Eines vorweg: Frauen in Chefetagen von deutschen Familienunternehmen sind rar gesät. Erst vor wenigen Tagen schreckte die aktuelle Studie der Allbright-Stiftung auf, die dieses schon lange gehegte „Gefühl“ leider bestätigte: Gerade einmal sieben Prozent der Geschäftsführungen in deutschen Familienunternehmen sind in Frauenhand. Wir haben mit zwei Pionierinnen aus diesem Bereich Dr. Anna Weber, Geschäftsführerin des Familienunternehmens BabyOne und Dr. Silvia Bentzinger, Geschäftsführerin der Seidensticker Group gesprochen. Sie geben Einblick in ihre Arbeit an der Spitze eines Familienunternehmens, teilen ihre Erfahrungen in der Corona-Krise und berichten, wie sie diese trotz Doppelbelastung als CEO und Mutter von zwei Kindern gemanagt haben.
Stellt euch das mal vor: In der Führung der 100 größten Familienunternehmen in Deutschland gibt es mehr „Thomasse“ und „Michaels“ als Frauen insgesamt! Von 436 Führungspositionen sind nur 30 weiblich besetzt, was einen Frauenanteil von mageren sieben Prozent ausmacht. Bei den 30 Dax-Unternehmen sind es immerhin 15 Prozent… Nur 29 der 100 größten Familienunternehmen Deutschlands haben überhaupt eine Frau in der Geschäftsführung… Das ist das ernüchternde Ergebnis der vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie der Allbright-Stiftung*. Dabei ist es in vielen Studien längst bewiesen, dass mehr Diversität in Unternehmen kein „nice-to-have“ mehr ist, sondern klare wirtschaftliche Vorteile bringt. Anna Weber und Silvia Bentzinger stehen an der Spitze eines deutschen Familienunternehmens und sind damit Pionierinnen, von denen wir in Zukunft hoffentlich noch mehr sehen werden.
BabyOne: Teamarbeit in der engsten Familie
Anna Weber ist jung, dynamisch und der Prototyp einer Unternehmerin, die Zukunft aktiv gestalten möchte. Die BWLerin hat zwei kleine Kinder und ist vor drei Jahren ins elterlichen Unternehmen BabyOne eingestiegen, ein Franchise-Unternehmen mit 104 stationären Fachmärkten und einer starken Multichannel-Strategie. Gemeinsam mit ihrem Bruder Jan Weischer hat sie inzwischen die Geschäftsführung übernommen, Ende des Jahres werden die Eltern das operative Geschäft ganz verlassen. Die Corona-Krise war für BabyOne eine schwere Zeit, da das Unternehmen 90 Prozent seines Umsatzes über die stationären Geschäfte erwirtschaftet. Sie berichtet: „Viereinhalb Wochen Lockdown waren eine ausgemachte Katastrophe für uns und unsere Liquiditätsplanungen wurden sehr belastet.“ In der Krise, wo wichtige Entscheidungen ad hoc getroffen werden mussten, wurden Managementfähigkeiten auf eine harte Probe gestellt, Improvisation stand auf der Tagesordnung. „Mein Bruder, meine Eltern und ich waren quasi rund um die Uhr im Office“, erinnert sich Anna Weber und ergänzt: „Die Krise war auch emotional herausfordernd. Als am 16. März unser komplettes Team mit ihrem Rechner unter dem Arm unsere Zentrale in Richtung Homeoffice verlassen hat, sah das schon sehr nach Endzeitstimmung aus.“
Jede Menge Überstunden im Führungsteam bei Seidensticker
Silvia Bentzinger Karriere bei Seidensticker verlief sehr stringent. Sie ist kein Mitglied der Inhaber-Familie sondern kam vor ca. 11 Jahren als Externe zum Unternehmen. Seit dieser Zeit und aufgrund der guten Zusammenarbeit mit Team und Vorgesetzten wurden ihre Verantwortungsbereiche kontinuierlich erweitert. Seit Januar 2020 ist die ursprüngliche Rechtswissenschaftlerin CEO der Marke Seidensticker – und musste sich dann gleich in einer extremen Ausnahmesituation beweisen: „Auch ich muss sagen, dass ich noch nie so viel gearbeitet habe wie in der Corona-Zeit“, resümiert Silvia Bentzinger. Während in der Presse von Entschleunigung gesprochen wurde, sah der Tag im Krisenmodus bei ihr gänzlich anders aus. Es war eine harte Zeit für Seidensticker, 36 Filialen waren geschlossen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit. Auch die Wholesalepartner hatten geschlossen, der Markenumsatz brach zu 80 Prozent weg. „Zum Glück konnten wir 20 Prozent unserer Umsätze online generieren, aber der Bedarf an Hemden und Blusen in Zeiten des Homeoffice war natürlich deutlich geringer als normalerweise“.
