München nach dem Lockdown durch Corona

City nach dem Lockdown:
E-Commerce als Bollwerk gegen Frequenzrückgang?

Die Münchener Traditionshändler Ludwig Beck und Sporthaus Schuster geben Einblick über die aktuelle Lage in der City nach dem Lockdown. Konsumzurückhaltung, wenig Einkaufserlebnis und fehlende Touristen prägen derzeit das Bild in den Läden. Die Erfolgsgeschichte schreibt ein anderer Geschäftsbereich: Der E-Commerce verzeichnet bei beiden Handelshäusern enormen Zuwachs, der jedoch die Umsatzeinbußen bei weitem nicht kompensieren kann. Auf welche Szenarien die Unternehmen sich in den nächsten Monaten einstellen und welche Handlungsperspektiven es für den Handel in den Innenstädten gibt, diskutierte meine Kollegin Vera Vaubel mit den beiden E-Commerce-Chefs Fabian Göhler und Konstantin Rentrop im Digital-Talk der Initiative „Händler helfen Händlern“. 

Zunächst hatte die Corona-Krise etwas beruhigend Egalisierendes: Denn egal, ob in Münchens 1A-Lage oder am Stadtrand, die Umsätze des stationären Handels auf der Fläche waren ab Mitte März überall gleich Null. Alle Ladentüren waren geschlossen, die Verbindung zum Kunden gekappt. Was im Lockdown aber sehr wohl einen Unterschied machte, war das Vorhandensein eines Online-Shops, eine enge Bindung zum Kunden und die Bereitschaft, sich schnell der Situation anzupassen und das Bestmögliche daraus zu machen. Auch für die Münchener Traditionshäuser Ludwig Beck und Sporthaus Schuster waren die Tage rund um den 16. März eine Katastrophe. Doch man entschied sich, nach vorne zu schauen und war mehr als glücklich, das Thema Online-Shop und Digitalisierung von internen Prozessen schon vor Jahren angegangen zu sein.

USP aus der Fläche digital abbilden: Kundenberatung per Telefon

„Der totale Shutdown war für uns zunächst wirklich dramatisch“, erinnert sich Konstantin Rentrop, E-E-Commerce- und Marketingleiter beim Sporthaus Schuster. „Zwar hatten wir schon Tage zuvor verschiedene mögliche Szenarien durchgespielt und Vorbereitungen getroffen, einen Lockdown der gesamten Münchener Innenstadt konnten wir uns aber nicht wirklich vorstellen!“ Da Radläden in Bayern geöffnet bleiben durften, verlagerte das Team vom Sporthaus schnellstmöglich das gesamte Radsortiment auf eine Etage und nutzte die erweiterte Fläche, um zum einen dem Abstandsgebot Rechnung zu tragen und zum anderen, das Sortiment bestmöglich darzustellen.

Konstantin Rentrop, Sporthaus Schuster
Konstantin Rentrop, Sporthaus Schuster

Da viele Kunden aus Vorsicht aber nicht mehr in die Stadt und in den Laden kommen wollten, mussten wir versuchen, unseren Beratungsservice digital abzubilden“, erläutert Konstantin Rentrop.

„Wir haben das erreicht, indem wir z.B. die Namen und Telefonnummern unserer Abteilungsleiter über Social Media und auf unserer Website öffentlich gemacht haben. Auch Logistikfragen konnten Kunden direkt mit unseren Mitarbeitern besprechen.“ Der Service Call & Reserve, also die telefonische Reservierung von Produkten zur Anprobe bzw. Abholung im Laden wurde eingerichtet. Dennoch blieben die Online-Umsätze im März unter denen des Vorjahrs, die Kauflust war den Kunden angesichts der dramatischen Bilder aus dem Fernsehen und einer ungewissen Zukunft vergangen.

Immenser Umsatzzuwachs im Online-Geschäft

Nach der anfänglichen Kaufzurückhaltung kam im April die Lust der Menschen auf Sport zurück und Sporthaus Schuster verzeichnete in seinem Onlineshop eine Verdoppelung seines Online-Umsatzes. Auch bei Ludwig Beck wuchs das Online-Geschäft stark an, allerdings bereits im März. Seitdem kann das Kaufhaus eine Umsatzsteigerung im E-Shop von rund 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verbuchen. Fabian Göhler, Bereichsleiter E-Commerce, Marketing & PR bei der Ludwig Beck AG erinnert sich: „Man sieht sich diese Entwicklung an und traut dem zunächst nicht so recht. Tatsache aber ist, dass sich dieser Umsatzzuwachs von Anfang an durchgezogen hat. Dagegen kann man jedes Weihnachtsgeschäft vergessen!“ Fabian Göhler sieht die Ursache dieser Entwicklung zum einen in der Tatsache, dass das gestiegene Bedürfnis nach Hygiene und Händewaschen dem Online-Sortiment von Ludwig Beck sehr zugute kam, aber auch in dem Geschäftsmodell, das das Kaufhaus der Sinne im E-Shop verfolgt:

Fabian Göhler, Kaufhaus Ludwig Beck
Fabian Göhler, Kaufhaus Ludwig Beck

„Ich bin ein großer Fan von Nischen im Internet. Wir haben uns schon vor Jahren dazu entschieden, lediglich mit unserem sehr exklusiven Beauty- und Kosmetiksortiment online zu gehen. Dafür sind wir bekannt und profitieren heute von einer sehr hohen Kundenbindung. Das hat uns in der Krise sicher auch in die Hände gespielt.“ Beide Unternehmen sind heute froh, sich schon seit Jahren intensiv mit dem E-Commerce auseinanderzusetzen und klare Online-Konzepte zu verfolgen.

„Die Corona-Krise ist wahrscheinlich der erfolgreichste Werbefeldzug für den E-Commerce“, resümiert Fabian Göhler von Ludwig Beck.

Dass Online- und Offline-Kanäle sich gegenseitig kannibalisieren würden, bewertet Fabian Göhler dagegen als Quatsch. „Interne Studien und die Auswertung unserer Konversionsraten haben ergeben, dass sich viele unserer Kunden im Laden inspirieren lassen um dann gezielt online zu kaufen“.

Kundenloyalität als Umsatzgarant in Krisenzeiten 

Mit dem veränderten Kaufkanal hat sich durch die Krise auch die Kundenansprache stark verändert. Bedürfnisse mussten neu erkannt, Themen gefunden und inhaltlich neu erarbeitet werden. „Wir haben im Lockdown immens viel unternommen, dieser Umsatzzuwachs war kein Selbstläufer“, erklärt Fabian Göhler. „Wir haben zu Beginn z.B. viele Handseifen und -Creme Kampagnen durchgeführt. Auch Schminktipps speziell für Augen für Trägerinnen von Gesichtsmasken kamen bei unseren Kunden sehr gut an.“ Es zeigte sich, dass sich das Sporthaus Schuster in der Krise vor allem auf seine Münchner Stammkundschaft verlassen konnte. „Wir haben während des Lockdowns gesehen, dass die Online-Konversion von unseren Münchener Kunden sehr viel höher war, als aus den restlichen deutschen Gebieten“, erklärt Konstantin Rentrop. Nette Kundenmails und Bewertungen bestätigten zudem, dass Kunden ihren Münchener Sporthändler mit einem Online-Kauf aktiv unterstützen wollten. Auf das Vertrauen und die Treue seiner Kunden setzt auch Fabian Göhler - vor allem jetzt nach der Wiedereröffnung von Ludwig Beck. Denn das „Kaufhaus der Sinne“ hat vor allem im Kosmetikbereich sehr viele Auflagen zu erfüllen: „Wir haben in unserer Beauty-Abteilung beispielsweise keine offenen Tester mehr. Düfte, Konsistenten und Farben sind aktuell leider nicht mehr sinnlich erlebbar. Auch dürfen wir unsere Kundinnen nicht mehr schminken.“ Damit wird der Produktkauf in diesem Bereich noch einmal mehr zum „Akt des Vertrauens“ und Beratung erhält eine noch wichtigere Funktion. Was allerdings auch problematisch ist, denn - so Fabian Göhler: „Ein so großes und nun wiedereröffnetes Haus erfordert einen gewissen Personalstamm, der bei niedriger Kundenfrequenz auch eine Last darstellt.“

Inspirativer Einkauf aktuell schwierig, Bike, Running und Fitness läuft sehr gut

Shopping in Corona-Zeiten hat an Leichtigkeit verloren und sich im Vergleich zu früher stark verändert. Zählte das Sporthaus Schuster Anfang des Jahres sehr viele Kunden, die sich im Laden einfach inspirieren lassen wollten, kommen sie heute mit einem sehr konkreten Bedürfnis ins Geschäft.

Die Fokussierung unserer Kunden auf konkrete Bedürfnisse beschert uns zwar eine sehr hohe Konversionsrate, doch die Frequenz in der Fläche ist noch sehr niedrig,“ bestätigt Konstantin Rentrop.

Auch urbane Outdoormode, die nicht direkt zum Sport getragen wird, verkauft sich aktuell schlecht. Sportbekleidung rund um die Sportarten Radfahren, Running und Fitness dagegen funktionieren laut Rentrop sensationell gut. Der Fashionbereich bei Ludwig Beck dagegen leidet aktuell sehr unter Corona. Das liegt auch daran, dass mit den verbotenen Festen und Feierlichkeiten einfach die Anlässe fehlen, um sich neu einzukleiden. Auch die ausbleibenden Touristen in München machen sich im Kaufhaus der Sinne stark bemerkbar: „Ein Drittel unseres Umsatzes erwirtschaften wir normalerweise mit Urlaubern“, erklärt Fabian Göhler.

Krise gemeinsam mit Lieferanten meistern, nicht über Rabatte

Um den Warendruck im Unternehmen zu mildern, hat das Sporthaus Schuster viele Gespräche mit Lieferanten geführt. So konnten Kollektionen z.T. auf das nächste Jahr verschoben oder ein späterer Liefertermin vereinbart werden. Dass der Händler mit vielen Lieferanten schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet, sieht Konstantin Rentrop als klaren Vorteil: „Eine vertrauensvolle und über Jahre gewachsene Händler-Lieferanten-Beziehung hilft sehr in Krisenzeiten.“ Beim Kaufhaus Beck sah die Situation zu Beginn der Krise vor allem im Kosmetikbereich etwas anders aus, denn mit dem unerwarteten Umsatzzuwachs im E-Shop stand plötzlich die Beschaffung zusätzlicher Ware im Vordergrund: „Wir beziehen unsere Produkte aus der ganzen Welt, von Australien bis nach Amerika“, gibt Fabian Göhler zu Bedenken. „Angesichts der eingeschränkten Verkehrsflüsse und der unklaren Produktionskapazitäten überall im Ausland, bestand hier eine große Unsicherheit.“ Auch Logistik und Fulfilment sicherzustellen war, war zu Beginn der Krise eine große Herausforderung. Einig waren sich Fabian Göhler und Konstantin Rentrop, als es auf das Thema Rabatte zu sprechen kam.

