Run auf Digital-Kompetenz

Run auf Digitalkompetenz: Sportbranche kauft digitales Know-how

Wer heute im Handel erfolgreich sein will, braucht digitales Know-how und Leute, die eine ambitionierte Digital-Strategie umsetzen können. Inhouse sind diese aber kaum zu finden und auch am Arbeitsmarkt sind sie Mangelware. Was also tun, wenn Warten keine Option ist? Statt langwierig eigene Teams aufzubauen, geeignete Ideen zu entwickeln oder das Business ganz auszulagern, ist der Kauf von Digital-Agenturen oder Start-ups eine interessante Option.

Es gibt eine ganze Reihe von Händlern, die durch den Einkauf von Digital-Expertise zum wichtigen Player im E-Commerce geworden sind: Das bekannteste Beispiel aus Deutschland ist Otto mit AboutYou. Der Onlineshop ging erst 2014 online und gehört heute zu den fünf umsatzstärksten Onlineshops für Mode. Er entstand aus der Zusammenlegung mehrerer Digital-Agenturen, nachdem die Otto Gruppe diese gekauft hatte. Auch Zalando konnte sein Wissen durch Übernahmen ausbauen - z.B. mit dem Plattformspezialist Tradebyte. Wie sieht es bei den Sportunternehmen aus?

Internationale Sportbrands kaufen digitales Know-how ein

Wer den Sportmarkt nach interessanten IT-Übernahmen absucht, stößt zunächst mal auf die Big Player: Adidas, Under Armour und Nike. Nike holte sich erst im Sommer neue Digitalkompetenz ins Haus mit der Übernahme des IT-Unternehmens Celect. Die 2013 gegründete Firma hat sich auf vorausschauende Datenanalyse für die Einzelhandelsbranche spezialisiert. Im Jahr zuvor hatte sich Nike bereits die New Yorker Digital-Agentur Zodiac und das IT-Startup Invertex aus Israel einverleibt. Under Armour und Adidas erhielten mit dem Kauf von Fitness Apps gleichzeitig IT-Knowhow und ein fertiges Produkt. 2019 investierte Adidas eine Million Euro in ein Start-up Inkubator Programm um neue Geschäftsideen für die Sportindustrie zu entwickeln. Auch beim Verkauf von SportScheck an GKK dürfte die Digitalkompetenz der Münchner eine wichtige Rolle gespielt haben.

Auch der Mittelstand zieht nach

Doch es gibt auch Mittelständler, die lieber einkaufen gehen statt Agenturen zu beauftragen. Rose Bikes aus Bocholt übernahm 2019 die preisgekrönte Essener Agentur Kommerz. Zu den 450 Mitarbeitern des traditionsreichen Versand- und Onlinehändlers mit drei stationären Geschäften kamen noch 27 Kreative hinzu, die sich voll und ganz auf Digitalisierung und E-Commerce fokussieren konnten. „Entweder suchst du 27 Leute, die zu einem Team werden müssen, oder du kaufst ein Team“, erklärt Marcus Diekmann, CCO und CDO von Rose Bikes. „Obwohl wir gerade sehr erfolgreich sind und einen guten Vorsprung haben, ist klar, dass sich der Handel immer schneller wandelt, deshalb müssen auch wir an Geschwindigkeit zulegen – und das bezogen auf unsere Evolutionsstufen, unsere Arbeitsweise und unsere Ressourcen. Aus dem Grund haben wir uns zur Verschmelzung mit Kommerz entschieden.“

Unternehmensanteile als Anreiz

Diekmann gehört selbst zur Rose Geschäftsführung und hat vorher mehrere Digitalisierungsprozesse in Unternehmen geleitet und Agenturen geführt. Seine ersten Maßnahmen bei Rose: „Als Erstes haben wir gemeinsam die typischen Drei-Jahrespläne über Bord geworfen“, so Diekmann. „Das sind viel zu lange Zeiträume.“  Stattdessen hat er mit dem Team eine sehr klare Marschroute entwickelt, die festlegt, wo Rose Ende 2020 stehen soll – in den Bereichen Brand, Produkt, Preis, Reichweite, Service, Features, Organisation, Technik und Prozesse.

