Doppelbelastung Frauen an der Spitze

Frauen an der Spitze: Wie die Frontfrauen von BabyOne und Seidensticker die Corona-Krise und die Doppelbelastung mit Job und Familie meistern

Eines vorweg: Frauen in Chefetagen von deutschen Familienunternehmen sind rar gesät. Erst vor wenigen Tagen schreckte die aktuelle Studie der Allbright-Stiftung auf, die dieses schon lange gehegte „Gefühl“ leider bestätigte: Gerade einmal sieben Prozent der Geschäftsführungen in deutschen Familienunternehmen sind in Frauenhand. Wir haben mit zwei Pionierinnen aus diesem Bereich Dr. Anna Weber, Geschäftsführerin des Familienunternehmens BabyOne und Dr. Silvia Bentzinger, Geschäftsführerin der Seidensticker Group gesprochen. Sie geben Einblick in ihre Arbeit an der Spitze eines Familienunternehmens, teilen ihre Erfahrungen in der Corona-Krise und berichten, wie sie diese trotz Doppelbelastung als CEO und Mutter von zwei Kindern gemanagt haben.

Stellt euch das mal vor: In der Führung der 100 größten Familienunternehmen in Deutschland gibt es mehr „Thomasse“ und „Michaels“ als Frauen insgesamt! Von 436 Führungspositionen sind nur 30 weiblich besetzt, was einen Frauenanteil von mageren sieben Prozent ausmacht. Bei den 30 Dax-Unternehmen sind es immerhin 15 Prozent… Nur 29 der 100 größten Familienunternehmen Deutschlands haben überhaupt eine Frau in der Geschäftsführung… Das ist das ernüchternde Ergebnis der vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie der Allbright-Stiftung*. Dabei ist es in vielen Studien längst bewiesen, dass mehr Diversität in Unternehmen kein „nice-to-have“ mehr ist, sondern klare wirtschaftliche Vorteile bringt. Anna Weber und Silvia Bentzinger stehen an der Spitze eines deutschen Familienunternehmens und sind damit Pionierinnen, von denen wir in Zukunft hoffentlich noch mehr sehen werden.

Dr. Anna Weber, CEO der BabyOne GmbH
Dr. Anna Weber hat die Geschäftsführung von BabyOne von ihren Eltern übernommen
BabyOne: Teamarbeit in der engsten Familie

Anna Weber ist jung, dynamisch und der Prototyp einer Unternehmerin, die Zukunft aktiv gestalten möchte. Die BWLerin hat zwei kleine Kinder und ist vor drei Jahren ins elterlichen Unternehmen BabyOne eingestiegen, ein Franchise-Unternehmen mit 104 stationären Fachmärkten und einer starken Multichannel-Strategie. Gemeinsam mit ihrem Bruder Jan Weischer hat sie inzwischen die Geschäftsführung übernommen, Ende des Jahres werden die Eltern das operative Geschäft ganz verlassen. Die Corona-Krise war für BabyOne eine schwere Zeit, da das Unternehmen 90 Prozent seines Umsatzes über die stationären Geschäfte erwirtschaftet. Sie berichtet: „Viereinhalb Wochen Lockdown waren eine ausgemachte Katastrophe für uns und unsere Liquiditätsplanungen wurden sehr belastet.“ In der Krise, wo wichtige Entscheidungen ad hoc getroffen werden mussten, wurden Managementfähigkeiten auf eine harte Probe gestellt, Improvisation stand auf der Tagesordnung. „Mein Bruder, meine Eltern und ich waren quasi rund um die Uhr im Office“, erinnert sich Anna Weber und ergänzt: „Die Krise war auch emotional herausfordernd. Als am 16. März unser komplettes Team mit ihrem Rechner unter dem Arm unsere Zentrale in Richtung Homeoffice verlassen hat, sah das schon sehr nach Endzeitstimmung aus.“

Dr. Silvia Bentzinger, CEO Seidensticker Group
Dr. Silvia Bentzinger, ist seit Januar 2020 CEO der Seidensticker Group
Jede Menge Überstunden im Führungsteam bei Seidensticker

Silvia Bentzinger Karriere bei Seidensticker verlief sehr stringent. Sie ist kein Mitglied der Inhaber-Familie sondern kam vor ca. 11 Jahren als Externe zum Unternehmen. Seit dieser Zeit und aufgrund der guten Zusammenarbeit mit Team und Vorgesetzten wurden ihre Verantwortungsbereiche kontinuierlich erweitert. Seit Januar 2020 ist die ursprüngliche Rechtswissenschaftlerin CEO der Marke Seidensticker – und musste sich dann gleich in einer extremen Ausnahmesituation beweisen: „Auch ich muss sagen, dass ich noch nie so viel gearbeitet habe wie in der Corona-Zeit“, resümiert Silvia Bentzinger. Während in der Presse von Entschleunigung gesprochen wurde, sah der Tag im Krisenmodus bei ihr gänzlich anders aus. Es war eine harte Zeit für Seidensticker, 36 Filialen waren geschlossen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit. Auch die Wholesalepartner hatten geschlossen, der Markenumsatz brach zu 80 Prozent weg. „Zum Glück konnten wir 20 Prozent unserer Umsätze online generieren, aber der Bedarf an Hemden und Blusen in Zeiten des Homeoffice war natürlich deutlich geringer als normalerweise“.

Doppelbelastung: Ohne Hilfe und viel Organisation wäre es nicht gegangen

Gleichzeitig für Job und Familie da zu sein, war für beide sehr schwierig: „Mein Mann musste wie ich sehr viel arbeiten, doch wir haben zwei Schulkinder, die zuhause betreut werden mussten“, erklärt Silvia Bentzinger. „Es war und ist mein großes Glück, dass sich meine Eltern in der Krise um die Kinder kümmern konnten. Sie sind für die Wochen des Homeschoolings bei uns eingezogen, zusätzlich hatten wir zwei bis drei ältere Schüler an der Hand, die beim digitalen Unterricht helfen konnten“. Anna Weber konnte sich auf ihren Mann verlassen, der sich wegen der geschlossenen Kitas um den gemeinsamen Nachwuchs kümmerte: „Für ihn war es klar, dass meine Präsenz im Office existenziell war, und da hat er die Kinderbetreuung zuhause alleine übernommen“. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Betreuungsproblemen wurden und werden bei beiden Firmen problemlos für das Homeoffice freigestellt. „Dafür haben wir großes Verständnis und glücklicherweise war unsere IT-Infrastruktur damals sehr schnell homeoffice-fähig“, erklärt Silvia Bentzinger. Auch heute noch kann jeder, der lieber von zuhause arbeiten möchte, dies tun. „Jeder Prozess muss heute bei uns auch digital funktionieren – oder hybrid mit einem Teil des Teams im Office und einem zuhause“, bestätigt Anna Weber.

Positive Seiten von der Krise

Dennoch gehen beide Frauen auch mit positiven Erfahrungen aus dem Lockdown: „Der Zusammenhalt im Team war enorm“, erklärt Anna Weber im Rückblick. „Wir haben diese Wochen genutzt, um unsere Multi-Channelstrategie weiter zu forcieren und stellten in wenigen Tagen Dinge auf die Beine, für die wir normalerweise wahrscheinlich Monate gebraucht hätten“. Auch die enge Zusammenarbeit mit unseren Franchisepartnern hat geholfen, die Krise gut zu überstehen: „Ich bin froh, dass wir kein Einzelplayer sind, der Verbund mit unseren Franchisenehmern ist uns sehr wichtig“, sagt Anna Weber. Silvia Bentzinger machte ähnliche Erfahrungen: „Diese Zeit hatte sehr viel Dynamik und es war schön zu sehen, wie eng wir im gesamten Team zusammengestanden sind. Es ist auch so viel Gutes daraus entstanden!“ So schaffte es Seidensticker z.B. binnen weniger Tage, die gesamte Produktion komplett auf Mund-Nasen-Schutzmasken umzustellen. Auch Digitalisierungsprojekte wurden angegangen: „Wir haben im Lockdown den kompletten Wholesale-Prozess digitalisiert und sind damit sehr viel flexibler für die Zukunft. Wir können Kollektionen virtuell zeigen und den Verkaufs- und Übergabeprozess digital und standortunabhängig abbilden. Das war ein großer Schritt für uns und wir sind alle total begeistert.“ Reiseaufwände können nun gespart und Nachhaltigkeitsziele leichter erreicht werden.

Optimismus überwiegt

Insgesamt sind sowohl Anna Weber als auch Silvia Bentzinger optimistisch, was die Zukunft und den weiteren Krisenverlauf angeht: „Wir planen mit 20 Prozent weniger Umsatz in diesem Jahr. Die Frequenz auf der Fläche ist immer noch niedrig – auch wenn die Conversion am Ende gut ist.“  Seidensticker will das B2C-Geschäft weiter pushen und mit Direct-to-Consumer, Wholesale und Produktion für andere Marken weiterhin auf Diversifikation der Geschäftsmodelle setzen. Bei BabyOne sei jetzt, wo die Märkte wieder offen haben,  der Umsatz wieder auf Vorjahresniveau - trotz Corona, erklärt Anna Weber. Schließlich bestehe im Segment Erstausstattung für Babys ein echter Bedarf bei den Konsumenten, den man auch schlecht verschieben könne. Trotzdem sei auch hier die Frequenz zurückgegangen. „Leute, die einfach ein bisschen bummeln möchten, sehen wir aktuell nicht im Laden. Stattdessen kommen unsere Kunden sehr gezielt und wissen genau, was sie wollen“, erläutert Anna Weber. Positiv sei, dass Online sich dank Corona nun als eigener Vertriebskanal fest etabliert hat. Jetzt gilt es, die hohe Beratungskompetenz im Laden auch digital abbilden zu können. Im Lockdown wurden bereits erste Test mit einer digitalen Terminvereinbarung für Beratungsgespräche, Life-Chats, Instagram Shopping und Facetime-Beratung gefahren. Anna Weber bringt es auf den Punkt: „Ohne die Krise wären wir sicher noch nicht soweit – und unsere Kunden bestimmt auch nicht!“

Der Talk fand im Rahmen der Initiative „Händler helfen Händlern“ statt. Das komplette Gespräch kann online unter: https://neovaude.live/haendlerhelfenhaendlern/ angesehen werden

* Die Allbright-Stiftung wurde 2011 vom schwedischen Unternehmer Sven Hagströmer in Stockholm gegründet und ist seit 2016 auch in Deutschland aktiv. Sie setzt sich für mehr Diversität (und damit mehr Frauen) in Führungspositionen ein und gibt regelmäßig Studien heraus um die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren.

