischen-diversitat-und-geschaftserfolg

Studie Frauen in der IT-Branche: https://de.statista.com/infografik/13283/frauen-in-der-tech-branche/

 

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Unternehmerinnen der Zukunft Abschlussveranstaltung

Von Gründerinnen für Gründerinnen:
Acht Learnings aus dem Digitalgeschäft

Weibliches Unternehmertum im digitalen Kontext fördern – so die Mission des Wettbewerbs „Unternehmerinnen der Zukunft“. Gestern Abend gab es im Filmcasino in München vier glückliche Gewinnerinnen: Anastasiya Koshcheeva von MOYA Birch Bark, Anette Haverkamp-Peiß von EMMA Eventing, Christiane Hübner von renna deluxe und Susanne Richter von Sanni Shoo erhielten die Auszeichnung „Vorbilder der Digitalisierung“. Dafür haben die Gründerinnen in den letzten sechs Monaten geschuftet: Neben ihrem laufenden Tagesgeschäft entwickelten sie zusammen mit ihren Coaches eine Digitalstrategie für ihr Unternehmen und setzten diese in die Tat um. Die acht wichtigsten Learnings verrieten die Vier gestern Abend bei der Preisverleihung.

#Keine Angst vorm Datendschungel

Kennzahlen sind das A&O für Unternehmertum. Behaltet den Durchblick, setzt euch intensiv damit auseinander. Die Daten sind euer Steuerungsinstrument.

#Standort spielt keine Rolle

Es müssen nicht die hippen Metropolen wie Berlin, München oder Köln sein. Digitalgeschäft kann man von überall aus machen. Gebt nicht auf: Hürden wie fehlendes Highspeed-Internet lassen sich mit Hartnäckigkeit und Kreativität überwinden.

#Ist das gut oder kann das weg?

Definiert für euch klar euren Markenkern und bleibt euch treu. Lasst euch von anderen inspirieren, aber vertraut auf euer Bauchgefühl - insbesondere bei Entscheidungen, bei denen es um eure Personal Brand geht.

#Fokussiert euch auf die Stärken

Verschwendet eure Energie nicht mit Dingen, die ihr nicht gut könnt. Stellt euch die Frage, wo eure Stärken liegen. Arbeitet interdisziplinär und holt euch Rat aus eurem Netzwerk.

# Belohnt euch selbst

Unternehmerin sein bedeutet, die Arbeit in den Lebensmittelpunkt zu stellen. Vergesst dabei nicht, auch mal inne zu halten. Belohnt euch für kleine Schritte, die ihr erreicht habt.

#Post-its fürs Erfolgsgefühl

Macht eure erreichten Meilensteine für euch selbst sichtbar. Entwickelt ein System, das euch zeigt, was ihr geschafft habt. Post-its als Messlatte sind ein Beispiel dafür.

#Teilen, teilen, teilen

Erzählt eure Geschichten und teilt sie. Und zwar nicht nur die Hochglanz-Erfolgsstories, sondern auch die Dinge, die nicht so gut gelaufen sind. Ihr werdet auf offene Ohren stoßen!

#Den besten Weg zeigt euch der Kunde

Denkt immer über einen Perspektivwechsel nach. Oft ist man so in seinem Business-Modus drin, dass man keinen Blick mehr fürs Wesentliche hat. Der Kunde kann da Aufschluss geben. Bleibt nah am Kunden dran und habt ein Ohr für ihn.

 

Programm für Gründerinnen

Die Initiative „Unternehmerinnen der Zukunft“ wurde vom Verband deutscher Unternehmerinnen, Global Digital Women, BRIGITTE Academy und Amazon ins Leben gerufen, um die digitale Entwicklung der von 19 Frauen geführten kleinen Unternehmen zu beschleunigen und sie als Vorbilder der Digitalisierung auszuzeichnen. Dabei wurden die Gründerinnen über einen Zeitraum von sechs Monaten von 25 Coaches in Einzel- und Gruppentrainings intensiv beim Ausbau ihres Digitalbusiness begleitet.

Prominente Jury

Die Auswahl der vier Gewinnerinnen erfolgte durch eine unabhängige Jury um Staatsministerin Dorothee Bär, Brigitte Huber, Chefredakteurin der BRIGITTE, Tijen Onaran, Gründerin von Global Digital Women, Jasmin Arbabian-Vogel, Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen und Nicholas Denissen, Vice President Small Business bei Amazon. Ausgezeichnet wurden die Unternehmerinnen der Zukunft 2019 in den vier Kategorien „Von Offline zu Online“, „Marktplätze“, „Export“ und „Markenbildung".

Erfolgszahlen der Gründerinnen sprechen für sich

Seit dem Auftakt der dritten Runde von Unternehmerinnen der Zukunft im April 2019 konnten nicht nur die Gewinnerinnen, sondern alle Teilnehmerinnen ihr Online-Geschäft ausbauen und neue Kunden für ihre Produkte gewinnen: 16 führten eine neue Marke ein oder bauten eine bestehende Eigenmarke aus; 14 Kandidatinnen haben ihren Online-Shop professionalisiert und sechs starteten mit dem Export und erreichen jetzt Kunden auf der ganzen Welt. Darüber hinaus stellten die Unternehmerinnen mehr als 2.000 Produkte online. Durch diese Aktivitäten schufen sie 35 neue Voll- und Teilzeit-Jobs in den Bereichen Vertrieb, Logistik und Marketing.

Der Wettbewerb wird auch in 2020 fortgeführt und expandiert in die USA.