Transformationsbereitschaft ist sein Dauerziel. Bei der Transaktion floss kein Geld, es wurden nur Anteile vergeben. So will Rose Unternehmergeist und Kreativität im Kommerz Management lebendig halten. Das war auch der Grund für die jüngste Gründung eines Joint Ventures in der Schweiz, das seit Dezember den schweizerischen Markt aufbauen soll. „Ich habe schon oft gesehen, wie kleine, agile Unternehmen in neue Firmen integriert wurden: Man zahlt den Inhabern Geld und nimmt ihnen die Motivation, man tötet das Unternehmertum“, so Diekmann. In Bezug auf das Wachstum scheint die Strategie aufzugehen: Für das Jahr 2018/2019 meldet Rose ein Umsatzwachstum von 20 Prozent auf 102 Millionen Euro, 2020 sollen es 125 Millionen Euro werden.

Weiterführende Links:

Kommentar: Gute Zeiten für den Verkauf von Digital-Agenturen

Blick auf andere Branchen: VW übernimmt  Digitalagentur Diconium komplett

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Retouren senken durch bessere Passform

So macht es Zalando: Retouren senken durch bessere Passformen

Zalando möchte, dass weniger Kunden ihre Kleidung wegen Passformproblemen zurückschicken. Denn obwohl Auswahlkäufe im Fashion-Onlinehandel zum Geschäftsmodell dazu gehören, verursachen sie hohe Kosten – und auch der Kunde ist enttäuscht, wenn der bestellte Sneaker wider Erwarten nicht passt. Aktuelle Studien besagen, dass jeder retournierte Fashionartikel den Händler durchschnittlich rund 5 Euro kosten – bei einer Retourenquote von fast 40 Prozent kommt das die Händler also teuer zu stehen. Retouren senken steht daher weit oben auf ihrer To-do-Liste.

Bei Zalando erfolgen etwa ein Drittel aller Retouren aufgrund von zu klein oder zu groß bestellten Artikeln. Um die Retouren zu senken, hat der IT-Konzern viele innovative Ideen – die meisten davon sind aber noch Zukunftsmusik. Bis sie einsatzfähig sind, behilft sich Zalando erstaunlich klassischer Methoden. Ich habe mit Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando, über ihre Pläne gesprochen.

Wie steht Zalando zu Retouren?

Retouren sind für Zalando im Allgemeinen kein Problem. Wir sehen es als einen wichtigen Teil unseres Leistungsversprechens für unsere Kunden. Wenn ihnen ein Artikel nicht gefällt, können sie ihn zurückgeben, so wie sie ihn in einem Offline-Shop wieder zurück ins Regal legen können. Durch Verbesserungen im Online-Kundenerlebnis können jedoch größenbedingte Retouren reduziert werden. Während eine Offline-Umgebung es dem Kunden ermöglicht, Artikel anzuprobieren, beinhaltet der Onlinekauf von Kleidung den zusätzlichen Schritt einer Rückgabe. Dieser zusätzliche Schritt erfordert, dass wir prüfen, wie wir den Kunden vor dem Kauf eine Größen- und Passform-Beratung anbieten können, um eine unnötige Rückgabe zu vermeiden.

Retouren senken ist ein wichtiges Thema im Online-Handel. Andere Anbieter schränken bereits ihren kostenlosen Versand ein. Ist das auch für Zalando eine Option?

In einigen Märkten haben wir einen Mindestbestellwert eingeführt, wie viele andere Anbieter auch. Dies ist in Deutschland derzeit nicht der Fall.

Die Bestellung eines Produkts in verschiedenen Größen ist einfach und kostenlos. Wie wollen Sie Ihre Kunden motivieren, nur eine Größe zu bestellen?