Fabian Göhler erklärt: „Natürlich ist die Verlockung aktuell groß, hohe Rabatte einzuräumen. Doch ich warne, dies mit Bedacht zu tun, denn Umsätze allein über Rabatte zu machen, ist oft der Anfang vom Ende.“

Sinkende Frequenzen und neuen Aufbrüche

Was genau die Zukunft bringt, das wissen die Traditionshändler Ludwig Beck und Sporthaus Schuster natürlich auch nicht. Doch sie haben Erwartungen: Konstantin Rentrop rechnet in Zukunft mit weiter sinkenden Frequenzen auf der Fläche, schon in den letzten zwei bis drei Jahren sei diese um 30 Prozent zurückgegangen. Auch bezüglich der Kaufkanäle erwartet er eine weitere Verschiebung hin zum Online-Shop, denn „volle Innenstädte und enge Weihnachtsmärkte“ kann er sich für 2020 nur schwer vorstellen. Dass die Krise für viele Unternehmen existenzbedrohend ist und gleichzeitig eventuelle Schieflagen öffentlich macht, davon sind sowohl Konstantin Rentrop als auch Fabian Göhler überzeugt. Aber sie wird auch neue Chancen bringen! „Kümmert euch um euer Geschäftsmodell!“ mahnt Fabian Göhler alle von der Krise betroffenen Händler in Deutschland, die den digitalen Kanal bislang eher vernachlässigt haben. Schnellschüsse, bei denen komplette Online-Shops binnen drei Wochen aus dem Boden gestampft werden, sieht er daher eher kritisch. „Es ist essenziell, vorab genau zu überlegen, WAS man online anbieten möchte, für WEN und WARUM.“ Gerade erst hat Ludwig Beck einen Online-Shop für den chinesischen Markt gelauncht – mitten in der Corona-Krise. Trotzdem wird das Unternehmen den Forecast für das 1. Halbjahr 2020 erreichen – auch dank der präzisen Vorarbeit. „Den Schritt nach Asien haben wir penibel vorbereitet und wir sind sehr stolz darauf, dass wir aus unserem Lager in Nürnberg 100 Prozent der chinesischen Bestellungen in sechs bis acht Tagen ausliefern konnten!“

Weiterführende Links:

Link zum Digital-Talk: https://neovaude.live/haendlerhelfenhaendlern-2020-05-19/

Initiative Händler helfen Händlern: https://www.haendler-helfen-haendlern.com

Kaufhaus Ludwig Beck: https://kaufhaus.ludwigbeck.de/

Sporthaus Schuster: https://www.sport-schuster.de/

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nachhaltiger Konsum mit Miet-Commerce

Weniger Zeug durch Miet-Commerce – eine Chance für nachhaltigeren Konsum

Mit dem Wunsch nach nachhaltigeren Konsummodellen hat sich auch das Motto „Nutzen statt Besitzen“ immer mehr verbreitet. Allerdings fliegt das Thema bei den meisten noch immer unter dem Radar. Obwohl große Marken wie Tchibo, Otto oder Vaude Mietmodelle für Teile ihres Sortiments anbieten, sind die Angebote wenig bekannt. Dabei belastet viele Menschen diese Anhäufung von Besitz immer mehr und „Mieten statt Kaufen“ könnte eine gute Lösung sein. Ich stelle euch heute einige interessante Modelle im Miet-Commerce und ihre Protagonisten vor. Ich war überrascht, wie viele Möglichkeiten der Miet-Commerce heute schon bietet.

Mieten als Geschäftsmodell im Handel ist eigentlich ein alter Hut. Waren es zu Beginn vor allem die Leih-Ski im Winterurlaub oder die Baumärkte, die mit dem Verleih von Maschinen oder Handwerkszeug auf sich aufmerksam machten, treten immer mehr Branchen ins Rampenlicht, die man für Miet-Commerce-Modelle zunächst nicht wirklich auf dem Schirm hatte. Gepusht wurde dieser Ansatz besonders durch den Wunsch nach nachhaltigeren Konsummodellen. Schließlich werden Produkte oft nur selten genutzt und sie dann mit einem anderen Nutzer zu teilen, leuchtet wirklich ein. Unter dem Motto „Nutzen statt Besitzen“ entwickeln sich inzwischen viele Initiativen und zahlreiche Start-ups sprießen aus dem Boden. Auch einige etablierte Hersteller und Händler haben bereits eigene Miet-Commerce-Modelle.

Unown: Bekleidung mieten als Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Fashionkonsum

Das Hamburger Start-up Unown machte erstmals im Herbst 2019 mit einem Miet-Modell für nachhaltige Mode auf sich aufmerksam. Das Ziel: Ein profitables Geschäft entwickeln und gleichzeitig Teil der Lösung für drängende gesellschaftliche und ökologische Probleme sein. Laut Greenpeace werden 40 Prozent in unserem Kleiderschrank selten oder nie getragen. Dem gegenüber stehen rund 60 neue Teile, die eine Frau durchschnittlich im Jahr neu anschafft – um den Kleiderschrank weiter vollzustopfen. Das Tragische daran: Der Besitz belastet immer mehr Konsumenten und Lösungsansätze sind dementsprechend hochwillkommen. Schon 2018 gaben 20 Prozent der Deutschen an, Bekleidung auch mieten zu wollen. Heute dürfte die Bereitschaft dazu eher gestiegen sein – passend zum Trend des Re-Commerce, also dem Handel von Second Hand Ware, der im letzten Jahr einen gewaltigen Zuwachs hinlegen konnte. Rund 200 Teile von über 20 Marken gibt es aktuell im Unown-Shop, die entweder einzeln geleast oder als Abo-Modell in verschiedenen Umfängen, z.B. drei Teile im Monat zum Preis von 69,- Euro temporär erstanden werden können. Die typische Kundin ist 25-45 Jahre alt, lebt eher in urbanen Gebieten und gibt durchschnittlich 150-200 Euro für Kleidung im Monat aus. 20 Prozent der Kleidung wird laut Co-Gründerin und Co-CEO Tina Spiessmacher von den Kundinnen am Ende gekauft. Sie bestätigt: „Befragungen unserer Kundinnen ergaben, dass sie durch unser Leasing-Modell tatsächlich weniger neue Teile kaufen.“ Bei Unown wechselt ein Teil durchschnittlich sechs- bis achtmal die Besitzerin bis es aus dem Loop herausgenommen wird – entweder weil es gekauft oder z.B. an den Hersteller retourniert wird. Besonders gut funktioniert bei Unown Mode, die Statement-Charakter hat aber auch im Business-Umfeld tragbar ist. Probleme mit beschädigter Ware gab es bislang übrigens kaum. Die Kleider sind versichert, die Reinigung ist kostenlos:

„Hier hatten wir zu Beginn ein bisschen Sorge, doch tatsächlich behandeln unsere Kundinnen die Ware sehr sorgsam. Um für die nächste Wachstumsphase gut aufgestellt zu sein, arbeiten wir gerade intensiv an der Ausweitung des Sortiments und daran, unser digitales Produkt-Tracking weiter zu verbessern,“ erklärt Tina Spiessmacher.

Unown-Fashion
Shop von Unown-Fashion
Von der internen Mitarbeiter-Ausleihe zum professionellen Miet-System

Der Outdoor-Spezialist Vaude startete sein Miet-System „IRentit“ by Vaude im Jahr 2016 und hat dort Zelte, Isoliermatten, Rucksäcke und Fahrradtaschen im Sortiment. „Unser Verleih-Modell wurde durch unseren firmeninternen Ausleihpool inspiriert, über den sich unsere Mitarbeiter schon seit vielen Jahren für private Zwecke Ausrüstung ausleihen konnten“, erklärt Benedikt Tröster, Pressechef bei Vaude. Um Erfahrungen zu sammeln, gab es das Mietsystem zunächst nur in den stationären Stores des Herstellers, seit 2017 ist auch der Online-Verleih möglich. Der Service wird von Kunden inzwischen gut angenommen. Allerdings verzichtet Vaude nach eigenen Angaben derzeit auf eine starke Bewerbung von IRentit, um die internen Kapazitäten nicht zu überlasten. Die größte Herausforderung bei dem Modell besteht laut Benedikt Tröster im Handling. Neben der Logistik sind vor allem die manuelle Wartung und ggf. Reinigung der Produkte sehr zeitaufwendig. Daneben erfordert das System eine IT-Lösung, bzw. Abbildung in einem ERP-System, was für Unternehmen unter Umständen hohe Anfangsinvestitionen erfordert, aber auch eine spätere Skalierung ermöglicht. „Bislang werden Zelte am meisten nachgefragt“, erklärt Benedikt Tröster und ergänzt, „vermutlich, weil dies sehr hochpreisige Ausrüstungsgegenstände sind, die in der Regel nur selten im Jahr genutzt werden.“  Aber auch wasserdicht verschweißte Radtaschen werden nachgefragt, natürlich mit einem saisonalen Peak zu Ferienzeiten.

iRentit by Vaude
iRentit by Vaude
Möbel zum Mieten? Ikea will in der Schweiz starten

Der schwedische Möbelriese Ikea beispielsweise verkündete bereits im September 2018, künftig Mietmöbel anzubieten. Auftaktmarkt für die neue Leih-Welt soll zunächst die Schweiz sein und das Büro-Sortiment umfassen. Losgehen sollte es eigentlich noch im Juni dieses Jahres, ob dieser Termin aber gehalten werden kann, ist angesichts der Corona-Krise ungewiss. Ikea Österreich Chef Alpaslan Deliloglu verkündete noch Anfang Februar, dass spätestens Ende 2021 auch in Österreich Möbel zum Mieten angeboten werden sollen. Der Grund: Das Möbelhaus will nachhaltiger werden. Beim Berliner Start-up Lyght Living rund um die Gründerinnen Laura Seiler und Nadine Deuring kann man bereits seit April letzten Jahres Möbel mieten. Ihr Konzept „Furniture as a service“ richtet sich in erster Linie an Menschen, die öfter umziehen. Rund 200 Produkte von über 50 Marken aus den Bereichen Wohnen, Essen, Schlafen, Arbeiten, Lampen & Dekoration sowie Outdoor bietet der Shop aktuell zur Miete an.