 

Weiterführende Links

Mehr Informationen zum Wettbewerb #UdZ

Die Unternehmen der Gewinnerinnen Sanni Shoo, renna deluxe, MOYA Birch Bark, EMMA Eventing,

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Digital durchstarten

Dorothee Bär und Tijen Onaran im Gespräch über Digitalkompetenz

 


Brax Kollektion 2019

Warum Vertrauen wichtig für eine erfolgreiche Transformation ist

Die Modebranche hat es in den letzten Jahren nicht leicht gehabt. Viele namhafte, alteingesessene Unternehmen der Branche haben Insolvenz anmelden müssen. Der größte Vorwurf: mangelnde Agilität! Viel zu sehr hat man an alten Strukturen festgehalten, viel zu wenig hat man in Neues investiert, oft mangelte es an Vertrauen in den Change-Prozess. Ein Unternehmen, das den Spagat zwischen Tradition und Moderne offensichtlich gut hinbekommt, ist die Leineweber GmbH aus Ostwestfalen, die mit ihrer Marke Brax 2018 einen Umsatzrekord verzeichnen konnte. Ich wollte von Marc Freyberg, Director Marketing & E-Commerce sowie Unternehmenssprecher bei Brax wissen, wie man es als 130 Jahre altes Unternehmen schafft, nicht betriebsblind zu werden und welche Rolle in all der Disruption das Wörtchen „Vertrauen“ spielt.

 

Marc Freyberg von Brax spricht über Vertrauen
Marc Freyberg von Brax spricht über Vertrauen

Herr Freyberg, Sie sind seit fast 29 Jahren bei der Leineweber GmbH – und das soll in Ihrer Firma keine Seltenheit sein! Welche Message steckt aus Ihrer Sicht hinter dieser Tatsache?

Ehrlich gesagt, kommt es mir manchmal auch komisch vor, dass ich seit meinem Abitur immer nur in einer Firma gewesen bin. Aber wir bei Brax leben tatsächlich diesen „Fordern & Fördern“-Ansatz. Der ist für uns existentiell, denn für unseren Standort ist es nicht immer leicht, geeignetes Personal zu finden. Wir schauen genau, welche Person an welcher Stelle am besten eingesetzt ist, wie man Talente fördert und intern aufbauen kann. Ich selbst bin sicherlich ein Beispiel dafür! In unserer HR-Abteilung ist ein großer Teil des Teams mit Personalentwicklung beschäftigt.

„Nur mit Leidenschaft, Information und gegenseitigem Vertrauen kann man digitale Transformation meistern.“

 

Wie hoch ist die Mitarbeiter-Fluktuation in Ihrem Unternehmen?

Die Mitarbeiterfluktuation in unserem Headoffice in Herford ist tatsächlich sehr gering, sie liegt bei drei Prozent. In den Läden sieht das sicherlich anders aus, dort ist sie höher, wie überall im Handel. Ich glaube es gibt nicht viele Läden, die über ein Jahr hinweg mit dem gleichen Team am Start sind.

 

Stellt sich bei einer so langen Betriebszugehörigkeit nicht auch die Gefahr der Betriebsblindheit ein?

In unserer Zeit ist es immens wichtig, Entwicklungen in der Branche und der Gesellschaft nicht zu verschlafen. Bis 2009 waren wir ausschließlich über den stationären Handel am Markt vertreten, seit 2009 haben wir den Online Shop, später kamen Marktplätze hinzu. Heute liegt der  Umsatzanteil über E-Commerce bereits bei ca. 10 Prozent. Um solch einen Change-Prozess umzusetzen, braucht es Impulse von außen - aber auch festes Vertrauen innerhalb eines Unternehmens – zwischen Management und Mitarbeiter. Ich glaube nicht, dass ich betriebsblind bin.

 

Woher holen Sie sich die Impulse für neue Wege?

Ich bin viel unterwegs, kenne die Sicht des stationären Handels, des E-Commerce, der Hersteller. Vor allem aber rede ich viel mit Leuten, frage, wie macht ihr das und warum und bin einfach neugierig auf neue Ideen und Denkweisen. Auch auf Konferenzen und besonders in den Gesprächen zwischen den Slots hole ich mir wichtige Impulse für mein Business.

 

In 30 Jahren haben sich die Anforderungen an Führung und Mitarbeiter stark verändert. Warum braucht es heute einen anderen Führungsstil als früher?

Die Führung von Mitarbeitern hat sich grundlegend verändert. Ging es vor 30 Jahren nur top-down, ist das Verhältnis zwischen Führung und Mitarbeitern heute kooperativ und auf Augenhöhe. Bei uns beispielsweise erfolgen Feedbackrunden stets in beide Richtungen. Und kein Mensch will heute mehr eine austauschbare Nummer in einem Betrieb sein und nur Anweisungen umsetzen. Mit solchen Mitarbeitern könnte man eine Herausforderung wie die Digitalisierung auch nicht stemmen. Nur mit Leidenschaft, Information und gegenseitigem Vertrauen kann man sie meistern. Besonders wichtig ist mir in diesem Zusammenhang die Information, denn wie man so schön sagt: Information ist der Sauerstoff der Motivation!

 

Inwiefern stellt die digitale Transformation dieses Vertrauen auf eine Probe?

Weil alles immer schneller geht! Mitarbeiter brauchen Sicherheit und so etwas wie ein Gefühl von Geborgenheit im Unternehmen. Nur dann sind sie auch bereit, neue Wege zu beschreiten, denn das ist immer ein Risiko. Es ist wichtig, dass Mitarbeiter der Führung vertrauen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Im Gegenzug muss die Führung dem Team vertrauen, diese richtig umzusetzen. Dabei ist es auch wichtig, Fehler zuzulassen. Denn wer keine Fehler machen darf, wird sich auch nicht in neue Themen stürzen.

 

„Wir sind ein Familienunternehmen. Vertrauen zwischen Familie und Mitarbeiter ist uns extrem wichtig, weil wir den Zusammenhang zwischen Geborgenheitsgefühl und Innovationskraft kennen.“

 

Wie sieht eine Arbeitsbeziehung aus, in der dieses Vertrauen gestört ist?