Für Kunden, die mehrere Größen bestellen und die meisten zurückschicken möchten, ist diese Option weiterhin kostenlos verfügbar, sie ist wie gesagt ein wichtiger Teil unseres Leistungsversprechens. Wir möchten den Käufern jedoch Ratschläge geben, um ihr Erlebnis zu verbessern. Innerhalb des Sizing-Teams tun wir dies durch Beratung zu Größe und Passform. Wenn wir Kunden davon überzeugen können, dass unsere Sizing-Beratung einen Mehrwert für ihre Erfahrung darstellt, dann hoffen wir, dass sie bei der ersten Bestellung die richtige Größe erhalten. Wir hoffen, das gibt ihnen das Vertrauen, neue Marken und Looks zu entdecken.

In den letzten Jahren gab es verschiedene Ideen, wie man passformbedingte Retouren reduzieren kann. Das bisherige Problem bestand darin, die Daten der Kunden mit den Daten der Produkte abzugleichen. Wie bekommen Sie die Maße der Kleidung und der Kunden?

Unsere Beratung für die aktuelle Größe konzentriert sich auf ein tiefes Verständnis unserer Produkte. Wir bieten unseren Kunden eine Größenberatung zu rund 80 Prozent unseres Sortiments in zwei Formen an: Die erste ist eine Größenmarkierung, die den Kunden darüber informiert, ob bestimmte Artikel größer oder kleiner ausfallen. So kann der Kunde die Wahl treffen, eine Nummer größer oder kleiner zu bestellen. Die zweite Form der Beratung ist eine personalisierte Größenempfehlung, bei der wir aktiv eine bestimmte Größe empfehlen, die sowohl auf unserem Verständnis des Produkts als auch auf der Kaufhistorie des Kunden und den Präferenzen bei Größe und Marke basiert.

Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando spricht über Retourenvermeidung

"In Zukunft erforschen wir außerdem neue Technologien, wie z.B. die visuelle Anpassung. Der Schlüssel dazu sind die Körpermaße der Kunden und ihre Bereitschaft, uns diese Informationen zur Verfügung zu stellen", Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando

Wir erforschen Methoden wie beispielsweise die Verwendung von Smartphones zur Erzeugung von 3D-Bildern von Kunden und ermöglichen es Kunden, Avatare auszuwählen, die ihrem Profil entsprechen. Aber das alles ist noch in der Zukunft. Ziel ist es, unsere Expertise bei den Produktdaten mit einem besseren Verständnis über unsere Kunden zu verbinden und ein besseres Kundenerlebnis zu bieten.

Wie findet Zalando heraus, welche Abmessungen ein Produkt hat? Kommen die Maße von den Herstellern oder anderen Datenlieferanten?

Nach unserer Erfahrung sind Messungen der Hersteller nicht immer zuverlässig. Dies hat viele Gründe, z.B. wenn sich das Material des Endprodukts vom Muster unterscheidet. Deshalb testet unser Team von Passformmodels bei den 80 Prozent der Artikel, die in den Shop kommen, ob sie maßgerecht sind. Diese Produkte werden anprobiert und ausgemessen. Dies alles trägt dazu bei, dass wir unsere Produkte besser verstehen. Außerdem erforschen wir hier Technologien, wie z.B. die Computer-Vision zur Bestimmung von Messungen und ob ein Gegenstand wahrscheinlich größenbedingte Probleme hat oder nicht, basierend auf einem Machine-Learning Algorithmus.

Es gibt erste Versuche, die Körpermaße auf der Grundlage umfangreicher Reihenmessungen von Menschen in verschiedenen Ländern zu bestimmen und daraus Fit-Daten abzuleiten. Arbeiten Sie mit solchen Projekten?

Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Teams in der gesamten Modebranche zusammen, die an der Größe und den dazugehörenden Themen forschen. Im Moment würden wir keine konkrete Zusammenarbeit öffentlich bekannt geben.

Eine Messung von Körper und Kleidung allein reicht wahrscheinlich nicht aus, um Passformen in der Kleidung zu definieren, insbesondere Skinny Fit Passformen. Wie löst man das Problem?

Dabei hilft uns unser Team von Fittingmodels. Wir haben rund 30 Models, die eine Vielzahl unseres Sortiments anprobieren: Schuhe, Jeans, Kleider, Hemden und viele andere Artikel. Unsere Fittingmodels bestimmen, ob ein Gegenstand maßgerecht ist oder ob die Passform tatsächlich etwas größer oder kleiner als die angegebene Größe ist. Unsere Models wissen, wie Skinny Fit Artikel passen sollen und geben uns den nötigen Input, ob wir eine Größenempfehlung für den Artikel abgeben sollten oder nicht.

