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Quantencomputer und Datensicherheit: Es steht viel auf dem Spiel.

Quantencomputer können unsere Welt simulieren, Berechnungen mit unzähligen Variablen durchführen und daraus Vorhersagen treffen, die heutige Supercomputer nicht leisten können. Noch ist es der Welt nicht gelungen, einen solchen Quantencomputer zu entwickeln, doch die größten IT-Firmen weltweit forschen daran – von den Geheimdiensten mal ganz abgesehen. Warum es ein großes Problem ist, dass wir die Daten von heute nicht vor einem Quantencomputer von morgen schützen können, erklärt Prof. Dr. Tanja Lange, Expertin für Post-Quantum Kryptographie. Im Interview erläutert sie, welche Gefahr der Quantencomputer für unsere Datensicherheit darstellt und wie ‚normale‘ Menschen üblicherweise auf ihr Forschungsgebiet „Quantenresistente Kryptografie“ reagieren.

Frau Lange, können Sie kurz erklären, womit genau Sie sich beruflich beschäftigen?

Ich arbeite als Professorin an der Eindhoven University of Technology. Mein Spezialgebiet ist die Kryptografie. Als Professorin gebe ich Vorlesungen, betreue ich Bachelor- und Masterarbeiten und betreibe ich Forschung. Kryptografie beschützt Daten, so dass kein Unbefugter sie lesen oder unbemerkt verändern kann.

Was ist ein Quantencomputer?

Ein Quantencomputer ist ein Computer, der Phänomene in der Quantenmechanik ausnutzt, um Berechnungen durchzuführen. Feynman hat Quantencomputer vorgeschlagen, um Quantenmechanik effizient zu simulieren.

Können Sie in einfachen Worten erklären, wo der Unterschied zum Supercomputer bzw. normalen Computer liegt?

Ein Quantencomputer kann nicht nur mit Bits, also 0 und 1, arbeiten, sondern auch mit Qubits, die verschiedene Zustände gleichzeitig annehmen. Dies bezeichnet man als Superposition. Ein normaler Computer kann solche Berechnungen simulieren, aber das benötigt exponentiell mehr Bits. Ein Beispiel:

"Für 4 Qubits braucht ein Computer gerade mal 16 Bits, für 32 Qubits befinden wir uns im Bereich der Gigabytes, was für Laptops kein Problem ist, aber 256 Qubits benötigen schon astronomische 2^256 Bits. Und das ist mehr als das Universum Atome hat."

Auf all diesen Qubits rechnet ein Quantencomputer gleichzeitig, wie ein großer Supercomputer, der parallel mit allen Eingabewerten rechnet. Im Gegensatz zum Supercomputer kann man aber nicht auf die Ergebnisse einzeln zugreifen: am Ende jeder Berechnung auf einem Quantencomputer steht eine Messung, die klassische Bits gemäß der Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Zustände ausgibt. Quantenalgorithmen müssen also so konstruiert sein, dass das gewünschte Ergebnis eine hohe Wahrscheinlichkeit hat.

Wer forscht gerade an der Entwicklung von Quantencomputern?

In den USA sind das vor allem große Firmen, wie Google, IBM, Intel und Microsoft. Diese haben die universitäre Forschung aufgekauft, z.B. hat Google eine führende Gruppe von der Universität in Santa Barbara übernommen. Es gibt auch schon Startups. In China sind es auch die großen Firmen, wie z.B. Alibaba. In Europa sehen wir noch öffentliche Forschung an Universitäten, z.B. in Delft und Kopenhagen, aber auch diese haben große Projekte mit den amerikanischen Firmen. Zusätzlich gibt es sicherlich noch Forschung in den Geheimdiensten der größeren Länder, aber Details dazu sind nicht bekannt. Die Snowden-Files zeigten einige Millionen US Dollar im 'black budget". Dieser Betrag ist nicht genug, um an der Spitze mitzuspielen. Andererseits ist diese Information von 2013 und inzwischen könnte natürlich mehr Budget vorhanden sein.

Es heißt, Google habe einen Quantencomputer entwickelt. Ist das aus Ihrer Sicht glaubwürdig? Wenn ja, welche Konsequenzen hätte das?

Google hat kürzlich über ein Experiment berichtet, in dem sie eine Berechnung auf einem Quantencomputer deutlich schneller als auf dem größten Supercomputer durchgeführt haben.

Google und IBM sind momentan führend im Bauen von Quantencomputern. Diese sind knapp größer als wir mit einem Supercomputer effizient simulieren können, aber die Berechnung, die Google durchgeführt hat, hat keinen praktischen Nutzen. IBM hat kurz nach der Google-Ankündigung gezeigt, dass der Zeitunterschied zu ihrem Supercomputer viel kleiner ist, als Google angegeben hatte. Diese Resultate sind wissenschaftlich sehr interessant haben aber noch keine direkten Konsequenzen.

Wofür braucht man diese Geräte?

Quantencomputer können unsere Welt effizient simulieren, dies ist wichtig in der Wettervorhersage und in der Entwicklung von Medikamenten oder von Düngemitteln; also generell überall, wo ein physikalisches System mit vielen Variablen beschrieben werden kann, und dann viele Wechselwirkungen berechnet werden müssen. Für die heutigen Supercomputer sind diese Systeme zu groß, so dass Berechnungen nur für vereinfachte Systeme durchgeführt werden können, wodurch die wirkliche Wirkung der Moleküle nur durch Experimente herausgefunden werden kann.

In Ihrem Vortrag auf der OOP-Konferenz sprechen Sie über Quantencomputer und Datensicherheit. Inwiefern stellt der Quantencomputer eine Gefahr für die Sicherheit unserer Daten dar?

Quantencomputer können einige mathematische Probleme deutlich schneller als unsere normalen Rechner lösen. Solche Probleme müssen eine bestimmte Struktur haben, und die wird leider in den gängigen Kryptosystemen benutzt. Das berühmteste Beispiel ist das RSA System von 1977, benannt nach seinen Erfindern Rivest, Shamir und Adleman. RSA wird noch immer überall im Internet und auf Chipkarten benutzt, aber es basiert auf einem mathematischen Problem, das Quantencomputer viel schneller lösen können als herkömmliche Rechner. Das bedeutet, dass alle Daten einem Angreifer mit einem Quantencomputer hoffnungslos ausgeliefert sind.

"Was die Situation noch viel schlimmer macht, ist, dass Geheimdienste und Kriminelle unsere Kommunikation schon seit Jahren aufzeichnen und dann in der Zukunft entschlüsseln können. Wenn die Daten dann noch geheim sein müssen, ist das ein Problem."

Der Sender hätte heute schon ein anderes System benutzen müssen. Es hilft leider nicht, die geheimen Daten später noch anders zu verschlüsseln, denn der Angreifer hat dann ja schon die anfällige Version gespeichert.

Wie begegnet die Online-Welt dieser Gefahr?

Glücklicherweise sind sich mehr und mehr Leute dieser Gefahr bewusst. Ich war sehr erfreut über die Einladung zur OOP-Konferenz, weil das zeigt, wie weit diese Gefahr bekannt ist. Die Akademie der Wissenschaften in den USA hat Ende 2018 einen langen Bericht herausgegeben, der 10 Punkte hervorhebt. Einer davon ist, dass es sehr dringend ist, sich auf diese Gefahr vorzubereiten und Abhilfe zu schaffen. Zurzeit sind viele Forscher damit beschäftigt neue Kryptosysteme zu erfinden und zu analysieren, deren Sicherheit auch Angriffen mit Quantumcomputern standhält. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen und findet sehr viel Interesse.

Ihr Thema weckt wahrscheinlich bei vielen Menschen Assoziationen zu düsteren Geheimdienst-Filmen. Ist Ihre Forschung wirklich so aufregend oder gibt es Ergebnisse, die einer gewissen Geheimhaltung unterliegen?

All meine Forschung ist öffentlich, weil ich versuche, allen Menschen eine sichere Kommunikation zu ermöglichen. Firmen halten manchmal gute Ergebnisse zurück und bei Geheimdiensten weiß man nie, auf welcher Seite sie stehen – das haben die Snowden Daten nur bestätigt. So gesehen ist das Gebiet schon anders als andere Wissenschaften.

Physikern und Mathematikern wird gemeinhin eine besonders hohe Intelligenz zugesprochen. Wie reagieren Menschen außerhalb Ihres Berufslebens, wenn Sie erzählen, dass Sie Forschung im Bereich quantenresistenter Kryptografie betreiben?

Das braucht dann meist schon eine längere Erklärung, aber Kryptografie und Sicherheit finden die meisten schon spannend.

Gibt es auch Dinge, die Sie in der Mathematik nicht verstehen?

Mathematik ist ein riesiges Gebiet und es gibt viel, was ich noch nicht kenne. Es ist auch ein aktives Forschungsgebiet mit vielen offenen Fragen, was bedeutet, dass es viele Dinge gibt, die niemand bislang versteht. Und das macht das Gebiet sehr spannend.

 

Prof. Dr. Tanja Lange
Prof. Dr. Tanja Lange, Expertin für Post-Quantum-Kryptografie

Tanja Lange ist seit 2006 Professorin an der Technischen Universiteit Eindhoven (Niederlande). Ihre Forschung überbrückt die Gebiete der algebraischen Geometrie, theoretischer Kryptographie und praxisnaher Informationssicherheit. Sie ist Expertin in Kryptographie mit Kurven und in Post-Quantum Kryptographie. Zudem ist sie Mitglied des Editorial Boards für diverse wissenschaftliche Zeitschriften und im Steering Committee für Konferenz-Serien, inklusive der Post-Quantum Cryptography Konferenzen. Sie war Koordinatorin des EU-H2020 Projekts PQCRYPTO – Post-quantum cryptography for long-term security (pqcrypto.eu.org). Sie spricht auf Konferenzen zu Kryptographie und Sicherheit und hat mehr als 70 Artikel und Bücher geschrieben, darunter ein Aufsatz in Nature zur Post-Quantum Cryptography.

 

 

 

 

Weiterführende Links:

Keynote am 5.2.2020 auf der OOP-Konferenz 2020: https://www.oop-konferenz.de

EU-H2020 Projekt PQCRYPTO pqcrypto.eu.org

 

Interne Links:

Technologie und Moral:Hippokratischer Eid für IT-Berufe?

KI und Ethik: Wissen sie, was sie tun?


Dr. Anita Sengupta, Mitbegründerin, Airspace Experience Technologies (ASX), USA. Forschungsprofessorin für Raumfahrttechnik, Universität von Südkalifornien

Mobilität und Verkehr:
Wie Raumfahrttechnologie den CO2-Fußabdruck reduzieren wird

Wie kann Raumfahrttechnologie unseren CO2-Ausstoß reduzieren? Die Amerikanerin Dr. Anita Sengupta, die als Luft- und Raumfahrtingenieurin viele Jahre bei der NASA tätig war, hat sich als Chefentwicklerin des sogenannten Hyperloops einen Namen gemacht. Im Jahr 2019 wurde sie Mitgründerin und Chief Product Officer von Airspace Experience Technologies (ASX) - ein Start-Up, das ein hybridelektrisches, vertikal startendes und landendes städtisches Luftmobilitätssystem entwickelt. Die Pilotin wird im Februar 2020 auf der OOP-Konferenz in München zeigen, wie Raumfahrt-Technologie in Verbindung mit Venture Capital einen umweltfreundlichen Verkehr ermöglicht. Ich durfte in einem Telefoninterview mit ihr darüber sprechen, wie sie Mobilität revolutionieren und den CO2-Fußabdruck des Flugverkehrs reduzieren will.

Können Sie kurz die Projekte skizzieren, an denen Sie als Luft- und Raumfahrtingenieurin in den letzten Jahren gearbeitet haben?

Ich habe den größten Teil meiner Karriere im Raumfahrtprogramm der NASA gearbeitet. Meine Doktorarbeit beschäftigte sich mit Plasmaantrieben, ja, das ist Raketenwissenschaft. Danach arbeitete ich an Einstiegssystemen für die Landung auf der Oberfläche anderer Planeten, insbesondere mit dem Landungssystem für den Curiosity Rover auf dem Mars, einem Venus Lander, einem Mars-Aufstiegsfahrzeug und der Orion Earth Return Capsule. Anschließend wechselte ich als Missionsleiterin zur International Space Station (ISS), um dort das Kaltatom-Labor zu entwickeln und zu leiten. Im Jahr 2017 entschied ich mich, die NASA zu verlassen, um meine Expertise der Entwicklung grüner Transportmittel zu widmen, zunächst als Führungskraft bei Virgin Hyperloop und nun als Mitbegründer eines Unternehmens für elektrische VTOL-Flugzeuge, oder besser bekannt als Lufttaxis.

Das Unternehmen Airspace Experience Technologies ASX, das Sie mitgegründet haben, will die urbane Mobilität revolutionieren. Worum geht es da genau?