Dann haben Sie Mitarbeiter, die nur Dienst nach Vorschrift machen oder – noch schlimmer – innerlich schon gekündigt haben. Mit so einem Team schaffen Sie keinen Change-Prozess. Wir dagegen haben sehr viele Anstrengungen unternommen, um dauerhaft ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Uns ist klar, dass Generationen unterschiedlich ticken und unser Unternehmen muss für alle passen. Und wenn es nicht passt, muss man eben seine Unternehmenskultur neu erfinden. Wir haben dieses Ziel bisher erfolgreich gemeistert. Der Beweis: In der Textilwirtschaft Arbeitgeberstudie belegen wir im Bereich soziale Verantwortung Platz 1.

 

Was können Sie Unternehmen empfehlen, die - wie Sie - in der Peripherie angesiedelt sind? Welche Themen sind wichtig für neue und alte Mitarbeiter?

Ich bin überzeugt, dass jedes Unternehmen, egal wo es angesiedelt ist, mit Selbstvertrauen punktet. Es ist das Paket, das stimmen muss. Arbeitnehmer wollen heute ein spannendes Aufgabenfeld, eine gute Work-Life-Balance und eine angemessene Bezahlung. Zudem wollen ja nicht alle Menschen in der Stadt leben, denn das Land bietet ja auch Vorteile, vor allem wenn man langfristig bleiben möchte.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Freyberg!

 

Weiterführende Links:

Online-Shop von Brax

Corporate Site von Brax

 

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Designhalle Wetscher Max in Innsbruck

Möbelbranche in digitaler Aufbruchstimmung?

Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung PwC beschäftigt sich mit Strukturen, Trends und Herausforderungen der deutschen Möbelbranche. Demnach wird dem Online-Segment großes Wachstumspotenzial zugesprochen. Hersteller und Händler arbeiten fieberhaft an Digitalstrategien. Doch der Teufel steckt im Detail. Die Frage nach dem digitalen Geschäftsmodell ist mit vielen Grundsatzfragen, hohen Investitionen und unternehmerischem Wagnis verbunden. Wir haben die Erkenntnisse der Studie aufgegriffen und mit Beispielen aus der Praxis verglichen.

Die Möbelbranche stagniert. Die PwC-Studie prognostiziert zwar für die kommenden Jahre ein leichtes, stabiles Umsatzwachstum von 1,3 Prozent. Dies ist jedoch ein kleiner Kuchen, der auf viele Player verteilt werden muss. Der Wettbewerbsdruck ist hoch und preisgetrieben, daher rechnet es sich für viele Händler nicht mehr, große Verkaufsflächen und personalintensive Verkaufsberatung bereitzustellen. Immer wieder müssen Marktteilnehmer Insolvenz anmelden, so im letzten Jahr Händler wie Habitat oder große Herstellermarken wie Wellemöbel, Alno oder Flötotto.

Dr. Christian Wulff Möbelbranche
Studienautor Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter, PwC Deutschland

Allheilmittel Online für die Möbelbranche?

Im Gegensatz zum stationären Handel spricht die PwC-Studie dem Online-Segment ein großes Wachstumspotenzial zu. Bis zum Jahr 2023 soll der Onlineumsatz im Möbelhandel um jährlich 8,4 Prozent wachsen. „Derzeit konzentriert sich die Möbelbranche noch stark auf den stationären Handel, doch in diesem Bereich ist nur noch ein leichtes Umsatzwachstum möglich. Ein großes Wachstumspotenzial bietet dagegen der Vertriebsweg über Onlinekanäle, den viele Unternehmen derzeit noch unterschätzen“, so Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland.

Dass der digitale Handel mit Möbeln sich aber nicht einfach umsetzen lässt, es hohe Investitionen und einen langen Atem bedarf, zeigt die aktuelle Situation der anfänglichen Hoffnungsträger für digitale Geschäftsmodelle im Möbelmarkt, Westwing und Home24.

Home24 schreibt rote Zahlen. Investitionen in Software und ein neues Warenlager in Halle haben den Online-Möbelversender im ersten Halbjahr belastet. Der operative Verlust stieg daher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 9,5 Millionen Euro auf 23,4 Millionen Euro. Dennoch will Home24 bis zum Jahresende weiter operativ auf bereinigter Basis die Gewinnschwelle erreichen. 2020 will das Unternehmen dann profitabel sein, berichtet das manager-magazin.

Auch Online-Pure-Player Westwing kämpft seit dem Börsengang im Herbst 2018 erheblich. Begeisterte der Gründer und Vorstandschef Stefan Smalla auf der K5 im Mai in Berlin noch das Fachpublikum mit seinen Plänen, musste die Gewinnerwartung für das laufende Geschäftsjahr ständig nach unten korrigiert werden. Smalla führt dies auf gesteigerte Investitionen ins Marketing zurück. Aber auch er zeigt sich gegenüber dem Handelsblatt optimistisch und geht unbeirrt davon aus, dass sich die höheren Investitionen mittel- und langfristig positiv auswirken werden.

Was sind die Erfolgsfaktoren?

Die PwC-Studie identifiziert Meilensteine, die die Händler bei ihrer Online-Strategie berücksichtigen müssen. Dazu zählen aufwändige Zustell- und Rücksendeprozesse auf der einen Seite. Die letzte Meile ist bekanntlich das größte Hindernis im Online-Handel.

Auch wollen die Möbelkunden gern Produkte vor dem Kauf sehen und ausprobieren. Dazu gehören einfachere Umtauschprozesse und Investitionen in neue Technologien, wie Virtual Reality und Augmented Reality, mit denen die Kunden sich auch zu Hause ein Bild von den gewünschten Produkten machen können, so die Studie.

Malte Dous Möbelbranche
Dr. Malte Dous, Director EU Category Management bei Wayfair kennt sich aus mit Plattformgeschäft. Zuvor war er Marktplatzchef bei Zalando.