Gibt es Lösungen, um den Stretcheffekt von Stoffen zu berechnen und ihn in Passformmodelle zu integrieren?

Stretch ist stark von der Stoffzusammensetzung abhängig; wir erforschen verschiedene Wege, um Daten über die Stoffzusammensetzung zu erhalten und daraus Regeln abzuleiten. Es ist noch zu früh, um über diese Experimente zu sprechen.

Ist die Größenberatung für alle Produkte und Zielgruppen geeignet? Womit haben Sie begonnen?

Wir haben mit Schuhen begonnen und uns dann entschieden, in drei weitere Kategorien zu wechseln: die Kategorien, die am häufigsten aufgrund von Größenproblemen zurückgeschickt werden, die schwer zu reparieren sind und die einen hohen Wert für die Kunden haben. Dazu gehören Jeans, Damenkleider und Herrenhemden. Wir haben jetzt außerdem noch Shorts und Jacken hinzugenommen. Grundsätzlich können alle Produkte angepasst werden, aber wir passen derzeit noch nicht die Kategorien Sport und Kinder an.

Sind unsere heutigen Kleidergrößen überhaupt noch ausreichend, um unseren Körper zu beschreiben?

Auf keinen Fall! Größensysteme, die zum Verkauf von Kleidung und Schuhen verwendet werden, sind ziemlich starr - menschliche Körper nicht! Wir verwenden diese Systeme heute in dem Bewusstsein, dass sie im Laufe der Zeit durch etwas ersetzt werden, das sich mehr um den Körper des einzelnen Kunden und seine Passformpräferenzen dreht. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Sie keine Größe wählen müssten, um eine Jeans zu kaufen - wie toll wäre das!

Brauchen wir also bald keine Kleidergrößen mehr, weil wir Produkte personalisiert produzieren?

Das ist definitiv eine Möglichkeit, aber sie liegt noch weit in der Zukunft. Unsere aktuelle Vision ist es, Größenprobleme bei Massenbekleidung durch entsprechende Beratung zu lösen. Natürlich schreiten die Technologien in einem unglaublichen Tempo voran, deshalb glaube ich, dass personalisierte Kleidung etwas ist, was wir in naher Zukunft sehen werden.

Wie arbeiten Sie mit Ihren Lieferanten zusammen, um die Passgenauigkeit zu erhöhen?

Derzeit besteht unsere Aufgabe darin, unsere Kunden auf der Grundlage der Produkte unserer Lieferanten zu beraten. Wir führen jedoch auch einen Dialog mit unseren Partnern, und informieren unsere sie darüber, welche Größen-Ratschläge wir unseren Kunden geben, und über die Möglichkeiten, die sie haben, das Erlebnis für unsere Kunden zu verbessern.

Zalando entwickelt eigene Kollektionen. Wie nutzen Sie Ihr Wissen über die Körpermaße Ihrer Kunden bei der Entwicklung neuer Produkte?

Unser Private Label-Team nutzt die Sizing-Daten zur Optimierung seiner Produkte. An den Eigenmarkenprodukten werden regelmäßige Rücklaufanalysen durchgeführt und diese Daten mit den Größenangaben verglichen. So stellen wir fest, inwieweit Größenprobleme die Ursache für die Rückgabe sein können.