ASX ist ein Start-Up, das ein emissionsfreies Flugmobilitätsfahrzeug entwickelt. Ziel ist es, den Share Ride Transport in städtischen und vorstädtischen Umgebungen, die unter Straßenüberlastung leiden, zu erleichtern. Ich persönlich sehe ein Ende des individuellen Autobesitzes zugunsten einer gemeinsamen, emissionsfreien Transportmöglichkeit am Boden und in der Luft. Die Urbane Luftmobilität (UAM) wird die Entwicklung der elektrischen Luftfahrt anstoßen, und zwar durch die Nutzung von gespeicherter Energie aus Batterien. Wenn das Netz mit grünem Strom wie Sonne oder Wind betrieben wird, wird der CO2-Fußabdruck deutlich reduziert. Was als nächstes kommt, sind mit Wasserstoff-Brennstoffzellen betriebene Regionalflugzeuge und schließlich Langstrecken-Jet-Flugzeuge, die auf Wasserstoff beruhen.

 

“Einer der effizientesten Verkehrsträger pro Passagierkilometer ist der kommerzielle Flugverkehr, der aber immer noch auf fossile Brennstoffe angewiesen ist.”

 

Der Verkehr in den europäischen Metropolregionen steht vor dem Kollaps. Inwieweit wird die Luft- und Raumfahrttechnik echte Alternativen bieten können?

Als Amerikanerin bin ich sehr beeindruckt von Europas riesigem Eisenbahnnetz, den städtischen U- und Stadtbahnsystemen und dem Drang, in nachhaltige Luftfahrttechnologien zu investieren. Ironischerweise ist eine der energieeffizientesten Reisemöglichkeiten pro Passagierkilometer der kommerzielle Flugverkehr, da er als Shared Service betrieben wird. Das Problem ist jedoch, dass der Luftverkehr immer noch auf fossile Brennstoffe angewiesen ist. Der Übergang zu einem emissionsfreien Flugverkehr wird einen Paradigmenwechsel in unserer Energiewirtschaft und unserer CO2-Bilanz ermöglichen. Massenverkehrsmittel, öffentliche Verkehrsmittel und der Verzicht auf die individuelle Autonutzung sind die Lösung.

 

“Der Flugverkehr ist bereits heute größtenteils auf den Autopiloten angewiesen. Ein kommerzieller Flug und die Autonomie in der Luft ermöglicht ein effizienteres Verkehrsmanagement. Daher ist die Ausdehnung auf die Nutzung des Luftraums in niedriger Höhe mit urbaner Luftmobilität eine natürliche Entwicklung.”

 

Weltweit gibt es etwa 140 Projekte für Lufttaxis. Was unterscheidet Ihr Projekt bei Airspace Experience Technologies von den anderen?

Wir entwickeln ein Kippflügelflugzeug, das auch konventionell starten und landen kann, wobei die bestehende Flughafeninfrastruktur maximal genutzt wird und das mit einer höheren Effizienz als ein Rotorflugzeug. Das Lufttaxi ist so konzipiert, dass es kurze Strecken innerhalb von Stadtgebieten zurücklegen kann. Wir setzen Technolgie aus dem Automotivebereich wirksam ein, um Kosten zu senken und die Massenproduktion zu erleichtern. D.h. wir nutzen Technologien, die bereits in der Elektroautoindustrie eingesetzt werden: zum Beispiel Batterien, Motoren und Steuerungssoftware. Da wir die bestehende Technologie dort einsetzen wollen, wo es sinnvoll ist, können wir die Tiefflugzeuge erschwinglicher machen und den täglichen Taxinutzern eine Fahrt via Lufttaxi ermöglichen.

Glauben Sie, dass eine Revolution im Bereich des emissionsfreien Verkehrs bevorsteht?

Ja, in den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir die ersten kommerziellen Flüge von Lufttaxis sehen und in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine Verlagerung auf den emissionsfreien Flugverkehr über längere Strecken.

 

“Gemeinsame Lufttaxis mit öffentliche Nahverkehr aus U- und S-Bahn sowie die Eliminierung der individuellen Autonutzung ist die Lösung.”

 

Wann werden die ASX Taxis voraussichtlich marktreif sein?

Wir planen, unsere Lufttaxis ab 2023 in der Logistik einzusetzen, zum Beispiel für den Transport von Medikamenten, Ärzten und Verbrauchsmaterial. Zwei bis drei Jahre später planen wir die Lufttaxis für den Personentransport einzusetzen.

Wie weit sind Sie in der Entwicklung der ASX Taxis fortgeschritten?

Bis heute haben wir sechs Fahrzeuge gebaut, die im Subscale-Bereich angesiedelt sind, das größte davon ist ein Drittel der Entwicklungsskala. Wir haben bisher Vertikalstart, Reiseflug und Landung unter der Softwarekontrolle unserer Vollverbund-Flugzeuge demonstriert.

Welche Technologie muss noch entwickelt werden, damit die elektrische Luftfahrt Realität wird?

Batterien mit verbesserter Energiedichte für Kurzstrecken-Lufttaxis, dicht gefolgt von Wasserstoff-Brennstoffzellen für Regionalflugzeuge.

 

“Die Geschäftsluftfahrt ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, sowohl beim Treibstoff als auch bei den Plattformen. Elektroflugzeuge sind die nächste Evolution.”

 

Ist eine staatliche Regulierung notwendig für die Technik, die Flugsicherung etc.? Wäre eine Regulierung eine Hilfe oder ein Hindernis?

Eine Regulierung, die Hand in Hand mit neuer Technologie entwickelt wird, sorgt dafür, dass wir sichere, zuverlässige Transporte und nützliche Lösungen für den öffentlichen Verkehr haben. Wir alle, der öffentliche und der private Sektor, haben eine Rolle zu spielen, um sicherzustellen, dass Technologien entwickelt werden, die unseren CO2-Fußabdruck sicher und effizient reduzieren.

Wer werden die wirklichen Nutzer solcher innovativer Verkehrskonzepte sein? Sprechen wir von privilegierten Bürgern, die sich teure Verkehrsmittel leisten können?

Unser Ziel ist es, die Luftmobilität für jeden zugänglich und erschwinglich zu machen. Sie ist für den öffentlichen Verkehr gedacht, also für jeden, der ein Taxi nehmen würde.

Und das Taxi selbst, wie viel wird es kosten?

Eine Fahrt wird ähnlich teuer sein wie die mit einem herkömmlichen Taxi oder einem Uberfahrzeug, aber die Fahrzeit wird bis zu fünf mal so schnell sein.

Die ASX Lufttaxis sollen in einer späteren Entwicklungsphase autonom fliegen können. Wie bringen Sie die Menschen dazu, Ihrer Technologie zu vertrauen?

Dr. Anita Sengupta
Dr. Anita Sengupta, Mitgründerin, Airspace Experience Technologies (ASX), USA. Forschungsprofessorin für Raumfahrttechnik, Universität von Südkalifornien

Ich denke, urbane Luftmobilität (UAM) wird anfangs natürlich mit Piloten im Einsatz beginnen. Sicherheit ist das wichtigste, was wir als Ingenieure, als Führungskräfte und als Bürger beachten müssen.

Vielen Dank, für die interessanten Einblicke, Dr. Sengupta!

Weiterführende Links:

Über Dr. Anita Sengupta

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Hippokratischer Eid für IT-Berufe

 


Retouren senken durch bessere Passform

So macht es Zalando: Retouren senken durch bessere Passformen

Zalando möchte, dass weniger Kunden ihre Kleidung wegen Passformproblemen zurückschicken. Denn obwohl Auswahlkäufe im Fashion-Onlinehandel zum Geschäftsmodell dazu gehören, verursachen sie hohe Kosten – und auch der Kunde ist enttäuscht, wenn der bestellte Sneaker wider Erwarten nicht passt. Aktuelle Studien besagen, dass jeder retournierte Fashionartikel den Händler durchschnittlich rund 5 Euro kosten – bei einer Retourenquote von fast 40 Prozent kommt das die Händler also teuer zu stehen. Retouren senken steht daher weit oben auf ihrer To-do-Liste.

Bei Zalando erfolgen etwa ein Drittel aller Retouren aufgrund von zu klein oder zu groß bestellten Artikeln. Um die Retouren zu senken, hat der IT-Konzern viele innovative Ideen – die meisten davon sind aber noch Zukunftsmusik. Bis sie einsatzfähig sind, behilft sich Zalando erstaunlich klassischer Methoden. Ich habe mit Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando, über ihre Pläne gesprochen.

Wie steht Zalando zu Retouren?

Retouren sind für Zalando im Allgemeinen kein Problem. Wir sehen es als einen wichtigen Teil unseres Leistungsversprechens für unsere Kunden. Wenn ihnen ein Artikel nicht gefällt, können sie ihn zurückgeben, so wie sie ihn in einem Offline-Shop wieder zurück ins Regal legen können. Durch Verbesserungen im Online-Kundenerlebnis können jedoch größenbedingte Retouren reduziert werden. Während eine Offline-Umgebung es dem Kunden ermöglicht, Artikel anzuprobieren, beinhaltet der Onlinekauf von Kleidung den zusätzlichen Schritt einer Rückgabe. Dieser zusätzliche Schritt erfordert, dass wir prüfen, wie wir den Kunden vor dem Kauf eine Größen- und Passform-Beratung anbieten können, um eine unnötige Rückgabe zu vermeiden.

Retouren senken ist ein wichtiges Thema im Online-Handel. Andere Anbieter schränken bereits ihren kostenlosen Versand ein. Ist das auch für Zalando eine Option?

In einigen Märkten haben wir einen Mindestbestellwert eingeführt, wie viele andere Anbieter auch. Dies ist in Deutschland derzeit nicht der Fall.

Die Bestellung eines Produkts in verschiedenen Größen ist einfach und kostenlos. Wie wollen Sie Ihre Kunden motivieren, nur eine Größe zu bestellen?

Für Kunden, die mehrere Größen bestellen und die meisten zurückschicken möchten, ist diese Option weiterhin kostenlos verfügbar, sie ist wie gesagt ein wichtiger Teil unseres Leistungsversprechens. Wir möchten den Käufern jedoch Ratschläge geben, um ihr Erlebnis zu verbessern. Innerhalb des Sizing-Teams tun wir dies durch Beratung zu Größe und Passform. Wenn wir Kunden davon überzeugen können, dass unsere Sizing-Beratung einen Mehrwert für ihre Erfahrung darstellt, dann hoffen wir, dass sie bei der ersten Bestellung die richtige Größe erhalten. Wir hoffen, das gibt ihnen das Vertrauen, neue Marken und Looks zu entdecken.

In den letzten Jahren gab es verschiedene Ideen, wie man passformbedingte Retouren reduzieren kann. Das bisherige Problem bestand darin, die Daten der Kunden mit den Daten der Produkte abzugleichen. Wie bekommen Sie die Maße der Kleidung und der Kunden?

Unsere Beratung für die aktuelle Größe konzentriert sich auf ein tiefes Verständnis unserer Produkte. Wir bieten unseren Kunden eine Größenberatung zu rund 80 Prozent unseres Sortiments in zwei Formen an: Die erste ist eine Größenmarkierung, die den Kunden darüber informiert, ob bestimmte Artikel größer oder kleiner ausfallen. So kann der Kunde die Wahl treffen, eine Nummer größer oder kleiner zu bestellen. Die zweite Form der Beratung ist eine personalisierte Größenempfehlung, bei der wir aktiv eine bestimmte Größe empfehlen, die sowohl auf unserem Verständnis des Produkts als auch auf der Kaufhistorie des Kunden und den Präferenzen bei Größe und Marke basiert.

Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando spricht über Retourenvermeidung

"In Zukunft erforschen wir außerdem neue Technologien, wie z.B. die visuelle Anpassung. Der Schlüssel dazu sind die Körpermaße der Kunden und ihre Bereitschaft, uns diese Informationen zur Verfügung zu stellen", Stacia Carr, Director of Engineering/Sizing bei Zalando

Wir erforschen Methoden wie beispielsweise die Verwendung von Smartphones zur Erzeugung von 3D-Bildern von Kunden und ermöglichen es Kunden, Avatare auszuwählen, die ihrem Profil entsprechen. Aber das alles ist noch in der Zukunft. Ziel ist es, unsere Expertise bei den Produktdaten mit einem besseren Verständnis über unsere Kunden zu verbinden und ein besseres Kundenerlebnis zu bieten.

Wie findet Zalando heraus, welche Abmessungen ein Produkt hat? Kommen die Maße von den Herstellern oder anderen Datenlieferanten?

Nach unserer Erfahrung sind Messungen der Hersteller nicht immer zuverlässig. Dies hat viele Gründe, z.B. wenn sich das Material des Endprodukts vom Muster unterscheidet. Deshalb testet unser Team von Passformmodels bei den 80 Prozent der Artikel, die in den Shop kommen, ob sie maßgerecht sind. Diese Produkte werden anprobiert und ausgemessen. Dies alles trägt dazu bei, dass wir unsere Produkte besser verstehen. Außerdem erforschen wir hier Technologien, wie z.B. die Computer-Vision zur Bestimmung von Messungen und ob ein Gegenstand wahrscheinlich größenbedingte Probleme hat oder nicht, basierend auf einem Machine-Learning Algorithmus.