Technologien als Wegbereiter

Innovative Technologie scheint also der Weisheit letzter Schluss auf dem Weg zur Digitalstrategie. Wayfair, ein großer US-Marktplatz für die Kategorie Home und Living mischt seit 2016 den deutschen Markt auf. Dr. Malte Dous, Director EU Category Management bei Wayfair sieht die Plattform weniger als Branchenmarktplatz denn als Partner und „Enabler“ des Handels. „Wir sind ein Tech-Unternehmen mit weltweit rund 2.300 Ingenieuren und Datenwissenschaftlern. Wir haben die gesamte Customer Journey mit Software und Algorithmen abgebildet, davon können auch unsere Partner profitieren“, erklärt der Ex-Zalando-Marktplatzchef. Die Plattform funktioniere rein datenbasiert – könne also jederzeit KPIs identifizieren und am Markt entsprechend agieren.

Beispiel: „Schnelle Lieferzeiten sind bei Möbeln ein absoluter Umsatzbooster“, so Malte Dous. Entsprechend hat Wayfair seine Services in punkto Lager aufgestockt. Neben der direkten Warenabfertigung im eigenen Lager bietet der Marktplatz mit Castlegate auch einen Fulfilment-Dienst an, der in Kassel zentral Waren für Händler einlagert und damit Produkte schnell abrufbar sind.

Ähnliche Services werden Handelspartnern auch in Bereichen Content (Lifestyle Bilder mit 3D Rendering), Marketing (eigener Verkaufstag WayDay analog zum Black Friday), Logistik (eigenes Liefernetzwerk) und Verpackung (Umverpackungsservice) geboten.

Omnichannel – Erfolgsbeispiel aus Österreich

Die PwC-Studienautoren sprechen Omnichannel-Konzepten, d.h. stationären Ausstellungsflächen, die sinnvoll mit technologischen Neuerungen verknüpft sind, ein hohes Erfolgspotenzial zu. Ein Blick in unser Nachbarland Österreich zeigt das in einem eindrucksvollen Beispiel.

Österreich hat ähnlich wie Deutschland eine hohe Konzentration an Möbelhäusern. Der Markt wird dominiert von Ikea, Kika, Leiner und XXXLutz. Nur wenige Händler können in dem Wettbewerb noch mithalten. Einer davon ist das Planungs- und Einrichtungshaus Wetscher im beschaulichen Zillertal, das weit über die Grenzen Tirols einen Namen hat. „Hätten wir nicht den Mut, uns immer wieder neu zu erfinden, wir wären schon längst ausradiert auf der Landkarte der Möbelhäuser“, ist Unternehmer Martin Wetscher überzeugt.

Der Wohndesigner führt den heutigen Erfolg auf die unternehmerische Entscheidung in den 90er-Jahren zurück, sich auf die Tischlerei, Planung und nur noch die absoluten Top-Marken im Programm zu konzentrieren. Einen ähnlichen Transformationsschritt hat das Familienunternehmen nun wieder gewagt. „Ein Möbelhaus muss heutzutage mehr bieten als eine beheizte Verkaufsfläche“, so Martin Wetscher auf dem imm-Congress in Köln.

Designhalle für alle, digital und im Showroom: Junior- und Seniorchef Max und Martin Wetscher.

Sohn Maximilian, Unternehmer in fünfter Generation, startete im Juni 2018 einen neuen Concept Store mit seiner eigenen Brand „Wetscher Max“. In der „Designhalle für alle“ eröffnet sich dem Kunden eine Ausstellung mit drei Themenbereichen Natur, Modern und Loft. Im Online-Store unterstützt ein digitaler Einrichtungsberater seine Klientel.

Nach einem Jahr zieht der Unternehmersohn Bilanz. „Mit unserem Konzept haben wir das Beste aus beiden Welten verbunden. Denn das digitale und das reale Einkaufen sind heute längst zu einem Erlebnis verschmolzen. Und diese neue Welt wollten wir in einem neuartigen Handelskonzept konsequent abbilden und mit Leichtigkeit an unsere Kunden vermitteln“, erklärt Maximilian Wetscher gegenüber der Branchenfachzeitschrift möbelkultur.

Am Standort in Fügen konnte das traditionelle Familienunternehmen zuletzt eine Umsatzsteigerung von rund 30 Prozent verzeichnen. „Mit Wetscher Max haben wir junge Zielgruppen völlig neu für unsere Qualitätsmarke begeistert, aber auch traditionelle Kunden der Wetscher Wohngalerien für andere Perspektiven gewonnen. Von dieser Durchmischung profitieren alle.“ Jetzt wagt das Möbelhaus den Schritt in die Stadt und hat einen Concept Store auch in Innsbruck eröffnet.

Wo liegt die Zukunft der Möbelbranche?

Klar ist: Es gibt keine digitale Blaupause für die Möbelbranche. Es zeigt sich vielmehr, dass jedes Unternehmen seinen individuellen Ansatz fahren muss. Dies ist ein Prozess und die Schwierigkeit liegt vor allem darin, dass man dafür oft gelernte Strukturen und etablierte Prozesse innerhalb des Unternehmens infrage stellen muss. Digitaler Handel bedeutet nicht, seine Produkte online in einem Webshop in einer anderen Art eines Produktkatalogs feilzubieten. Es bedeutet, dass man mithilfe von digitalen Produkten und Services Mehrwerte für seine Kunden schafft.

Die PwC Studie gibt eine umfassende Analyse und zeigt Perspektiven auf, wo diese Mehrwerte liegen können. Der Lebensstil vieler Menschen in Deutschland verändert sich, beispielsweise steigt die Zahl der Ein-Personen-Haushalte, auch die Arbeit im Home Office setzt sich immer stärker durch. Das hat Einfluss auf den Möbelmarkt. Gebraucht werden stärker multifunktionale und flexible Möbel.