Weiterführende Links:

Allbright Studie: www.allbright-stiftung.de

Seidensticker Corporate: https://corporate.seidensticker.com

BabyOne: www.babyone.de

Händler helfen Händler: www.haendler-helfen-haendlern.com

 

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Ladentür zu

Corona-Krise – Wertverlust unverkaufter Saisonware ruinös

Corona-Krise: Durch die Schließung zehntausender Mode-Boutiquen und Sportfachgeschäften stapeln sich im stationären Handel immer größere Berge unverkaufter Ware. Sollte die Schließung über den April hinaus fortbestehen, rechnet der Handelsverband Textil nicht nur mit tausenden Insolvenzen, sondern auch mit über einer Milliarde unverkaufter Artikel. Im Digital-Talk der Initiative „Händler helfen Händlern“ sprechen Alexander Gedat, Interims-CEO bei Gerry Weber und Carsten Schmitz, CDO bei Intersport über die aktuelle Lage und mögliche Auswege aus der Krise.

Nach Berechnungen der Handelsverbände Textil (BTE), Schuhe (BDSE) und Lederwaren (BLE) werden an normalen Verkaufstagen in Deutschland im Durchschnitt täglich mehr als 10 Millionen Hosen, Shirts, Schuhe und Taschen verkauft, die nun nicht über die Ladentheke gehen. Ende März dürfte nach Schätzungen der Verbände die Summe der unverkauften, aber vom Handel bereits bezahlten Teile die 100-Millionen-Grenze überschritten haben.

Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer Handelsverband Textil

Verschärft werde das Problem, weil die Geschäfte in den nächsten Wochen vertragsgemäß weiterhin neue Ware geliefert bekämen - trotz geschlossener Läden. „Je länger die Schließung dauert, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die Ware noch verkauft werden kann“, warnte Rolf Pangels, Hauptgeschäftsführer des BTE Handelsverband Textil gegenüber der dpa. Denn durch den modischen Wechsel ließen sich Hosen oder Schuhe aus der Frühjahrskollektion im Sommer kaum noch verkaufen. Allein der Wertverlust der Ware sei für viele Händler ruinös. Die Händler bräuchten deshalb neben schnellen Krediten auch finanzielle Soforthilfen: „Der Staat könnte zum Beispiel die Kosten für die bereits bezahlte Ware über einen Hilfsfonds übernehmen“, schlug Pangels vor.

Davon betroffen ist auch der Sportfachhandel. Die Genossenschaft Intersport, die in Deutschland mehr als 1500 Händler in der Verbundgruppe hat, kann das nur bestätigen: „Unsere selbständigen Kaufleute haben beschränkte Liquidität und die Sorgen sind sehr groß“, so Carsten Schmitz, CDO von Intersport. „Daher ist es gerade in dieser Situation extrem wichtig, dass wir unsere Händler engmaschig betreuen und gemeinsam in die Liquiditätsplanung gehen.“

Intersport musste in diesem Jahr schon ein extrem schlechtes Wintergeschäft hinnehmen. Durch den Shutdown bleiben die Händler jetzt auch noch auf der Frühjahrsware sitzen. „Running Artikel sind die einzigen, bei denen man die Saison vielleicht noch auf die Zeit nach dem Lockdown verlängern kann. Wir befürchten bzw. können jetzt schon durch Mid Season Sales beobachten, dass sich die größeren Onliner davon frei machen und die stationären in eine ausweglose Situation laufen.“

Priorität Eins in der Corona-Krise: Liquiditätssicherung

Seit etwa zwei Jahren bietet Intersport seinen stationären Händlern ein Ship-From-Store Modell an, der über die

Carsten Schmitz: Seit 2016 Chief Digital Officer bei Intersport

Plattform erzielte Umsatz fließt direkt dem Händler zu, der die Ware verschickt. Aktuell sind 400 Händler angeschlossen, das Onboarding-Team arbeitet gerade auf Hochtouren, allein in den letzten zwei Wochen wurden 40 neue Händler aufgenommen. „Wir tun alles dafür, um mehr Liquidität in den Handel zu spülen“, so Carsten Schmitz.

Auch die Situation in der Textilbranche ist desaströs. Der westfälische Modekonzern Gerry Weber steht nach der gerade überstandenen Insolvenz vor großen Herausforderungen. Über 300 eigene Läden und nochmal so viele Franchise-Partner sind geschlossen. „Wir gehen davon aus, dass wir 30 Prozent weniger Jahresumsatz machen als budgetiert. Das ist ein Einschnitt, der ist nicht einfach zu verkraften“, so Alexander Gedat, Aufsichtsratsvorsitzender bei Gerry Weber.

Das größte Problem sieht Gedat vor allem in der Ware in der Pipeline, zumal da es sich in der Modebranche um saisonale Artikel handelt. „Der Liquiditätsbedarf ist enorm. Wir versuchen, dass die Frühjahrs- und Sommerware später ausgeliefert wird, um die Saison zu verlängern und georderte Ware in Asien zu stornieren.“  Den Franchisenehmern wird derzeit im Warenmanagement geholfen und unterstützt, wo es geht. „Das kostet uns was, aber wir müssen helfen und partnerschaftlich mit der Situation umgehen.“

Klar ist, dass die Händler ein Finanzierungsvolumen für die Ware benötigt, die die Unternehmen jetzt auf Lager haben und nicht abverkaufen können. „Das aktuelle Schutzschirmverfahren von Galeria Karstadt-Kaufhof macht doch sehr deutlich, wie wenig nachhaltig der Handel generell finanziert ist“, so Interims-CEO Alexander Gedat. „Für staatliche Soforthilfen und Kreditprogramme muss die Politik unser Geschäft verstehen und da habe ich aktuell nicht den Eindruck, dass dem so ist.“

Intersport kämpft für seine Händlerschaft an verschiedenen Fronten, um Liquidität zu sichern. „Es ist absolut notwendig, dass wir als Verbundgruppe mit den Herstellern über Valutierung, Storno und das Verschieben von Auslieferungsterminen sprechen“, so Schmitz. Aber man müsse sowohl bei den 650 Brands und sieben Eigenmarken genau prüfen, wie die wirtschaftliche Situation der einzelnen Partnerunternehmen aussehe.

Im Hintergrund laufen auch zusätzlich Gespräche aller Genossenschaften, die über im Mittelstandsverbund organisiert sind, um Forderungen an die Regierung für die Liquiditätssicherung im Einzelhandel zu formulieren. Schmitz nennt ein Beispiel: Ein Intersporthändler mit fünf Geschäften habe ihm erzählt, dass er sich sehr über die bewilligten staatlichen Fördergelder freue. Gleichzeitig sage er, und das solle auch nicht herablassend klingen, die Gelder helfen ihm gerade genau vier Tage.

Nach dem Lockdown: Konsum ankurbeln

Gerry Weber Chef Alexander Gedat sieht auch nach der Wiedereröffnung der Läden, die für den 19. April in Aussicht gestellt ist, kein Licht

Alexander Gedat: Seit fünf Monaten Aufsichtsratsvorsitzender und Interims-CEO bei Gerry Weber

im Tunnel. Fakt ist, dass durch die Krise die Verbraucher keine Lust am Konsum haben. Das sei gerade im Textihandel deutlich zu sehen, da auch die großen Onliner wie Zalando und Amazon große Umsatzeinbrüche verzeichnen. „Wofür wir alles tun müssen, ist nach dem Lockdown wieder für Attraktivität der Einkaufsstätten zu sorgen. Die Verunsicherung bei den Menschen ist riesengroß, wir müssen erst mal wieder Vertrauen bei den Kunden aufbauen.“

Schmitz sieht hier digitale Tool als Mittel zum Zweck. „Wir haben allen unseren Händlern nochmal klar gemacht, ja, eure Tür da vorne ist zu, aber ihr seid nicht tot. Nutzt den persönlichen Kontakt zu euren Kunden über digitale Tools.“ Zum Beispiel wurde auf die Schnelle kontaktlose Lieferung möglich und ein Terminbuchungstool für telefonische Beratung ist gerade live gegangen. Intersport arbeitet mit Hochdruck an einer schnellen Umsetzung weiterer Tools, mit dem die Verbundgruppe Content für Social Media bespielen können, um beim Kunden vor Ort präsent zu sein, auch wenn die Ladentür zu ist.

Wer wird diese Krise überleben?

Alexander Gedat ist davon überzeugt, dass es die Firmen sind, die den Nerv des Endverbrauchers treffen und schnell ihr Geschäftsmodell anpassen können: „Die unprofilierte Mitte ist das Schlimmste, was man tun kann. Ein lokaler Händler kennt seine Kunden so gut und kuratiert die Ware entsprechend, das kann eine vertikalisierte Marke oder eine Online-Shop niemals leisten.“

Der Händler muss diesen Mehrwert ausspielen: Die Beziehung zum Kunden. Sich um seine Existenzsicherung zu kümmern reicht nicht aus. „Wenn die Läden wieder öffnen, wird der Wettbewerb nicht leichter, der Preiskampf wird ruinös sein“, prognostiziert Carsten Schmitz. „Man muss in einzelnen Warengruppen gut sein und eine lokale Community darum aufbauen, um vor Ort relevant zu bleiben.“  Das ist der Mehrwert des Händlers, den er gegenüber den großen Onlinern wie Zalando und Amazon sowie den großen Herstellern ausspielen kann. Händler, die das antizipieren und sich zunutze machen, werden gestärkt aus der Situation hervorgehen.

Weiterführende Links

Der Digital-Talk „Händler helfen Händlern“ in voller Länge

Forderungsliste des Handels für finanzielle Soforthilfen an die Politik

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Initiative Händler helfen Händlern in der Corona-Krise

Corona-Krise: Pro-Bono-Initiative „Händler helfen Händlern“ gestartet

Aufgrund der Corona-Pandemie steht der Handel vor einer Existenzkrise. Führende Köpfe aus mittelständischen Handelsunternehmen haben sich jetzt zusammengetan und ehrenamtlich die Initiative „Händler helfen Händlern“ gestartet. Es wird eine LinkedIn Gruppe als Wissensplattform aufgebaut, die betroffene Unternehmer und Unternehmerinnen informiert und untereinander vernetzt.  Gemeinsam sollen viele Händler aus dem Mittelstand und größere Unternehmen als weitere Unterstützer für die Initiative gewonnen werden. Ich bin sehr stolz, selbst Teil dieser Initiative zu sein und federführend daran mit zu wirken. Perspektivisch denken und handeln ist aus meiner Sicht notwendig, um aus dieser Krise heraus zu kommen.