Erst Kinderkleidung dann Sportgeräte – Tchibo Share will weiter wachsen

Bereits viel Erfahrung gesammelt hat das Miet-Business von Tchibo. Schon 2017 startete Tchibo als erstes großes Handelsunternehmen das Pilotprojekt ‚Tchibo Share‘ in Kooperation mit dem Magdeburger Unternehmen kilenda. Tchibo Share bietet nachhaltig produzierte Baby-, Kinder- und Damen-Kleidung zur Miete an und das Modell scheint zu funktionieren. Laut Unternehmen haben sich sowohl Warenkorbgröße und Conversion Rate zufriedenstellend entwickelt, so dass das Modell weiter ausgebaut werden soll. Inzwischen können Tchibo Share Kunden neben Bekleidung auch Sportgeräte und Möbel mieten. Bei Sportgeräten wird vor allem das Argument des Ausprobierens ins Feld geführt um Kunden zum „Kauf“ zu locken. Ist man also unsicher, ob der Tchibo Schlingentrainer für einen Kaufpreis von 29,90 Euro gefällt, kann man ihn für 4,99 Euro monatlich zunächst mieten und bei Erreichen des Kaufpreises einfach behalten – oder eben nach einem Monat zurücksenden. Tchibo Kreislauf-Expertin Sarah Herms in einem Gespräch mit fashionunited:

„Um Tchibo Share langfristig und damit nachhaltig zu betreiben, braucht es ein breites Kunden-Fundament. Je mehr wir unser Angebot verbreitern, desto mehr leihen sich unsere Kunden aus“.

Tchibo Share
Sportequipment bei Tchibo Share
Von Multimedia über Haushaltselektronik bis hin zu E-Scootern: Otto Now expandiert

Vor gut drei Jahren ist mit Otto Now auch der Versandhandelsriese Otto ins Miet-Business eingestiegen. War das Sortiment bei Otto Now zunächst auf einzelne Bereiche wie Multimedia, Haushaltselektronik und Sport beschränkt, umfasst der Kategoriebaum inzwischen auch Möbel und E-Mobility Produkte wie E-Scooter oder E-Bikes. Ganze Büroausstattungen lassen sich heute über Otto Now mieten – gerade in Zeiten von Corona-bedingtem kollektivem Home-Office und Home-Schooling eine interessante Alternative zum Kauf. Ein Apple Notebook Pro kostet hier bei drei Monaten Mietdauer 177,90 Euro pro Monat, ein 27‘‘ Full HD Monitor von HP ist schon ab monatlichen 19,90 Euro bei sechs Monaten Mietdauer erhältlich. Anstatt das Modell lange theoretisch zu konzipieren, hat es Otto Now früh als Testlauf in die Praxis gebracht, um das unmittelbare Feedback der Kunden einholen zu können. Dieser Vorgehensweise werde das Start-Up auch in Zukunft treu bleiben, bestätigt David Rahnaward, Mitbegründer von Otto Now: „Wir sind wie Forscher auf nahezu unkartographiertem Terrain. Der nächste Schritt ist für uns jetzt, dass wir mit unserem Angebot – von der Miete über die kostenlosen Services wie Lieferung, Anschluss oder Reparatur bis hin zur Abholung des Produktes – einen immer größeren Nutzerkreis von uns überzeugen.“

Otto Now
Miet-Commerce bei Otto Now
Dem Mutigen gehört die Welt – das sieht man auch in der Krise

Ob die hier dargestellten Miet- oder Leasing-Modelle tatsächlich unseren CO2-Fußabdruck auf der Welt reduzieren, will ich nicht beurteilen. Leider fehlt bei den Anbietern eine klare „Beweisführung“, inwieweit ihr Modell tatsächlich unsere Umwelt entlastet. Bei nachhaltig produzierten Produkten von wie bei unown oder Vaude ist die Glaubwürdigkeit daher höher als etwa bei konventionell produzierten Sportgeräten von Tchibo. Doch eines ist sicher: Es ist Zeit, unseren Konsum zu überdenken und verantwortungsbewusster mit Ressourcen umzugehen! Ein Trend, der nach Corona sicher fortgesetzt werden wird. Und in der Krise wird besonders deutlich: Unternehmen, die trotz widriger Umstände nicht den Kopf in den Sand stecken und bereit sind, neue Ideen auszuprobieren und mit großer Begeisterung einfach weitermachen und lernen, werden die Gewinner der Krise sein. Jetzt ist Zeit, sich über neue Business-Modelle Gedanken zu machen und mutig zu sein – dann kann man sich auch in der Krise weiterentwickeln und Positives herausziehen.

Weiterführende Links

www.unown-fashion.com

www.vaude.com

www.tchibo-share.de

www.ottonow.de

 

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Run auf Digital-Kompetenz

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Wer heute im Handel erfolgreich sein will, braucht digitales Know-how und Leute, die eine ambitionierte Digital-Strategie umsetzen können. Inhouse sind diese aber kaum zu finden und auch am Arbeitsmarkt sind sie Mangelware. Was also tun, wenn Warten keine Option ist? Statt langwierig eigene Teams aufzubauen, geeignete Ideen zu entwickeln oder das Business ganz auszulagern, ist der Kauf von Digital-Agenturen oder Start-ups eine interessante Option.

Es gibt eine ganze Reihe von Händlern, die durch den Einkauf von Digital-Expertise zum wichtigen Player im E-Commerce geworden sind: Das bekannteste Beispiel aus Deutschland ist Otto mit AboutYou. Der Onlineshop ging erst 2014 online und gehört heute zu den fünf umsatzstärksten Onlineshops für Mode. Er entstand aus der Zusammenlegung mehrerer Digital-Agenturen, nachdem die Otto Gruppe diese gekauft hatte. Auch Zalando konnte sein Wissen durch Übernahmen ausbauen - z.B. mit dem Plattformspezialist Tradebyte. Wie sieht es bei den Sportunternehmen aus?

Internationale Sportbrands kaufen digitales Know-how ein

Wer den Sportmarkt nach interessanten IT-Übernahmen absucht, stößt zunächst mal auf die Big Player: Adidas, Under Armour und Nike. Nike holte sich erst im Sommer neue Digitalkompetenz ins Haus mit der Übernahme des IT-Unternehmens Celect. Die 2013 gegründete Firma hat sich auf vorausschauende Datenanalyse für die Einzelhandelsbranche spezialisiert. Im Jahr zuvor hatte sich Nike bereits die New Yorker Digital-Agentur Zodiac und das IT-Startup Invertex aus Israel einverleibt. Under Armour und Adidas erhielten mit dem Kauf von Fitness Apps gleichzeitig IT-Knowhow und ein fertiges Produkt. 2019 investierte Adidas eine Million Euro in ein Start-up Inkubator Programm um neue Geschäftsideen für die Sportindustrie zu entwickeln. Auch beim Verkauf von SportScheck an GKK dürfte die Digitalkompetenz der Münchner eine wichtige Rolle gespielt haben.

Auch der Mittelstand zieht nach

Doch es gibt auch Mittelständler, die lieber einkaufen gehen statt Agenturen zu beauftragen. Rose Bikes aus Bocholt übernahm 2019 die preisgekrönte Essener Agentur Kommerz. Zu den 450 Mitarbeitern des traditionsreichen Versand- und Onlinehändlers mit drei stationären Geschäften kamen noch 27 Kreative hinzu, die sich voll und ganz auf Digitalisierung und E-Commerce fokussieren konnten. „Entweder suchst du 27 Leute, die zu einem Team werden müssen, oder du kaufst ein Team“, erklärt Marcus Diekmann, CCO und CDO von Rose Bikes. „Obwohl wir gerade sehr erfolgreich sind und einen guten Vorsprung haben, ist klar, dass sich der Handel immer schneller wandelt, deshalb müssen auch wir an Geschwindigkeit zulegen – und das bezogen auf unsere Evolutionsstufen, unsere Arbeitsweise und unsere Ressourcen. Aus dem Grund haben wir uns zur Verschmelzung mit Kommerz entschieden.“

Unternehmensanteile als Anreiz

Diekmann gehört selbst zur Rose Geschäftsführung und hat vorher mehrere Digitalisierungsprozesse in Unternehmen geleitet und Agenturen geführt. Seine ersten Maßnahmen bei Rose: „Als Erstes haben wir gemeinsam die typischen Drei-Jahrespläne über Bord geworfen“, so Diekmann. „Das sind viel zu lange Zeiträume.“  Stattdessen hat er mit dem Team eine sehr klare Marschroute entwickelt, die festlegt, wo Rose Ende 2020 stehen soll – in den Bereichen Brand, Produkt, Preis, Reichweite, Service, Features, Organisation, Technik und Prozesse.

Transformationsbereitschaft ist sein Dauerziel. Bei der Transaktion floss kein Geld, es wurden nur Anteile vergeben. So will Rose Unternehmergeist und Kreativität im Kommerz Management lebendig halten. Das war auch der Grund für die jüngste Gründung eines Joint Ventures in der Schweiz, das seit Dezember den schweizerischen Markt aufbauen soll. „Ich habe schon oft gesehen, wie kleine, agile Unternehmen in neue Firmen integriert wurden: Man zahlt den Inhabern Geld und nimmt ihnen die Motivation, man tötet das Unternehmertum“, so Diekmann. In Bezug auf das Wachstum scheint die Strategie aufzugehen: Für das Jahr 2018/2019 meldet Rose ein Umsatzwachstum von 20 Prozent auf 102 Millionen Euro, 2020 sollen es 125 Millionen Euro werden.

Weiterführende Links:

Kommentar: Gute Zeiten für den Verkauf von Digital-Agenturen

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Unternehmerinnen der Zukunft Abschlussveranstaltung

Von Gründerinnen für Gründerinnen:
Acht Learnings aus dem Digitalgeschäft

Weibliches Unternehmertum im digitalen Kontext fördern – so die Mission des Wettbewerbs „Unternehmerinnen der Zukunft“. Gestern Abend gab es im Filmcasino in München vier glückliche Gewinnerinnen: Anastasiya Koshcheeva von MOYA Birch Bark, Anette Haverkamp-Peiß von EMMA Eventing, Christiane Hübner von renna deluxe und Susanne Richter von Sanni Shoo erhielten die Auszeichnung „Vorbilder der Digitalisierung“. Dafür haben die Gründerinnen in den letzten sechs Monaten geschuftet: Neben ihrem laufenden Tagesgeschäft entwickelten sie zusammen mit ihren Coaches eine Digitalstrategie für ihr Unternehmen und setzten diese in die Tat um. Die acht wichtigsten Learnings verrieten die Vier gestern Abend bei der Preisverleihung.

#Keine Angst vorm Datendschungel

Kennzahlen sind das A&O für Unternehmertum. Behaltet den Durchblick, setzt euch intensiv damit auseinander. Die Daten sind euer Steuerungsinstrument.

#Standort spielt keine Rolle

Es müssen nicht die hippen Metropolen wie Berlin, München oder Köln sein. Digitalgeschäft kann man von überall aus machen. Gebt nicht auf: Hürden wie fehlendes Highspeed-Internet lassen sich mit Hartnäckigkeit und Kreativität überwinden.

#Ist das gut oder kann das weg?

Definiert für euch klar euren Markenkern und bleibt euch treu. Lasst euch von anderen inspirieren, aber vertraut auf euer Bauchgefühl - insbesondere bei Entscheidungen, bei denen es um eure Personal Brand geht.

#Fokussiert euch auf die Stärken

Verschwendet eure Energie nicht mit Dingen, die ihr nicht gut könnt. Stellt euch die Frage, wo eure Stärken liegen. Arbeitet interdisziplinär und holt euch Rat aus eurem Netzwerk.