Es gibt erste Versuche, die Körpermaße auf der Grundlage umfangreicher Reihenmessungen von Menschen in verschiedenen Ländern zu bestimmen und daraus Fit-Daten abzuleiten. Arbeiten Sie mit solchen Projekten?

Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Teams in der gesamten Modebranche zusammen, die an der Größe und den dazugehörenden Themen forschen. Im Moment würden wir keine konkrete Zusammenarbeit öffentlich bekannt geben.

Eine Messung von Körper und Kleidung allein reicht wahrscheinlich nicht aus, um Passformen in der Kleidung zu definieren, insbesondere Skinny Fit Passformen. Wie löst man das Problem?

Dabei hilft uns unser Team von Fittingmodels. Wir haben rund 30 Models, die eine Vielzahl unseres Sortiments anprobieren: Schuhe, Jeans, Kleider, Hemden und viele andere Artikel. Unsere Fittingmodels bestimmen, ob ein Gegenstand maßgerecht ist oder ob die Passform tatsächlich etwas größer oder kleiner als die angegebene Größe ist. Unsere Models wissen, wie Skinny Fit Artikel passen sollen und geben uns den nötigen Input, ob wir eine Größenempfehlung für den Artikel abgeben sollten oder nicht.

Gibt es Lösungen, um den Stretcheffekt von Stoffen zu berechnen und ihn in Passformmodelle zu integrieren?

Stretch ist stark von der Stoffzusammensetzung abhängig; wir erforschen verschiedene Wege, um Daten über die Stoffzusammensetzung zu erhalten und daraus Regeln abzuleiten. Es ist noch zu früh, um über diese Experimente zu sprechen.

Ist die Größenberatung für alle Produkte und Zielgruppen geeignet? Womit haben Sie begonnen?

Wir haben mit Schuhen begonnen und uns dann entschieden, in drei weitere Kategorien zu wechseln: die Kategorien, die am häufigsten aufgrund von Größenproblemen zurückgeschickt werden, die schwer zu reparieren sind und die einen hohen Wert für die Kunden haben. Dazu gehören Jeans, Damenkleider und Herrenhemden. Wir haben jetzt außerdem noch Shorts und Jacken hinzugenommen. Grundsätzlich können alle Produkte angepasst werden, aber wir passen derzeit noch nicht die Kategorien Sport und Kinder an.

Sind unsere heutigen Kleidergrößen überhaupt noch ausreichend, um unseren Körper zu beschreiben?

Auf keinen Fall! Größensysteme, die zum Verkauf von Kleidung und Schuhen verwendet werden, sind ziemlich starr - menschliche Körper nicht! Wir verwenden diese Systeme heute in dem Bewusstsein, dass sie im Laufe der Zeit durch etwas ersetzt werden, das sich mehr um den Körper des einzelnen Kunden und seine Passformpräferenzen dreht. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Sie keine Größe wählen müssten, um eine Jeans zu kaufen - wie toll wäre das!

Brauchen wir also bald keine Kleidergrößen mehr, weil wir Produkte personalisiert produzieren?

Das ist definitiv eine Möglichkeit, aber sie liegt noch weit in der Zukunft. Unsere aktuelle Vision ist es, Größenprobleme bei Massenbekleidung durch entsprechende Beratung zu lösen. Natürlich schreiten die Technologien in einem unglaublichen Tempo voran, deshalb glaube ich, dass personalisierte Kleidung etwas ist, was wir in naher Zukunft sehen werden.

Wie arbeiten Sie mit Ihren Lieferanten zusammen, um die Passgenauigkeit zu erhöhen?

Derzeit besteht unsere Aufgabe darin, unsere Kunden auf der Grundlage der Produkte unserer Lieferanten zu beraten. Wir führen jedoch auch einen Dialog mit unseren Partnern, und informieren unsere sie darüber, welche Größen-Ratschläge wir unseren Kunden geben, und über die Möglichkeiten, die sie haben, das Erlebnis für unsere Kunden zu verbessern.

Zalando entwickelt eigene Kollektionen. Wie nutzen Sie Ihr Wissen über die Körpermaße Ihrer Kunden bei der Entwicklung neuer Produkte?

Unser Private Label-Team nutzt die Sizing-Daten zur Optimierung seiner Produkte. An den Eigenmarkenprodukten werden regelmäßige Rücklaufanalysen durchgeführt und diese Daten mit den Größenangaben verglichen. So stellen wir fest, inwieweit Größenprobleme die Ursache für die Rückgabe sein können.

Weiterführende Links:

Studie des EHI Retail Institut: https://www.ehi.org/de/pressemitteilungen/geklickt-gekauft-und-retourniert/

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Interview Ryan Mullins: Über das Verschwinden des Digitalen

Fashion als Botschafter für Werte


Dream Team Diversität und Technik

Darum ist Diversität in der IT so wichtig

Seit Albert Einstein wissen wir, dass Probleme nicht mit denselben Denkweisen gelöst werden können, durch die sie letztendlich entstanden sind. Mit der Forderung nach mehr Diversität in Unternehmen soll genau diese Problematik angegangen werden. Denn: Je vielfältiger ein Team hinsichtlich Geschlecht, Herkunft, Alter, kulturellem Hintergrund, Denkweise, Fähigkeit und Berufserfahrung ist, desto umfassender und innovativer sind seine Lösungsansätze. Ich habe mit Jutta Eckstein, Keynote-Speakerin, Autorin mehrerer Fachbücher zum Thema Agile Software Entwicklung, Programmverantwortliche der Fachkonferenz OOP, kurz: eine der renommiertesten IT-Expertinnen Deutschlands über das Thema gesprochen. Das Ergebnis: Überraschend!

Jutta Eckstein bei der Eröffnung der OOP Konferenz 2019
Jutta Eckstein, OOP Konferenz
Frau Eckstein, wie sind Sie eigentlich in der IT gelandet?

Tatsächlich über Umwege. Nach einem Lehramt-Studium mit Sport und Kunsttechnik habe ich mich 1992 entschlossen, nochmal etwas ganz anderes zu studieren: Product Engineering mit dem Schwerpunkt Software Entwicklung.

Wie kann man sich die Studienlandschaft zu dieser Zeit vorstellen?

Natürlich sehr männerlastig. In allen technischen Studiengängen lag der Anteil der weiblichen Studentinnen im einstelligen Bereich. In manchen Studiengängen wie der Ingenieur-Informatik bei null.

Was hat Sie an der IT so fasziniert?

Ich bin tatsächlich erst recht spät mit IT in Kontakt gekommen – und sie haben mich gleich fasziniert. Mir haben vor allem die unendlich kreativen Möglichkeiten gefallen. Auch die Tatsache, dass man, wenn man sich nur intensiv mit einem Problem auseinandersetzt, es auch gelöst bekommt. Hinzu kommt - und das widerspricht dem heute immer noch verbreiteten Bild der IT-Branche – mir gefiel, dass IT ein „Teamsport“ ist. Ohne es explizit so zu benennen, wusste man schon damals, dass komplexe Probleme am besten im Team gelöst werden können.

Dann stimmt das Bild vom einsamen, nerdy Software-Entwickler nicht?

Nein! Ich habe das früher nicht so erlebt und auch heute brauchen wir andere Typen in der Software-Entwickler. Kommunikationsfähigkeit gegenüber Kunden und Kollegen ist extrem wichtig! Es ist tatsächlich das größte Problem unserer Branche, dass wir immer noch diesen unvorteilhaften Ruf haben und Menschen, die nichts mit IT zu tun haben, glauben, dass wir alles einsame Wölfe wären. Zudem zieht diese Reputation auch nicht immer die richtigen Leute in unsere Studiengänge.

 

"Niemand kann heute die Herausforderungen unserer Zeit alleine vor dem Rechner lösen. Das geht nur in Teams mit unterschiedlichen Kompetenzen." Jutta Eckstein

 

Hat sich die Position von Frauen in der IT im Laufe der Zeit geändert?

Tatsächlich waren viele Computerpioniere, also die Menschen, die die ersten Computer programmierten, Frauen. Und interessanterweise wuchs in den USA die Zahl der Frauen, die Informatik studierten, jahrzehntelang schneller als die Zahl der Männer. Mitte der 1980er Jahre änderte sich das. Der Anteil der Frauen in der Informatik verringerte sich dramatisch – obwohl er in anderen technischen Bereichen weiter stieg. Laut Statistik liegt in Deutschland der Frauenanteil in der IT bei rund 16 Prozent. In meiner „agilen Ecke“ ist der Anteil höher, auch weil wir uns in diesem Fachgebiet der IT einen anderen Ruf erarbeitet haben. Es geht also aufwärts, aber immer noch sehr langsam.

Wie erklären man sich diesen Einbruch Mitte der 80er Jahre?

Der Anteil der Frauen in der Informatik begann ungefähr zu dem Zeitpunkt zu sinken, als PCs die privaten Haushalte überall auf der Welt eroberten. Diese frühen PCs waren zwar nicht viel mehr als Spielzeuge, aber sie adressierten vor allem Männer und Jungen. Das verschaffte männlichen Studienanfängern einen großen Vorteil. Weibliche Studenten hingegen hatten das Gefühl, den Vorsprung nicht aufholen zu können und wandten sich anderen Studien zu. Dieses Bild, dass Computer bzw. IT Männer- oder Jungensache sei, existiert bis heute und es verblasst nur sehr langsam.

USA: Der Anteil der Informatik-Studentinnen sank Mitte 1980 dramatisch
USA: Der Anteil der Informatik-Studentinnen sank Mitte 1980 dramatisch
War es schwierig, sich unter all den Männern zu behaupten?

Am Anfang gab es Momente, die waren schwierig. Jungsein UND weiblich waren zu Beginn eine problematische Kombination. Natürlich gab es auch bei mir Situationen, in denen man mich zunächst nicht ernst genommen hat, etwa, wenn ich Schulungen durchführte. Rückblickend gab es aber auch Vorteile, denn als Frau in der IT fällt man natürlich auch auf.

Bei der Forderung nach mehr Diversität in Unternehmen hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Gerade erst hat z.B. Zalando bekannt gegeben, verschiedene Diversity Targets einzuführen. Welche Rolle spielt Diversität in IT-Teams?

Eine sehr große! Heute und in Zukunft wird es immer mehr Berührungspunkte mit Produkten und Anwendungen geben, die softwaregesteuert sind. Umso wichtiger, dass diese Technologien auch von der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit genutzt werden können. Tatsache aber ist, dass die Technik-Abteilungen dieser Welt vor allem aus männlichen, weißen Personen bestehen. Auch der Kulturkreis dieser Personen ist eher der westlichen oder asiatischen Welt zuzuordnen. Was auf den ersten Blick für viele wenig problematisch aussieht, zeigt im Detail allerdings einige Risiken. Denn fehlende Diversität kann bei der Entwicklung von IT-Produkten zu Problemen führen.

Inwiefern?

Je weniger divers Entwicklungsteams sind, umso eher passieren Fehler, weil Aspekte nicht bedacht werden – das geschieht völlig unabsichtlich!

 

"Nicht die Technologie selbst ist dann das Problem, sondern der ökonomische oder soziale Kontext, in dem die Technologie entwickelt wurde!" Jutta Eckstein

Können Sie ein Beispiel nennen, warum Diversität und Technik ein Dream Team sind?

Wenn Tests in homogenen Gruppen durchgeführt werden, fallen Anwendungsprobleme für Nutzer außerhalb dieser Gruppe nicht so auf. Berühmtestes Beispiel hierfür ist wohl der automatische Seifenspender, dessen Sensor nur bei weißer und nicht bei schwarzer Haut reagierte. Bei selbstlernender Software dagegen besteht z.B. die Gefahr, dass Systeme nicht ausreichend ausgeglichenes Lernmaterial zur Verfügung gestellt bekommen. Gesichtserkennungs-Software etwa kann weiße, männliche Gesichter besser unterscheiden, da sie meist von homogenen Teams aus weißen Männern entwickelt und vorwiegend mit Bildern weißer Männer trainiert wird. Auch besteht das Risiko, dass z.B. KI-gesteuerte Jobangebote Menschen diskriminieren können, weil sie allein aus der Datenbasis gelernt haben, dass z.B. Frauen viel seltener eine technisch ausgerichtete Stelle annehmen. Das System hat dann „gelernt“, dass es sich nicht lohnt, Frauen solche Stellen anzubieten. Divers zusammengesetzte Teams sind sehr viel sensibler für solche unabsichtlichen Fehlentwicklungen und können von vorneherein gegensteuern.

Warum glauben Sie ist das Thema Diversität in der IT heute so aktuell?