Die Corona-Krise stellt den Handel vor massive Herausforderungen. Unsere Konsumgesellschaft befindet sich in einer Vollbremsung, der Crash für Handelsunternehmen ist absehbar. Das trifft den Handel in seiner Grundstruktur, teilweise sogar in seiner Existenz. Nur wenn wir jetzt gemeinsam handeln, sind wir in der Lage, die Krise zu überwinden. Dazu braucht es Kreativität und Wissenstransfer der Unternehmer, egal ob aus welchem Segment sie kommen – ob stationär oder online, Mittelstand oder Konzern, Traditionsunternehmen oder Start-Up.

Aus jeder Krise entstehen Chancen

Ziel der Initiative ist es, im ersten Schritt zur Existenzsicherung Informationen rund um Hilfsprogramme und -fonds von Land, Bund, EU, Banken, KFW oder sonstigen Einrichtungen zu teilen und sich über möglichen Maßnahmen, wie z.B. Liquiditätsprogramme oder Steuererleichterungen auszutauschen. Im zweiten Schritt geht es darum, über sich hinaus zu wachsen: Die Schockstarre schnell überwinden, das Momentum nutzen, kreativ werden und Impulse für neue Businessmodelle sammeln. Es geht darum, den betroffenen Unternehmen in dieser Krise eine Zukunft zu geben. Zielgerichtet, seriös, valide und auf Augenhöhe, von Händlern für Händler.

Partner und Unterstützer der Initiative sind bislang die Händler Rose Bikes und BabyOne, Shopsoftwarehersteller Shopware und Roqqio, das IFH Köln sowie die Medienpartner Handelsblatt, Textilwirtschaft, Internet World Business, neuhandeln, Location Insider, kassenzone, K5 sowie Digitalrockstar Michael Atug.

In eigener Sache: Händler helfen Händlern

Auch changelog ist Mit-Initiator und ich bin Managerin der LinkedIn Gruppe. Unter der Federführung von  Marcus Diekmann (Rose Bikes) habe ich zusammen mit Anna Weber (BabyOne), Tim Böker (Rose Bikes), Sebastian Bomm (Rose Bikes) und Jan Weischer (BabyOne) diese Initiative ins Leben gerufen, um den Handel in diesen schwierigen Zeiten zu vernetzen. Um Perspektiven aufzuzeigen, die in dieser Phase überlebenswichtig sind.

Mehr Informationen

Händlerinitiative in der Corona-Krise

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Alexander Graf

Alexander Graf im Porträt:
Die fünf Learnings eines B2B-Influencers

Welche Learnings kann man von einem B2B-Influencer und Serienunternehmer wie Alexander Graf mitnehmen und für sich nutzen? 17 Jahre E-Commerce-Erfahrung hat er auf dem Buckel und sich zum führenden Experten in Sachen Digitalökonomie im Handel gemausert. Ich durfte im persönlichen Gespräch mit Alex ins Detail gehen und herausfinden, welche Faktoren ihn zu der Persönlichkeit gemacht haben, die er heute ist. Mein Fazit: Es ist die Mischung aus unternehmerischen Gespür, einem extrem guten Netzwerk und das Streben nach Hoheitswissen. Ein Porträt über den Spryker-CEO und Kassenzone-Blogger und -Podcaster.

Schon zu Schulzeiten zählt Alex zu den „Machern“. Zusammen mit seinem Schulbuddy Torben organisiert er Schüler- und Studentenparties. Schon damals ist ihm klar, dass er eine Unternehmerlaufbahn anstreben will. Richtungsweisend schlägt er den Weg ins BWL- und Informatik-Studium ein. Parallel dazu betreibt er ein Business mit Webdesign und Vermarktung rund um den Kieler Nachtclub Maxx und den heutigen Lunaclub. Rückblickend waren das wertvolle erste Schritte im Onlinebusiness Ende der 90er-Jahre, wie er es heute selbst einschätzt.

Dass er im Handel bzw. E-Commerce landet, ist eher dem Zufall geschuldet. Die Noten im Zwischenzeugnis seines BWL-Studiums reichen nicht für einen Einstieg in die Investment- und Finanzbranche, in die damals jeder Absolvent vordringen wollte, wie er heute schmunzelnd zugibt. Sein Praktika bei Otto war damals eher ein Zwischenschritt, ein Notnagel. „Dass ich fünf Jahre bei Otto hängen bleibe, war nicht der Plan. Dass es so gekommen ist, hatte auch viel mit meinem damaligen Chef Björn Schäfers, Gründer von smatch und shopping24, zu tun, der mich extrem gefördert hat und ein hervorragender Mentor war.“

Learning #1: Such dir deinen Job immer nach deinem/r Chef/in aus.

Alex steigt bei Otto im Business Development ein, damals eine Abteilung neben Shopping24. Er beobachtet den US-Markt, der zu diesem Zeitpunkt schon viel weiter ist als in Europa. Er erkennt, dass die Rolle des E-Commerce auch in Europa immer relevanter werden wird. Was sich in den USA im ersten Jahrzehnt der 2000er tut, das ist die Zukunft. Sukzessive eignet er sich Hoheitswissen im E-Commerce an. Sein Chef sieht das auch so. Oft wird er zu Rate gezogen, er bereitet Entscheidungsvorlagen für die Konzernchefs vor und wird vom Vorstand um Support in E-Commerce-Fragen gebeten.

Aus dieser Erfahrung heraus wird er vom Anreiz getrieben, immer einen Wissensvorsprung zu haben und zu halten. „Ich optimiere meine Entscheidungen dahingehend, meine Lernkurve steil zu halten. Fakt ist doch, was ich vor fünf Jahren gelernt habe, ist heute meist nicht mehr relevant. Ich möchte nie in die Situation kommen, Menschen zu sagen, dass sie von mir nichts mehr lernen können.“

Learning # 2: Halte deine Lernkurve steil, sonst ist dein Wissen wertlos.

Er hat sich nicht nur Wissen im Bereich E-Commerce aufgebaut, sondern gilt heute als Experte für Digitalökonomie und Transformation. Er sieht in Deutschland gerade bei mittelständischen Unternehmen großen Handlungsbedarf: „Die Effekte der Digitalökonomie beschleunigen sich auf der Zeitleiste potenziell. Otto hatte noch zehn Jahre Zeit, sich vom katalogbasierten Versandhandelsunternehmen zu einem plattformgetriebenen Digitalunternehmen zu transformieren. Heute bleibt einem traditionellen Unternehmen, wie z.B. aus der Versicherungswirtschaft, nicht mehr dieses Zeitfenster, das ist wesentlich kürzer.“

Was man seiner Meinung nach brauche für eine Transformation, sei eine Koalition der Willigen. Leute, die wirklich aktiv etwas verändern wollen. Oft fehle es den Mitarbeitern an Persistenz und Durchhaltevermögen. Einfach mal zwei bis drei Jahre an etwas dranbleiben, nicht gleich aufgeben, wenn es nicht auf Anhieb funktioniert.

Unternehmenskultur und Wandel

Er definiert drei Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation. Zum einen keine Fünfjahrespläne mehr, immer im Set-Up „Testen, Lernen, Fehler korrigieren, Adaptieren“. Zum anderen Technologie als zentralen Wertschöpfungsfaktor anerkennen und implementieren – egal in welcher Branche. Die dritte, für ihn entscheidende Voraussetzung ist aber zielführendes Unternehmertum. „Als Führungskraft habe ich den Auftrag, dass das Unternehmen relevant bleibt. Dabei kommt dem Leadership eine neue Rolle zu: Geschäftschancen erkennen, Prozesse beschleunigen und Mitarbeiter befähigen.“

Er bringt seine Überzeugung weiter auf den Punkt: „Für mich persönlich ist es die größte Lüge, dass die digitale Transformation vom Kulturwandel abhängig sei. Dafür gibt es keinen empirischen Nachweis. Der Kulturwandel ist ein Effekt der Transformation, aber keine Ursache.“ Als Beispiel nennt er About You. Das Online-Unternehmen war anfangs ein Projekt bei Otto. Der Impact dieses Projekts hat Veränderungen im gesamten Konzern erzeugt.

Tarek Müller, Alexander Graf, Nils Seebach
"Retrobild" aus alten Zeiten: Alexander Graf mit seinen etribes-Partnern Tarek Müller (links) und Nils Seebach (im Jahr 2012)

Serienunternehmer mit Fokus

Alex hat in seiner Laufbahn schon ein Dutzend Gründungen hinter sich, u.a. die Digitalberatung etribes mit seinen Partnern Tarek Müller und Nils Seebach.  Da stellt sich die Frage, wie man da den Überblick und Fokus behalten kann. Alex sieht das ganz pragmatisch: „Das mit den Gründungen hat sich immer ergeben, es war im Fluss. Ein Stein setzt sich auf den anderen und manchmal beschleunigen sich auch einzelne Projekte gegenseitig. Und darum geht es doch als Unternehmer: Man muss Skaleneffekte erzeugen.“ Das hat er mit seinem Netzwerk geschafft. Rückblickend kann er sagen, dass durch sein Handeln und die daraus entstanden Konstellationen mittlerweile Unternehmen entstanden sind, die 1500 Mitarbeiter beschäftigen. Darauf ist er sehr stolz.

Learning # 3: Diejenigen Leute, die einfach machen, werden gewinnen.

Alex ist in erster Linie Kaufmann und Analyst. Methodische Regelwerke, die er zu Studienzeiten noch gewälzt hat, sind heutzutage hinfällig. Die Digitalökonomie hat seine eigenen Regeln. „Die Kernfrage bleibt, wie man an den initialen Kundenzugang kommt. Mit der Zeit habe ich eigene Methoden entwickelt, die dann irgendwann ihren Niederschlag in meinem Buch fanden.“

Mit seinem renommierten Kassenzone Blog und Podcast hat er sich einen Namen als Fachjournalist gemacht. Für ihn ist diese Plattform pures Gold wert. Er genießt es, zu verstehen, wie andere ticken, zu hinterfragen, wie Geschäftsmodelle funktionieren, eine faire Bühne zu schaffen, die mannigfaltige Meinungen einholt und Diskussionen zulässt. Was ihn dabei antreibt sind Neugier und Haltung.