# Belohnt euch selbst

Unternehmerin sein bedeutet, die Arbeit in den Lebensmittelpunkt zu stellen. Vergesst dabei nicht, auch mal inne zu halten. Belohnt euch für kleine Schritte, die ihr erreicht habt.

#Post-its fürs Erfolgsgefühl

Macht eure erreichten Meilensteine für euch selbst sichtbar. Entwickelt ein System, das euch zeigt, was ihr geschafft habt. Post-its als Messlatte sind ein Beispiel dafür.

#Teilen, teilen, teilen

Erzählt eure Geschichten und teilt sie. Und zwar nicht nur die Hochglanz-Erfolgsstories, sondern auch die Dinge, die nicht so gut gelaufen sind. Ihr werdet auf offene Ohren stoßen!

#Den besten Weg zeigt euch der Kunde

Denkt immer über einen Perspektivwechsel nach. Oft ist man so in seinem Business-Modus drin, dass man keinen Blick mehr fürs Wesentliche hat. Der Kunde kann da Aufschluss geben. Bleibt nah am Kunden dran und habt ein Ohr für ihn.

 

Programm für Gründerinnen

Die Initiative „Unternehmerinnen der Zukunft“ wurde vom Verband deutscher Unternehmerinnen, Global Digital Women, BRIGITTE Academy und Amazon ins Leben gerufen, um die digitale Entwicklung der von 19 Frauen geführten kleinen Unternehmen zu beschleunigen und sie als Vorbilder der Digitalisierung auszuzeichnen. Dabei wurden die Gründerinnen über einen Zeitraum von sechs Monaten von 25 Coaches in Einzel- und Gruppentrainings intensiv beim Ausbau ihres Digitalbusiness begleitet.

Prominente Jury

Die Auswahl der vier Gewinnerinnen erfolgte durch eine unabhängige Jury um Staatsministerin Dorothee Bär, Brigitte Huber, Chefredakteurin der BRIGITTE, Tijen Onaran, Gründerin von Global Digital Women, Jasmin Arbabian-Vogel, Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen und Nicholas Denissen, Vice President Small Business bei Amazon. Ausgezeichnet wurden die Unternehmerinnen der Zukunft 2019 in den vier Kategorien „Von Offline zu Online“, „Marktplätze“, „Export“ und „Markenbildung".

Erfolgszahlen der Gründerinnen sprechen für sich

Seit dem Auftakt der dritten Runde von Unternehmerinnen der Zukunft im April 2019 konnten nicht nur die Gewinnerinnen, sondern alle Teilnehmerinnen ihr Online-Geschäft ausbauen und neue Kunden für ihre Produkte gewinnen: 16 führten eine neue Marke ein oder bauten eine bestehende Eigenmarke aus; 14 Kandidatinnen haben ihren Online-Shop professionalisiert und sechs starteten mit dem Export und erreichen jetzt Kunden auf der ganzen Welt. Darüber hinaus stellten die Unternehmerinnen mehr als 2.000 Produkte online. Durch diese Aktivitäten schufen sie 35 neue Voll- und Teilzeit-Jobs in den Bereichen Vertrieb, Logistik und Marketing.

Der Wettbewerb wird auch in 2020 fortgeführt und expandiert in die USA.

 

Weiterführende Links

Mehr Informationen zum Wettbewerb #UdZ

Die Unternehmen der Gewinnerinnen Sanni Shoo, renna deluxe, MOYA Birch Bark, EMMA Eventing,

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Digital durchstarten

Dorothee Bär und Tijen Onaran im Gespräch über Digitalkompetenz

 


Designhalle Wetscher Max in Innsbruck

Möbelbranche in digitaler Aufbruchstimmung?

Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung PwC beschäftigt sich mit Strukturen, Trends und Herausforderungen der deutschen Möbelbranche. Demnach wird dem Online-Segment großes Wachstumspotenzial zugesprochen. Hersteller und Händler arbeiten fieberhaft an Digitalstrategien. Doch der Teufel steckt im Detail. Die Frage nach dem digitalen Geschäftsmodell ist mit vielen Grundsatzfragen, hohen Investitionen und unternehmerischem Wagnis verbunden. Wir haben die Erkenntnisse der Studie aufgegriffen und mit Beispielen aus der Praxis verglichen.

Die Möbelbranche stagniert. Die PwC-Studie prognostiziert zwar für die kommenden Jahre ein leichtes, stabiles Umsatzwachstum von 1,3 Prozent. Dies ist jedoch ein kleiner Kuchen, der auf viele Player verteilt werden muss. Der Wettbewerbsdruck ist hoch und preisgetrieben, daher rechnet es sich für viele Händler nicht mehr, große Verkaufsflächen und personalintensive Verkaufsberatung bereitzustellen. Immer wieder müssen Marktteilnehmer Insolvenz anmelden, so im letzten Jahr Händler wie Habitat oder große Herstellermarken wie Wellemöbel, Alno oder Flötotto.

Dr. Christian Wulff Möbelbranche
Studienautor Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter, PwC Deutschland

Allheilmittel Online für die Möbelbranche?

Im Gegensatz zum stationären Handel spricht die PwC-Studie dem Online-Segment ein großes Wachstumspotenzial zu. Bis zum Jahr 2023 soll der Onlineumsatz im Möbelhandel um jährlich 8,4 Prozent wachsen. „Derzeit konzentriert sich die Möbelbranche noch stark auf den stationären Handel, doch in diesem Bereich ist nur noch ein leichtes Umsatzwachstum möglich. Ein großes Wachstumspotenzial bietet dagegen der Vertriebsweg über Onlinekanäle, den viele Unternehmen derzeit noch unterschätzen“, so Dr. Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland.

Dass der digitale Handel mit Möbeln sich aber nicht einfach umsetzen lässt, es hohe Investitionen und einen langen Atem bedarf, zeigt die aktuelle Situation der anfänglichen Hoffnungsträger für digitale Geschäftsmodelle im Möbelmarkt, Westwing und Home24.

Home24 schreibt rote Zahlen. Investitionen in Software und ein neues Warenlager in Halle haben den Online-Möbelversender im ersten Halbjahr belastet. Der operative Verlust stieg daher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 9,5 Millionen Euro auf 23,4 Millionen Euro. Dennoch will Home24 bis zum Jahresende weiter operativ auf bereinigter Basis die Gewinnschwelle erreichen. 2020 will das Unternehmen dann profitabel sein, berichtet das manager-magazin.

Auch Online-Pure-Player Westwing kämpft seit dem Börsengang im Herbst 2018 erheblich. Begeisterte der Gründer und Vorstandschef Stefan Smalla auf der K5 im Mai in Berlin noch das Fachpublikum mit seinen Plänen, musste die Gewinnerwartung für das laufende Geschäftsjahr ständig nach unten korrigiert werden. Smalla führt dies auf gesteigerte Investitionen ins Marketing zurück. Aber auch er zeigt sich gegenüber dem Handelsblatt optimistisch und geht unbeirrt davon aus, dass sich die höheren Investitionen mittel- und langfristig positiv auswirken werden.

Was sind die Erfolgsfaktoren?

Die PwC-Studie identifiziert Meilensteine, die die Händler bei ihrer Online-Strategie berücksichtigen müssen. Dazu zählen aufwändige Zustell- und Rücksendeprozesse auf der einen Seite. Die letzte Meile ist bekanntlich das größte Hindernis im Online-Handel.

Auch wollen die Möbelkunden gern Produkte vor dem Kauf sehen und ausprobieren. Dazu gehören einfachere Umtauschprozesse und Investitionen in neue Technologien, wie Virtual Reality und Augmented Reality, mit denen die Kunden sich auch zu Hause ein Bild von den gewünschten Produkten machen können, so die Studie.

Malte Dous Möbelbranche
Dr. Malte Dous, Director EU Category Management bei Wayfair kennt sich aus mit Plattformgeschäft. Zuvor war er Marktplatzchef bei Zalando.

Technologien als Wegbereiter

Innovative Technologie scheint also der Weisheit letzter Schluss auf dem Weg zur Digitalstrategie. Wayfair, ein großer US-Marktplatz für die Kategorie Home und Living mischt seit 2016 den deutschen Markt auf. Dr. Malte Dous, Director EU Category Management bei Wayfair sieht die Plattform weniger als Branchenmarktplatz denn als Partner und „Enabler“ des Handels. „Wir sind ein Tech-Unternehmen mit weltweit rund 2.300 Ingenieuren und Datenwissenschaftlern. Wir haben die gesamte Customer Journey mit Software und Algorithmen abgebildet, davon können auch unsere Partner profitieren“, erklärt der Ex-Zalando-Marktplatzchef. Die Plattform funktioniere rein datenbasiert – könne also jederzeit KPIs identifizieren und am Markt entsprechend agieren.

Beispiel: „Schnelle Lieferzeiten sind bei Möbeln ein absoluter Umsatzbooster“, so Malte Dous. Entsprechend hat Wayfair seine Services in punkto Lager aufgestockt. Neben der direkten Warenabfertigung im eigenen Lager bietet der Marktplatz mit Castlegate auch einen Fulfilment-Dienst an, der in Kassel zentral Waren für Händler einlagert und damit Produkte schnell abrufbar sind.

Ähnliche Services werden Handelspartnern auch in Bereichen Content (Lifestyle Bilder mit 3D Rendering), Marketing (eigener Verkaufstag WayDay analog zum Black Friday), Logistik (eigenes Liefernetzwerk) und Verpackung (Umverpackungsservice) geboten.

Omnichannel – Erfolgsbeispiel aus Österreich

Die PwC-Studienautoren sprechen Omnichannel-Konzepten, d.h. stationären Ausstellungsflächen, die sinnvoll mit technologischen Neuerungen verknüpft sind, ein hohes Erfolgspotenzial zu. Ein Blick in unser Nachbarland Österreich zeigt das in einem eindrucksvollen Beispiel.

Österreich hat ähnlich wie Deutschland eine hohe Konzentration an Möbelhäusern. Der Markt wird dominiert von Ikea, Kika, Leiner und XXXLutz. Nur wenige Händler können in dem Wettbewerb noch mithalten. Einer davon ist das Planungs- und Einrichtungshaus Wetscher im beschaulichen Zillertal, das weit über die Grenzen Tirols einen Namen hat. „Hätten wir nicht den Mut, uns immer wieder neu zu erfinden, wir wären schon längst ausradiert auf der Landkarte der Möbelhäuser“, ist Unternehmer Martin Wetscher überzeugt.

Der Wohndesigner führt den heutigen Erfolg auf die unternehmerische Entscheidung in den 90er-Jahren zurück, sich auf die Tischlerei, Planung und nur noch die absoluten Top-Marken im Programm zu konzentrieren. Einen ähnlichen Transformationsschritt hat das Familienunternehmen nun wieder gewagt. „Ein Möbelhaus muss heutzutage mehr bieten als eine beheizte Verkaufsfläche“, so Martin Wetscher auf dem imm-Congress in Köln.