Die Zeit ist einfach ein Stück reifer das Thema, denn die Forderung danach gibt es in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dieser Prozess braucht Zeit, denn wir reden ja schon seit Jahren darüber. Aber es tut sich etwas. Sogar Fonds-Gesellschaften machen Aktivitäten in diesem Bereich zur Bedingung für ihre Anlageentscheidung weil sie wissen, dass Unternehmen mit Diversity-Aktivitäten eine verbesserte Performance aufweisen! Anderes Beispiel:

 

"Vor fünf bis sieben Jahren hatte keine Konferenz einen Code of Conduct. Heute haben ihn alle! Und nicht wenige Speaker machen ihr Kommen davon abhängig." Jutta Eckstein

 

Gerade erst wurde die Entwicklerkonferenz PhpCE in Dresden wegen fehlender Diversität bei den Vortragenden abgesagt. Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung?

Das finde ich schon erstaunlich, aber eigentlich bestätigt es nur meinen Eindruck, dass auch in der IT heute keiner mehr reine Männerriegen sehen will. Ich kenne diese Konferenz allerdings nicht.

Auch wenn wir gerne ein ausgewogenes Bild in den IT-Teams hätten, die Realität sieht anders aus. Wie schafft man es dennoch, IT-Produkte zu entwickeln, die für alle funktionieren?

Ganz wichtig ist es, ein Bewusstsein für die bestehende einseitige Perspektive zu schaffen! Kontinuierliche Reflexion hilft, und es macht Sinn, alle Entscheidungen im Entwicklungsprozess anhand eines vorab definierten Diversity-Katalogs zu prüfen.

Vielen Dank für das superinteressante Gespräch!

Weiterführende Links:

McKinsey Studie: https://www.mckinsey.com/de/news/presse/neue-studie-belegt-zusammenhang-zwischen-diversitat-und-geschaftserfolg

Studie Frauen in der IT-Branche: https://de.statista.com/infografik/13283/frauen-in-der-tech-branche/

 

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Hippokrates von Kos, hippokratischer Eid

Technologie und Moral:
Hippokratischer Eid für IT-Berufe?

Algorithmen steuern die Welt. Sie versprechen, das Leben sicherer und effizienter zu machen. Längst ist klar, dass digitale Technologien nicht nur ein Segen sind, sondern auch Gefahren mit sich bringen. Doch wie steht es um die Moral der Berufsspezies? Mathematiker, Informatiker und Computeringenieure sollten einen hippokratischen Eid ablegen, um die Öffentlichkeit vor den neuen Technologien zu schützen, die derzeit in Laboren und Technologiefirmen entwickelt werden. Das zumindest fordert Dr. Hannah Fry, Professorin für Mathematik am University College London. Ich bin ihrer These nachgegangen.

Mathematiker und Computeringenieure bauen Technologien, die die Zukunft der Gesellschaft gestalten. Besonders der Umgang sensibler Daten kann dabei weitreichende Auswirkungen haben. Konzepte zur Datenökonomik müssen daher wohlüberlegt implementiert werden. Doch wie steht es um die Moral in den IT-Berufen? Ist das Bewusstsein der sogenannten „Nerds“ dafür geschärft, welche Auswirkungen ihre Arbeit sowohl im positiven als auch negativen Sinne auf die Gesellschaft haben könnten? Sind sie sich ihrer Verantwortung überhaupt bewusst?

Hippokratischer Eid in Medizin und Forschung

Der Ruf nach einem hippokratischen Eid in der Forschung  ist nicht neu. Nach dem Vorbild der Mediziner sollen auch andere Wissenschaftler durch eine solche öffentliche Selbstverpflichtung an moralisches Handeln gebunden werden. Unterstützt wird diese Idee seit Jahrzehnten unter anderem von der Unesco, von zahlreichen Vertretern von Forschungsinstituten, Wissenschaftsverbänden und Ethikkomitees. Mediziner halten sich seit mehr als 2500 Jahren an den hippokratischen Eid, der als ethischer Kodex für ärztliches Handeln zwar nicht verbindlich ist, aber einen hohen Stellenwert genießt.

Durchgesetzt hat sich bis dato in der Forschung in dieser Richtung nichts. Kritiker zweifeln den Nutzen einer solchen weder kontrollierten noch durch irgendwelche Sanktionen untermauerten Selbstverpflichtung an. Zudem argumentieren sie, es sei schwer für Wissenschaftler zu schwören, nur für das Wohl der Menschheit zu arbeiten, wenn sie die Ergebnisse nicht vorhersagen könnten. Noch viel weniger könnten sie im Vorhinein wissen, was jemand anderer aus ihren Forschungsergebnissen macht.

Debatte neu entbrannt

Im Zuge der rasanten technologischen Entwicklungen im Bereich Machine Learning und Künstlicher Intelligenz nimmt die Diskussion um eine ethische Selbstverpflichtung in technischen Berufen erneut Fahrt auf. Mit Bots und gefälschten Nachrichten, die Wahlen beeinflussen sowie Algorithmen, die z.B. männliche, weiße Bewerber im Auswahlprozess eines Bewerbungsverfahrens vorziehen, erkennen wir mehr und mehr, dass datengestützte automatisierte Entscheidungssysteme für einige ungewollte gesellschaftliche Entwicklungen mitverantwortlich sind.

Geschlossene Systeme sind nicht die Realität

Allerdings ist es etwas anderes, Probleme in der realen Welt zu bedenken als in geschlossenen Systemen. Das weiß auch die 35-jährige Professorin: „Mathematiker, Computeringenieure und Physiker sind so an abstrakte Probleme gewöhnt, dass sie selten darüber nachdenken, ob die Anwendung ihrer Arbeit in der Praxis ethische Regeln verletzten könnte. Ein ethisches Versprechen dagegen, würde die Wissenschaftler verpflichten, gründlich über die mögliche Nutzung ihrer Arbeit nachzudenken und sie dazu zwingen, nur solche Ansätze zu verfolgen, die der Gesellschaft zumindest keinen Schaden zufügen, sagt Fry gegenüber The Guardian.

Hannah Fry ist Professorin für Mathematik am University College London und erforscht mithilfe mathematischer Modelle Muster menschlichen Verhaltens im städtischen Raum. Sie hat mit Verwaltungen, Polizei, Gesundheitsexperten und Supermarktketten zusammengearbeitet und an wissenschaftlichen Fernsehdokumentationen und Podcasts mitgewirkt. Die Zahl der Aufrufe ihrer TED-Talks geht in die Millionen.

So mahnt Fry, dass Forscher heute Systeme bauen, die persönliche Daten sammeln und verkaufen, menschliche Schwächen ausnutzen und Entscheidungen über Leben oder Tod treffen: „In den Technologieunternehmen dieser Welt finden wir heute meist sehr junge, sehr unerfahrene und oft weiße Männer. Sie wurden nie gebeten, darüber nachzudenken, wie sich die Lebensperspektiven anderer Menschen von ihren unterscheiden, und letztendlich sind dies die Menschen, die die Zukunft für uns alle gestalten."

Soziale und gesellschaftliche Anerkennung

Lisa Herzog, Philosophieprofessorin an der TU München und freie Autorin schreibt in ihrer ZEIT-Kolumne, dass sich derzeit gerade die IT-Berufe in den Dienst einer Logik stellen, die eher dem Kapital dient als der Gesellschaft als Ganzes. Sie sieht hier noch viel Entwicklungspotenzial: „Der erste, und wichtigste Schritt wäre, die professionelle Verantwortung von Informatikern und Softwareingenieuren anzuerkennen. Dies müsste im Selbstverständnis und vor allem auch in der Ausbildung entsprechenden Niederschlag finden, zum Beispiel durch verpflichtende Kurse über Ethik und gesellschaftliche Verantwortung in den entsprechenden Studiengängen.“ Die Sozialwissenschaftlerin kann sich die Einführung einer Art hippokratischen Eid für diese Berufe durchaus vorstellen. Sie plädiert dafür, diesen durch entsprechende Strukturen sozialer Anerkennung zu ergänzen, zum Beispiel durch Auszeichnungen für gemeinwohlorientierte IT-Lösungen.

Dieser Ansicht ist auch Thomas Matzner. Der Münchner Diplom-Informatiker und Berater für Systemanalyse beschäftigt sich seit langem mit ethischen Fragestellungen in der Informatik und hat dazu an der TU München eine Ringvorlesung gehalten. „Wir müssen die Ambivalenz digitaler Technologien anerkennen und mehr Verantwortung übernehmen“, sagt Matzner gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Aber nicht nur Informatiker seien in der Pflicht, sondern auch ihre Auftraggeber und die Nutzer. „Wir brauchen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel“, sagt er und kann der Forderung nach einem Eid für technische Berufe etwas abgewinnen. „Wenn ein Elektriker einen Kunden hat, der die Isolierung nicht zahlen will, dann lehnt er den Auftrag eben ab. Genauso müssten es Informatiker machen, wenn zum Beispiel Sicherheitslücken in einer Software absehbar sind.“

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar geht sogar noch einen Schritt weiter. Gegenüber der Wissenschaftsorganisation Helmoltz äußert er den Vorschlag, den hippokratischen Eid auch auf andere Disziplinen auszuweiten. „Ich glaube, man muss zum Beispiel dem Ingenieur, der bei einer Automobilfirma sitzt, ein Argument geben, das ihn stärkt, wenn er in eine zweifelhafte Situation gerät. Dann kann er sagen, ich habe während meines Studiums einen Eid abgelegt, deshalb stelle ich mein Know-how nicht für fragliche Entwicklungen, wie die Abgasmanipulation, zur Verfügung.“

Symbolik und öffentliche Aufmerksamkeit

Inwieweit sich tatsächlich ein hippokratischer Eid für technische Berufe einführen und umsetzen lässt, muss die Zukunft zeigen. Als Signal mit symbolischem Charakter kann ein solches Gelöbnisses aber sicher Denkweisen verändern.

Hannah Fry verleiht dem eine Stimme. Sie ist in erster Linie Wissenschaftlerin, die aber den öffentlichen Diskurs sucht. Mit ihren TED-Talks erreicht sie Millionen von Menschen. In ihrem aktuellen Buch „Hello World“ sorgt sie für Aufklärung und nimmt uns gleichzeitig die Ängste: „Noch nie waren Menschen so wichtig wie im Zeitalter der Algorithmen", so der Schlusssatz im Buch. Mit ihrem Engagement bringt sie die Debatte weiter. Sie schafft öffentliche Aufmerksamkeit, erweitert den Horizont und das Bewusstsein dafür, die Auswirkungen digitaler Technologien auf unsere Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Hier stehen wir alle in der Pflicht, nicht nur der Berufsstand der Computeringenieure und der „Nerds“.

Quellen: FAZ.de, ZEIT Online, The Guardian, Helmholtz.de

 

Weiterführende Links

Hannah Fry im Februar 2020 auf der OOP in München

Aktueller Hippokratischer Eid für Mediziner in Worten

 

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silhouette of virtual human on abstract technology 3d illustration , represent artificial technology.

Wie Künstliche Intelligenz uns Menschen tangiert

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Deutschland genießt in KI-Forschung international einen ausgezeichneten Ruf. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken ist mit über 1.000 Mitarbeitern die größte wissenschaftliche KI-Einrichtung weltweit. Auf der AI4U-Konferenz sprach ich mit Prof. Andreas Dengel, DFKI Standortleiter in Kaiserslautern, über politische Reglementierung, gesellschaftliche Verantwortung und zukünftige Einsatzgebiete, wie zum Beispiel im Klima- und Katastrophenschutz.

Herr Prof. Dengel, welcher Grundsatz gilt bei der Entwicklung von KI-Systemen?

Es ist wichtig, KI immer zum Nutzen des Menschen und der Menschheit zu entwickeln und zu verwenden. So dürfen Kampfroboter genauso wenig eigenständig über Leben und Tod entscheiden dürfen, wie Chatbots ohne Einverständnis des Menschen Gespräche aufzeichnen und auswerten dürfen. Es geht also um eine menschenzentrierte Betrachtungsweise, die ich für sehr wichtig halte. Daraus resultiert auch, dass KI als kognitive Entlastung wie als intellektueller Leistungsverstärker angesehen werden sollte, als digitaler Assistent, der unsere Fähigkeiten ergänzt oder erweitert und uns nicht gleichberechtigt ist.

 Sollte die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz politisch reglementiert werden?

Auf jeden Fall, denn auch für KI und diejenigen, die diese verantwortlich entwickeln, gilt, dass unsere Gesetze eingehalten werden müssen. Sowohl die Chancen als auch Gefahren bedürfen einer politischen Reglementierung. Dabei sollten primär Fragen zu Menschenrechten, demokratischen Werten und ethischen Überlegungen im Mittelpunkt stehen, wie sie auch im April dieses Jahres als Teil eines Leitlinienkatalogs der EU veröffentlicht wurden. Besonders, um dem manipulativen Potenzial von KI entgegenzuwirken, brauchen wir Ethik-Leitsätze und Gesetze, bis hin zu einer erweiterten Strafverfolgung, die jedoch nicht Halt macht an den Grenzen von Deutschland oder der EU, sondern eine globale Anstrengung erfordert.