Weiterführende Links:

Studie des EHI Retail Institut: https://www.ehi.org/de/pressemitteilungen/geklickt-gekauft-und-retourniert/

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Interview Ryan Mullins: Über das Verschwinden des Digitalen

Fashion als Botschafter für Werte


Bild von Digitalem Visionär: Ryan Mullins

Interview Ryan Mullins:
Über das Verschwinden des Digitalen

Ryan Mullins ist Serial Entrepreneur, digitaler Vordenker und Visionär. Die letzten zwei Jahre hat der US-Amerikaner als Director of Future Trends bei Adidas digitale Zukunftstrends beobachtet und die Sportmarke hinsichtlich ihrer digitalen Strategie beraten. Alles, was Ryan tut, dreht sich um das, was er das Prometheus-Prinzip nennt: Werkzeuge und Technologien demokratisieren, um zu sehen, was Menschen erschaffen. Jetzt gründet er in den USA ein neues Unternehmen, das digitale Streetwear-Startup Aglet. Auf dem Ispo Digitize Summit sprach ich mit Ryan über das Verschwinden des Digitalen und die Rolle von Technologien. Und er verrät seine Learnings, die er Marken und Händlern mit auf dem Weg gibt.

Ryan, wie siehst du die Zukunft des Handels? Welche Rolle werden Brands spielen, welche Händler?

Ich sehe den Handel im Kontext einer wesentlichen Entwicklung: Das Verschwinden des Digitalen. Der stationäre Handel hat einen Fehler gemacht, als er iPads, Screens, magische Spiegel etc. in die Läden gestellt hat in der Hoffnung, der Kunde würde das wollen. Tatsächlich schaffen diese Geräte aber Hindernisse für das Markenerlebnis und die Kommunikation zwischen Kunde und Verkäufer. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Zukunft immer weniger kommerzielle Transaktionen im Laden durchführen, das klassische Kaufen wird mehrheitlich online erfolgen. Dafür wird der stationäre Laden für den direkten Kontakt mit der Marke immer wichtiger. Hier findet das Testen von Produkten statt. Es wird mehr Direct-to-Consumer Handel geben und vor allem mehr Consumer-to-Consumer Handel.

 

"Was ich mit Verschwinden des Digitalen meine: Das Digitale wird für uns so selbstverständlich und omnipräsent werden wie es für uns heute die Elektrizität ist."

 

Was genau meinst du mit Consumer-to-Consumer?

Consumer-to-Consumer ist die Weiterentwicklung von eBay oder StockX, also Plattformen, wo Konsumenten an Konsumenten verkaufen. Wenn Produkte wie beispielsweise Sneaker mit den entsprechenden Chips ausgestattet sind, wird derjenige, der die Schuhe trägt, zum Verkäufer, einfach indem die Schuhe gescannt werden. Technologie wird jedem ermöglichen, zum Verkäufer zu werden. Nicht alle kommerziellen Transaktionen werden so ablaufen, aber wir werden hier eine signifikante Steigerung sehen.

Welche Rolle werden dann die Marken haben?

Marken stehen nicht für Produkte, sondern sie bieten den Kunden einen Raum an, wo Kunden Erfahrungen machen können, wo sie ihren Visionen nachgehen können, wo sie ihr Leben ändern können. Sport ist schon immer mit Orten assoziiert, wie z.B. Fußballplätzen, Fitnessstudios etc. In Zukunft wird es für Marken darauf ankommen, diese Orte mit der Marke zu verknüpfen oder selbst zu so einem Ort zu werden. Apple ist dafür ein gutes Beispiel: Wenn man in einen Apple Store geht, kann man dort natürlich auch Dinge kaufen, aber vor allem geht es darum, dort Produkte zu testen. Der Laden funktioniert wie ein Ort, an dem Kunden neue Erfahrungen machen.

Du sprichst über das “Verschwinden des Digitalen”. Was genau wird verschwinden?

Wie oft haben Sie heute schon über die Technologie nachgedacht, die es Ihnen erlaubt, bestimmte Dinge zu tun? Wahrscheinlich so gut wie gar nicht. Das ist eine evolutionäre Entwicklung: Dinge sind nur dann im Fokus der Aufmerksamkeit, solange sie neu sind. Das gilt für die neue Uhr, die neuen Sneaker genauso wie für Technologie. Jede große Technologie wird verschwinden, nicht in dem Sinne, dass es sie nicht mehr gibt, sondern sie wird einfach zu einem Teil unseres Lebens, ohne viel Aufmerksamkeit zu absorbieren. Das Digitale wird für uns so selbstverständlich und omnipräsent werden wie es für uns heute die Elektrizität ist.