Designhalle für alle, digital und im Showroom: Junior- und Seniorchef Max und Martin Wetscher.

Sohn Maximilian, Unternehmer in fünfter Generation, startete im Juni 2018 einen neuen Concept Store mit seiner eigenen Brand „Wetscher Max“. In der „Designhalle für alle“ eröffnet sich dem Kunden eine Ausstellung mit drei Themenbereichen Natur, Modern und Loft. Im Online-Store unterstützt ein digitaler Einrichtungsberater seine Klientel.

Nach einem Jahr zieht der Unternehmersohn Bilanz. „Mit unserem Konzept haben wir das Beste aus beiden Welten verbunden. Denn das digitale und das reale Einkaufen sind heute längst zu einem Erlebnis verschmolzen. Und diese neue Welt wollten wir in einem neuartigen Handelskonzept konsequent abbilden und mit Leichtigkeit an unsere Kunden vermitteln“, erklärt Maximilian Wetscher gegenüber der Branchenfachzeitschrift möbelkultur.

Am Standort in Fügen konnte das traditionelle Familienunternehmen zuletzt eine Umsatzsteigerung von rund 30 Prozent verzeichnen. „Mit Wetscher Max haben wir junge Zielgruppen völlig neu für unsere Qualitätsmarke begeistert, aber auch traditionelle Kunden der Wetscher Wohngalerien für andere Perspektiven gewonnen. Von dieser Durchmischung profitieren alle.“ Jetzt wagt das Möbelhaus den Schritt in die Stadt und hat einen Concept Store auch in Innsbruck eröffnet.

Wo liegt die Zukunft der Möbelbranche?

Klar ist: Es gibt keine digitale Blaupause für die Möbelbranche. Es zeigt sich vielmehr, dass jedes Unternehmen seinen individuellen Ansatz fahren muss. Dies ist ein Prozess und die Schwierigkeit liegt vor allem darin, dass man dafür oft gelernte Strukturen und etablierte Prozesse innerhalb des Unternehmens infrage stellen muss. Digitaler Handel bedeutet nicht, seine Produkte online in einem Webshop in einer anderen Art eines Produktkatalogs feilzubieten. Es bedeutet, dass man mithilfe von digitalen Produkten und Services Mehrwerte für seine Kunden schafft.

Die PwC Studie gibt eine umfassende Analyse und zeigt Perspektiven auf, wo diese Mehrwerte liegen können. Der Lebensstil vieler Menschen in Deutschland verändert sich, beispielsweise steigt die Zahl der Ein-Personen-Haushalte, auch die Arbeit im Home Office setzt sich immer stärker durch. Das hat Einfluss auf den Möbelmarkt. Gebraucht werden stärker multifunktionale und flexible Möbel.

Auch der gesellschaftliche Trend zu einem nachhaltigen Leben hat Auswirkungen auf den Möbelmarkt. Insbesondere hochwertige Möbel, Handwerksprodukte und Systemmöbel werden in Deutschland verkauft. Das Umweltbewusstsein der Konsumenten ist gestiegen. Dafür sind sie auch bereit, mehr Geld auszugeben. Wie eine Befragung zeigt, spielt der Aspekt Nachhaltigkeit für 73 Prozent der Kunden beim Kauf von Möbeln eine wichtige Rolle. Dies könnte sich ebenfalls zu einem Erfolgsfaktor für die Kernkompetenz im Möbelhandel erweisen.

Quellen: Handelsblatt, manager-magazin, möbelkultur, falstaff.de

Weiterführende Links

Marktstudie Möbelbranche 2019 von PwC

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arseny-togulev

Tabakriese Philip Morris: Traumjob für einen digitalen Transformator

Zigarettenhersteller Philip Morris International möchte bis 2025 weltweit 40 Prozent seines Umsatzes mit risikoreduzierten Produkten erzielen. 40 Millionen Zigarettenraucher sollen von Alternativen überzeugt werden. Auf der OMR sprach ich mit CTO Michael Voegele. Auf seinem LinkedIn-Profil ist der Slogan „Designing a smoke-free future“ zu lesen. Ein heeres Ziel und ein Traumjob für einen digitalen Transformator, der Dinge bewegen will.

Michael Voegele, CTO PMI
Michael Voegele wechselte im Februar 2019 von Addidas zu Philipp Morris International

Michael Voegele arbeitete über acht Jahre bei der Sportmarke Adidas. Vor vier Monaten wechselte der Ingenieur zum Tabakriesen Philip Morris als CTO. Wie passt das zusammen? „Die Frage liegt jedem auf der Zunge“, schmunzelt er. „Das Unternehmen ist Marktführer im Bereich Zigaretten – und will in Zukunft keine Zigaretten mehr verkaufen, sondern Raucher von weniger schädlichen Alternativen überzeugen. Das ist echtes Change Management und diese Herausforderung hat mich gereizt.“

Weltweit fällt der Umsatz von Zigaretten um drei bis vier Prozent jährlich. In Deutschland hält sich der Umsatz bisher auf einem stabilen Level, obwohl die Zahl der Raucher deutlich zurückgeht. Das liegt an den steigenden Preisen und höheren Steuern für Zigaretten. Philip Morris setzt in der Transformation auf Produkte wie Iqos. Dabei handelt es sich um ein Gerät, das Tabak erhitzt und nicht verbrennt. Der Dampf, der dabei entsteht, soll weniger schädliche Stoffe enthalten als Zigarettenrauch, laut Unternehmen sogar 95 Prozent weniger als herkömmliche Zigaretten. Allerdings macht Iqos weiterhin süchtig, da nach wie vor Nikotin enthalten ist. Seit 2017 dreht sich bei Philipp Morris alles nur noch um den Iqos, das Marketingbudget für Marken wie Marlboro wurde auf Null gesetzt - obwohl der Umsatz des klassischen Zigarettengeschäfts recht stabil ist. Noch.

Wandel geprägt durch Vision

Den Grundstein für den Wandel legte CEO Andre Calantzopoulos 2016 mit seiner Vision. Er stellte sich vor die Mitarbeiter und sagte: „I hope one day we won’t sell cigarettes any more!“ Für die Mitarbeiter war das damals ein Schock, aber seither hat sich in den Köpfen viel getan. Für Voegele, der selbst erst seit kurzem an Bord ist, eine neue Erfahrung: „Man spürt den Kulturwandel standortunabhängig, das Unternehmen ist bereits mitten in der Transformation. Der Wille zur Veränderung ist da und man kann die Aufbruchsstimmung bei jedem einzelnen Mitarbeiter spüren. Denn jeder weiß: Es gibt keinen Plan B.“

Die zentrale Fragestellung bei der Transformation: Welche Alternative kann ein Tabakhersteller bieten, die das Gesundheitsrisiko von Rauchern minimiert? Michael Voegele ist angetreten, um das Unternehmen auf eine entsprechend neue technologische Plattform zu bringen, die die Vermarktung von risikominimierten Produkten wie den Iqos abbildet. Denn die Vermarktung eines elektronischen Produkts stellt ganz neue Anforderungen an interne Prozesse: Handling von Retouren, kaputte Geräte managen, Kundenservice – alles Prozesse, die das Unternehmen in den letzten zwei Jahren neu aufsetzen musste.

Holistischer Ansatz

Aber das ist nur der Anfang auf dem Weg zu einer rauchfreien Gesellschaft. Es geht um die Entwicklung neuer Produkte und Services. 400 Mediziner und Forscher arbeiten dafür im Headquarter in Lausanne. „Dabei stellt sich für uns die Kernfrage, welche gesundheitlichen und kommerziellen Benefits wir für unsere Community schaffen können. Daraus leiten wir dann Ideen für innovative Geschäftsmodelle ab.“ Voegele hält sich noch bedeckt, welche konkreten Maßnahmen in den nächsten zwölf Monaten geplant sind, verrät aber ein Beispiel: „In UK beispielsweise starten wir gerade ein Pilotprojekt. Wir haben eine spezielle Lebensversicherung für Raucher konzipiert, die zu unserem Produkt Iqos gewechselt sind.“

Voegele hat 20 Jahre Erfahrung in der IT-Industrie. Mit dieser Expertise will er nun den Technologie-Stack bei Philip Morris designen und entwickeln. „Die Transformation stellt ganz neue Anforderungen an die Supply Chain und Sales Prozesse. Nichts ist mehr so, wie es beim Vertrieb einer Zigarettenmarke einmal war. Jeden Tag fließen riesige Datenmengen an Feedback ins System und wir müssen daraus lernen, was der Kunde will.“ Dafür ist es extrem wichtig, als Unternehmen direkten Kontakt zu den Kunden zu haben – ein Umstand, der im „alten“ Philip Morris keine Rolle gespielt hat. Alte Vertriebswege wie z.B. Kooperationen mit Clubs funktionieren heute nicht mehr. In den nächsten Monaten steht bei Voegele Multichannel auf dem Plan: „Wir brauchen die digitalen Kanäle und deren Verknüpfung mit Retail Channels und den Iqos Flagship-Stores.“

Talente für den Wandel rekrutieren

Für seine Agenda muss Voegele digitale Expertise im Unternehmen aufbauen und digitale Talente rekrutieren. „Derzeit zeichnet sich der Trend ab, Standorte dort zu eröffnen, wo die Talent-Pools ausgebildet werden. In Osteuropa sind sehr gute Cyber Security Spezialisten zu finden, Spanien ist ein guter Markt für Entwickler und Programmierer, Griechenland hervorragend, wenn es um Data Scientists geht.“ Dennoch: Im „War for Talents“ kein leichtes Unterfangen für ein Unternehmen mit angekratztem Image. „Natürlich ist es einfacher für eine Sportmarke neue Leute zu gewinnen als für einen Tabakhersteller. Da ist Überzeugungsarbeit zu leisten“, so Voegele.

Im PMI Forschungs- und Entwicklungszentrum in Neuenburg bei Lausanne (CH) - eingeweiht im Jahr 2009 und auch bekannt als “the Cube“ – arbeiten über 400 Wissenschaftler und Entwickler.

Seine US-amerikanische Kollegin Marian Salzman, Kommunikationschefin bei Philip Morris, sieht er in einer Vorbildfunktion. Die PR-Pionierin kam als überzeugte Nichtraucherin zum Konzern, um an einer rauchfreien Zukunft mitzuarbeiten. Wer sich der Herausforderung einer radikalen digitalen Transformation stellen will, hat hier die Chance seines Lebens. Voegeles Wechsel von Adidas zu Philip Morris scheint der beste Beweis dafür zu sein.