Learning #4: Wenn dein Wettbewerber über dich redet, hast du es geschafft.

Kritiker werfen ihm dagegen fehlende Neutralität und einen Interessenskonflikt zu seinem Business mit Spryker vor. Er geht damit selbstkritisch um: „Ich gehe ganz offen mit meinen Interessen um und das wissen die Leute auch. Ich weiß, dass ich der Rolle als Journalist nicht gerecht werde – oft fehlt mir der rote Faden, greife auch gerne mal vor oder lasse die Leute nicht ausreden ... Dazu bin ich einfach selbst viel zu tief im Business und habe eigene Meinungen, die ich dann auch loswerden muss. Ich müsste mich mehr darauf konditionieren, die Rolle des Moderators zu übernehmen.“

Zu 100 Prozent vernetzt

Mit Spryker landet Alex den größten Coup seiner Karriere: 2014 erfolgt die Auskoppelung aus dem Frühphaseninvestor Project-A und die Gründung zusammen mit seinem langjährigen etribes-Partner Nils Seebach. Nur drei Jahre später sammeln die beiden eine Kapitalspritze von 22 Millionen US-Dollar von Investor One Peak Partners ein. Damit sind die Wachstumsambitionen und der Erfolgsdruck groß: 100 Prozent Wachstum pro Jahr steht auf der Agenda. Die Investoren verlangen danach. Dem E-Commerce war in den letzten Jahren ein permanenter Boom beschert. Alex muss laut seiner eigenen Überzeugung dafür Sorge tragen, dass sein Unternehmen relevant bleibt. Dafür muss er immer die Nase vorn haben. Die Dinge werden nicht einfacher, das ist ihm klar. Umso wichtiger, dass er für die Sache brennt.

Learning #5: Man muss was machen, auf das man richtig Bock hat.

Woher er die ganze Energie nimmt? Er hat ein scheinbar einfaches Erfolgsrezept: „Ich interessiere mich für alles und mache mir keine Sorgen. Ich genieße den Freiheitsgrad, in dem ich agiere. Ich habe Hobbies wie Bogenschießen, für die ich mein Zuhause, einen Hof in Schleswig-Holstein, nicht verlassen muss. Wenn es Spryker nicht gäbe, würde ich es heute gründen. Ich lebe mit dem Markt und meinem Netzwerk, das sind alles Freunde und Bekannte, also Menschen mit denen ich gerne zu tun habe.“

Weiterführende Links

Alexander Graf im OMR-Podcast-Interview

Das E-Commerce Buch

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Sven Rittau auf der K5

K5 Macher Sven Rittau:
„Investoren sind der Anfang vom Ende deiner eigenen Firma“

Normalerweise ist Sven Rittau derjenige, der die Fragen stellt, wenn er im Cheftreff mit Branchengrößen aus dem Nähkästchen plaudert. Diesmal heißt es aber Rollentausch in seinem Podcast-Studio in der Winzererstraße in München: Sven gibt Einblick in seine unternehmerischen Erfahrungen und persönlichen Erkenntnisse. Wir sprechen über Werte und Wertschätzung, Persönlichkeitsfindung und die Grenzen traditioneller Denkweisen im digitalen Zeitalter. Und er gibt einen Ausblick auf die K5 2020. Ein Porträt über den leidenschaftlichen E-Commerce-Unternehmer und Macher der K5.

Rollentausch: changelog-Autorin Vera Vaubel interviewt Sven Rittau in seinem Cheftreff-Podcaststudio.

Sven ist schon als Kind vom Unternehmertum fasziniert - vielleicht, weil er selbst aus einem ganz anderen Umfeld kommt. Während er zu Schulzeiten sein Taschengeld bei Penny als Regalarbeiter aufpoliert, schnappt er sich die Lebensmittelzeitung, die sein Chef und Filialleiter abonniert hatte und verfolgt mit großem Interesse das Branchengeschehen. Dass er später tatsächlich im E-Commerce landet, ist dann einfach so passiert.

Seinen ersten Job tritt er als Unternehmensberater bei Roland Berger an. Seine Aufgabe: Eine Preisstrategie für die Großhandelssteuerung bei Viessmann Heiztechnik zu entwickeln. Dafür lebt er als Nomade aus dem Koffer. 60-Stunden-Woche steht auf der Tagesordnung, den Rest der Zeit verbringt er in Hotelzimmern. Nach knapp einem Jahr sieht er sich am Limit. „Am Ende eines solchen Projekts kann einen durchaus eine Sinnkrise überkommen. Da fragt man sich schon, was kommt danach?“

Aus Krisen wachsen

Etwa ein Jahr später, 1999, erfolgt die Gründung eines Online-Zoofachhandels. Zusammen mit seinen Mitgründern Cornelius Patt, Florian Seubert und Roland Honekamp verfolgt er mit großem Interesse den aufsteigenden Kometen in den USA, das Online-Geschäftsmodell von pets.com. So etwas gibt es zu dieser Zeit in Europa nicht. Er macht, was er im Studium im schweizerischen Fribourg und bei Roland Berger gelernt hat: eine umfangreiche Konsummarktanalyse. Das Gründerteam kommt zu dem Schluss, dass die Chancen gut stehen. Der Markt für Tiernahrung und –bedarf ist fragmentiert, preisstabil und es handelt sich um emotionale Convenience Produkte.

 

„Du brauchst immer in etwa fünf Jahre, um dein Business aufzubauen und zu etablieren. Dann spürst du merklich, dass dein persönliches Engagement Früchte trägt.“

 

Der Erfolg gibt ihnen Recht. Zooplus startet durch, Investoren steigen ein, das Start-Up expandiert ins Ausland. Rückblickend gibt Sven schmunzelnd preis: „Sobald du dir einen Investor reinholst, ist es der Anfang vom Ende deiner eigenen Firma. Natürlich gibt es dazwischen noch ein paar Abstufungen. Aber am Ende des Tages läuft es darauf hinaus.“

2001 platzt die Dotcom Blase – jegliche Art der Finanzierung ist auf Eis gelegt. Zooplus muss Auslandmärkte schließen und 30 Mitarbeiter entlassen. Das Gründerteam versucht, Deckungsbeiträge so gut es geht zu optimieren, um das Unternehmen vor der Insolvenz zu bewahren. Die Durststrecke dauert zwei Jahre, bis Zooplus wieder auf Kurs ist. Sein Learning von damals: „Krisen und Knappheit führen zu kreativen Lösungen. Und eigentlich sollte man jede Firma regelmäßig durch künstliche Krisen führen!“

Netzwerk als Grundqualifikation

Heute ist Sven auf seinem Karriereweg dort angekommen, wo er sich wohl fühlt und Ausgeglichenheit verspürt. Anfangs noch geprägt von Disziplin, Zielerreichung, Input-Output-Relation und dem Ziel, monetären Erfolg zu erreichen, sind für ihn an deren Stelle andere Werte getreten. „Das ist auch eine Lifestyle-Frage. Arbeit 24/7 ist wahrscheinlich eher was für die jüngere Generation“, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu. Für ihn ist die Wertschätzung seiner persönlichen Kontakte und seines Netzwerks sehr wichtig. Seine feste Überzeugung ist, dass Vernetzung heute ein absoluter Skill ist. Egal ob digital oder analog.

 

„Stelle dir erst das richtige Team zusammen, bevor du unternehmerisch tätig wirst.“

 

Seinen heutigen Geschäftspartner Jochen Krisch lernt er 2011 kennen – Sven ist Speaker auf der allerersten K5. Sie laufen sich immer wieder in verschiedenen Beiratskonstellationen über den Weg, in denen sie Jungunternehmern zur Seite stehen. 2013 ist für Sven ein „Hänger-Jahr“, wie er es nennt. Bei Shirtinator steckt er in einer Sackgasse, die Konstellation passt nicht mehr wirklich. Im damaligen Handelsumfeld sieht er nichts, wo er sich hätte mit Begeisterung engagieren wollen. Letztendlich entscheidet er aus Bauchgefühl, mit Jochen die K5 als Plattform weiter auszubauen.

K5: Haptik der Begeisterung

Von außen gesehen ist das zunächst eine explosive Konstellation, die sich formen muss. „Jochen – the brain, und ich – die Rampensau! Obwohl, ein bisschen Hirn hab ich auch“, lacht Sven. Es gibt in den ersten Jahren durchaus Reibungspunkte. Aber es gelingt den beiden relativ zügig, sich die komplementären Stärken zunutze zu machen.

Was beiden dabei hilft, ist gegenseitiges Vertrauen und eine strategische Weitsicht zu entwickeln. Sie finden die Schnittstellen, die es ihnen ermöglichen, ein gemeinsames Produktverständnis zu formen. Handel der Zukunft, neue Technologien, neue Modelle und Prozesse. Relevanter Content und ein Netzwerk mit Digitalkompetenz.

Auch die Frage danach, wie sich Wachstum im digitalen Wandel finanziert, woher das Kapital kommt und wie man das Investmentrisiko minimiert, eint die beiden Partner und führt stringent im Jahr 2015 zur Gründung des Glore50, dem ersten globalen E-Commerce Aktienfonds.

Selbst- und Fremdbild

Sven will Leute begeistern, Veränderungen anstoßen und inszenieren, weil ihm das ein gutes Gefühl gibt. Das tut er nicht aus altruistischen Gedanken heraus. „Die Empfindung, die ich dieses Jahr bei der K5 hatte, lässt sich für mich persönlich als Manifest beschreiben. Wir gestalten hier und jetzt gemeinsam die Zukunft und ich bin ein Teil davon! Auch wenn es esoterisch klingen mag, aber positive Impulse, die man gibt, werden als positive Energie wieder zurückkommen.“

Sven legt starken Wert auf Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung – und holt sich darin auch externe Unterstützung. „Die eigene Wahrnehmung ist eine sehr einseitige Sichtweise. Ich frage daher immer wieder Menschen, die mir wichtig sind, was sie an mir schätzen und was nicht. Das ist eine gute Methode, um seinen Charakter weiter zu entwickeln.“ So hat er ein klares Bild vor Augen, dem er wie einem Polarstern folgen und an dem er sich immer wieder orientieren kann.