Auch der gesellschaftliche Trend zu einem nachhaltigen Leben hat Auswirkungen auf den Möbelmarkt. Insbesondere hochwertige Möbel, Handwerksprodukte und Systemmöbel werden in Deutschland verkauft. Das Umweltbewusstsein der Konsumenten ist gestiegen. Dafür sind sie auch bereit, mehr Geld auszugeben. Wie eine Befragung zeigt, spielt der Aspekt Nachhaltigkeit für 73 Prozent der Kunden beim Kauf von Möbeln eine wichtige Rolle. Dies könnte sich ebenfalls zu einem Erfolgsfaktor für die Kernkompetenz im Möbelhandel erweisen.

Quellen: Handelsblatt, manager-magazin, möbelkultur, falstaff.de

Weiterführende Links

Marktstudie Möbelbranche 2019 von PwC

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Hippokrates von Kos, hippokratischer Eid

Technologie und Moral:
Hippokratischer Eid für IT-Berufe?

Algorithmen steuern die Welt. Sie versprechen, das Leben sicherer und effizienter zu machen. Längst ist klar, dass digitale Technologien nicht nur ein Segen sind, sondern auch Gefahren mit sich bringen. Doch wie steht es um die Moral der Berufsspezies? Mathematiker, Informatiker und Computeringenieure sollten einen hippokratischen Eid ablegen, um die Öffentlichkeit vor den neuen Technologien zu schützen, die derzeit in Laboren und Technologiefirmen entwickelt werden. Das zumindest fordert Dr. Hannah Fry, Professorin für Mathematik am University College London. Ich bin ihrer These nachgegangen.

Mathematiker und Computeringenieure bauen Technologien, die die Zukunft der Gesellschaft gestalten. Besonders der Umgang sensibler Daten kann dabei weitreichende Auswirkungen haben. Konzepte zur Datenökonomik müssen daher wohlüberlegt implementiert werden. Doch wie steht es um die Moral in den IT-Berufen? Ist das Bewusstsein der sogenannten „Nerds“ dafür geschärft, welche Auswirkungen ihre Arbeit sowohl im positiven als auch negativen Sinne auf die Gesellschaft haben könnten? Sind sie sich ihrer Verantwortung überhaupt bewusst?

Hippokratischer Eid in Medizin und Forschung

Der Ruf nach einem hippokratischen Eid in der Forschung  ist nicht neu. Nach dem Vorbild der Mediziner sollen auch andere Wissenschaftler durch eine solche öffentliche Selbstverpflichtung an moralisches Handeln gebunden werden. Unterstützt wird diese Idee seit Jahrzehnten unter anderem von der Unesco, von zahlreichen Vertretern von Forschungsinstituten, Wissenschaftsverbänden und Ethikkomitees. Mediziner halten sich seit mehr als 2500 Jahren an den hippokratischen Eid, der als ethischer Kodex für ärztliches Handeln zwar nicht verbindlich ist, aber einen hohen Stellenwert genießt.

Durchgesetzt hat sich bis dato in der Forschung in dieser Richtung nichts. Kritiker zweifeln den Nutzen einer solchen weder kontrollierten noch durch irgendwelche Sanktionen untermauerten Selbstverpflichtung an. Zudem argumentieren sie, es sei schwer für Wissenschaftler zu schwören, nur für das Wohl der Menschheit zu arbeiten, wenn sie die Ergebnisse nicht vorhersagen könnten. Noch viel weniger könnten sie im Vorhinein wissen, was jemand anderer aus ihren Forschungsergebnissen macht.

Debatte neu entbrannt

Im Zuge der rasanten technologischen Entwicklungen im Bereich Machine Learning und Künstlicher Intelligenz nimmt die Diskussion um eine ethische Selbstverpflichtung in technischen Berufen erneut Fahrt auf. Mit Bots und gefälschten Nachrichten, die Wahlen beeinflussen sowie Algorithmen, die z.B. männliche, weiße Bewerber im Auswahlprozess eines Bewerbungsverfahrens vorziehen, erkennen wir mehr und mehr, dass datengestützte automatisierte Entscheidungssysteme für einige ungewollte gesellschaftliche Entwicklungen mitverantwortlich sind.

Geschlossene Systeme sind nicht die Realität

Allerdings ist es etwas anderes, Probleme in der realen Welt zu bedenken als in geschlossenen Systemen. Das weiß auch die 35-jährige Professorin: „Mathematiker, Computeringenieure und Physiker sind so an abstrakte Probleme gewöhnt, dass sie selten darüber nachdenken, ob die Anwendung ihrer Arbeit in der Praxis ethische Regeln verletzten könnte. Ein ethisches Versprechen dagegen, würde die Wissenschaftler verpflichten, gründlich über die mögliche Nutzung ihrer Arbeit nachzudenken und sie dazu zwingen, nur solche Ansätze zu verfolgen, die der Gesellschaft zumindest keinen Schaden zufügen, sagt Fry gegenüber The Guardian.

Hannah Fry ist Professorin für Mathematik am University College London und erforscht mithilfe mathematischer Modelle Muster menschlichen Verhaltens im städtischen Raum. Sie hat mit Verwaltungen, Polizei, Gesundheitsexperten und Supermarktketten zusammengearbeitet und an wissenschaftlichen Fernsehdokumentationen und Podcasts mitgewirkt. Die Zahl der Aufrufe ihrer TED-Talks geht in die Millionen.

So mahnt Fry, dass Forscher heute Systeme bauen, die persönliche Daten sammeln und verkaufen, menschliche Schwächen ausnutzen und Entscheidungen über Leben oder Tod treffen: „In den Technologieunternehmen dieser Welt finden wir heute meist sehr junge, sehr unerfahrene und oft weiße Männer. Sie wurden nie gebeten, darüber nachzudenken, wie sich die Lebensperspektiven anderer Menschen von ihren unterscheiden, und letztendlich sind dies die Menschen, die die Zukunft für uns alle gestalten."