 

 „Künstliche Intelligenz sollte als digitaler Assistent gesehen werden, der unsere Fähigkeiten ergänzt oder erweitert und uns nicht gleichberechtigt ist.“

 

Was können wir tun, damit KI nicht für Zwecke eingesetzt wird, die wir ablehnen? Wie schaffen wir eine größere Transparenz darüber, wie KI entwickelt wird?

Transparenz ist ein wichtiges, vermutlich auch das offensichtlichste und eingängigste Ziel. Gleichberechtigt daneben stehen jedoch weitere Dimensionen mit großem Einfluss. Nur wenn wir alle Ebenen gleichermaßen in unseren zukünftigen Entwicklungen beachten, KI entsprechend politisch reglementieren und die relevanten Forschungsfelder vorantreiben, können wir sicherstellen, dass wir keine Systeme kreieren, welche für unerwünschte Zwecke verwendet werden. Die Leitlinien der EU fassen die wesentlichen Dimensionen zusammen, die berücksichtigt werden müssen auf dem Weg zu einer vertrauenswürdigen KI.

Können Sie die wichtigsten Leitlinien der EU kurz skizzieren?

Menschliches Handeln und Aufsicht muss Vorrang haben (1), KI Systeme müssen robust und sicher sein (2), die Privatsphäre und das Datenqualitätsmanagement muss gewährleistet sein (3), KI Systeme sollten vielfältig, nichtdiskriminierend und fair gestaltet werden (4), Gesellschaftliches und ökologisches Wohlergehen sind Ziele für die KI eingesetzt werden soll (5), Mechanismen werden geschaffen, die eine Rechenschaftspflicht für KI Systeme gewährleisten (6) sowie Transparenz (7), also die Rückverfolgbarkeit von KI Systemen, welche als siebte und letzte Dimension von der EU vorgeschlagen wird.

Wie kann eine Gesellschaft verhindern, dass KI entgegen unseren Wünschen gebaut bzw. genutzt wird?

Damit eine Gesellschaft mitreden kann, muss viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, denn nur wer mitreden kann, ist in der Lage eine „rote Linie“ zu ziehen. Dies gilt für die Gesellschaft im Allgemeinen, wie für die politischen Entscheidungsträger im Speziellen, denn Gesetze und Anwendungskodizes machen nur dann Sinn, wenn ich ihre Wirksamkeit und Grenzen bewerten kann.

Grundsätzlich gilt aber, dass im Prinzip jede Technologie letztendlich missbraucht oder zweckentfremdet werden kann, was nicht nur für die KI gilt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Kreditkartenbetrug oder korrupte Finanzbuchungen – auch hier werden Technologien entgegen ihres ursprünglichen Sinnes für kriminelle Handlungen missbraucht. Das Gefahrenpotenzial einer Technologie macht sie nicht per se schlecht, man darf potenzielle negative Auswirkungen jedoch nicht ignorieren.

 

„Um dem manipulativen Potenzial von KI entgegenzuwirken, brauchen wir Ethik-Leitsätze und Gesetze bis hin zu einer erweiterten Strafverfolgung.“

 

Und wie kann man gegen die Gefahren vorgehen?

Einhalt kann man diesen möglichen Gefahren gebieten, indem man aus dem Bewusstsein über die Gefahren Schutzmechanismen entwickelt. Das bedeutet auch, dass es sich lohnt beispielsweise in die Erforschung der Erklärbarkeit von KI Systemen zu investieren, um weitere potentielle Risiken frühzeitig aufdecken zu können.

Auch meine Arbeitsgruppe am DFKI beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Themen Interpretierbarkeit und Erklärbarkeit, was dazu geführt hat, dass wir KI Systeme bereits heute in die Lage versetzen können, ihre Entscheidungen in natürlicher Sprache zu erklären. Das ist nur ein Beispiel für vielversprechende Entwicklungen und wichtige Schritte in Richtung Transparenz und um ein tieferes Verständnis zu generieren.

 

„Die KI bietet uns als globale Gesellschaft ein technologisches Fundament, um die vieldimensionalen Daten und ihre Zusammenhänge besser zu verstehen, Ereignisse und Entwicklungen vorherzusehen und präventive Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten.“ Prof. Andreas Dengel, DFKI

 

Technologischer Fortschritt hält Einzug in unseren Alltag. Inwieweit werden KI-Systeme diesen in Zukunft beeinflussen?

Wenn wir uns anschauen, in wie viele Bereiche unseres täglichen Lebens KI bereits Einzug gefunden hat, können wir in etwa abschätzen, wie dieses zukünftig aussehen wird. Im Bereich Edge Computing und Anwendungen wie z. B. Smart Cities und Smart Automation kann ich mir ebenfalls deutliche Verbesserungen in absehbarer Zeit vorstellen.

 Es entsteht manchmal der Eindruck, dass KI nur entwickelt wird, um Verantwortlichkeiten auf Maschinen abzuschieben, aber nicht um echte Probleme zu lösen. Wie stehen Sie dazu?

Ich kann dem Kern Ihrer Frage nicht folgen, denn Einzelaussagen, wie etwa, dass an einem Unfall der Algorithmus schuld sei oder das Verhalten auf unzureichende Daten zurückzuführen ist, sind nicht repräsentativ für die KI. Ich billige eine Abschiebung von Verantwortlichkeit auf KI-Systeme auch nicht, denn die Algorithmen haben sich Menschen ausgedacht und Daten zum Training von KI-Systemen sind von Menschen ausgewählt.

 

„Eine verstärkte Anwendung von KI zu Klimaschutzzwecken, z. B. im Energiesektor ist denkbar, bspw. im Ressourcenmanagement oder in intelligenten Automatisierungen.“

 

Aber, und dies ist wichtig zu betonen, KI-Systeme behandeln bereits „echte Probleme“. Schon das Navigationssystem im Auto versucht allen Verkehrsteilnehmern gleichzeitig in hochkomplexen und dynamischen Verkehrsdatenräumen, die schönste, schnellste, kürzeste Route zum Ziel zu suchen. KI-Systeme, wie deepL übersetzen in Sekunden längere Texte in alle europäischen Sprachen.

KI-Systeme des DFKI werden z. B. zur Betrugserkennung oder zur automatischen Erkennung von Bildinhalten, in denen Kinder sexuell missbraucht werden, eingesetzt. Andere Systeme kommen im Bereich des Katastrophenmanagements zum Einsatz, wo Satellitenbilder z. B. bei Überflutungen analysiert werden, um Vorhersagen zu machen, wie sich die Fluten weiter ausbreiten werden und Rettungswege in welchem Zeitraum für die Einsatzkräfte noch zur Verfügung stehen. Das sind für mich schon „echte Probleme“.

D. h. KI-Systeme werden in Zukunft positive Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Welche sehen Sie da als realistisch an?

Meine Antwort knüpft zum Teil an Ihre vorangegangene Frage zu „echten Problemen“ an. Eine echte Herausforderung der wir uns nämlich zukünftig stellen müssen, ist der Klimawandel. Eine verstärkte Anwendung von KI zu Klimaschutzzwecken, z. B. im Energiesektor ist denkbar, bspw. im Ressourcenmanagement oder in intelligenten Automatisierungen. Positive Auswirkungen auf die Gesellschaft, die ich für realistisch halte und zukünftig sehe, liegen auch im Bereich Gesundheit, zur Unterstützung von alten, kranken oder behinderten Menschen.

Wie wird Künstliche Intelligenz in Zukunft die Arbeitswelt verändern?

Bezogen auf die Arbeitswelt sehe ich ebenfalls eine große Chance, denn durch den Einsatz von KI-Systemen können dem Menschen monotone Arbeiten und standardisierte Vorgänge abgenommen werden. Infolgedessen bleibt mehr Zeit für Aufgaben, in denen der Mensch seine im Vergleich zur Maschine anders vorhandene Problemlösungskompetenz anwenden kann.

Auch für Kreativität, kommunikative und soziale Tätigkeiten bleibt im besten Fall mehr Zeit. Wenn wir es schaffen die KI für uns einzusetzen, kann sie uns die Arbeit erleichtern und ist keinesfalls etwas, das als „Arbeitsplatzvernichter“ befürchtet werden muss. Man muss sich hier auch klarmachen, dass ein etwaiger Umbruch - so übrigens auch in allen vorangegangenen industriellen Revolutionen passiert - nicht plötzlich, sondern sukzessive erfolgt und somit auch Zeit bleibt, um z. B. in Weiterbildung, Um- oder Höherqualifizierung zu investieren.

Was werden KI-Systeme in drei Jahren besser können als heute?

Drei Jahre sind ein relativ limitierter Zeitrahmen, ich denke daher, dass man allgemein sagen kann, dass große Potentiale hin zu besseren KI-Systemen im Verständnis der Systeme liegen. Unser Ziel sollte also vornehmlich weiterhin sein, die sogenannten KI Black-Boxes „weißer zu machen“ und hier sind wir schon auf einem guten Weg.

 

„Es sich lohnt in die Erforschung der Erklärbarkeit von KI Systemen zu investieren, um weitere potenzielle Risiken frühzeitig aufdecken zu können.“

 

Und was sagen längerfristige Prognosen?

 Es gibt verschiedene Befragungen und Trendanalysen, die versuchen zu prognostizieren, welche Veränderungen in Zeiträumen von z. B. fünf oder zehn Jahren im Bereich KI voranschreiten werden. Häufig werden in solchen Studien das produzierende Gewerbe, die Industrie und auch KMU als prädestinierte Nutzer von KI identifiziert. Ein Beispiel ist die Qualitätskontrolle die mit KI assistiert werden kann und so wesentliche schneller als der Mensch ist. IBM präsentiert regelmäßig konkrete zu erwartende Technologietrends der kommenden fünf Jahre.

Auch hier finden sich Anwendungen z. B. im Ökologie- bzw. Umweltbereich in Form von intelligenten Sensoren, die Schadstoffbelastungen erkennen können oder Einsätze im Gesundheitsbereich wie Chips, die es ermöglichen Krankheiten früher zu erkennen, indem regelmäßig Körperflüssigkeiten auf Veränderungen untersucht werden. Dies könnte mit diesen Mini-Laboren sogar von zuhause aus geschehen. Ob diese speziell prognostizierten Anwendungen tatsächlich alle eintreten werden, wird man in den kommenden Jahren sehen, sicherlich werden sie aber zum Teil Einzug in unseren Alltag finden.

Was ist Ihr ganz persönliches Anliegen in Sachen Entwicklung von KI-Systemen?

Prof. Andreas Dengel, DFKI
Prof. Andreas Dengel ist Standortleiter am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern und wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs Smart Data & Knowledge Services am DFKI.

Es gibt viele große Probleme unserer Zeit, die die gesamte Menschheit betreffen, insbesondere die Lebensbedingungen und das Zusammenleben der kommenden Generationen. Die KI bietet uns als globale Gesellschaft ein technologisches Fundament, um die vieldimensionalen Daten und ihre Zusammenhänge besser zu verstehen, Ereignisse und Entwicklungen vorherzusehen und präventive Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten, sei es in den Lebenswissenschaften, im Bereich der Klimaforschung oder bei gesellschaftlichen Phänomenen, die durch Social Media entstehen. Daher würde ich noch mehr kollektive Maßnahmen ganz Im Sinne der UN-Initiative „AI for good“ begrüßen.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, Herr Prof. Dengel!

 

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Weiterführende Links

Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz

Konferenz für Künstliche Intelligenz AI4U

 


Bild von Digitalem Visionär: Ryan Mullins

Interview Ryan Mullins:
Über das Verschwinden des Digitalen

Ryan Mullins ist Serial Entrepreneur, digitaler Vordenker und Visionär. Die letzten zwei Jahre hat der US-Amerikaner als Director of Future Trends bei Adidas digitale Zukunftstrends beobachtet und die Sportmarke hinsichtlich ihrer digitalen Strategie beraten. Alles, was Ryan tut, dreht sich um das, was er das Prometheus-Prinzip nennt: Werkzeuge und Technologien demokratisieren, um zu sehen, was Menschen erschaffen. Jetzt gründet er in den USA ein neues Unternehmen, das digitale Streetwear-Startup Aglet. Auf dem Ispo Digitize Summit sprach ich mit Ryan über das Verschwinden des Digitalen und die Rolle von Technologien. Und er verrät seine Learnings, die er Marken und Händlern mit auf dem Weg gibt.

Ryan, wie siehst du die Zukunft des Handels? Welche Rolle werden Brands spielen, welche Händler?

Ich sehe den Handel im Kontext einer wesentlichen Entwicklung: Das Verschwinden des Digitalen. Der stationäre Handel hat einen Fehler gemacht, als er iPads, Screens, magische Spiegel etc. in die Läden gestellt hat in der Hoffnung, der Kunde würde das wollen. Tatsächlich schaffen diese Geräte aber Hindernisse für das Markenerlebnis und die Kommunikation zwischen Kunde und Verkäufer. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Zukunft immer weniger kommerzielle Transaktionen im Laden durchführen, das klassische Kaufen wird mehrheitlich online erfolgen. Dafür wird der stationäre Laden für den direkten Kontakt mit der Marke immer wichtiger. Hier findet das Testen von Produkten statt. Es wird mehr Direct-to-Consumer Handel geben und vor allem mehr Consumer-to-Consumer Handel.