Faszination Geschäftsmodell

Sven schwärmt von der „Schönheit eines Geschäftsmodells“. Das muss er näher erläutern: Wenn ein Problem auf eine andere Art und Weise gelöst wird und das dann ökonomisch Sinn macht. Innovation entsteht u.a. dann, wenn gegebene Faktoren neu kombiniert werden.

Er macht es an einem Beispiel im E-Commerce fest. Wenn man Retouren und Free Shipping als Teil des Geschäftsmodells von Anfang an mit einkalkuliert, kommt man eben auf andere Lösungen – bestes Beispiel ist Zalando. Picnic ist für ihn aktuell das andere Paradebeispiel im Food Bereich: Weg mit der klassischen DHL-Paketdenke, Entwicklung eigener Lieferfahrzeuge, angepasste App-basierte Routenplanung und der Fahrer wird Teil des Kundenerlebnisses.

Grenzen klassischer Denkweisen

Diese Art der Denke kann man seiner Meinung nach auch viel größer stricken. „Vermeide oder bekämpfe Probleme wie Armut, Zuwanderung oder CO2 Ausstoß ist ein alter Denkansatz. Da stoßen wir schnell an Grenzen. Der andere wäre, diese Themen wie eine Ressource bzw. Rohstoff und Teil unserer Gleichung zu behandeln.“ Traditionelle Denkweisen bringen uns nicht weiter.

 

„Content-First ist Maxime: Du musst es schaffen, dass die Leute über deine Inhalte diskutieren. Und den hohen Qualitätsanspruch konsequent verteidigen, besser noch weiter ausbauen.“

 

Das adaptiert er auch für sich persönlich. Er ist der festen Überzeugung, dass die K5 als Plattform durchaus noch ausbaufähig ist. Ideen dafür hat er schon im Kopf. Warum nicht Formate mit exklusivem Zugang zu Wissen und Digital Leadership konzipieren? Noch ist nichts spruchreif. Vielleicht wird das die Basis für ein Sprungbrett, im nächsten Schritt wirklich Veränderungen zu bewirken, die auch einen gesellschaftlichen Wert haben. Indem gegebene Faktoren neu kombiniert werden.

Nicht nur sein Job, sondern seine Leidenschaft: Sven Rittau eröffnet zusammen mit Jochen Krisch die K5 2019 in Berlin.

Ausblick K5 2020: Zehnjähriges Jubiläum

Für die Konferenz am 26./27. Mai 2020 hat er sich zusammen mit dem K5-Team viel vorgenommen. Schließlich feiert die K5 Zehnjähriges! Die Ausstellung ist schon so gut wie ausgebucht. Noch wird intensiv am Programmkonzept gearbeitet. Sven verrät schon mal so viel, dass es eine zweite Content-Bühne geben und sich die Konferenz internationaler ausrichten wird. Stay tuned!

 

 

 

 

Weiterführende Links

K5 2020

Cheftreff Podcast

Global Online Retail Fonds

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Brax Kollektion 2019

Warum Vertrauen wichtig für eine erfolgreiche Transformation ist

Die Modebranche hat es in den letzten Jahren nicht leicht gehabt. Viele namhafte, alteingesessene Unternehmen der Branche haben Insolvenz anmelden müssen. Der größte Vorwurf: mangelnde Agilität! Viel zu sehr hat man an alten Strukturen festgehalten, viel zu wenig hat man in Neues investiert, oft mangelte es an Vertrauen in den Change-Prozess. Ein Unternehmen, das den Spagat zwischen Tradition und Moderne offensichtlich gut hinbekommt, ist die Leineweber GmbH aus Ostwestfalen, die mit ihrer Marke Brax 2018 einen Umsatzrekord verzeichnen konnte. Ich wollte von Marc Freyberg, Director Marketing & E-Commerce sowie Unternehmenssprecher bei Brax wissen, wie man es als 130 Jahre altes Unternehmen schafft, nicht betriebsblind zu werden und welche Rolle in all der Disruption das Wörtchen „Vertrauen“ spielt.

 

Marc Freyberg von Brax spricht über Vertrauen
Marc Freyberg von Brax spricht über Vertrauen

Herr Freyberg, Sie sind seit fast 29 Jahren bei der Leineweber GmbH – und das soll in Ihrer Firma keine Seltenheit sein! Welche Message steckt aus Ihrer Sicht hinter dieser Tatsache?

Ehrlich gesagt, kommt es mir manchmal auch komisch vor, dass ich seit meinem Abitur immer nur in einer Firma gewesen bin. Aber wir bei Brax leben tatsächlich diesen „Fordern & Fördern“-Ansatz. Der ist für uns existentiell, denn für unseren Standort ist es nicht immer leicht, geeignetes Personal zu finden. Wir schauen genau, welche Person an welcher Stelle am besten eingesetzt ist, wie man Talente fördert und intern aufbauen kann. Ich selbst bin sicherlich ein Beispiel dafür! In unserer HR-Abteilung ist ein großer Teil des Teams mit Personalentwicklung beschäftigt.

„Nur mit Leidenschaft, Information und gegenseitigem Vertrauen kann man digitale Transformation meistern.“

 

Wie hoch ist die Mitarbeiter-Fluktuation in Ihrem Unternehmen?

Die Mitarbeiterfluktuation in unserem Headoffice in Herford ist tatsächlich sehr gering, sie liegt bei drei Prozent. In den Läden sieht das sicherlich anders aus, dort ist sie höher, wie überall im Handel. Ich glaube es gibt nicht viele Läden, die über ein Jahr hinweg mit dem gleichen Team am Start sind.

 

Stellt sich bei einer so langen Betriebszugehörigkeit nicht auch die Gefahr der Betriebsblindheit ein?

In unserer Zeit ist es immens wichtig, Entwicklungen in der Branche und der Gesellschaft nicht zu verschlafen. Bis 2009 waren wir ausschließlich über den stationären Handel am Markt vertreten, seit 2009 haben wir den Online Shop, später kamen Marktplätze hinzu. Heute liegt der  Umsatzanteil über E-Commerce bereits bei ca. 10 Prozent. Um solch einen Change-Prozess umzusetzen, braucht es Impulse von außen - aber auch festes Vertrauen innerhalb eines Unternehmens – zwischen Management und Mitarbeiter. Ich glaube nicht, dass ich betriebsblind bin.

 

Woher holen Sie sich die Impulse für neue Wege?

Ich bin viel unterwegs, kenne die Sicht des stationären Handels, des E-Commerce, der Hersteller. Vor allem aber rede ich viel mit Leuten, frage, wie macht ihr das und warum und bin einfach neugierig auf neue Ideen und Denkweisen. Auch auf Konferenzen und besonders in den Gesprächen zwischen den Slots hole ich mir wichtige Impulse für mein Business.

 

In 30 Jahren haben sich die Anforderungen an Führung und Mitarbeiter stark verändert. Warum braucht es heute einen anderen Führungsstil als früher?

Die Führung von Mitarbeitern hat sich grundlegend verändert. Ging es vor 30 Jahren nur top-down, ist das Verhältnis zwischen Führung und Mitarbeitern heute kooperativ und auf Augenhöhe. Bei uns beispielsweise erfolgen Feedbackrunden stets in beide Richtungen. Und kein Mensch will heute mehr eine austauschbare Nummer in einem Betrieb sein und nur Anweisungen umsetzen. Mit solchen Mitarbeitern könnte man eine Herausforderung wie die Digitalisierung auch nicht stemmen. Nur mit Leidenschaft, Information und gegenseitigem Vertrauen kann man sie meistern. Besonders wichtig ist mir in diesem Zusammenhang die Information, denn wie man so schön sagt: Information ist der Sauerstoff der Motivation!

 

Inwiefern stellt die digitale Transformation dieses Vertrauen auf eine Probe?

Weil alles immer schneller geht! Mitarbeiter brauchen Sicherheit und so etwas wie ein Gefühl von Geborgenheit im Unternehmen. Nur dann sind sie auch bereit, neue Wege zu beschreiten, denn das ist immer ein Risiko. Es ist wichtig, dass Mitarbeiter der Führung vertrauen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Im Gegenzug muss die Führung dem Team vertrauen, diese richtig umzusetzen. Dabei ist es auch wichtig, Fehler zuzulassen. Denn wer keine Fehler machen darf, wird sich auch nicht in neue Themen stürzen.

 

„Wir sind ein Familienunternehmen. Vertrauen zwischen Familie und Mitarbeiter ist uns extrem wichtig, weil wir den Zusammenhang zwischen Geborgenheitsgefühl und Innovationskraft kennen.“

 

Wie sieht eine Arbeitsbeziehung aus, in der dieses Vertrauen gestört ist?

Dann haben Sie Mitarbeiter, die nur Dienst nach Vorschrift machen oder – noch schlimmer – innerlich schon gekündigt haben. Mit so einem Team schaffen Sie keinen Change-Prozess. Wir dagegen haben sehr viele Anstrengungen unternommen, um dauerhaft ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Uns ist klar, dass Generationen unterschiedlich ticken und unser Unternehmen muss für alle passen. Und wenn es nicht passt, muss man eben seine Unternehmenskultur neu erfinden. Wir haben dieses Ziel bisher erfolgreich gemeistert. Der Beweis: In der Textilwirtschaft Arbeitgeberstudie belegen wir im Bereich soziale Verantwortung Platz 1.

 

Was können Sie Unternehmen empfehlen, die - wie Sie - in der Peripherie angesiedelt sind? Welche Themen sind wichtig für neue und alte Mitarbeiter?

Ich bin überzeugt, dass jedes Unternehmen, egal wo es angesiedelt ist, mit Selbstvertrauen punktet. Es ist das Paket, das stimmen muss. Arbeitnehmer wollen heute ein spannendes Aufgabenfeld, eine gute Work-Life-Balance und eine angemessene Bezahlung. Zudem wollen ja nicht alle Menschen in der Stadt leben, denn das Land bietet ja auch Vorteile, vor allem wenn man langfristig bleiben möchte.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Freyberg!