 

Weiterführende Links

Studie über Digitale Transformation 2019

Recap OMR 2019

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Antenne Bayern CDO Sven Rühlicke

Antenne Bayern CDO Sven Rühlicke: „Man muss den Mut haben, sich selbst zu kannibalisieren, sonst tun es andere!“

Sven Rühlicke ist Digitalchef von Antenne Bayern. Sein Karriereweg dorthin führt ihn über die Vermarkterschiene. Im Jahr 2002 habe ich Sven als Nachfolger im Sales Team von Antenne Bayern eingearbeitet, als ich mich zum ersten Mal in den Mutterschutz verabschiedete (damals gab es noch keine Elternzeit!). 2014 steigt er zum Geschäftsführer der Vermarktungsgesellschaft SpotCom auf, die er zu einem der führenden nationalen Webradio-Vermarkter ausbaut und wesentlich dazu beiträgt, den Online-Audio-Markt in Deutschland zu entwickeln. Die Wiedersehensfreude ist groß, vor allem, weil wir uns über das gemeinsame Leidenschaftsthema digitale Transformation unterhalten können. Sven ist einerseits ein Stratege, er denkt auf der Metaebene, andererseits ein Macher, der Dinge gerne zügig auf die Straße bringt. In einem sehr intensiven Hintergrundgespräch gibt er Einblicke, wie ein regionaler Privatsender sich digital transformiert.

Radio erlebt ja eine Art Renaissance, die Auswahl für Hörbegeisterte ist riesig. Wie erlebt ihr das als Privatsender, die ihr eine 30-Jährige Unternehmenstradition habt?

Wir beobachten schon seit Jahren, dass die Audio Nutzung wächst. Die Leute sind gesättigt vom Bildschirm. Der Trend geht zum Audio-Konsum, das belegen Studien. Davon profitiert auch das klassische Radio, quasi als ständiger Begleiter durch den Tag. Im Gegensatz zu TV läuft Radio daher sowohl wirtschaftlich als auch von der Reichweite immer noch sehr gut.

Also gäbe es eigentlich gar keinen Grund für einen Chief Digital Officer bei Antenne Bayern?

Radio ist ein lineares Produkt und rein werbefinanziert. Antenne Bayern ist allein schon von der Marke regional limitiert und stößt an ihre Grenzen. Von der technischen Reichweite mal ganz abgesehen. Wenn wir die Entwicklungen im Audio-Bereich der letzten Jahre mal beim Namen nennen: Musik-Streaming, Podcast, User Generated Radio und auf der Device-Seite mit Smartphone und Smartspeaker, dann wird schnell klar, dass mit steigender IP-Verbreitung 'Weitermachen wie bisher' keine Option ist.

Was sind eure Pläne in Sachen Digitalisierung?

Wir müssen Teilmärkte definieren, die durch die Digitalisierung entstehen und entscheiden, welche wir in frühem Stadium besetzen können und welche Geschäftsmodelle sich daraus für uns entwickeln. Und ja, natürlich bedeutet das, dass man zunächst investieren muss. Ein Beispiel dafür ist unser „Song-Duell“, die Voice-App für In-car Entertainment, die wir in Kooperation mit Amazon im Februar gelauncht haben. Damit werden wir anfangs sicherlich keinen Massenmarkt erreichen.

 

"Es geht darum, bei den neuesten technologischen Entwicklungen mit dabei zu sein und Felder zu besetzen."

 

Gibt es schon Learnings aus der Entwicklungsphase der Voice-App bzw. der Zusammenarbeit mit Amazon?

Ja, ein ziemlich positives. Uns wurde bewusst, dass wir als Radiomacher und Sender wirklich ein absoluter Kompetenzträger in Sachen User Experience Design für Audio Formate sind. Die gilt es mit den Technologien zusammen zu bringen, einen frühen Markteintritt sicherzustellen und dann haben wir auch eine Chance, weiterhin ganz vorne mitzuspielen.

Letzte Woche folgte der nächste Paukenschlag. Ihr habt das Podcast Netzwerk lautgut gelauncht, warum eine neue Marke?

Auch dieser Schritt gehört neben der Beteiligung an laut.fm zur Digitalstrategie. Wir wollen den Teilmarkt Audio-on-demand mit Premium-Content bedienen. Bewusst unter einer neuen Brand, um neue nationale Zielgruppen zu erschließen. Das bedeutet im ersten Schritt: Aufbauarbeit und Investitionen. Aber mit unserer bestehenden Infrastruktur können wir zu Anfang ganz gut kostendeckend arbeiten. Welches Geschäftsmodell sich daraus entwickeln wird, wird sich zeigen. Ich habe mit Gimlet-Gründer Matthew Lieber dazu auf meiner USA-Reise vor zwei Wochen gesprochen, der mit seinem US-Podcast-Label gezeigt hat, dass es sich lohnt, hier zu investieren und vor allem durchzuhalten! Premium Content ist der Schlüssel für Podcast, das sehen wir beide so.

Voice & Podcast US-Business-Trip im Februar 2019, v.l.: Antenne Bayern Manager Ruben Schulze-Fröhlich und Sven Rühlicke bei Gimlet-Gründer Matt Lieber

Seid ihr damit auf dem Weg, euch als Radiosender digital zu transformieren?

Digitale Transformation ist für uns nicht auf die Veränderung in der Digitalen Performance beschränkt. Es geht dabei nicht nur darum, digitale Kanäle wie einen Live-Stream oder einen Facebook Kanal zu bespielen. Das ist State of the Art und das können wir auch schon ganz gut. Nein, es geht um einen Change Prozess, der in der jetzigen Phase des Reifegrads enorme Anstrengung kostet. Und wenn man ehrlich ist, der nie zu Ende sein wird.

In welcher Phase befindet ihr euch in diesem Prozess?

Ich würde sagen, dass wir gerade an einer Schwelle sind, die echte Transformation anzugehen. Dafür schaffen wir die Voraussetzungen, ich nenne es mal „Digital Readiness“. Und die betrifft eher strukturelle Themen wie Organisation, Prozesse, Leadership und Unternehmenskultur. Das ist viel schwieriger, weil schlechter greifbar. Und das ist auch kein Projekt von sechs oder zwölf Monaten, sondern ist eine echter Veränderungsprozess.

Wie organisiert ihr das innerhalb der Unternehmensgruppe?

Uns ist es wichtig, dass wir mit der Transformation die Chancen sehen und den Changeprozess positiv angehen. Mit Objectives and Key Results (OKR) haben wir eine neue Führungsmethode eingeführt, die noch mehr Transparenz schafft. Und wir reden nicht den ganzen Tag von digitaler Disruption und geraten in Schockstarre vor dem was da kommt, sondern wir haben mit digitalen Innovationsthemen Geschäftsfelder definiert, die wir angehen. Um auch hier integrativ vorzugehen wurde mit Business Development ein hybride Abteilung aufgebaut, die sich aus Kompetenzträgern aus den verschiedensten Bereichen zusammensetzt, IT, Programm, Kommunikation etc.

Auf welche Grenzen seid ihr bisher gestoßen?

Bei den ganzen Neuerungen im digitalen Bereich besteht das große Risiko, sich zu verzetteln. Es tun sich ja so viele Möglichkeiten auf. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass es noch nie so wichtig war, eine klare Vision vor Augen zu haben und diese mit einer ganzheitlichen Strategie zu untermauern. Und von diesem Weg sich nicht abbringen lassen. Das heißt nicht, dass es keine Rückschläge geben wird.

 

"Man muss die Ziele konsequent verfolgen und mit fokussierten Projekten auf die Straße bringen."

 

Und wie lautet die Vision für Antenne Bayern?

Wir wollen das Audio-Entertainment-Haus im deutschsprachigen Raum werden.

Das klingt erst mal abstrakt. Kannst du eine konkrete Maßnahme nennen, die euch auf diesen Weg bringt?

Neben weiterem Content-Aufbau wie z.B. dem eigenen Podcastlabel, haben wir bereits in den letzten zwei Jahren eine ganzheitliche Dateninfrastruktur geschaffen, die uns in Zukunft ermöglicht, datenbasiert und personalisiert zu agieren. Ziel ist es, die Infrastruktur und Logistik zu schaffen, die uns maximale Flexibilität in der Versorgung und Ausspielung von Audio Content ermöglicht. Keiner weiß, was in fünf bis zehn Jahren an Technologien zur Verfügung steht. Fakt ist nur, dass es datenbasiert sein wird. Dafür müssen wir uns rüsten.

Du bist ja sicherlich innerhalb der Unternehmensgruppe nicht immer auf offene Ohren gestoßen mit deinen Digitalisierungsplänen?

Die größte Hürde ist eigentlich, wenn das klassische Geschäft erfolgreich läuft. Wenn der Handlungsdruck nicht groß genug ist. Denn dann muss man sich die Frage stellen, wie disruptiv gehe ich eigentlich mit meinem Kerngeschäft um? Das Risiko besteht durchaus, dass man auf dem Ast sägt, auf dem man sitzt – um es mal bildlich zu beschreiben.

Und wie gehst du persönlich damit um?

Man braucht Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit, um konsequent seine Strategie zu fahren. Und Mut gehört dazu, sich selbst zu kannibalisieren. Ich gehe diesen Weg einfach, weil ich davon überzeugt bin, das Richtige zu tun.

Wie bindest du dabei die Mitarbeiter ein?

Wichtig ist, eine positive Dynamik zu erzeugen, d.h. für mich, die Mitarbeiter*innen mitzunehmen. Ihnen Chancen, Gestaltungs- und Handlungsspielräume aufzeigen. Wir bieten in Schulungen und Workshops persönliche und fachliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Das ist ein Angebot, was man annehmen kann oder auch nicht.

Ist es besonders schwierig, die langjährigen Mitarbeiter bzw. die aus der älteren Generation auf diesem Weg mitzunehmen?

Interessant, dass du das fragst. Meine Erfahrung ist, die Altersklischees stimmen nicht. Es gibt Mitarbeiter aus der Generation 50+, die sich total begeistern lassen und dann die unter 30-Jährigen, die nicht zum Umdenken zu bewegen sind – ich habe alles schon erlebt.

Du hast vorhin deine Voice & Podcast Reise angesprochen, hast dort einige Unternehmer aus der Szene, u.a. Gimlet und New York Times getroffen. Was konntest du mitnehmen?

Vor fünf Jahren haben deutsche Unternehmen noch Pilgerfahrten ins Silicon Valley unternommen, um den großen, ja fast unnahbaren Vorreitern zu lauschen. Heute ist das eine Begegnung auf Augenhöhe, wie ich finde. Klar, in den USA sind sie uns immer noch 2-3 Jahre in den Entwicklungen voraus, aber sie stecken genauso in den operativen Umsetzungsthemen wie wir. Von daher muss ich sagen, war der fachliche Austausch wirklich sehr konstruktiv und positiv.

Findest du diesen Austausch auch hier in Deutschland?

Ja, klar! Ich habe mich dem CDO Executive Circle angeschlossen, da sind Traditionsunternehmen wie BMW oder Deutsche Telekom vertreten, aber auch Hidden Champions, die in ihren Nischen zwar teils zur Weltspitze gehören, sich aber trotzdem transformieren müssen. Andere Branchen stehen vor denselben Herausforderungen, vor allem was die Veränderung zu strukturellen Themen wie Organisation, Prozesse und Unternehmenskultur betrifft. Da finden sich oft Parallelwelten.