 

"Es wird in Zukunft mehr Direct-to-Consumer Handel geben und vor allem mehr Consumer-to-Consumer Handel."

 

Welche Konsequenz hat diese Entwicklung für Marken und Händler?

Die Frage, die sich daraus ergibt, wird sein, wie man als Marke für diese Konsumenten Erlebnisse entwickeln kann? Die Antwort darauf kann nicht lauten, dass wir die Technologie in den Vordergrund stellen und auf VR-Brillen, noch mehr Screens, Magic Mirrors etc. bauen. Man braucht kein Hologramm im Store oder tanzende Außerirdische, um den Konsumenten zu bedienen. Wir müssen nach Anwendungen suchen, die für ihn Sinn machen. Das muss meiner Meinung nach überhaupt nichts super ausgefallenes sein. Die aktuellen Top-Brands für Kids, wie z.B. Supreme oder Balenciaga, sind nicht wegen ihrer Technik angesagt, ihre Attraktivität hat nichts mit Technologie zu tun. Die Magie entsteht allein im Auge des Konsumenten.

Wie kann man diese Magie herstellen- ohne technischen Schnickschnack?

Beispielsweise durch Strategien der Verknappung. Mit den digitalen Plattformen wurde alles überall und jederzeit verfügbar. Deshalb haben erfolgreiche Brands damit begonnen, ihre Produkte zu limitieren. Was ist ein Selfie? Das Festhalten eines ganz bestimmten, nicht wiederholbaren Moments. Diese Momente zu haben und mit anderen zu teilen verleiht heute Status. Genauso ist das mit Produkten. Sneaker sind ein Paradebeispiel für dieses Prinzip. Der Resell-Markt für Sneaker ist dreimal größer als der eigentliche Sneaker Markt! Es gibt Leute, die verkaufen ihre Sneaker schon weiter, bevor sie sie überhaupt bekommen haben. Die Marke spielt hier gar keine Rolle mehr, der Prozess verläuft allein zwischen Konsumenten.

Welche Bedeutung wird in diesem Zusammenhang Customizing  zukommen?

Customizing ist ein großartiges Tool um Läden zu einem besonderen Ort für die Konsumenten zu machen. Die Magie des Ladens entwickelt sich allein daraus, was der Kunde dort machen kann! Die eigene Kreativität und Vorstellungskraft wird zu einem Teil des Geschäfts. Und natürlich ist auch Customization mit dem Konzept der Limitierung verbunden. Viele Konsumenten nutzen diese Möglichkeit schon, aber es wird Zeit, dass diese Idee mithilfe von Machine Learning eine höhere Stufe erreicht. Zwei Probleme sind heute mit Customization verbunden: Selbst designen kostet Mühe und Zeit, und die wollen viele Leute nicht investieren. Ganz nach dem Bestseller „Don’t make me think“: Sobald der Konsument denken muss, geht er. Das zweite Problem: Viele Leute glauben nicht daran, dass sie selbst ein guter Designer sein können. Sobald wir aber soweit sind, über Algorithmen genau die Produkte entwickeln zu können, die dem Konsumenten gefallen, wird Customization zu einer komplett neuen Erfahrung.

 

"Innovationen entstehen durch ungewöhnliche Kombinationen."

 

Welche Rolle wird Geschwindigkeit spielen?

Die Geschwindigkeit, in der künftig Produkte auf den Markt gebracht werden können, spielt eine wesentliche Rolle – es ist kein Zufall, dass gerade die Fast Fashion in den letzten Jahren so stark gewachsen ist. Wir müssen schneller werden! Die ersten Produktbilder erreichen heute schon so früh die Konsumenten, dass sie schon gelangweilt sind, wenn das Produkt erhältlich ist. Die Supply Chain hierfür zu optimieren ist ein Teil des Puzzles. Auch neue Technologien werden hier eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen. Nehmen wir Blockchains oder Kryptowährungen – viele Menschen denken, das sei nur ein Trend. Aber das ist ein Fehler. Blockchains werden Teil der Supply Chain werden, weil sie Transparenz ermöglichen und Nachhaltigkeit nachvollziehbar machen. Noch sind wir nicht soweit, aber viele Leute arbeiten daran.