 

Weiterführende Links:

Online-Shop von Brax

Corporate Site von Brax

 

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bild von Unternehmerin Und Verkaufsprofi Judith Williams

Judith Williams:
„Bequemlichkeit ist die Eintrittskarte zur Bedeutungslosigkeit.“

Judith Williams ist ein Star des Verkaufsfernsehens, erzielt dreistellige Millionenumsätze mit ihrer Luxuskosmetiklinie und ist Investorin bei der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“. Als ich die Unternehmerin beim #UdZ-Regionaltreffen bei Amazon im 24. Stock des Münchener Highlight Towers treffe, kann ich mir eine Vorstellung davon machen, warum sie alles zum Verkaufsschlager macht. Das positive Lebensgefühl und die Empathie, die sie versprüht, inspiriert jeden Anwesenden im Raum. Im Interview verrät sie mir dann ihr Erfolgsrezept und wie sich Verkaufsprinzipien von Teleshopping auf den digitalen Handel übertragen lassen.

In nur einer Dekade ist die Judith Williams GmbH zur erfolgreichsten Marke im europäischen Homeshopping geworden. Wie erklärst du dir im Rückblick diesen kometenhaften Aufstieg deines Start-Ups?

Um ganz ehrlich zu sein, die wichtigsten Eigenschaften, die man als Unternehmensgründer braucht, sind Demut, Fleiß sowie der Wille, immer wieder aufzustehen und Niederlagen als Chancen zu sehen. Weil ich nicht Betriebswirtschaft studiert hatte, musste ich alles von der Pike auf lernen, aber ich glaube, auch dies war ein Grundstein für den Erfolg. Es war mein ungebändigter Wille, die Arbeitswelt positiv zu beeinflussen. Denn Bequemlichkeit ist die Eintrittskarte zur Bedeutungslosigkeit.

 

"Es ist nicht das Produkt, das du verkaufst, sondern ein Bedürfnis, das du stillst." Judith Williams

 

Bist du auf deinem Weg auch an den Punkt des Zweifelns gekommen?

Ohja, da gab es einige schlaflose Nächste. Allein wenn ich an die Kreditvergabe zur Vorfinanzierung für Wachstumsprogramme meiner Kosmetiklinie denke. Ich hatte Termine bei Banken und wusste, wenn das nicht klappt, dann steht alles auf dem Spiel. Und da hatte ich nicht nur die Verantwortung für mich selbst, sondern auch für 50 Mitarbeiter.

Vera Vaubel und Judith Williams
changelog-Autorin Vera Vaubel trifft Judith Williams zum Interview im Highlight Tower in München.

Wie bist du damit umgegangen?

Dazu vielleicht eine Vorgeschichte: In meiner persönlichen Krise, da war ich Mitte Zwanzig, als ich aufgrund der Hormonbehandlung meines Tumors meine Stimme verlor und meine Karriere als Sängerin aufgeben musste, hat mich mein Vater eines gelehrt: Kein Selbstmitleid zulassen, Demut lässt sich lernen. Nutze Krisen dazu, dich persönlich weiter zu entwickeln. Diese Erfahrung hat mir auch als Unternehmerin sehr geholfen.

Die Marke lebt von deiner Person und deiner Gabe im Fernsehen zu verkaufen, du hast deine Brand auch ins klassische Retailgeschäft gebracht. Hast du jemals darüber nachgedacht, auch digitale Verkaufskanäle zu nutzen?

Online steht definitiv auf unserer Agenda. Wir haben da einiges vor, aber leider kann ich heute dazu noch nicht mehr verraten.

Glaubst du, dass sich die Verkaufsprinzipien von Homeshopping auch auf den Online-Handel übertragen lassen? Was können Online-Shops von dir lernen?

Ich denke, es ist die Sicht der Dinge. Es ist nicht das Produkt, das du verkaufst, sondern ein Bedürfnis, das du stillst. Und jeder, der etwas verkaufen will, muss sich die Frage stellen: Wie erfüllt mein Produkt die Träume meiner Kunden? Das erreichst du mit Storytelling. Nur mit Emotionalität bleibst du relevant. Das funktioniert im Teleshopping und ich bin überzeugt auch in jedem anderen Verkaufskanal, also auch im digitalen Handel.

Was rätst du den Kandidatinnen des Start-Up Programms „Unternehmerinnen der Zukunft“, bei dem du Schirmherrin bist?

Seid mutig. Investiert in euch selbst und reflektiert. Stellt euch die Fragen "Wer bin ich?", "Wo stehe ich?", "Wo will ich hin?". Vertraut eurem Instinkt. Eure Coaches geben euch professionelle Ratschläge, aber die Entscheidung, wo euer Weg und der eures Unternehmens hinführen, die trefft ihr immer selbst. Das Erfolgsrezept liegt in jedem einzelnen von uns.

 

„Mut ist Angst in Bewegung.“ Judith Williams

 

Du bist ein Rolemodel in Sachen Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Was muss sich deiner Meinung nach in der Gesellschaft ändern, um den Aufstieg von Frauen ins Topmanagement zu erleichtern?

Die Erwartungshaltung, dass Frauen beruflich in eine Sackgasse geraten, wenn sie eine Familie gründen, ist obsolet. Wir müssen das alte Rollenverständnis aufbrechen, und da hat jeder seinen Beitrag zu leisten. Dazu müssen in der Familie die Ehemänner genauso viel beitragen wie die Schwiegermütter. Unternehmer müssen Eltern ermöglichen, Kinder in ihre Arbeitswelt zu integrieren. Das sind jetzt nur zwei Beispiele. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Denn wir können es uns heute in Zeiten des Fachkräftemangels nicht leisten, auf Frauen in der Arbeitswelt – die ja meist gut ausgebildet und hochqualifiziert sind -  zu verzichten.

Du stehst selbst für Veränderungen ein und hast dich auf deinem Karriereweg schon oft einem Wandel unterzogen. Wie sehen deine Zukunftspläne aus?

Ich habe von so vielen Menschen gelernt und ich bin momentan an einem Punkt, wo ich mein Wissen gerne teilen und weitergeben möchte. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, Menschen und vor allem junge Frauen zu inspirieren und in eine positive Richtung bewegen.

Vielen Dank, liebe Judith, für den offenen Dialog!

 

Weiterführende Links:

Mehr über Judith Williams

Information über das Programm Unternehmerinnen der Zukunft

 

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K5 Masterclass Titel

Fashion als Botschafter für Werte

Was verstehen wir heute im digitalen Zeitalter unter unternehmerischer Wertschöpfung? Geht es wirklich nur noch um Gewinnmaximierung, Effizienz und Convenience? Um höher – schneller – weiter? Sind das wirklich die einzigen Werte, die wir durch Innovation und Technologie schaffen sollten? In unserer Masterclass auf der K5 2019 haben wir genau diese Fragen diskutiert. Und Denkanstöße aus der Fashionbranche erhalten, die zeigen, dass Nachhaltigkeitskonzepte nicht nur sehr vielfältig sein können sondern auch erheblich zur Wertschöpfung in unserer Gesellschaft beitragen.

Es war schon ein interessanter Anblick: Gefühlt ALLE weiblichen Teilnehmerinnen der gesamten K5 befanden sich in unserer Masterclass und sorgten für vollbesetzte Stuhlreihen – während in den fünf benachbarten Masterclasses die Männer die Hoheit hatten und über neue Wege im E-Commerce sprachen - allerdings aus einer gänzlich anderen Perspektive. Mit Mona Buckenmaier (RIANI), Julia Zirpel, (the wearness) sowie Vera Günther, (mimycri) sprachen wir über ihre persönlichen und unternehmerischen Erfahrungen zum Thema „nachhaltiger Wertschöpfung in der Fashionbranche“. Hier die Learnings und Denkanstöße für einen erweiterten Blick auf das Thema Wertschöpfung.

Nachhaltiger Umgang mit der Ressource Mensch

Mit einem geschätzten Wert von 55,6 Mrd. EUR ist die deutsche Textilwirtschaft die wertvollste in ganz Europa. Allerdings häufen sich in jüngster Zeit die Negativmeldungen: Alteingesessene Unternehmen wie Gerry Weber, Miller & Monroe oder Bree haben in den letzten Wochen Insolvenz anmelden müssen. Das deutsche Modelabel RIANI mit Sitz im schwäbischen Schorndorf ist wirtschaftlich gut aufgestellt. Einen wichtigen Erfolgsfaktor sieht Mona Buckenmaier, Senior Business Development Manager bei RIANI und Tochter des Gründerehepaares, in ihrem nachhaltigen Umgang mit der Ressource Mensch: „Wir investieren viel in unsere Mitarbeiter. Schließlich ist Schorndorf per se kein Fashion Hot Spot. Doch unsere Mitarbeiter kommen und bleiben gerne, weil wir Work Life Balance groß schreiben und einen sehr familiären Umgang pflegen, der viel Lebensqualität bietet.“

Erst 2015 wurde das neue, 10.000 qm große Headquarter eingeweiht und bietet heute neben modernen Arbeits- und Büroräumen eine chillige Dachterrasse und Platz für ein umfangreiches kostenfreies Sportprogramm, einen Day Spa & Beauty-Bereich und eine liebevoll „Cosy Kitchen“ genannte Betriebsküche, in der u.a. die Mütter der Mitarbeiter dreimal die Woche ein abwechslungsreiches Mittagsmenü für die Belegschaft zaubern.

„Nachhaltigkeit leben wir nicht nur in Bezug auf unsere Mitarbeiter. Auch unsere Produktion ist in Europa. Die Fertigung der Prototypen erfolgt in Schorndorf, die Konfektionierung in Ungarn,“ erläutert Mona Buckenmaier. Für RIANI macht sich der nachhaltige Umgang mit der Ressource Mensch bezahlt: „Bei uns gibt es viele Frauen mit Familie in Führungspositionen und wir sind stolz darauf. Beruf und Familie zu vereinbaren, ist manchmal eine Herausforderung, aber es geht. Es ist eine Frage der Wertschätzung, dies möglich zu machen.“

Fashion ohne schlechtes Gewissen: Mode im Einklang mit Werten

Einen anderen Zugang zum Thema Nachhaltigkeit in der Fashionbranche zeigte Julia Zirpel. Sie kennt die Branche aus dem ff und war als ehemalige Moderedakteurin viele Jahre selbst Teil eines sich immer schneller drehenden Modezirkels. „Mir fiel immer häufiger auf, dass Mode heutzutage zum

Wegwerfartikel verkommt: Beiläufig gekauft, achtlos in den Kleiderschrank gehängt und schnell wieder entsorgt“, bringt es Julia Zirpel auf den Punkt. Das Nutzungsverhalten der westlichen Welt steht dabei in keinem Verhältnis zu den schweren Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen, die für die Herstellung der Textilien in Kauf genommen werden. Julia Zirpel will einen Gesinnungswandel in der Gesellschaft forcieren und gründete 2017 the wearness – einen Online-Marketplace für nachhaltige, faire und hochwertige Mode und Beautyartikel.