Soziale und gesellschaftliche Anerkennung

Lisa Herzog, Philosophieprofessorin an der TU München und freie Autorin schreibt in ihrer ZEIT-Kolumne, dass sich derzeit gerade die IT-Berufe in den Dienst einer Logik stellen, die eher dem Kapital dient als der Gesellschaft als Ganzes. Sie sieht hier noch viel Entwicklungspotenzial: „Der erste, und wichtigste Schritt wäre, die professionelle Verantwortung von Informatikern und Softwareingenieuren anzuerkennen. Dies müsste im Selbstverständnis und vor allem auch in der Ausbildung entsprechenden Niederschlag finden, zum Beispiel durch verpflichtende Kurse über Ethik und gesellschaftliche Verantwortung in den entsprechenden Studiengängen.“ Die Sozialwissenschaftlerin kann sich die Einführung einer Art hippokratischen Eid für diese Berufe durchaus vorstellen. Sie plädiert dafür, diesen durch entsprechende Strukturen sozialer Anerkennung zu ergänzen, zum Beispiel durch Auszeichnungen für gemeinwohlorientierte IT-Lösungen.

Dieser Ansicht ist auch Thomas Matzner. Der Münchner Diplom-Informatiker und Berater für Systemanalyse beschäftigt sich seit langem mit ethischen Fragestellungen in der Informatik und hat dazu an der TU München eine Ringvorlesung gehalten. „Wir müssen die Ambivalenz digitaler Technologien anerkennen und mehr Verantwortung übernehmen“, sagt Matzner gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aber nicht nur Informatiker seien in der Pflicht, sondern auch ihre Auftraggeber und die Nutzer. „Wir brauchen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel“, sagt er und kann der Forderung nach einem Eid für technische Berufe etwas abgewinnen. „Wenn ein Elektriker einen Kunden hat, der die Isolierung nicht zahlen will, dann lehnt er den Auftrag eben ab. Genauso müssten es Informatiker machen, wenn zum Beispiel Sicherheitslücken in einer Software absehbar sind.“

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar geht sogar noch einen Schritt weiter. Gegenüber der Wissenschaftsorganisation Helmoltz äußert er den Vorschlag, den hippokratischen Eid auch auf andere Disziplinen auszuweiten. „Ich glaube, man muss zum Beispiel dem Ingenieur, der bei einer Automobilfirma sitzt, ein Argument geben, das ihn stärkt, wenn er in eine zweifelhafte Situation gerät. Dann kann er sagen, ich habe während meines Studiums einen Eid abgelegt, deshalb stelle ich mein Know-how nicht für fragliche Entwicklungen, wie die Abgasmanipulation, zur Verfügung.“

Symbolik und öffentliche Aufmerksamkeit

Inwieweit sich tatsächlich ein hippokratischer Eid für technische Berufe einführen und umsetzen lässt, muss die Zukunft zeigen. Als Signal mit symbolischem Charakter kann ein solches Gelöbnisses aber sicher Denkweisen verändern.

Hannah Fry verleiht dem eine Stimme. Sie ist in erster Linie Wissenschaftlerin, die aber den öffentlichen Diskurs sucht. Mit ihren TED-Talks erreicht sie Millionen von Menschen. In ihrem aktuellen Buch „Hello World“ sorgt sie für Aufklärung und nimmt uns gleichzeitig die Ängste: „Noch nie waren Menschen so wichtig wie im Zeitalter der Algorithmen", so der Schlusssatz im Buch. Mit ihrem Engagement bringt sie die Debatte weiter. Sie schafft öffentliche Aufmerksamkeit, erweitert den Horizont und das Bewusstsein dafür, die Auswirkungen digitaler Technologien auf unsere Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Hier stehen wir alle in der Pflicht, nicht nur der Berufsstand der Computeringenieure und der „Nerds“.

Quellen: FAZ.de, ZEIT Online, The Guardian, Helmholtz.de

 

Weiterführende Links

Hannah Fry im Februar 2020 auf der OOP in München

Aktueller Hippokratischer Eid für Mediziner in Worten

 

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KI und Ethik: Wissen sie was sie tun?

 


silhouette of virtual human on abstract technology 3d illustration , represent artificial technology.

Wie Künstliche Intelligenz uns Menschen tangiert

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Deutschland genießt in KI-Forschung international einen ausgezeichneten Ruf. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken ist mit über 1.000 Mitarbeitern die größte wissenschaftliche KI-Einrichtung weltweit. Auf der AI4U-Konferenz sprach ich mit Prof. Andreas Dengel, DFKI Standortleiter in Kaiserslautern, über politische Reglementierung, gesellschaftliche Verantwortung und zukünftige Einsatzgebiete, wie zum Beispiel im Klima- und Katastrophenschutz.

Herr Prof. Dengel, welcher Grundsatz gilt bei der Entwicklung von KI-Systemen?

Es ist wichtig, KI immer zum Nutzen des Menschen und der Menschheit zu entwickeln und zu verwenden. So dürfen Kampfroboter genauso wenig eigenständig über Leben und Tod entscheiden dürfen, wie Chatbots ohne Einverständnis des Menschen Gespräche aufzeichnen und auswerten dürfen. Es geht also um eine menschenzentrierte Betrachtungsweise, die ich für sehr wichtig halte. Daraus resultiert auch, dass KI als kognitive Entlastung wie als intellektueller Leistungsverstärker angesehen werden sollte, als digitaler Assistent, der unsere Fähigkeiten ergänzt oder erweitert und uns nicht gleichberechtigt ist.

 Sollte die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz politisch reglementiert werden?

Auf jeden Fall, denn auch für KI und diejenigen, die diese verantwortlich entwickeln, gilt, dass unsere Gesetze eingehalten werden müssen. Sowohl die Chancen als auch Gefahren bedürfen einer politischen Reglementierung. Dabei sollten primär Fragen zu Menschenrechten, demokratischen Werten und ethischen Überlegungen im Mittelpunkt stehen, wie sie auch im April dieses Jahres als Teil eines Leitlinienkatalogs der EU veröffentlicht wurden. Besonders, um dem manipulativen Potenzial von KI entgegenzuwirken, brauchen wir Ethik-Leitsätze und Gesetze, bis hin zu einer erweiterten Strafverfolgung, die jedoch nicht Halt macht an den Grenzen von Deutschland oder der EU, sondern eine globale Anstrengung erfordert.