Wie weit verändert die Digitalisierung den Sport? Wo siehst du weitere Erlösquellen?

Ich möchte es ein wenig umschreiben: Mich hat mal jemand gefragt, wie können die Marken heute wieder dahin zurückkehren, echte Sport Brands zu sein? Zu viele Menschen trügen Sportprodukte ohne wirklich Sport zu treiben, und das schade dem Image. Meiner Meinung nach ist das aber die falsche Frage. Wenn man zurück will, ist das der falsche Weg. Die richtige Frage lautet: Wie bringt man den Sport voran? Neue Möglichkeiten für Erlösquellen ergeben sich zum Beispiel durch den e-Sports Boom, auch wenn die heutige Diskussion vorherrscht, dass Video Games schlecht sind und kein Sport. Aber daraus lassen sich neue Umsätze entwickeln. Das Spiel Fortnite hat 2018 drei Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht, ein großer Teil davon durch virtuelle Produkte. Innovationen entstehen auch durch ungewöhnliche Kombinationen, beispielsweise die neue Pharell Williams Kollaboration mit Adidas Originals, wo Tennis und Basketball zusammen kommen. Jede Art von Sport wird heute ‚vermodet‘, bis hin zu den Sportlern selbst, bei denen nicht nur die Leistung interessiert, sondern oft noch mehr, was sie auf dem Weg ins Stadium anhaben. Auch wenn manches lächerlich erscheinen mag, man muss das System Sport als Ökosystem verstehen lernen und daraus Produkte entwickeln.

 

"Blockchains werden Teil der Supply Chain werden, weil sie Transparenz ermöglichen und Nachhaltigkeit nachvollziehbar machen."

 

Die Digitalisierung ist eine große Herausforderung für den Handel. Welche Tipps würdest du Händlern geben?

Ich würde folgenden Rat geben: Findet Wege, wie ihr eure Kunden stärken und befähigen könnt. Versucht sie besser zu verstehen, und ihr werdet feststellen: Was eure Kunden brauchen ist nicht das, was ihr erwartet hättet. Bleibt innovativ und wagt kontinuierlich Neues, um gegen das Überangebot zu bestehen - die Kunden sind super schnell gelangweilt. Hebt euch ab von eurer Konkurrenz und seid kreativ. Man muss, wie ich anfangs schon gesagt habe, eine gewisse Spannung erzeugen.

Du verlässt adidas und gründest gerade ein Start-up in den USA. Verrätst du uns, worum es dabei geht?

Mein neues Start-up heißt ‚Aglet‘, wie das Ende der Schnürsenkel bei einem Sneaker. Es ist eine digitale Sneaker Plattform, auf der man Sneaker designen, kaufen und verkaufen kann. Das Interesse an Sneaker Design ist riesig – man kann Sneaker Designer auf Instagram folgen, und immer mehr  Menschen wollen selbst designen. Bisher gab es aber keine Möglichkeit, selbst zum Designer zu werden und eigene Sneaker, Hoodies etc. zu entwerfen. Auf Aglet können User selbst kreativ werden, über Designs abstimmen und digitale Sneaker kaufen, beispielsweise für Games. Auch dort zählt Status. Aglet ist also ein Tool um Schuhe zu designen und ein Kanal zum Kaufen und Verkaufen. Aglet heißt auch die Währung. Es ist auf Blockchains aufgebaut. Es bietet außerdem die Möglichkeit, mit Brands zu interagieren. Brands könnten ihre Komponenten digitalisieren und zum Kauf anbieten, aus denen die Kids ganz eigene Designs erstellen. Ich bin sicher, dabei kämen völlig neue Produkte heraus und neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Kunde und Brand. Ich denke, so wird in Zukunft Design stattfinden: man designt digital, misst digital den Erfolg und produziert erst dann.

Soll es auch echte Produkte geben?

Am Ende ja. Wenn es mehr Speed Factories gibt und diese schnell und mit unterschiedlichen Materialien produzieren können. Aber noch ist es nicht so weit.

Viel Erfolg, Ryan, danke für das Gespräch!

 

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