Damit verknüpft sie hochwertige Mode und tolles Design mit fairen Produktionsbedingungen und Umweltbewusstsein. „Ich glaube an eine unternehmerische Verantwortung, die nicht an den Grenzen von Deutschland oder der EU aufhört. Menschenrechte und Umwelt müssen überall und gleichermaßen geachtet werden - und zwar in der gesamten Produktionskette.“ Julia Zirpel kooperiert daher nur mit Marken, die den strengen Verhaltens-Kodex von the wearness teilen. Zwei Ziele möchte sie damit erreichen: Eine ethisch unangreifbare Mode anbieten und das Bewusstsein für den Wert von Mode schärfen bzw. wiederherstellen. Für Julia Zirpel ist das eine Win-Win-Situation: „Mode ist vor allem auch ein Gefühl. Achtlos gekaufte Mode kann niemals ein Gefühl von Wert auslösen. Und darum geht es ja, wenn wir uns modisch kleiden!“

You are what you wear

Ein noch viel kompromissloseres Unternehmen hat Vera Günther mit dem Fashionlabel „mimycri“ gegründet. Das Berliner Sozialunternehmen stellt aus bereits existierenden Materialien gemeinsam mit Geflüchteten Mode her, zum Teil aus kaputten Flüchtlingsbooten. Damit wird Mode für sie zur Botschaft und der Träger oder die Trägerin zur/m Botschafter/in für Geschichte, Politik und Werte.

„Die Bewegung „You are what you eat“ aus dem Bereich Health Food möchten wir gerne in die Fashionwelt übertragen“, erläutert Vera Günther und hat mit diesem Ansatz schon viele Preise gewonnen. „Innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln, ist aus meiner Sicht die einzige Möglichkeit, in Zukunft unternehmerisch erfolgreich zu sein. Wir leben in einer Zeit, in der wir zu viel produzieren und konsumieren und dadurch nicht glücklich werden. Für die nachkommenden Generationen werden Werte immer wichtiger. Unternehmen sollten daher nicht nur Gewinnmaximierung im Fokus haben sondern Werte schaffen, die nicht ausschließlich finanzieller, sondern auch ökologischer und sozialer Natur sind. Diese Transformation sehe ich als große Chance und Möglichkeit.“

Impulse auf der K5, v.l.: Vera Günther, Julia Zirpel, Mona Buckenmaier mit Masterclass-Host und changelog-Autorin Vera Vaubel

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Fashion und Nachhaltigkeit

Weiterführende  Links

Das war die K5 2019

Analyse von Jochen Fuchs, t3n

Bericht von Esther Schwan auf onlinemarketing.de

Save the Date K5 2020: 26./27. Mai!


Unternehmerinnen der Zukunft Dachterrasse

Förderprogramm Unternehmerinnen der Zukunft: Digital durchstarten

 Auftakt für die dritte Runde des Förderprogramms „Unternehmerinnen der Zukunft“ (UdZ): Im Fokus stehen 20 Geschäftsführerinnen und Firmen-Inhaberinnen. Ihr erklärtes Ziel: In den nächsten sechs Monaten ihr digitales Geschäft auf- oder auszubauen. Ausgewählte Coaches – allesamt erfahrene Unternehmensgründer, E-Commerce Experten, Amazon Händler oder Blogger – stehen den Frauen dabei zur Seite. Auf der Kick-Off Veranstaltung Anfang April in Berlin erklären die Initiatoren des Förderprogramms, warum es für die digitale Poleposition Deutschlands mehr Unternehmerinnen braucht.

Mit-Initiatorin Jasmin Arbabian-Vogel, Präsidentin des Verbands Deutscher Unternehmerinnen, gibt den 20 Kandidatinnen in ihrem Impulsvortrag Denkanstöße, an welchen Faktoren sich wirtschaftlicher Erfolg messen lassen müsse.  Dazu berichtet die aus Hannover stammende Unternehmerin von ihren ganz persönlichen Eindrücken der diesjährigen Hannover Messe. Sie zieht einen Vergleich zwischen den Auftaktreden von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Schwedens Premierminister Stefan Löfven.

Jasmin Arbabian-Vogel, Präsidentin des Verbands Deutscher Unternehmerinnen VdU / Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)

Angela Merkel führt den Erfolg der deutschen Wirtschaft auf drei Säulen zurück:

  • Investitionen der Familienunternehmen
  • Unternehmen haben Wachstum im Fokus
  • Prozessoptimierung in Unternehmen und deren Infrastruktur

Stefan Löfven beschreibt in drei Worten, was die schwedische Wirtschaft erfolgreich macht:

  • Sicherheit
  • Vertrauen
  • Zusammenarbeit

Jedes Land stehe in seinen Erfolgen für sich, so Arbabian-Vogel. Das eine agiert effizienzgesteuert, das andere werteorientiert. Sie ist jedoch der festen Überzeugung, dass die Herausforderung in Zukunft allein durch Wachstum und Investitionen nicht mehr zu bewältigen sei. Sie plädiert dafür, dass sich auch in Deutschland etwas verändern müsse, um die technologischen Veränderungen für sich zu nutzen und das rasante Tempo mitzugehen. „Wir wissen, dass sich die Arbeitswelt in den nächsten Jahren durch Technologien extrem verändern wird – wie genau können wir noch gar nicht abschätzen.“ Umso wichtiger sei es, den Aktionshorizont zu erweitern und die soziokulturellen Entwicklungen stärker in den Fokus nehmen, und zwar um Werte. Diversität sei mehr denn je gefragt, um diese Herausforderungen zu bewältigen. „Frauen müssen im Cockpit der Digitalisierung sitzen und die Wirtschaft von morgen mitgestalten“, so ihr Appell an die Kandidatinnen.

Mehr Reise als Wettbewerb

Federführend beim Förderprogramm #UdZ: Veronika Leitermann, Head of Amazon Seller Service/ Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)

„Für die digitale Poleposition in Deutschland braucht es mehr Unternehmerinnen“, erklärt Veronika Leitermann, Head of Seller Services bei Amazon. Sie bestärkt die Teilnehmerinnen, den Spirit und die Aufbruchstimmung aufzunehmen. „Bei Unternehmerinnen der Zukunft kommen viele unterschiedliche Frauen mit spannenden Erfahrungen zusammen und tauschen sich auf Augenhöhe aus.“ Oft verhindere der Perfektionsanspruch von Frauen, über ihre Erfolge zu sprechen. Dass will sie ändern. Sie will den Kandidatinnen insbesondere Motivation und Inspiration bieten, sich persönlich als Vorbilder zu entwickeln und das Netzwerk des Programms dafür zu nutzen.

Das Programm biete die perfekten Rahmenbedingungen dafür. „Durch den Austausch mit den Coaches und Experten können die Unternehmerinnen in sechs Monaten so viel erreichen, wie sonst vielleicht in ein paar Jahren. Mithilfe von Unternehmerinnen der Zukunft wird ihr Weg ins Digitalgeschäft signifikant beschleunigt“, blickt sie voraus.

Proof-of-Concept für Unternehmerinnen der Zukunft

Wie man diese Chance für sich richtig nutzen kann, weiß Ines Spanier, Vorjahresgewinnern des Wettbewerbs. Die Agraringenieurin ist Gründerin des Unternehmen Farmtex, ein Großhandel für Planen und Folien für die Landwirtschaft. 2011 hat sie sich damit selbstständig gemacht - und hat heute sieben Mitarbeiter. Im Rahmen des Förderprogramms hat sie in den letzten zwölf Monaten für ihren Großhandel ein zweites Vertriebsstandbein aufgebaut und parallel dazu eine Eigenmarke entwickelt.

changelog-Autorin Vera Vaubel im Gespräch mit #UdZ2018-Gewinnerin Ines Spanier / Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)

Den diesjährigen Kandidatinnen gibt sie auf den Weg: „Macht erst mal eine Bestandsaufnahme, steckt euch eure Ziele und verfolgt diese konsequent. Es wird nicht immer reibungslos verlaufen. Ihr werdet auch Rückschläge einstecken müssen!“ Fleiß und Durchhaltevermögen seien absolut erforderlich. Das Programm könne man nicht mal so nebenbei machen. Man müsse sich darauf konzentrieren. Wichtigster Impact: „Vertrau vor allem auf dich selbst“, so Spanier.

Das Programm hat ihr geholfen, wirtschaftlich wie auch persönlich einen Riesenschritt nach vorne zu kommen. Für ihr Unternehmen konnte die 52-Jährige lernen, wie man eine Grundstruktur für den Online-Vertrieb schafft. Aber vor allem in ihrer Persönlichkeit sei sie gewachsen: „Ich habe erkannt, dass ich ein Motivatorin für andere sein kann. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Und außerdem habe ich gelernt, dass man auch in meinem Alter durchaus in der Lage ist, etwas Zeitgemäßes auf die Beine zu stellen.“

 

Weiterführende Links:

Die Kandidatinnen des Förderprogramms #UdZ2019

Erfolgsgeschichte Ines Spanier in der Mitteldeutschen Zeitung

 

 

 


t3n, yeebase media GmbH

t3n-Gründer Andy Lenz im Porträt: „Es ist eine Frage der Zeit, wann zentrale Plattformmodelle abgelöst werden“

Andy Lenz ist Mitgründer der t3n, dem Magazin für digitale Zukunft, und hat eine enorme Erfolgsgeschichte als Herausgeber und Publizist hingelegt. Wir kennen uns seit den Anfängen der t3n und ich schätze ihn als zuverlässigen und inspirierenden Gesprächs- und Kooperationspartner. In einem sehr persönlichen Interview gibt er mir Einblicke in seine Denk- und Arbeitsweise, seine Ideale über die Zukunft, in der die Digitalisierung zu mehr Wohlstand und Gleichverteilung führen soll. Ein Porträt über einen digitalen Pionier.

