Mit dem Wunsch nach nachhaltigeren Konsummodellen hat sich auch das Motto „Nutzen statt Besitzen“ immer mehr verbreitet. Allerdings fliegt das Thema bei den meisten noch immer unter dem Radar. Obwohl große Marken wie Tchibo, Otto oder Vaude Mietmodelle für Teile ihres Sortiments anbieten, sind die Angebote wenig bekannt. Dabei belastet viele Menschen diese Anhäufung von Besitz immer mehr und „Mieten statt Kaufen“ könnte eine gute Lösung sein. Ich stelle euch heute einige interessante Modelle im Miet-Commerce und ihre Protagonisten vor. Ich war überrascht, wie viele Möglichkeiten der Miet-Commerce heute schon bietet.
Mieten als Geschäftsmodell im Handel ist eigentlich ein alter Hut. Waren es zu Beginn vor allem die Leih-Ski im Winterurlaub oder die Baumärkte, die mit dem Verleih von Maschinen oder Handwerkszeug auf sich aufmerksam machten, treten immer mehr Branchen ins Rampenlicht, die man für Miet-Commerce-Modelle zunächst nicht wirklich auf dem Schirm hatte. Gepusht wurde dieser Ansatz besonders durch den Wunsch nach nachhaltigeren Konsummodellen. Schließlich werden Produkte oft nur selten genutzt und sie dann mit einem anderen Nutzer zu teilen, leuchtet wirklich ein. Unter dem Motto „Nutzen statt Besitzen“ entwickeln sich inzwischen viele Initiativen und zahlreiche Start-ups sprießen aus dem Boden. Auch einige etablierte Hersteller und Händler haben bereits eigene Miet-Commerce-Modelle.
Unown: Bekleidung mieten als Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Fashionkonsum
Das Hamburger Start-up Unown machte erstmals im Herbst 2019 mit einem Miet-Modell für nachhaltige Mode auf sich aufmerksam. Das Ziel: Ein profitables Geschäft entwickeln und gleichzeitig Teil der Lösung für drängende gesellschaftliche und ökologische Probleme sein. Laut Greenpeace werden 40 Prozent in unserem Kleiderschrank selten oder nie getragen. Dem gegenüber stehen rund 60 neue Teile, die eine Frau durchschnittlich im Jahr neu anschafft – um den Kleiderschrank weiter vollzustopfen. Das Tragische daran: Der Besitz belastet immer mehr Konsumenten und Lösungsansätze sind dementsprechend hochwillkommen. Schon 2018 gaben 20 Prozent der Deutschen an, Bekleidung auch mieten zu wollen. Heute dürfte die Bereitschaft dazu eher gestiegen sein – passend zum Trend des Re-Commerce, also dem Handel von Second Hand Ware, der im letzten Jahr einen gewaltigen Zuwachs hinlegen konnte. Rund 200 Teile von über 20 Marken gibt es aktuell im Unown-Shop, die entweder einzeln geleast oder als Abo-Modell in verschiedenen Umfängen, z.B. drei Teile im Monat zum Preis von 69,- Euro temporär erstanden werden können. Die typische Kundin ist 25-45 Jahre alt, lebt eher in urbanen Gebieten und gibt durchschnittlich 150-200 Euro für Kleidung im Monat aus. 20 Prozent der Kleidung wird laut Co-Gründerin und Co-CEO Tina Spiessmacher von den Kundinnen am Ende gekauft. Sie bestätigt: „Befragungen unserer Kundinnen ergaben, dass sie durch unser Leasing-Modell tatsächlich weniger neue Teile kaufen.“ Bei Unown wechselt ein Teil durchschnittlich sechs- bis achtmal die Besitzerin bis es aus dem Loop herausgenommen wird – entweder weil es gekauft oder z.B. an den Hersteller retourniert wird. Besonders gut funktioniert bei Unown Mode, die Statement-Charakter hat aber auch im Business-Umfeld tragbar ist. Probleme mit beschädigter Ware gab es bislang übrigens kaum. Die Kleider sind versichert, die Reinigung ist kostenlos:
„Hier hatten wir zu Beginn ein bisschen Sorge, doch tatsächlich behandeln unsere Kundinnen die Ware sehr sorgsam. Um für die nächste Wachstumsphase gut aufgestellt zu sein, arbeiten wir gerade intensiv an der Ausweitung des Sortiments und daran, unser digitales Produkt-Tracking weiter zu verbessern,“ erklärt Tina Spiessmacher.