 

 „Künstliche Intelligenz sollte als digitaler Assistent gesehen werden, der unsere Fähigkeiten ergänzt oder erweitert und uns nicht gleichberechtigt ist.“

 

Was können wir tun, damit KI nicht für Zwecke eingesetzt wird, die wir ablehnen? Wie schaffen wir eine größere Transparenz darüber, wie KI entwickelt wird?

Transparenz ist ein wichtiges, vermutlich auch das offensichtlichste und eingängigste Ziel. Gleichberechtigt daneben stehen jedoch weitere Dimensionen mit großem Einfluss. Nur wenn wir alle Ebenen gleichermaßen in unseren zukünftigen Entwicklungen beachten, KI entsprechend politisch reglementieren und die relevanten Forschungsfelder vorantreiben, können wir sicherstellen, dass wir keine Systeme kreieren, welche für unerwünschte Zwecke verwendet werden. Die Leitlinien der EU fassen die wesentlichen Dimensionen zusammen, die berücksichtigt werden müssen auf dem Weg zu einer vertrauenswürdigen KI.

Können Sie die wichtigsten Leitlinien der EU kurz skizzieren?

Menschliches Handeln und Aufsicht muss Vorrang haben (1), KI Systeme müssen robust und sicher sein (2), die Privatsphäre und das Datenqualitätsmanagement muss gewährleistet sein (3), KI Systeme sollten vielfältig, nichtdiskriminierend und fair gestaltet werden (4), Gesellschaftliches und ökologisches Wohlergehen sind Ziele für die KI eingesetzt werden soll (5), Mechanismen werden geschaffen, die eine Rechenschaftspflicht für KI Systeme gewährleisten (6) sowie Transparenz (7), also die Rückverfolgbarkeit von KI Systemen, welche als siebte und letzte Dimension von der EU vorgeschlagen wird.

Wie kann eine Gesellschaft verhindern, dass KI entgegen unseren Wünschen gebaut bzw. genutzt wird?

Damit eine Gesellschaft mitreden kann, muss viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, denn nur wer mitreden kann, ist in der Lage eine „rote Linie“ zu ziehen. Dies gilt für die Gesellschaft im Allgemeinen, wie für die politischen Entscheidungsträger im Speziellen, denn Gesetze und Anwendungskodizes machen nur dann Sinn, wenn ich ihre Wirksamkeit und Grenzen bewerten kann.

Grundsätzlich gilt aber, dass im Prinzip jede Technologie letztendlich missbraucht oder zweckentfremdet werden kann, was nicht nur für die KI gilt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Kreditkartenbetrug oder korrupte Finanzbuchungen – auch hier werden Technologien entgegen ihres ursprünglichen Sinnes für kriminelle Handlungen missbraucht. Das Gefahrenpotenzial einer Technologie macht sie nicht per se schlecht, man darf potenzielle negative Auswirkungen jedoch nicht ignorieren.

 

„Um dem manipulativen Potenzial von KI entgegenzuwirken, brauchen wir Ethik-Leitsätze und Gesetze bis hin zu einer erweiterten Strafverfolgung.“

 

Und wie kann man gegen die Gefahren vorgehen?

Einhalt kann man diesen möglichen Gefahren gebieten, indem man aus dem Bewusstsein über die Gefahren Schutzmechanismen entwickelt. Das bedeutet auch, dass es sich lohnt beispielsweise in die Erforschung der Erklärbarkeit von KI Systemen zu investieren, um weitere potentielle Risiken frühzeitig aufdecken zu können.

Auch meine Arbeitsgruppe am DFKI beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Themen Interpretierbarkeit und Erklärbarkeit, was dazu geführt hat, dass wir KI Systeme bereits heute in die Lage versetzen können, ihre Entscheidungen in natürlicher Sprache zu erklären. Das ist nur ein Beispiel für vielversprechende Entwicklungen und wichtige Schritte in Richtung Transparenz und um ein tieferes Verständnis zu generieren.

 

„Die KI bietet uns als globale Gesellschaft ein technologisches Fundament, um die vieldimensionalen Daten und ihre Zusammenhänge besser zu verstehen, Ereignisse und Entwicklungen vorherzusehen und präventive Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten.“ Prof. Andreas Dengel, DFKI

 

Technologischer Fortschritt hält Einzug in unseren Alltag. Inwieweit werden KI-Systeme diesen in Zukunft beeinflussen?

Wenn wir uns anschauen, in wie viele Bereiche unseres täglichen Lebens KI bereits Einzug gefunden hat, können wir in etwa abschätzen, wie dieses zukünftig aussehen wird. Im Bereich Edge Computing und Anwendungen wie z. B. Smart Cities und Smart Automation kann ich mir ebenfalls deutliche Verbesserungen in absehbarer Zeit vorstellen.

 Es entsteht manchmal der Eindruck, dass KI nur entwickelt wird, um Verantwortlichkeiten auf Maschinen abzuschieben, aber nicht um echte Probleme zu lösen. Wie stehen Sie dazu?

Ich kann dem Kern Ihrer Frage nicht folgen, denn Einzelaussagen, wie etwa, dass an einem Unfall der Algorithmus schuld sei oder das Verhalten auf unzureichende Daten zurückzuführen ist, sind nicht repräsentativ für die KI. Ich billige eine Abschiebung von Verantwortlichkeit auf KI-Systeme auch nicht, denn die Algorithmen haben sich Menschen ausgedacht und Daten zum Training von KI-Systemen sind von Menschen ausgewählt.