 

"Was ich mit Verschwinden des Digitalen meine: Das Digitale wird für uns so selbstverständlich und omnipräsent werden wie es für uns heute die Elektrizität ist."

 

Was genau meinst du mit Consumer-to-Consumer?

Consumer-to-Consumer ist die Weiterentwicklung von eBay oder StockX, also Plattformen, wo Konsumenten an Konsumenten verkaufen. Wenn Produkte wie beispielsweise Sneaker mit den entsprechenden Chips ausgestattet sind, wird derjenige, der die Schuhe trägt, zum Verkäufer, einfach indem die Schuhe gescannt werden. Technologie wird jedem ermöglichen, zum Verkäufer zu werden. Nicht alle kommerziellen Transaktionen werden so ablaufen, aber wir werden hier eine signifikante Steigerung sehen.

Welche Rolle werden dann die Marken haben?

Marken stehen nicht für Produkte, sondern sie bieten den Kunden einen Raum an, wo Kunden Erfahrungen machen können, wo sie ihren Visionen nachgehen können, wo sie ihr Leben ändern können. Sport ist schon immer mit Orten assoziiert, wie z.B. Fußballplätzen, Fitnessstudios etc. In Zukunft wird es für Marken darauf ankommen, diese Orte mit der Marke zu verknüpfen oder selbst zu so einem Ort zu werden. Apple ist dafür ein gutes Beispiel: Wenn man in einen Apple Store geht, kann man dort natürlich auch Dinge kaufen, aber vor allem geht es darum, dort Produkte zu testen. Der Laden funktioniert wie ein Ort, an dem Kunden neue Erfahrungen machen.

Du sprichst über das “Verschwinden des Digitalen”. Was genau wird verschwinden?

Wie oft haben Sie heute schon über die Technologie nachgedacht, die es Ihnen erlaubt, bestimmte Dinge zu tun? Wahrscheinlich so gut wie gar nicht. Das ist eine evolutionäre Entwicklung: Dinge sind nur dann im Fokus der Aufmerksamkeit, solange sie neu sind. Das gilt für die neue Uhr, die neuen Sneaker genauso wie für Technologie. Jede große Technologie wird verschwinden, nicht in dem Sinne, dass es sie nicht mehr gibt, sondern sie wird einfach zu einem Teil unseres Lebens, ohne viel Aufmerksamkeit zu absorbieren. Das Digitale wird für uns so selbstverständlich und omnipräsent werden wie es für uns heute die Elektrizität ist.

 

"Es wird in Zukunft mehr Direct-to-Consumer Handel geben und vor allem mehr Consumer-to-Consumer Handel."

 

Welche Konsequenz hat diese Entwicklung für Marken und Händler?

Die Frage, die sich daraus ergibt, wird sein, wie man als Marke für diese Konsumenten Erlebnisse entwickeln kann? Die Antwort darauf kann nicht lauten, dass wir die Technologie in den Vordergrund stellen und auf VR-Brillen, noch mehr Screens, Magic Mirrors etc. bauen. Man braucht kein Hologramm im Store oder tanzende Außerirdische, um den Konsumenten zu bedienen. Wir müssen nach Anwendungen suchen, die für ihn Sinn machen. Das muss meiner Meinung nach überhaupt nichts super ausgefallenes sein. Die aktuellen Top-Brands für Kids, wie z.B. Supreme oder Balenciaga, sind nicht wegen ihrer Technik angesagt, ihre Attraktivität hat nichts mit Technologie zu tun. Die Magie entsteht allein im Auge des Konsumenten.

Wie kann man diese Magie herstellen- ohne technischen Schnickschnack?

Beispielsweise durch Strategien der Verknappung. Mit den digitalen Plattformen wurde alles überall und jederzeit verfügbar. Deshalb haben erfolgreiche Brands damit begonnen, ihre Produkte zu limitieren. Was ist ein Selfie? Das Festhalten eines ganz bestimmten, nicht wiederholbaren Moments. Diese Momente zu haben und mit anderen zu teilen verleiht heute Status. Genauso ist das mit Produkten. Sneaker sind ein Paradebeispiel für dieses Prinzip. Der Resell-Markt für Sneaker ist dreimal größer als der eigentliche Sneaker Markt! Es gibt Leute, die verkaufen ihre Sneaker schon weiter, bevor sie sie überhaupt bekommen haben. Die Marke spielt hier gar keine Rolle mehr, der Prozess verläuft allein zwischen Konsumenten.

Welche Bedeutung wird in diesem Zusammenhang Customizing  zukommen?

Customizing ist ein großartiges Tool um Läden zu einem besonderen Ort für die Konsumenten zu machen. Die Magie des Ladens entwickelt sich allein daraus, was der Kunde dort machen kann! Die eigene Kreativität und Vorstellungskraft wird zu einem Teil des Geschäfts. Und natürlich ist auch Customization mit dem Konzept der Limitierung verbunden. Viele Konsumenten nutzen diese Möglichkeit schon, aber es wird Zeit, dass diese Idee mithilfe von Machine Learning eine höhere Stufe erreicht. Zwei Probleme sind heute mit Customization verbunden: Selbst designen kostet Mühe und Zeit, und die wollen viele Leute nicht investieren. Ganz nach dem Bestseller „Don’t make me think“: Sobald der Konsument denken muss, geht er. Das zweite Problem: Viele Leute glauben nicht daran, dass sie selbst ein guter Designer sein können. Sobald wir aber soweit sind, über Algorithmen genau die Produkte entwickeln zu können, die dem Konsumenten gefallen, wird Customization zu einer komplett neuen Erfahrung.

 

"Innovationen entstehen durch ungewöhnliche Kombinationen."

 

Welche Rolle wird Geschwindigkeit spielen?

Die Geschwindigkeit, in der künftig Produkte auf den Markt gebracht werden können, spielt eine wesentliche Rolle – es ist kein Zufall, dass gerade die Fast Fashion in den letzten Jahren so stark gewachsen ist. Wir müssen schneller werden! Die ersten Produktbilder erreichen heute schon so früh die Konsumenten, dass sie schon gelangweilt sind, wenn das Produkt erhältlich ist. Die Supply Chain hierfür zu optimieren ist ein Teil des Puzzles. Auch neue Technologien werden hier eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen. Nehmen wir Blockchains oder Kryptowährungen – viele Menschen denken, das sei nur ein Trend. Aber das ist ein Fehler. Blockchains werden Teil der Supply Chain werden, weil sie Transparenz ermöglichen und Nachhaltigkeit nachvollziehbar machen. Noch sind wir nicht soweit, aber viele Leute arbeiten daran.

Wie weit verändert die Digitalisierung den Sport? Wo siehst du weitere Erlösquellen?

Ich möchte es ein wenig umschreiben: Mich hat mal jemand gefragt, wie können die Marken heute wieder dahin zurückkehren, echte Sport Brands zu sein? Zu viele Menschen trügen Sportprodukte ohne wirklich Sport zu treiben, und das schade dem Image. Meiner Meinung nach ist das aber die falsche Frage. Wenn man zurück will, ist das der falsche Weg. Die richtige Frage lautet: Wie bringt man den Sport voran? Neue Möglichkeiten für Erlösquellen ergeben sich zum Beispiel durch den e-Sports Boom, auch wenn die heutige Diskussion vorherrscht, dass Video Games schlecht sind und kein Sport. Aber daraus lassen sich neue Umsätze entwickeln. Das Spiel Fortnite hat 2018 drei Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht, ein großer Teil davon durch virtuelle Produkte. Innovationen entstehen auch durch ungewöhnliche Kombinationen, beispielsweise die neue Pharell Williams Kollaboration mit Adidas Originals, wo Tennis und Basketball zusammen kommen. Jede Art von Sport wird heute ‚vermodet‘, bis hin zu den Sportlern selbst, bei denen nicht nur die Leistung interessiert, sondern oft noch mehr, was sie auf dem Weg ins Stadium anhaben. Auch wenn manches lächerlich erscheinen mag, man muss das System Sport als Ökosystem verstehen lernen und daraus Produkte entwickeln.

 

"Blockchains werden Teil der Supply Chain werden, weil sie Transparenz ermöglichen und Nachhaltigkeit nachvollziehbar machen."

 

Die Digitalisierung ist eine große Herausforderung für den Handel. Welche Tipps würdest du Händlern geben?

Ich würde folgenden Rat geben: Findet Wege, wie ihr eure Kunden stärken und befähigen könnt. Versucht sie besser zu verstehen, und ihr werdet feststellen: Was eure Kunden brauchen ist nicht das, was ihr erwartet hättet. Bleibt innovativ und wagt kontinuierlich Neues, um gegen das Überangebot zu bestehen - die Kunden sind super schnell gelangweilt. Hebt euch ab von eurer Konkurrenz und seid kreativ. Man muss, wie ich anfangs schon gesagt habe, eine gewisse Spannung erzeugen.

Du verlässt adidas und gründest gerade ein Start-up in den USA. Verrätst du uns, worum es dabei geht?

Mein neues Start-up heißt ‚Aglet‘, wie das Ende der Schnürsenkel bei einem Sneaker. Es ist eine digitale Sneaker Plattform, auf der man Sneaker designen, kaufen und verkaufen kann. Das Interesse an Sneaker Design ist riesig – man kann Sneaker Designer auf Instagram folgen, und immer mehr  Menschen wollen selbst designen. Bisher gab es aber keine Möglichkeit, selbst zum Designer zu werden und eigene Sneaker, Hoodies etc. zu entwerfen. Auf Aglet können User selbst kreativ werden, über Designs abstimmen und digitale Sneaker kaufen, beispielsweise für Games. Auch dort zählt Status. Aglet ist also ein Tool um Schuhe zu designen und ein Kanal zum Kaufen und Verkaufen. Aglet heißt auch die Währung. Es ist auf Blockchains aufgebaut. Es bietet außerdem die Möglichkeit, mit Brands zu interagieren. Brands könnten ihre Komponenten digitalisieren und zum Kauf anbieten, aus denen die Kids ganz eigene Designs erstellen. Ich bin sicher, dabei kämen völlig neue Produkte heraus und neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Kunde und Brand. Ich denke, so wird in Zukunft Design stattfinden: man designt digital, misst digital den Erfolg und produziert erst dann.

Soll es auch echte Produkte geben?

Am Ende ja. Wenn es mehr Speed Factories gibt und diese schnell und mit unterschiedlichen Materialien produzieren können. Aber noch ist es nicht so weit.

Viel Erfolg, Ryan, danke für das Gespräch!

 

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Tabakriese Philip Morris: Traumjob für einen digitalen Transformator

Zigarettenhersteller Philip Morris International möchte bis 2025 weltweit 40 Prozent seines Umsatzes mit risikoreduzierten Produkten erzielen. 40 Millionen Zigarettenraucher sollen von Alternativen überzeugt werden. Auf der OMR sprach ich mit CTO Michael Voegele. Auf seinem LinkedIn-Profil ist der Slogan „Designing a smoke-free future“ zu lesen. Ein heeres Ziel und ein Traumjob für einen digitalen Transformator, der Dinge bewegen will.

Michael Voegele, CTO PMI
Michael Voegele wechselte im Februar 2019 von Addidas zu Philipp Morris International

Michael Voegele arbeitete über acht Jahre bei der Sportmarke Adidas. Vor vier Monaten wechselte der Ingenieur zum Tabakriesen Philip Morris als CTO. Wie passt das zusammen? „Die Frage liegt jedem auf der Zunge“, schmunzelt er. „Das Unternehmen ist Marktführer im Bereich Zigaretten – und will in Zukunft keine Zigaretten mehr verkaufen, sondern Raucher von weniger schädlichen Alternativen überzeugen. Das ist echtes Change Management und diese Herausforderung hat mich gereizt.“

Weltweit fällt der Umsatz von Zigaretten um drei bis vier Prozent jährlich. In Deutschland hält sich der Umsatz bisher auf einem stabilen Level, obwohl die Zahl der Raucher deutlich zurückgeht. Das liegt an den steigenden Preisen und höheren Steuern für Zigaretten. Philip Morris setzt in der Transformation auf Produkte wie Iqos. Dabei handelt es sich um ein Gerät, das Tabak erhitzt und nicht verbrennt. Der Dampf, der dabei entsteht, soll weniger schädliche Stoffe enthalten als Zigarettenrauch, laut Unternehmen sogar 95 Prozent weniger als herkömmliche Zigaretten. Allerdings macht Iqos weiterhin süchtig, da nach wie vor Nikotin enthalten ist. Seit 2017 dreht sich bei Philipp Morris alles nur noch um den Iqos, das Marketingbudget für Marken wie Marlboro wurde auf Null gesetzt - obwohl der Umsatz des klassischen Zigarettengeschäfts recht stabil ist. Noch.