Vielen Dank, lieber Sven, für die Insights!

Weiterführende Links:

Führungsmethode OKR

Premium-Podcast-Netzwerk lautgut

CDO Executive Circle


Die Trends im Ladenbau

Retail Design: Die Trends der Ladenbauexperten

Habt ihr euch schon mal gefragt, welches Einkaufserlebnis würdig genug ist, dass es im Gedächtnis bleibt? Gar nicht so einfach. Und schon gar nicht eindeutig. Aber genau diese Frage treibt gerade den stationären Händler um. Wie lockt man den Kunden ins Geschäft und wenn er drin ist, wie schafft man es, dass er auch wiederkommt? Die Ladenbauexperten von umdasch, atelier 522, Gruschwitz und Blocher Partners zeigen die Trends im Retail Design. Das Urteil unisono: "Mehr Gastgeber, weniger Warenrampe!"

Es gibt gleich mehrere Gretchenfragen, mit denen der stationäre Handel sich gerade herumschlagen muss: Wie schaffe ich es, dass der Kunde meinen Laden überhaupt wahrnimmt? Und: Was muss ich tun, damit er sich im Laden wohlfühlt und wiederkommt? Philipp Beck, CEO von atelier 522 beschwört dazu die Theorie der 1000 Kleinigkeiten: „Es kommt darauf an, aus der Summe vieler Kleinigkeiten ein stimmiges „großes Ganzes“ entstehen zu lassen.“

 

Das Ziel: Maximale Aufenthaltsqualität

Bei dem sehr abstrakten „großen Ganzen“ spielen auch ganz unterbewusst wahrgenommene Faktoren wie etwa die Form des Türgriffs, das Gewicht und Geräusch der Türe eine Rolle. Auch Fragen wie „Kommt der Kunde beim Eintreten in das Ladenlokal aus einer Enge ins Weite? Gibt es Intimität und Größe?“ müssen vom Händler beachtet werden, wenn er beim Ladenbesucher ein angenehmes Erlebnis hervorrufen will. „Händler müssen sich grundsätzlich fragen, ob der Laden eine Atmosphäre schafft, in der es sich lohnt, die eigene wertvolle Zeit zu verbringen,“ bringt es Philipp Beck auf den Punkt. Dabei vergleicht er den Laden gar mit anderen Erlebnisorten wie z.B. dem Theater, Restaurants oder Cafés, mit denen Geschäfte von heute um die Gunst des Besuchers buhlen müssen.

 

Überraschung als Nachfrage-Stimulation

„Das grundsätzliche Konzept des Einkaufens wird sich zwar nicht so gravierend ändern,“ ist Maik Drewitz, Shop Consult Director bei umdasch, überzeugt, „wohl aber die Warenpräsentation am POS und die Einbeziehung des Kunden in diesen“. In Zeiten des Internets müssen Händler ihren Kunden mehr Anreize bieten, um ihn ins Geschäft zu locken und müssen auch mehr tun, damit sie bleiben. Dabei darf der Handel ruhig überraschen. Denn anders als im Internet hat der stationäre Handel die Möglichkeit, den Kunden multisensual zu begeistern. Und darum geht es schließlich: Im Laden einen Mehrwert gegenüber dem Onlineshop zu schaffen. Dazu gehören auch Produkte, die es online nicht ohne weiteres gibt. Inspiration geht im Laden schließlich viel besser, denn was der Kunde nicht kennt, kann er im Internet auch nicht suchen. Dazu passend gibt Philipp Beck zu Bedenken: „Ist es heute nicht so, dass ein überraschendes Angebot erst die Nachfrage erzeugt und die Zeiten, in denen man auf eine Nachfrage reagiert bzw. dieser folgt, vorbei sind?“

 

ROI als Risiko: Zeit für neue KPIs

Die immer mehr am Erlebnis ausgerichteten Ladenlokale brauchen aber auch neue Erfolgskennzahlen. Einen deutlichen und immer wichtiger werdenden Wandel in der Beurteilung von Store-Konzepten sieht Wolfgang Gruschwitz, Geschäftsführer der Gruschwitz GmbH: „Anstelle des ‚Return on Investment’ werden Kenngrößen wie Return on Interest/Involvement oder Integration immer entscheidender“. Schließlich geht es darum, dass der Kunde zurückkommt und sich mit dem Ort/dem Laden verbunden fühlt. Wer dagegen zu sehr den klassischen ROI im Fokus habe riskiert, schnell vergleichbar und damit austauschbar zu werden. „Händler sollten mutiger bei der Umsetzung von innovativen Konzepten sein“, wünscht sich Gruschwitz. Anstatt holistisch die gesamte Customer Journey zu betrachten und das Erlebnis in den Vordergrund zu stellen, seien viele Händlerkonzepte auch heute noch zu sehr auf die Verkaufszahlen ausgerichtet.

 

Faktor Mensch: Der Schlüssel zum nachhaltigen Markenerlebnis

Beim Retail Design der Zukunft geht es um Intuition, Gefühl und Authentizität. Ganz im Sinne des „story telling“ transportieren erfolgreiche Store-Beispiele stets eine klare und unverwechselbare Botschaft. Maik Gruschwitz ist überzeugt: „Dabei spielt der Faktor Mensch als Berater und Testimonial im Laden eine der größten Rollen.“ Denn tatsächlich ist es der Verkäufer oder die Verkäuferin im Laden, die mit dem Kunden interagiert und ganz erheblich zu einem begeisternden Shoppingerlebnis beitragen kann. Hier sieht Maik Gruschwitz viel Potenzial, das in Zukunft strategisch noch besser genutzt werden muss. Jutta Blocher von Blocher Partners sieht dazu auch einen weiteren Trend: „Wir stellen fest, dass stationäre Händler sich zunehmend mit allen Möglichkeiten auseinandersetzen, um Beziehungen zum Kunden aus- und aufzubauen und bewusst mit ihm in den Dialog zu treten“.

 

Technologie gehört dazu

Als Trend im Retail Design sehen die Ladenbauer, dass stationäre Geschäfte zur Werkstatt bzw. zum Experimentierfeld umfunktioniert und Testläden für neue Konzepte üblich werden. Dazu gehört auch der sinnvolle Einsatz von Technologie. Große Videowalls mit Imagevideos, Sportereignissen, Fashionshows oder anderen passenden Bewegtbildern sind längst ein gängiges Bild, um Läden emotional aufzuladen.

Arbeitserleichterung versprechen zudem Techniken wie Digital Signages, Self Checkouts oder die Einbindung mobiler Devices. Auch künstliche Intelligenz wird den Laden der Zukunft innovativer und kreativer machen. Erste mutige Konzepte mit Virtual Reality oder Robotik lassen erahnen, wo die Reise hingehen könnte.

Einig sind sich die Ladenbauexperten darüber, dass der stationäre Handel alles andere als tot ist. Jutta Blocher bringt es auf den Punkt: „Die stationäre Präsenz ist das größte Pfund im Wettbewerb mit dem Online-Handel. Das sieht man auch daran, dass die digitalen Anbieter ebenfalls offline gehen“.

 

Weiterführende Links zu den Ladenbauexperten:

www.atelier522.com

www.blocherpartners.com

www.gruschwitz.de

www.umdasch.com

 

 

 

 


Audio book concept

Wissenswertes auf die Ohren:
Übersicht deutschsprachiger E-Commerce Podcasts

Alle sprechen vom Podcast-Boom. Von der Renaissance des Audio-Formats. On-demand, immer verfügbar, leicht konsumierbar in Alltagssituationen. Im E-Commerce haben sich schon vor Jahren Podcasts etabliert, allen voran der Exchanges und Kassenzone Podcast. Aber auch in der Nische ist viel Musik. Immer mehr Branchenexperten nutzen die Gelegenheit und untermauern ihre Authentizität und Glaubwürdigkeit nun auch mit ihrer eigenen Stimme. Was können E-Commerce Podcasts vermitteln: Wirklich Wissenswertes oder eher Fachsimpelei? Macht euch selbst ein Bild. Wir haben eine Auswahl an hörenswerten E-Commerce Podcasts zusammengestellt, ihr Profil skizziert und für euch eingeordnet. 

Die Newcomer

Videopodcast von disrooptive

https://youtu.be/J1pH5ymT7ys

Gestartet mit der ersten Episode am 22. Januar 2019 erklärt Rupert Bodmeier die Prinzipien der Plattformökonomie und wie man an dieser Entwicklung partizipieren kann. Vielversprechendes "Erklär-Format", denn in der Kürze liegt die Würze.

Women in E-Commerce

In diesem relativ jungen Format stellt Ingrid Lommer inspirierende  Frauen aus der E-Commerce-Szene vor, die den Online-Handel vor und hinter den Kulissen prägen und mit ihrem unternehmerischen Spirit ein Vorbild sind. Gut konsumierbar mit ca. 20 Minuten Hörzeit  und ein Lichtblick in der männerdominierten E-Commerce-Podcast-Welt!

neuhandeln Podcast

Wer macht was im Online-Handel? Welche Themen gewinnen an Relevanz? Und welche Trends sind wirklich nachhaltig und verändern den Markt?  Stephan Randler, Herausgeber neuhandeln.de,  und E-Commerce-Coach Ralph Hesse wollen in ihrem blutjungen Format mit ihrem Handels-Know-how im Hintergrund glänzen und mehr Praxisbezug in den E-Commerce Dschungel bringen.

Die Dinosaurier

Exchanges von Exciting Commerce

Die Branchenanalysten Jochen Krisch und Marcel Weiß sind die Vorreiter des E-Commerce-Podcasts. Die erste Ausgabe von Exchanges veröffentlichten sie am 3. Oktober 2012. Heute versorgen die beiden wöchentlich ihre Hörerschaft mit Unternehmensanalysen, geben Einblicke in Wachstumsfelder, Handelsmärkte von morgen und diskutieren Innovationsthemen.

Kassenzone Podcast

Ende 2013 gestartet, gibt es schon über 200 Folgen der Kassenzone Podcast-Reihe. Alexander Graf diskutiert wöchentlich mit illustren Gästen aus Handel, Industrie und der Start-Up Szene ihre E-Commerce Strategien und Geschäftsmodelle. Der Blogger und Gründer gibt Analysen zu Zalando, Amazon & Co. Es sind Deep-Dives, die Themen werden ausführlich diskutiert – pro Podcast muss man sich etwa eine Stunde Zeit nehmen.

E-Commerce Crossover von digital kompakt

Zwar bespielen Alexander Graf, Joel Kaczmarek und Jochen Krisch die Branche bereits je mit eigenen Podcasts. Das hat das Trio jedoch nicht davon abgehalten, vor etwa einem Jahr noch ein gemeinsames Format ins Leben zu rufen. Im gemeinsamen Podcast werden Geschäftsmodelle analysiert, aktuelle Branchentrends diskutiert und Einordnungen zu zentralen Vorgängen innerhalb der Branche besprochen.