 

„Eine verstärkte Anwendung von KI zu Klimaschutzzwecken, z. B. im Energiesektor ist denkbar, bspw. im Ressourcenmanagement oder in intelligenten Automatisierungen.“

 

Aber, und dies ist wichtig zu betonen, KI-Systeme behandeln bereits „echte Probleme“. Schon das Navigationssystem im Auto versucht allen Verkehrsteilnehmern gleichzeitig in hochkomplexen und dynamischen Verkehrsdatenräumen, die schönste, schnellste, kürzeste Route zum Ziel zu suchen. KI-Systeme, wie deepL übersetzen in Sekunden längere Texte in alle europäischen Sprachen.

KI-Systeme des DFKI werden z. B. zur Betrugserkennung oder zur automatischen Erkennung von Bildinhalten, in denen Kinder sexuell missbraucht werden, eingesetzt. Andere Systeme kommen im Bereich des Katastrophenmanagements zum Einsatz, wo Satellitenbilder z. B. bei Überflutungen analysiert werden, um Vorhersagen zu machen, wie sich die Fluten weiter ausbreiten werden und Rettungswege in welchem Zeitraum für die Einsatzkräfte noch zur Verfügung stehen. Das sind für mich schon „echte Probleme“.

D. h. KI-Systeme werden in Zukunft positive Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Welche sehen Sie da als realistisch an?

Meine Antwort knüpft zum Teil an Ihre vorangegangene Frage zu „echten Problemen“ an. Eine echte Herausforderung der wir uns nämlich zukünftig stellen müssen, ist der Klimawandel. Eine verstärkte Anwendung von KI zu Klimaschutzzwecken, z. B. im Energiesektor ist denkbar, bspw. im Ressourcenmanagement oder in intelligenten Automatisierungen. Positive Auswirkungen auf die Gesellschaft, die ich für realistisch halte und zukünftig sehe, liegen auch im Bereich Gesundheit, zur Unterstützung von alten, kranken oder behinderten Menschen.

Wie wird Künstliche Intelligenz in Zukunft die Arbeitswelt verändern?

Bezogen auf die Arbeitswelt sehe ich ebenfalls eine große Chance, denn durch den Einsatz von KI-Systemen können dem Menschen monotone Arbeiten und standardisierte Vorgänge abgenommen werden. Infolgedessen bleibt mehr Zeit für Aufgaben, in denen der Mensch seine im Vergleich zur Maschine anders vorhandene Problemlösungskompetenz anwenden kann.

Auch für Kreativität, kommunikative und soziale Tätigkeiten bleibt im besten Fall mehr Zeit. Wenn wir es schaffen die KI für uns einzusetzen, kann sie uns die Arbeit erleichtern und ist keinesfalls etwas, das als „Arbeitsplatzvernichter“ befürchtet werden muss. Man muss sich hier auch klarmachen, dass ein etwaiger Umbruch - so übrigens auch in allen vorangegangenen industriellen Revolutionen passiert - nicht plötzlich, sondern sukzessive erfolgt und somit auch Zeit bleibt, um z. B. in Weiterbildung, Um- oder Höherqualifizierung zu investieren.

Was werden KI-Systeme in drei Jahren besser können als heute?

Drei Jahre sind ein relativ limitierter Zeitrahmen, ich denke daher, dass man allgemein sagen kann, dass große Potentiale hin zu besseren KI-Systemen im Verständnis der Systeme liegen. Unser Ziel sollte also vornehmlich weiterhin sein, die sogenannten KI Black-Boxes „weißer zu machen“ und hier sind wir schon auf einem guten Weg.

 

„Es sich lohnt in die Erforschung der Erklärbarkeit von KI Systemen zu investieren, um weitere potenzielle Risiken frühzeitig aufdecken zu können.“

 

Und was sagen längerfristige Prognosen?

 Es gibt verschiedene Befragungen und Trendanalysen, die versuchen zu prognostizieren, welche Veränderungen in Zeiträumen von z. B. fünf oder zehn Jahren im Bereich KI voranschreiten werden. Häufig werden in solchen Studien das produzierende Gewerbe, die Industrie und auch KMU als prädestinierte Nutzer von KI identifiziert. Ein Beispiel ist die Qualitätskontrolle die mit KI assistiert werden kann und so wesentliche schneller als der Mensch ist. IBM präsentiert regelmäßig konkrete zu erwartende Technologietrends der kommenden fünf Jahre.

Auch hier finden sich Anwendungen z. B. im Ökologie- bzw. Umweltbereich in Form von intelligenten Sensoren, die Schadstoffbelastungen erkennen können oder Einsätze im Gesundheitsbereich wie Chips, die es ermöglichen Krankheiten früher zu erkennen, indem regelmäßig Körperflüssigkeiten auf Veränderungen untersucht werden. Dies könnte mit diesen Mini-Laboren sogar von zuhause aus geschehen. Ob diese speziell prognostizierten Anwendungen tatsächlich alle eintreten werden, wird man in den kommenden Jahren sehen, sicherlich werden sie aber zum Teil Einzug in unseren Alltag finden.

Was ist Ihr ganz persönliches Anliegen in Sachen Entwicklung von KI-Systemen?

Prof. Andreas Dengel, DFKI
Prof. Andreas Dengel ist Standortleiter am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern und wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs Smart Data & Knowledge Services am DFKI.

Es gibt viele große Probleme unserer Zeit, die die gesamte Menschheit betreffen, insbesondere die Lebensbedingungen und das Zusammenleben der kommenden Generationen. Die KI bietet uns als globale Gesellschaft ein technologisches Fundament, um die vieldimensionalen Daten und ihre Zusammenhänge besser zu verstehen, Ereignisse und Entwicklungen vorherzusehen und präventive Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten, sei es in den Lebenswissenschaften, im Bereich der Klimaforschung oder bei gesellschaftlichen Phänomenen, die durch Social Media entstehen. Daher würde ich noch mehr kollektive Maßnahmen ganz Im Sinne der UN-Initiative „AI for good“ begrüßen.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, Herr Prof. Dengel!

 

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Weiterführende Links

Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz

Konferenz für Künstliche Intelligenz AI4U