Andy macht nach dem Abitur beruflich das, was er damals richtig gut kann: Events. Als Selbständiger organisiert er neben Partys auch Clubtouren und tingelt durch die Weltgeschichte. Kein Lebenskonzept auf Dauer, das merkt er schnell. Irgendwie macht er das Geschäft aber doch zehn Jahre lang. Er ist jung. Irgendwann kommt er an den Punkt, wo er einen Ausstieg sucht. Ausstieg durch ein Studium. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits 27 Jahre alt. Er braucht einen Plan, um das schnellstmöglich durchzuziehen. Mit seinem Freund Martin Brüggemann schafft er das Studium Informationsmanagement in gut der Hälfte der Regelstudienzeit mit einem unkonventionellen Konzept: Die beiden teilen sich die Vorlesungen auf, reichen sich Skripten weiter und schulen sich gegenseitig.

Anfänge des Pioniers

t3n Digitale Pioniere
Aktuelles t3n Cover, November 2018. Schwerpunktthema ist "Digitalisierung - was kommt danach?"

An der Fachhochschule Hannover treffen die beiden auf den Journalisten Jan Christe, damals als Hilfswissenschaftler am Lehrstuhl tätig. Er unterstützt sie bei der Idee, ihre Diplomarbeit als Print-Magazin zu veröffentlichten und bringt seine journalistische Kompetenz mit ein. Dann kommt eines zum anderen und lässt sich als Dominoeffekt beschreiben. Die Themen OpenSource und TYPO3, über die sie als First Mover im deutschsprachigen Raum den Content veröffentlichen. Andys Onkel, der im Druckgewerbe arbeitet und ihnen die Möglichkeit verschafft, eine Auflage von 5000 Exemplaren zum Selbstkostenpreis zu drucken. Eine Content-Marketing-Strategie sowie 1000 kostenfreie Magazine als Growth-Hack-Start. Sparringspartner golem.de und heise.de, die mit ihrer enormen Reichweite den Magazinverkauf maßgeblich treiben, sorgen dafür, dass die Ausgabe nach wenigen Tagen vergriffen ist. Und das altbewährte Verlagskonzept, über den Heftversand Daten von Lesern abzugreifen. So baut man Communities auf.

Darauf folgt die Erkenntnis: „Ok, wir sind jetzt ein Start-Up! Wir hatten kein Büro, unsere Idee ist auf unseren WG-Sofas entstanden“, erinnert sich Andy. Und dann haben die drei die Ausschreibung von HannoverImpuls und der Sparkasse an der Uni hängen sehen: Ein Businessplanwettbewerb mit einem Preisgeld von 18.000 EUR für den Sieger. „Da war uns klar, das müssen wir durchziehen.“ Es folgt die Gründung einer GbR, der Businessplanentwurf auf Basis der Diplomarbeit, die Wettbewerbseinreichung. Und am Ende gehen die drei im Jahr 2005 mit einer Grundausstattung an Startkapital als Sieger aus dem Wettbewerb hervor.

Kritische Größe bei Start-Ups

Den daraus resultierenden Erfolg, kann Andy heute rückblickend nur mit dem konsequentem Handeln, Qualitätsbewusstsein und dem Willen zum Erfolg erklären. Er schafft es mit seinen Mitgründern, ein kontinuierliches, lineares Wachstum einer Print- und Onlinepublikation hinzulegen. Im Gegensatz zum allgemeinen Trend der Verlagsbranche, die mit rückläufigen Zahlen zu kämpfen hat. „Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, in einer Krise zu stecken und das meine ich nicht überheblich. Wir gehen in Planungen nicht von „best cases“ aus und arbeiten immer mit großem Puffer.“ Andy ist dankbar, dass die Geschäftsidee und das Businessmodell seit über 10 Jahren jährlich beständig ca. 20 Prozent wachsen. Es hätte auch anders laufen können.

"Organisationsentwicklung ist ein Strategiespiel wie Risiko oder Monkey Island."

Die größte Herausforderung sieht er, als sein Unternehmen die kritische Größe von 30 Mitarbeitern überschreitet. Er bezeichnet das als Meilenstein, weil sich ab diesem Zeitpunkt alles verändert. Nicht nur für ihn, Martin und Jan. Auch für alle anderen Mitarbeiter. „Bei unter 30 Leuten ist man als Gründer noch mittendrin – bekommt alles Operative mit. Danach wird es schwierig. Das fängt mit Kleinigkeiten an, wie z. B. dass alle nicht mehr gemeinsam zum Mittagessen gehen. Dass man plötzlich nicht mehr auf einer Etage arbeitet. Dass nicht mehr alle in einen Meetingraum passen. Der Kommunikationsaufwand wächst exponentiell und man merkt schnell, dass Flurfunk allein nicht funktioniert und wie wichtig Management-, Kommunikations- und Leadershipskills plötzlich werden.“

Holokratie: Effektiv ohne Chef

An diesem Punkt stellt sich natürlich für Andy die Frage, wie man sich als unternehmerische Organisation strukturiert. Obwohl klassisch begonnen, kommt ein hierarchisches Pyramiden-Organigramm für ihn nicht infrage. „Wir wachsen schnell, wir propagieren überall agiles Arbeiten – da können wir unsere Organisation nicht old school strukturieren. Außerdem entspricht das nicht meiner Überzeugung.“ Also stellen die inzwischen vier Geschäftsführer die Firma in Clustern nach Themen auf, die wiederum in Teams unterteilt sind. Die Struktur ist flexibel und ändert sich, wenn sich die Anforderungen verändern. Die Menge an Entscheidungen und Ideen, die im Team gecrowdsourced werden, wächst. Vorbild ist u.a. das von Spotify kultivierte Squad-Framework. „Ziel ist es, den Grad an Eigenverantwortung und Transparenz in den Clustern, bei uns Units genannt, und den darin liegenden Teams Jahr für Jahr zu erhöhen. Ein spannender Prozess, bei dem hier und da noch Rahmenbedingungen fehlen. Es gibt viel gemeinsam zu lernen!“

"Skills lassen sich lernen und vermitteln, Charakter nicht."

Er glaubt fest daran, dass self-managed Teams mit Eigenverantwortung funktionieren, wenn man Stück für Stück die richtigen Voraussetzungen dafür schafft. Dazu gehört in erster Linie, dass jeder Einzelne lernt, unternehmerisch zu denken. Weiter muss die Vision, Kultur und Identität der Firma glasklar und gemeinsam definiert sein. Hierzu wird im Team, über 18 Monate hinweg ein sogenanntes BrandBook entwickelt, dass jedem Mittarbeiter und Partner ausgehändigt wird. Andy interessiert sich für Holokratie als Führungsstil – im Prinzip das Führen ohne Chef. Er hält dies in Reinform zwar für unrealistisch und sagt, dass das schwer umzusetzen ist. Die  Gefahr droht, im Chaos zu enden. Dennoch gewinnt er auch diesem Managementprinzip etwas ab. „Wir stecken immer noch im Prozess – sowas hört nie auf. Spielerisch und iterativ addieren wir, was hilft, Sinn macht und uns zugutekommt: Das Team, aktuell bestehend aus 70 Mitarbeiter*innen, ist jung. Das Durchschnittsalter beträgt 28 Jahre, viele sind digitale Nomaden. Digitale Pioniere wollen das nicht anders und suchen immer nach neuen Wegen."

Motivation und Inspiration

Für ihn persönlich ist seine Arbeit und die Organisationsentwicklung wie ein Strategiespiel. „Früher habe ich stundenlang mit meinen Freunden Risiko oder Monkey Island gespielt – die Parallelen zu heute sind erstaunlich. Daher auch die Idee mit den Digital Pioneers: Da assoziiere ich Enterdeckertum und Abenteuerlust.“ Er sucht das Abenteuer und wägt dabei gleichzeitig das Risiko ab. „Trial and error“, und das mit seinen besten Freunden im Job – sein persönliches Umfeld motiviert ihn enorm. Seinen eigenen Charakter beschreibt er als kreativ, frech und humorvoll. Das spiegelt sich auch in der DNA der t3n wieder. Er legt großen Wert darauf, dass das Team zusammen passt. „Beim Recruiting legen wir mehr Wert auf einen guten und zu uns passenden Charakter mit guten Vorraussetzungen, als rein auf die tatsächlichen Qualifikationen zu blicken. Skills lassen sich lernen und vermitteln, Charakter nicht.“

"Es ist eine Frage der Zeit, wann die datengetriebenen, siloartigen, zentralen Plattformmodelle abgelöst werden."

Gleichzeitig sucht Andy die Inspiration durch den Austausch mit jungen, agilen Unternehmen. Er verschafft sich Zugang zu den Protagonisten. „Ich spreche die Leute gerne direkt an und frage nach, ob sie an einem persönlichen Austausch interessiert sind. Das sind die meisten. Man kann viel voneinander lernen, wenn man mit offenen Karten spielt – und beide Seiten profitieren davon.“ Er zieht dabei den Vergleich zum Trüffelschwein, das bei der Trüffelsuche vom gleichen Motiv geleitet wird wie er bei seinem Business: Leidenschaft.

Mehr Wohlstand durch weniger Kapitalismus

Andy zeichnet ein klares Bild von der Zukunft der digitalisierten Gesellschaft. „Die Automatisierung wird und muss uns helfen, besser zu arbeiten und zu leben. Unsere Lebensarbeitszeit können wir verkürzen. Wenn wir es schaffen, die Digitalisierung und Wertschöpfungsprinzipien positiv zu konnotieren, sind wir in der Lage, mehr Wohlstand für alle zu erzeugen. Mahnende Dystopien gibt es viele, unsere Aufgabe ist es doch, diese zu vermeiden.“ Seiner Auffassung nach können dadurch soziale und ethische Fragen sowie ehrenamtliches Engagement dafür in der Gesellschaft wieder mehr in den Vordergrund treten als rein kapitalistische Prinzipien. Ähnliches gilt für die Funktionsweise des Internets. Die Zukunft sieht er in blockchainbasierten, dezentralen Plattformen und Technologien. „Es ist eine Frage der Zeit, wann die datengetriebenen, siloartigen zentralen Plattformmodelle abgelöst werden. Aus meiner Sicht und aus Infrastruktursicht hat der Prozess der Umverteilung mit der Schaffung von dezentralen Datenspeichern, dezentralen Währungen und dezentralen Anwendungen (DAPPS) bereits begonnen.“

 

Weiterführende Links

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Digital Pioneers