Doppelbelastung: Ohne Hilfe und viel Organisation wäre es nicht gegangen
Gleichzeitig für Job und Familie da zu sein, war für beide sehr schwierig: „Mein Mann musste wie ich sehr viel arbeiten, doch wir haben zwei Schulkinder, die zuhause betreut werden mussten“, erklärt Silvia Bentzinger. „Es war und ist mein großes Glück, dass sich meine Eltern in der Krise um die Kinder kümmern konnten. Sie sind für die Wochen des Homeschoolings bei uns eingezogen, zusätzlich hatten wir zwei bis drei ältere Schüler an der Hand, die beim digitalen Unterricht helfen konnten“. Anna Weber konnte sich auf ihren Mann verlassen, der sich wegen der geschlossenen Kitas um den gemeinsamen Nachwuchs kümmerte: „Für ihn war es klar, dass meine Präsenz im Office existenziell war, und da hat er die Kinderbetreuung zuhause alleine übernommen“. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Betreuungsproblemen wurden und werden bei beiden Firmen problemlos für das Homeoffice freigestellt. „Dafür haben wir großes Verständnis und glücklicherweise war unsere IT-Infrastruktur damals sehr schnell homeoffice-fähig“, erklärt Silvia Bentzinger. Auch heute noch kann jeder, der lieber von zuhause arbeiten möchte, dies tun. „Jeder Prozess muss heute bei uns auch digital funktionieren – oder hybrid mit einem Teil des Teams im Office und einem zuhause“, bestätigt Anna Weber.
Positive Seiten von der Krise
Dennoch gehen beide Frauen auch mit positiven Erfahrungen aus dem Lockdown: „Der Zusammenhalt im Team war enorm“, erklärt Anna Weber im Rückblick. „Wir haben diese Wochen genutzt, um unsere Multi-Channelstrategie weiter zu forcieren und stellten in wenigen Tagen Dinge auf die Beine, für die wir normalerweise wahrscheinlich Monate gebraucht hätten“. Auch die enge Zusammenarbeit mit unseren Franchisepartnern hat geholfen, die Krise gut zu überstehen: „Ich bin froh, dass wir kein Einzelplayer sind, der Verbund mit unseren Franchisenehmern ist uns sehr wichtig“, sagt Anna Weber. Silvia Bentzinger machte ähnliche Erfahrungen: „Diese Zeit hatte sehr viel Dynamik und es war schön zu sehen, wie eng wir im gesamten Team zusammengestanden sind. Es ist auch so viel Gutes daraus entstanden!“ So schaffte es Seidensticker z.B. binnen weniger Tage, die gesamte Produktion komplett auf Mund-Nasen-Schutzmasken umzustellen. Auch Digitalisierungsprojekte wurden angegangen: „Wir haben im Lockdown den kompletten Wholesale-Prozess digitalisiert und sind damit sehr viel flexibler für die Zukunft. Wir können Kollektionen virtuell zeigen und den Verkaufs- und Übergabeprozess digital und standortunabhängig abbilden. Das war ein großer Schritt für uns und wir sind alle total begeistert.“ Reiseaufwände können nun gespart und Nachhaltigkeitsziele leichter erreicht werden.
Optimismus überwiegt
Insgesamt sind sowohl Anna Weber als auch Silvia Bentzinger optimistisch, was die Zukunft und den weiteren Krisenverlauf angeht: „Wir planen mit 20 Prozent weniger Umsatz in diesem Jahr. Die Frequenz auf der Fläche ist immer noch niedrig – auch wenn die Conversion am Ende gut ist.“ Seidensticker will das B2C-Geschäft weiter pushen und mit Direct-to-Consumer, Wholesale und Produktion für andere Marken weiterhin auf Diversifikation der Geschäftsmodelle setzen. Bei BabyOne sei jetzt, wo die Märkte wieder offen haben, der Umsatz wieder auf Vorjahresniveau – trotz Corona, erklärt Anna Weber. Schließlich bestehe im Segment Erstausstattung für Babys ein echter Bedarf bei den Konsumenten, den man auch schlecht verschieben könne. Trotzdem sei auch hier die Frequenz zurückgegangen. „Leute, die einfach ein bisschen bummeln möchten, sehen wir aktuell nicht im Laden. Stattdessen kommen unsere Kunden sehr gezielt und wissen genau, was sie wollen“, erläutert Anna Weber. Positiv sei, dass Online sich dank Corona nun als eigener Vertriebskanal fest etabliert hat. Jetzt gilt es, die hohe Beratungskompetenz im Laden auch digital abbilden zu können. Im Lockdown wurden bereits erste Test mit einer digitalen Terminvereinbarung für Beratungsgespräche, Life-Chats, Instagram Shopping und Facetime-Beratung gefahren. Anna Weber bringt es auf den Punkt: „Ohne die Krise wären wir sicher noch nicht soweit – und unsere Kunden bestimmt auch nicht!“
Der Talk fand im Rahmen der Initiative „Händler helfen Händlern“ statt. Das komplette Gespräch kann online unter: https://neovaude.live/haendlerhelfenhaendlern/ angesehen werden
* Die Allbright-Stiftung wurde 2011 vom schwedischen Unternehmer Sven Hagströmer in Stockholm gegründet und ist seit 2016 auch in Deutschland aktiv. Sie setzt sich für mehr Diversität (und damit mehr Frauen) in Führungspositionen ein und gibt regelmäßig Studien heraus um die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren.
Weiterführende Links:
Allbright Studie: www.allbright-stiftung.de
Seidensticker Corporate: https://corporate.seidensticker.com
BabyOne: www.babyone.de
Händler helfen Händler: www.haendler-helfen-haendlern.com
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