Von der internen Mitarbeiter-Ausleihe zum professionellen Miet-System
Der Outdoor-Spezialist Vaude startete sein Miet-System „IRentit“ by Vaude im Jahr 2016 und hat dort Zelte, Isoliermatten, Rucksäcke und Fahrradtaschen im Sortiment. „Unser Verleih-Modell wurde durch unseren firmeninternen Ausleihpool inspiriert, über den sich unsere Mitarbeiter schon seit vielen Jahren für private Zwecke Ausrüstung ausleihen konnten“, erklärt Benedikt Tröster, Pressechef bei Vaude. Um Erfahrungen zu sammeln, gab es das Mietsystem zunächst nur in den stationären Stores des Herstellers, seit 2017 ist auch der Online-Verleih möglich. Der Service wird von Kunden inzwischen gut angenommen. Allerdings verzichtet Vaude nach eigenen Angaben derzeit auf eine starke Bewerbung von IRentit, um die internen Kapazitäten nicht zu überlasten. Die größte Herausforderung bei dem Modell besteht laut Benedikt Tröster im Handling. Neben der Logistik sind vor allem die manuelle Wartung und ggf. Reinigung der Produkte sehr zeitaufwendig. Daneben erfordert das System eine IT-Lösung, bzw. Abbildung in einem ERP-System, was für Unternehmen unter Umständen hohe Anfangsinvestitionen erfordert, aber auch eine spätere Skalierung ermöglicht. „Bislang werden Zelte am meisten nachgefragt“, erklärt Benedikt Tröster und ergänzt, „vermutlich, weil dies sehr hochpreisige Ausrüstungsgegenstände sind, die in der Regel nur selten im Jahr genutzt werden.“ Aber auch wasserdicht verschweißte Radtaschen werden nachgefragt, natürlich mit einem saisonalen Peak zu Ferienzeiten.
Möbel zum Mieten? Ikea will in der Schweiz starten
Der schwedische Möbelriese Ikea beispielsweise verkündete bereits im September 2018, künftig Mietmöbel anzubieten. Auftaktmarkt für die neue Leih-Welt soll zunächst die Schweiz sein und das Büro-Sortiment umfassen. Losgehen sollte es eigentlich noch im Juni dieses Jahres, ob dieser Termin aber gehalten werden kann, ist angesichts der Corona-Krise ungewiss. Ikea Österreich Chef Alpaslan Deliloglu verkündete noch Anfang Februar, dass spätestens Ende 2021 auch in Österreich Möbel zum Mieten angeboten werden sollen. Der Grund: Das Möbelhaus will nachhaltiger werden. Beim Berliner Start-up Lyght Living rund um die Gründerinnen Laura Seiler und Nadine Deuring kann man bereits seit April letzten Jahres Möbel mieten. Ihr Konzept „Furniture as a service“ richtet sich in erster Linie an Menschen, die öfter umziehen. Rund 200 Produkte von über 50 Marken aus den Bereichen Wohnen, Essen, Schlafen, Arbeiten, Lampen & Dekoration sowie Outdoor bietet der Shop aktuell zur Miete an.