Die Entrepreneure

Cheftreff – Future Retail Podcast

K5-Host Sven Rittau spricht mit Machern und Innovatoren der digitalen Szene. Darin kommen vornehmlich die Protagonisten der jährlichen K5 zu Wort. Es geht um unternehmerische Gestaltungsoptionen im E-Commerce, persönliche Erkenntnisse und Knowhow-Transfer, Wachstumspotenziale sowie Investitions- und Anlagemöglichkeiten.

Commerce Corner

Inspiriert von „The Jason and Scot Show”, einem wöchentlichen Podcast über die E-Commerce-Branche der USA von Jason “Retailgeek” Goldberg und Channel Advisor Gründer Scot Wingo, lässt Dr. Armand Farsi  in seinem Podcast kluge und einflussreiche Unternehmer zu Wort kommen. Im Fokus: Tiefe Tauchgänge zu Schlüsselthemen der digitalen Szene.

Die Hemdsärmeligen

E-Commerce Vision

E-Commerce und Online-Experte Thomas Ottersbach greift praxisnah aktuelle Themen auf, die Online-Händler bewegt.  Nutzwertig mit Tipps und Tricks zu allen Facetten des Business – von Online-Marketing über Tools & Technik bis hin zu rechtlichen Themen.

ShoptechTalks vom ShoptechBlog

Dr. Roman Zenner lädt regelmäßig die CTOs der Branche ein. Er gibt einen Einblick in den „Maschinenraum“ bekannter Marken und Händler und diskutiert, wie sie sich technologisch aufstellen, um für die Anforderungen des Handelsgeschäfts gewappnet zu sein.

Amazon Dorf Talk von digitalkaufmann.de

„Digitalkaufmann“ Nils Seebach produziert Podcasts rund um Gründung, Aufbau, Umstrukturierung und Finanzierung digitaler Geschäftsmodelle. In einem Spezial-Set widmet er sich dem Thema Amazon und gibt im Dialog mit Christian Otto Kelm Tipps und Tricks für Vendoren und Seller zum Thema Marketing und allgemeinem Vertriebsfragen auf dem Marktplatz. Darüber hinaus gibt es ein weiteres Spezial-Set zum Thema Amazon Plattformen.

Die Generalisten

t3n – Das Update für digitale Pioniere

Im t3n Podcast sprechen die Chefredakteure Luca Caracciolo und Stephan Dörner in kompakten Episoden von 30 bis 45 Minuten Länge mit wechselnden Gästen über New-Work, E-Commerce, digitales Marketing, die Startup-Szene und die digitale Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft.

OR – etailment-Podcast zum E-Commerce und Retail

Die Gastgeber Rene Hempe und Olaf Kolbrück diskutieren mit Fachleuten aus dem Handel, aus der Industrie und der Agenturwelt über Digital Commerce. Dabei blicken sie auch über den Tellerrand des Handels hinaus und fragen nach, wie sich Digital Business, Management, Job und das eigene Leben in den Zeiten der Digitalisierung wandeln.

Inspiration oder Gelaber?

Insbesondere in einer Fachbranche wie dem E-Commerce polarisieren Podcasts. Die einen empfinden es als Zeitverschwendung, einer Plauderei Gehör zu schenken, bei der sich ohnehin nur diejenigen Experten profilieren, die sowieso schon ständig im Rampenlicht stehen. Andere aber sehen darin eine gute Gelegenheit an Insights zu kommen, zu denen sie sonst nur durch zeit- und kostenintensive Besuche auf Konferenzen oder Seminaren Zugang erhalten hätten. Und was stimmt nun? Möge jede*r für sich abwägen, zu welcher Gruppe er oder sie sich zählt.

Auffällig ist, dass sich bisher fast ausschließlich Blogger und Redakteure, die ihr journalistisches Handwerk verstehen, an die Podcast-Produktion trauen. Lediglich Dr. Armand Farsi von der Digitalagentur Friends of C und Dr. Roman Zenner vom Plattformanbieter commercetools bilden hier die Ausnahme. Die beiden beweisen, dass auch ein Unternehmensumfeld genug Stories und Wissenspotenzial für die Podcastform bietet. Vielleicht eine Inspiration, es einfach mal auszuprobieren?

Anmerkung der Redaktion:  Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aufgrund von Leserfeedback wurde die Liste am 26.2.2019 um den Newcomer-Podcast neuhandeln und dem Amazon Dorf Talk von digitalkaufmann ergänzt.


Alpecin Banner zum Singles Day in China

Singles Day: Wie die Marke Alpecin China erobert

China ist mit 188 Milliarden Euro Außenhandelsvolumen der wichtigste Handelspartner Deutschlands (Quelle Statista 2017). Verkaufsrekorde am Singles Day in diesem Jahr bestärken deutsche Unternehmen, den Schritt in das Reich der Mitte zu wagen. Wie aber kommen deutsche Produkte zum chinesischen Verbraucher? Die deutsche Haarpflegemarke Alpecin macht es vor und zeigt, wie Logistik, Produktion und On- und Offline-Marketing am Point of Sale optimiert werden, um an den Verkaufsrekorden am spektakulären Singles Day Online zu partizipieren. Ganz nach dem chinesischen Sprichwort von Laotse: „Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt“.

Als deutsches Unternehmen den Singles Day in China aktiv mitzuerleben und Verkäufe dort in Echtzeit auszusteuern ist ein Erlebnis - und bedeutet 24 Stunden Daueranspannung. Chapeau, wenn man angesichts des Marktvolumens dort nicht die Übersicht verliert. Alpecin, bekanntes Männershampoo gegen Haarausfall und Marke der in Bielefeld ansässigen Dr.Wolff-Gruppe, hat am 11.11.2018 diesen Tag hautnah miterlebt. Dank der Erfahrungen aus dem Vorjahr konnte das deutsche Team gemeinsam mit seinen chinesischen Kollegen vor Ort eine tolle Performance hinlegen und sieht weiter große Wachstumspotenziale im asiatischen Markt.

Der Markt muss zum Produkt passen

In Asien gilt gesundes, volles Haar als Status-Symbol. Asiatische Männer wie Frauen lassen sich Haarpflege-Produkte also durchaus etwas kosten. Der für das Jahr 2018 prognostizierte Umsatz im Bereich Hair Care beträgt in China umgerechnet rund 6 Mrd. Euro und ist seit Jahren stetig am Wachsen. Ein guter Grund für die deutsche Dr. Wolff-Gruppe, den Schritt nach Asien zu wagen. Zudem stehen deutsche Produkte in China hoch im Kurs beim Verbraucher. Auch Alpecin setzt beim Design der Flaschen auf „Made in Germany“ und färbt die Flaschenverschlüsse im Farbmuster der Deutschen Flagge.

30.000 Shampoo-Flaschen in 24 Stunden

2013 startete der Verkauf von Alpecin-Produkten in Asien, seit gut zwei Jahren ist die Marke auch in China vertreten. Um das gigantische Marktvolumen angemessen steuern zu können, entschied sich die Dr.-Wolff-Gruppe, zunächst Strukturen vor Ort aufzubauen. In Shanghai betreut heute ein achtköpfiges Team Vertrieb und Marketing in China – mit starkem Fokus auf verknüpfte Online- und Offline-Marketingaktivitäten. Jede dritte in Bielefeld produzierte Alpecin-Flasche wird heute nach Asien verkauft. Am vergangenen Singles Day erlebte die Marke einen wahren Kaufrausch.

Der 11. November 2018 , weltweit stärkster Verkaufstag nach dem US-amerikanischen Black Friday, lieferte dem Unternehmen einen Verkaufsrekord. Allein im eigenen Online-Flagshipstore setzte die Dr. Wolff-Gruppe 30.000 Produkte binnen 24 Stunden ab, insgesamt wurden rund 60.000 Shampoo-Flaschen verkauft. Aber dieser Ansturm wollte gut vorbereitet sein. Über Wochen hinweg bereitete sich das Unternehmen auf diesen Tag vor, passte Logistik und Produktion in Deutschland darauf an, stellte Verfügbarkeiten sicher und plante die Werbeaktivitäten. Dabei setzte das Alpecin-Team auf eine enge Verzahnung von stationärer und Online-Verfügbarkeit. Neben stationären Drogeriemärkten waren die Produkte vor allem auf Plattformen wir Alibaba, Tmall und JD präsent. In 3000 Premium-Supermärkten wurden zudem bereits Wochen vor dem Event spezielle Aktionspakete angeboten und promoted, die auch auf den Online-Umsatz einzahlten.

Werbemaßnahmen wurden in Echtzeit und kanalspezifisch ausgesteuert, auf  Kundenanfragen musste schnellstmöglich geantwortet werden. Gleichzeitig bestand eine Standleitung nach Deutschland, um die Zwischenstände Tag und Nacht zu berichten. In China sind Shopping-Möglichkeiten in Social Media-Kanälen sehr verbreitet und werden rege genutzt. Alpecin setzte daher am Singles Day auf zahlreiche Social Media Channels. Hier wurden verschiedene Werbemittel ausgetestet und in Echtzeit optimiert, Chat-Verläufe wurden ausgewertet, Reaktionen beobachtet und aus den Erfahrungswerten Learnings für zukünftige Kampagnen gezogen.

Alpecin im Online-Store zum SinglesDay China

Singles Day als Umsatzbooster?

Auch wenn viele Experten Extrem-Shopping-Tagen wie dem Singles Day oder Black Friday kritisch gegenüberstehen und warnen, dass bei hohen Werbeausgaben und Rabatten oft keine Gewinne übrig blieben: Für die Dr. Wolff-Gruppe hat sich die Teilnahme an dem Event nach eigenen Angaben rundherum gelohnt. Vor allem die Erfahrungen aus der Teilnahme schätzt das Unternehmen als sehr wertvoll ein. Allerdings hat sich Alpecin auch bewusst aus den oft desaströsten Rabattschlachten herausgehalten. Nur ganz normale Angebote habe das Alpecin-Team promoted, Rabatte lagen nicht höher als zehn Prozent.

Angetrieben durch die positiven Erfahrungen vom chinesischen Singles Day, plant das Unternehmen nun auch die Teilnahme am Black Friday in den USA. Gerade erst hat die Dr. Wolff-Gruppe ein Office in den USA eröffnet. Eines ist aber klar: Auch dort will man zuerst Erfahrungen sammeln, bevor in große Marketing-Kampagnen investiert wird. Unken-Rufen und Warnungen vor Schnäppchentagen wie Singles Day und Black Friday lassen das Unternehmen jedenfalls kalt: Wer seine Prozesse und Kosten im Griff hat, kann offensichtlich mit gestärkter Brust aus den Shoppingtagen hervorgehen.

Weiterführende Links:

www.alpecin.com

www.drwolffgroup.com