Wandel geprägt durch Vision

Den Grundstein für den Wandel legte CEO Andre Calantzopoulos 2016 mit seiner Vision. Er stellte sich vor die Mitarbeiter und sagte: „I hope one day we won’t sell cigarettes any more!“ Für die Mitarbeiter war das damals ein Schock, aber seither hat sich in den Köpfen viel getan. Für Voegele, der selbst erst seit kurzem an Bord ist, eine neue Erfahrung: „Man spürt den Kulturwandel standortunabhängig, das Unternehmen ist bereits mitten in der Transformation. Der Wille zur Veränderung ist da und man kann die Aufbruchsstimmung bei jedem einzelnen Mitarbeiter spüren. Denn jeder weiß: Es gibt keinen Plan B.“

Die zentrale Fragestellung bei der Transformation: Welche Alternative kann ein Tabakhersteller bieten, die das Gesundheitsrisiko von Rauchern minimiert? Michael Voegele ist angetreten, um das Unternehmen auf eine entsprechend neue technologische Plattform zu bringen, die die Vermarktung von risikominimierten Produkten wie den Iqos abbildet. Denn die Vermarktung eines elektronischen Produkts stellt ganz neue Anforderungen an interne Prozesse: Handling von Retouren, kaputte Geräte managen, Kundenservice – alles Prozesse, die das Unternehmen in den letzten zwei Jahren neu aufsetzen musste.

Holistischer Ansatz

Aber das ist nur der Anfang auf dem Weg zu einer rauchfreien Gesellschaft. Es geht um die Entwicklung neuer Produkte und Services. 400 Mediziner und Forscher arbeiten dafür im Headquarter in Lausanne. „Dabei stellt sich für uns die Kernfrage, welche gesundheitlichen und kommerziellen Benefits wir für unsere Community schaffen können. Daraus leiten wir dann Ideen für innovative Geschäftsmodelle ab.“ Voegele hält sich noch bedeckt, welche konkreten Maßnahmen in den nächsten zwölf Monaten geplant sind, verrät aber ein Beispiel: „In UK beispielsweise starten wir gerade ein Pilotprojekt. Wir haben eine spezielle Lebensversicherung für Raucher konzipiert, die zu unserem Produkt Iqos gewechselt sind.“

Voegele hat 20 Jahre Erfahrung in der IT-Industrie. Mit dieser Expertise will er nun den Technologie-Stack bei Philip Morris designen und entwickeln. „Die Transformation stellt ganz neue Anforderungen an die Supply Chain und Sales Prozesse. Nichts ist mehr so, wie es beim Vertrieb einer Zigarettenmarke einmal war. Jeden Tag fließen riesige Datenmengen an Feedback ins System und wir müssen daraus lernen, was der Kunde will.“ Dafür ist es extrem wichtig, als Unternehmen direkten Kontakt zu den Kunden zu haben – ein Umstand, der im „alten“ Philip Morris keine Rolle gespielt hat. Alte Vertriebswege wie z.B. Kooperationen mit Clubs funktionieren heute nicht mehr. In den nächsten Monaten steht bei Voegele Multichannel auf dem Plan: „Wir brauchen die digitalen Kanäle und deren Verknüpfung mit Retail Channels und den Iqos Flagship-Stores.“

Talente für den Wandel rekrutieren

Für seine Agenda muss Voegele digitale Expertise im Unternehmen aufbauen und digitale Talente rekrutieren. „Derzeit zeichnet sich der Trend ab, Standorte dort zu eröffnen, wo die Talent-Pools ausgebildet werden. In Osteuropa sind sehr gute Cyber Security Spezialisten zu finden, Spanien ist ein guter Markt für Entwickler und Programmierer, Griechenland hervorragend, wenn es um Data Scientists geht.“ Dennoch: Im „War for Talents“ kein leichtes Unterfangen für ein Unternehmen mit angekratztem Image. „Natürlich ist es einfacher für eine Sportmarke neue Leute zu gewinnen als für einen Tabakhersteller. Da ist Überzeugungsarbeit zu leisten“, so Voegele.

Im PMI Forschungs- und Entwicklungszentrum in Neuenburg bei Lausanne (CH) - eingeweiht im Jahr 2009 und auch bekannt als “the Cube“ – arbeiten über 400 Wissenschaftler und Entwickler.

Seine US-amerikanische Kollegin Marian Salzman, Kommunikationschefin bei Philip Morris, sieht er in einer Vorbildfunktion. Die PR-Pionierin kam als überzeugte Nichtraucherin zum Konzern, um an einer rauchfreien Zukunft mitzuarbeiten. Wer sich der Herausforderung einer radikalen digitalen Transformation stellen will, hat hier die Chance seines Lebens. Voegeles Wechsel von Adidas zu Philip Morris scheint der beste Beweis dafür zu sein.

 

Weiterführende Links

Studie über Digitale Transformation 2019

Recap OMR 2019

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Porträt über die „Mutmacherin des Jahres 2018“ Anne Kjaer Riechert:
Wie digitale Integration funktioniert

Anne Kjaer Riechert ist Gründerin der ReDI-School, eine Programmierschule für Flüchtlinge und Organisation für digitale Integration. Vom Handelsblatt wurde sie letzte Woche zur „Mutmacherin des Jahres 2018“ gekürt. Auf dem Charity Brunch „What’s your Jouney?“ Anfang Dezember in München stellt sie ihr neuestes Projekt vor: ReDI Women – ein spezielles Schulungsprogramm für geflüchtete Frauen, das hilft, digitale Fähigkeiten zu entwickeln, Netzwerke aufzubauen und Selbstständigkeit zu fördern. Anne liegt dieses Projekt besonders am Herzen, will es weiter ausbauen und sucht dafür finanzielle Unterstützer. Um meinem Netzwerk Annes Spirit und Antrieb näherzubringen, darf ich sie auf ihrer ganz persönlichen und wie ich finde sehr bewegenden Reise begleiten. Ein Porträt einer sehr inspirierenden Frau.

Annes Geschichte beginnt schon vor ihrer Geburt. Nämlich mit ihrer Familiengeschichte. Ihre Großeltern haben in Deutschland den ersten Weltkrieg erlebt und sich geschworen, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Sie werden Pazifisten und Verfechter der Demokratie. Sie produzieren in ihrem Familienbetrieb, einer Druckerei in Heide, pazifistische und sozialdemokratische Bücher und Schriften. Das passt den aufstrebenden Nationalsozialisten nicht, die Großeltern werden mehrmals verhaftet, die Druckerei gerät immer mehr unter Beschuss. Bei der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 treffen die Großeltern eine schwere Entscheidung, nämlich zu flüchten.

80er Jahre. Anne wächst in Dänemark auf. Ihre Eltern erzählen ihr immer wieder die Geschichte und sie verinnerlicht ein Mantra: Man muss um Werte kämpfen und dabei auch manchmal schwere Entscheidungen treffen. Als Einzelkind wächst sie in einem Umfeld auf, das sie viel an Diskussionen mit Erwachsenen teilhaben und sie immer wieder die Warum-Frage stellen lässt. Sie ist neugierig und idealistisch.

Scheitern am Business Case NGO

Sie absolviert ein Innovationsstudium an der privaten Business School Kaospilot in Dänemark. Sie wird dort inspiriert von der Methodik, Produkte und Dienstleistungen nach realen menschlichen Bedürfnissen zu gestalten und nicht nach Vorgaben von Gewinnmaximierung oder von technischer Entwicklung. Nach ihrem Studium startet sie ihr eigenes Projekt "Kids have a Dream", das Teenagern auf der ganzen Welt dabei hilft, ihre Träume für die Zukunft zu definieren und zu verfolgen. Mehr als 4000 Kinder in über 30 Ländern haben in den vergangenen zwölf Jahren teilgenommen. Sie ist jedoch nicht in der Lage, das Projekt auf ein fundiertes Geschäftsmodell zu stellen. Die Lektion, die sie daraus lernt und sie bis heute begleitet: „NGOs müssen auch Geld verdienen, um die Belegschaft zu bezahlen. Wenn nicht, ist das Projekt weder nachhaltig noch skalierbar.“

 

„ Ich habe eigentlich nie einen Job durch eine Bewerbung bekommen.
Ich wurde immer durch mein Netzwerk empfohlen oder geleitet.“

 

Als externe Beraterin arbeitet sie drei Jahre lang in Kopenhagen, u.a. für Samsung Electronics. Dort ist sie für die Entwicklung und Umsetzung einer Strategie für nachhaltige Unternehmensführung in Skandinavien verantwortlich. Sie lernt, wie man gewinnorientierte und gemeinnützige Organisationen zusammenbringt. Wie man Projekte entwickelt, die für beide Seiten von Vorteil sind. Die Arbeit im Konzern macht ihr Spaß und sie ist erfolgreich, für ihren Geschmack aber noch nicht innovativ und wirkungsvoll genug. Sie entscheidet sich für ein weiteres Studium, und bekommt bei Rotary ein Stipendiat für ein zweijähriges Master-Studium in Friedens- und Konfliktforschung in Japan.

Digitale Integration

Danach zieht sie es nach Berlin. 2013 gründet sie in Zusammenarbeit mit der Stanford University das Berlin Peace Innovation Lab. Das Netzwerk wächst innerhalb von drei Jahren zu einer Gemeinschaft von 1700 Menschen. „Wir haben einen monatlichen Co-Creation-Workshop ins Leben gerufen, um die lokalen sozialen Herausforderungen in Berlin zu diskutieren und Ideen zu erarbeiten, wie diese gelöst werden können.“ Im April 2016 sitzt sie mit 40 Teilnehmern im Berliner Rathaus zusammen, um Ideen für die Unterstützung der Asylbewerber, die zu dieser Zeit nach Deutschland kommen, zu erarbeiten. „Wir hatten viele Stakeholder am Tisch - aber die wichtigsten fehlten: Die Flüchtlinge selbst.“ Sie fängt an, die Flüchtlingslager zu besuchen, um die wirklichen Bedürfnisse richtig zu verstehen - und mit den Menschen selbst zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu finden.

Mark Zuckerberg trifft auf Rami Rihavi aus Alappo, der von einem Virtual Reality Projekt erzählt.
Begegnung zweier Tech-Geeks: Mark Zuckerberg und Rami Rihavi aus Alappo in der ReDI School.

Anne vergisst niemals, wie sie dort Mohammed begegnet, einem Programmierer aus dem Irak. Er hat Spaß am Programmieren, würde auch gerne arbeiten. Er besitzt aber weder einen Labtop noch das Netzwerk, um einen Job zu finden. Da kommt ihr der Gedanke: Warum nicht Technologien nutzen, um soziale Probleme zu lösen? Sie schreibt auf Facebook einen Post und fragt ihre Community, wer sie dabei unterstützen könne, Menschen wie Mohammed zu helfen. Mit der positiven Resonanz hätte sie nicht gerechnet. 30 Personen wollen gleich aktiv mitarbeiten. Bieten Hilfe in Form von Sachspenden wie Labtops an, erklären sich bereit, ehrenamtlich Kurse zu geben, stellen Räumlichkeiten zur Verfügung. Oder wollen einfach einen selbstgebackenen Kuchen mitbringen.

Fit für den deutschen Arbeitsmarkt

So entsteht die Idee der "Refugee on Rails", die sich später zur ReDI School entwickelt. „Ich kann selbst nicht programmieren - daher habe ich keine Tech-Schule gegründet, um meine eigenen Fähigkeiten einzusetzen. Stattdessen ist die ReDI School eine sehr pragmatische Lösung, um den Newcomern in Deutschland, der deutschen Wirtschaft und der deutschen Gesellschaft zu helfen.“ Es kommen viele Geflüchtete nach Deutschland, die Programmier-Vorkenntnisse haben oder zumindest technikaffin sind. Anne will diesen Menschen eine Perspektive geben und die schlummernden Talente fit für den deutschen Arbeitsmarkt machen. Bedarf ist allemal da: Es gibt in Deutschland laut Bitkom über 55.000 unbesetzte IT-Jobs. Eine feste Arbeitsstelle zu haben, ist ihrer Meinung nach Grundvoraussetzung für Integration.