Erst Kinderkleidung dann Sportgeräte – Tchibo Share will weiter wachsen
Bereits viel Erfahrung gesammelt hat das Miet-Business von Tchibo. Schon 2017 startete Tchibo als erstes großes Handelsunternehmen das Pilotprojekt ‚Tchibo Share‘ in Kooperation mit dem Magdeburger Unternehmen kilenda. Tchibo Share bietet nachhaltig produzierte Baby-, Kinder- und Damen-Kleidung zur Miete an und das Modell scheint zu funktionieren. Laut Unternehmen haben sich sowohl Warenkorbgröße und Conversion Rate zufriedenstellend entwickelt, so dass das Modell weiter ausgebaut werden soll. Inzwischen können Tchibo Share Kunden neben Bekleidung auch Sportgeräte und Möbel mieten. Bei Sportgeräten wird vor allem das Argument des Ausprobierens ins Feld geführt um Kunden zum „Kauf“ zu locken. Ist man also unsicher, ob der Tchibo Schlingentrainer für einen Kaufpreis von 29,90 Euro gefällt, kann man ihn für 4,99 Euro monatlich zunächst mieten und bei Erreichen des Kaufpreises einfach behalten – oder eben nach einem Monat zurücksenden. Tchibo Kreislauf-Expertin Sarah Herms in einem Gespräch mit fashionunited:
„Um Tchibo Share langfristig und damit nachhaltig zu betreiben, braucht es ein breites Kunden-Fundament. Je mehr wir unser Angebot verbreitern, desto mehr leihen sich unsere Kunden aus“.
Von Multimedia über Haushaltselektronik bis hin zu E-Scootern: Otto Now expandiert
Vor gut drei Jahren ist mit Otto Now auch der Versandhandelsriese Otto ins Miet-Business eingestiegen. War das Sortiment bei Otto Now zunächst auf einzelne Bereiche wie Multimedia, Haushaltselektronik und Sport beschränkt, umfasst der Kategoriebaum inzwischen auch Möbel und E-Mobility Produkte wie E-Scooter oder E-Bikes. Ganze Büroausstattungen lassen sich heute über Otto Now mieten – gerade in Zeiten von Corona-bedingtem kollektivem Home-Office und Home-Schooling eine interessante Alternative zum Kauf. Ein Apple Notebook Pro kostet hier bei drei Monaten Mietdauer 177,90 Euro pro Monat, ein 27‘‘ Full HD Monitor von HP ist schon ab monatlichen 19,90 Euro bei sechs Monaten Mietdauer erhältlich. Anstatt das Modell lange theoretisch zu konzipieren, hat es Otto Now früh als Testlauf in die Praxis gebracht, um das unmittelbare Feedback der Kunden einholen zu können. Dieser Vorgehensweise werde das Start-Up auch in Zukunft treu bleiben, bestätigt David Rahnaward, Mitbegründer von Otto Now: „Wir sind wie Forscher auf nahezu unkartographiertem Terrain. Der nächste Schritt ist für uns jetzt, dass wir mit unserem Angebot – von der Miete über die kostenlosen Services wie Lieferung, Anschluss oder Reparatur bis hin zur Abholung des Produktes – einen immer größeren Nutzerkreis von uns überzeugen.“
Dem Mutigen gehört die Welt – das sieht man auch in der Krise
Ob die hier dargestellten Miet- oder Leasing-Modelle tatsächlich unseren CO2-Fußabdruck auf der Welt reduzieren, will ich nicht beurteilen. Leider fehlt bei den Anbietern eine klare „Beweisführung“, inwieweit ihr Modell tatsächlich unsere Umwelt entlastet. Bei nachhaltig produzierten Produkten von wie bei unown oder Vaude ist die Glaubwürdigkeit daher höher als etwa bei konventionell produzierten Sportgeräten von Tchibo. Doch eines ist sicher: Es ist Zeit, unseren Konsum zu überdenken und verantwortungsbewusster mit Ressourcen umzugehen! Ein Trend, der nach Corona sicher fortgesetzt werden wird. Und in der Krise wird besonders deutlich: Unternehmen, die trotz widriger Umstände nicht den Kopf in den Sand stecken und bereit sind, neue Ideen auszuprobieren und mit großer Begeisterung einfach weitermachen und lernen, werden die Gewinner der Krise sein. Jetzt ist Zeit, sich über neue Business-Modelle Gedanken zu machen und mutig zu sein – dann kann man sich auch in der Krise weiterentwickeln und Positives herausziehen.
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