 

„Wir müssen eine Plattform schaffen, auf der sich die Menschen
durch ein gemeinsames Interesse leicht verbinden können: Technologie.“

 

Zunächst startet Refugee on Rails mit einer „Wir-schaffen-das-Euphorie“, aber schnell kommen Anne und ihre ehrenamtlichen Helfer an ihr Limit. Auch aus eigenen Erfahrungen in der Vergangenheit weiß sie, dass sie es nur schaffen kann, wenn sie eine gemeinnützige Organisation als Unternehmung aufbaut. In dieser Findungsphase spielen ihre Partner Weston Hankins und Ferdi van Heerden eine große Rolle. „Wir haben fünf Monate lang Konzepttests durchgeführt, bevor wir dann tatsächlich die Organisation gegründet haben. Wir hatten auch enormes Glück, von Anfang unseren ersten Unternehmenspartner Klöckner & Co an Bord gehabt zu haben, die uns monetär unterstützt haben. Ansonsten hätten wir es nicht geschafft.“

Dann kommt Mark Zuckerberg zu Besuch in die ReDI-School. Ein persönlicher Meilenstein für Anne. Denn Mark Zuckerberg trifft auf Rami Rihavi aus Alappo, der von einem Virtual Reality Projekt erzählt, das er plant, um mit seiner Mutter in Aleppo sprechen und dabei seine Heimat sehen zu können. Umgekehrt soll seine Mutter sehen, wie er lebt. Ein Milliardär trifft einen Flüchtling – so scheint es von außen. Aber innerhalb weniger Minuten entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden und es sind zwei Tech-Geeks, die sich unterhalten. So schnell verschwinden vermeintliche Grenzen. Für Anne ist dies einer dieser Aha-Momente, in denen sie merkt, dass sie das Richtige tut.

Umgang mit Bürokratie und Widerstand

Angela Merkel zu Besuch in der ReDI School
Politischer Besuch in der ReDI School: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit den Student*innen

Das Richtige zu tun, ist nicht immer einfach. Anne muss einige Hürden nehmen und braucht langen Atem. Für die deutsche Bürokratie hat sie fast nur ein Kopfschütteln übrig. Etwa, als sie vier geflüchtete Frauen in der ReDI School einstellen will und an der Antragsstellung beinah scheitert. Oder die Anerkennung als Weiterbildungsinstitution, mit der die ReDI School offiziell Diplome ausstellen kann: ein monatelanger Aufwand für das Team, verbunden mit hohen Kosten. Ohne Spendengelder nicht möglich. Mit welcher Leichtigkeit sie davon erzählt, lässt erahnen, dass sie niemals die Geduld verliert. Beharrlich und mit viel Durchsetzungsvermögen setzt sie ihre Arbeit fort. „Ich fange einfach mal an. Es ist ein iterativer Prozess, manche Dinge kappen auf Anhieb, manche nicht. Und daraus lerne ich.“ Sie spricht das Mysterium des Hummelflugs an. „Manchmal fühlt sich das so an. Da die Hummel ja nicht weiß, dass sie nicht fliegen kann, tut sie es einfach trotzdem", fügt sie lachend hinzu. Es ist harte Arbeit, aber das empfindet sie nicht so. Denn sie sieht etwas wachsen, was sinnstiftend für die Gesellschaft ist.

Politischen Widerstand von rechts bekommt sie glücklicherweise wenig zu spüren. Offenheit und Dialog schützt sie davor, davon ist sie überzeugt. „Unsere Türen im Berliner und Münchner Büro stehen für alle offen. Wenn jemand Fragen dazu hat, was wir tun, kann er gerne zu mir kommen und mit mir bei einem Kaffee über die Differenzen sprechen.“ Sie versteht, dass viele Menschen Ängste haben und deshalb sehr kritisch gegenüber Integration sind. Sie gibt einen Rat: „Hört auf, über Flüchtlinge zu reden, fangt an mit Flüchtlingen zu reden“. Es macht einen Riesenunterschied, wenn man die Leute, die man in die Schublade „Flüchtlinge“ gesteckt hat, persönlich kennt - und erkennt, dass es viel mehr Gemeinsamkeiten gibt als das, was sie voneinander unterscheidet.

Diversität - auch bei der ReDI School

Nach zwei Jahren Coding-Kurse für Newcomer, stellt sie fest, dass nur 10 Prozent weibliche Teilnehmerinnen in den Kursen präsent sind. Um das zu ändern, setzt sie und ihr Team Co-Creation Workshops mit Frauen verschiedener Hintergründe auf, um ein Programm zu gestalten, das den Bedürfnissen der Frauen entspricht. „Seit Anfang September läuft unser 'Digital Women Programme' in München. Anfangs haben wir mit 25 Teilnehmerinnen geplant, aber die Nachfrage ist so groß, dass wir mehr Frauen unsere Schulungen ermöglichen wollen.“ Dazu läuft eine Spendenkampagne auf der Plattform Betterplace.org

 

„Was wir für die geflüchteten Menschen tun, tun wir in Würde und Demut.“

 

Das ist nur eines der Projekte, die für 2019 auf ihrer todo-Liste stehen. Schulungsprogramme für Frauen will sie kontinuierlich ausbauen und das ReDI-Kids-Programm in Berlin weiterentwickeln: „Unsere ehemaligen Schüler sollen zu Lehrern ausgebildet werden, um sowohl deutsche als auch Migrantenkinder IT zu unterrichten. Denn digitale Bildung ist der Schlüssel – alle Gesellschaftsschichten brauchen Zugang dazu.“ Die Gründung einer ReDI School am Standort Hamburg steht ebenfalls auf ihrem Plan.

Aber auch persönlich hat Anne sich für das kommende Jahr Ziele gesetzt. Sie will eine witzige Facebook-Selbsthilfegruppe "Karma Kaolation" ins Leben rufen und alle Menschen ansprechen, die wie sie in Zukunft weniger konsumieren wollen. Zum Beispiel keine neuen Klamotten mehr kaufen. „Ich denke, hinsichtlich unseres Konsums braucht die Welt eine radikale Veränderung. Ich werde ein kleines bißchen dazu beitragen und versuchen, auch mein Verhalten zu ändern, um umweltfreundlicher zu sein.“ Sie möchte aber auch Zeit für sich selbst finden, um in der Natur Kraft zu schöpfen. Sie ist gerade dabei, mit ihrem Partner eine Farm im Wendland in Niedersachsen zu kaufen. „Ich arbeite viel, deshalb ist es schön, am Wochenende einen Ort zu finden, an dem Ruhe und Frieden herrscht. Und genug Zeit, um mit Freunden und Familie am Lagerfeuer zu sitzen und über die Dinge zu sprechen, die uns wichtig sind.“ Dinge, die die Welt ein bisschen besser machen.

 

Weiterführende Links

Spendenaufruf für das ReDI Women Programme

ReDI School

Facebook-Selbsthilfegruppe Karma Kaolation


Li-Fi: Daten werden über Licht übertragen

Li-Fi: Das Internet des Lichts kommt

Eine schottische Schule ist gerade der Nabel der Internetwelt! Denn dort haben sich vor wenigen Tagen Schüler als erste in der Welt über Licht mit dem Internet verbunden. Auch im Handel gibt es erste Pilotprojekte, bei denen mithilfe des „Internet des Lichts“ Kundendaten gesammelt und -interaktionen gestartet werden können. Dem neuen Stern am Internethimmel Li-Fi (Light Fidelity) wird von Analysten ein kometenhafter Aufstieg prophezeit.

Jetzt gibt es also das Internet des Lichts. Was für ein poetischer Name für eine Technologie! Die Zeiten von WI-FI scheinen gezählt. Denn das inzwischen allgegenwärtige und Funk-basierte Wireless Local Area Network WLAN, das oft (nicht ganz korrekt) synonym mit Wi-Fi verwendet wird, soll durch Li-Fi, eine neuartige Technologie, die Daten über Lichtwellen übertragen kann, regelrecht überholt werden. Ende August hat die Tech-Firma pureLiFi an der Kyle Academy-Sekundarschule in Ayr, Schottland, erstmals ein LiFi-Netzwerk aktiviert, das LED-Glühbirnen verwendet, um drahtlose Internetverbindungen herzustellen. Entwickelt wurde Li-Fi in 16 Jahren Forschungsarbeit von Harald Haas, Professor für Mobile Kommunikation an der Uni Bremen und an der School of Engineering der Universität Edinburgh.

Wachstumsmarkt Li-Fi

Analysten trauen dem neuen Trend einiges zu: Market Research Future (MRFR) bewertet den globalen Markt für Li-Fi bis 2023 mit rund 51 Milliarden US Dollar. Bei einer erwarteten jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 70 Prozent wird der Markt im Prognosezeitraum (2017-2023) geradezu explodieren. Die Financial Times berichtete erst kürzlich über die jüngste Partnerschaft zwischen O2 und pureLiFi, um die Einführung von 5G in Großbritannien voranzutreiben. Auch die Beleuchtungsindustrie hat das Potenzial von Li-Fi inzwischen erkannt und setzt zum Sprung in die digitale Welt an. Ihre Produkte wie Lampen und Glühbirnen sollen zukünftig eine Schlüsselfunktion in der digitalen Kommunikation übernehmen. So hat der niederländische Konzern Philips Lightingerst vor kurzem bekannt gegeben, eine französische Investorengruppe mit Li-Fi auszustatten. Die Arbeitsplätze dort können künftig über LED-Lichtstrahlen mit Breitband versorgt werden und dabei eine 30 Mb/s schnelle Verbindung im Downstream nutzen. Die speziellen LED-Leuchten haben ein Modem integriert, das die Lichtwellen so moduliert, dass sie Breitband-Internet auf dem beleuchteten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Da das vom Licht verwendete Spektrum laut Philips 10.000 mal so groß ist wie bei herkömmlichen WLAN-Funktechnologien, hat das Netz auch keine Probleme mit einer hohen Anzahl von Clients.

Internet dockt an Licht-Infrastruktur an

Beim Internet des Lichts nutzt man quasi die vorhandene Infrastruktur von Beleuchtung für das Internet – Strom ist dort per se vorhanden und auf den Lampen selbst ist ein kleiner Sensor schnell montiert. Die Daten werden dann entweder über das vorhandene Kabelnetz oder über die Lichtwellen übertragen. Und: diese Symbiose aus Licht und Sensoren kann natürlich auch außerhalb von Räumen genutzt werden. Sensoren in Parkhaus- oder Straßenlaternen könnten melden, wo ein freier Parkplatz ist und dies an Navigationsgeräte weitergeben. In Kombination mit Bluetooth-Technologie und einer App lässt sich Licht aber auch im stationären Handel gezielt nutzen, um auf der Fläche und standortbezogen gezielte Kundenansprachen zu realisieren.

Li-Fi Pilotprojekt im Einzelhandel

Die Zumtobel Group Services (ZGS), einer der führenden Lichtspezialisten aus Österreich, hat das gerade zusammen mit dem französischen Einzelhändler E.Leclerc Langon in Frankreich getestet. In einem Pilotprojekt sollte herausgefunden werden, welchen Mehrwert Lichtkonzepte gekoppelt an das Internet der Dinge (IoT) für den Einzelhandel haben. Für das Projekt installierte ZGS Bluetooth-Beacons in den vorhandenen Leuchten des Händlers und verband sie über eine Lokalisierungsplattform. Letztere wurde mit dem E.Leclerc-Kundenbindungsprogramm verknüpft und hatte zum Ziel, das Wissen über Kunden zu erweitern, um dadurch in Zukunft noch besser auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können. Über die App sollten Push-Nachrichten zu standortgebundenen Angeboten an Kunden übermittelt werden. Zum Beispiel, um bei der Produktsuche zu helfen, fehlende Produkte anzuzeigen oder einfach nachzufragen. Sobald ein Kunde also einen bestimmten Bereich betrat, machte sein Smartphone via Push-Nachricht in Echtzeit auf Sonderangebote vor Ort aufmerksam.

Erste Ergebnisse aus dem Anfang Dezember 2017 gestarteten Test liegen bereits vor. Im Vergleich zu den Nicht-App-Nutzern konnten durchweg höhere Verkäufe umgesetzt werden. Denn die Anzeige von Produktempfehlungen und Sonderangeboten auf dem Smartphone der Kunden führte bei E.Leclerc Langon zu einer deutlichen Verkaufssteigerung von bis zu 42 Prozent. Zudem ermöglichte die App eine intensivere Kundeninteraktion, zum Beispiel bei der Produktsuche bzw. bei der Meldung fehlender Produkte. Die Filiale kann diese Interaktion mit dem Kunden nun nutzen, um Rückschlüsse auf die Performance der Filiale und das Kaufverhalten des Kunden zu ziehen. Kunden können zusätzlich Feedback über ihre Einkaufserfahrungen direkt über die App an die Filiale weitergeben.

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Bei aller Begeisterung für die neue Technologie gibt es aber auch „Schattenseiten“ – und die muss man in diesem Falle durchaus wörtlich verstehen: So kann Licht eben nicht durch Gegenstände scheinen und wenn ein Benutzer beispielsweise mit dem Rücken zu einer Li-Fi-Lampe sitzt, kann der Sensor das Licht bzw. die Daten nicht mehr empfangen – ganz ähnlich wie bei der Fernbedienung am Fernseher. Hinzu kommt, dass künstliches Licht ja nicht immer überall erforderlich ist – zum Beispiel wenn es natürlicherweise schon ausreichend hell ist. Im wachsenden Internet der Dinge soll Li-Fi aber bald zum Alltag gehören – zumindest als sinnvolle Ergänzung zu funkbasiertem Internet.

Weiterführende Links:

Philips Lighting News über das Internet des Lichts

Pressemeldung von pureLiFi

Zumtobel Pilotprojekt mit E.Leclerc