Raphael Gielgen, Vitra

Vitra Trendscout Raphael Gielgen: „Wir müssen wieder anfangen, Zukunft zu gestalten!“

Auf dieses Interview habe ich mich besonders gefreut, denn Raphael Gielgen ist Trendscout Future of Work beim Kult-Unternehmen Vitra und einer der interessantesten Visionäre unserer Zeit. Ich war aber auch etwas nervös, denn wie es bei den Damen und Herren dieser Berufsgruppe oft der Fall ist, muss man ganz schön schnell sein, um bei der Geschwindigkeit ihrer Gedanken Schritt halten zu können! Wer ebenfalls eine geballte Ladung Inspiration so kurz vor Ostern gebrauchen kann, der sollte jetzt weiterlesen: Denn Raphael spricht über die Trends zum Thema Arbeit und verrät eine Übung für Unternehmer, wie sie die Transformation angehen können.

Lieber Raphael, Du bist Trendscout bei Vitra. Was genau machst Du dort und warum braucht Vitra so jemanden wie Dich?

Es geht darum, „Beweger einer neuen Zeit zu finden“, neue Muster zu entdecken, die das Potential zum Trend haben. Wir leben heute in einer Welt, die uns wunderbar in Standards organisiert. Viele Menschen haben verlernt, nach rechts und nach links zu schauen, geschweige denn nach vorne. Meine Arbeit ist genau das. Mein Schwerpunkt ist die Arbeitswelt. Ich erstelle, wenn man so will, die Wetterkarte für die Piloten, aber die Flugrichtung entscheiden und fliegen müssen sie selbst.

Kannst Du uns einen wichtigen Trend zum Thema Arbeit der Zukunft nennen?

Die Fähigkeit, in dynamischen Gruppen und Formen zu arbeiten, wird für die Entwicklung einer wissensbasierten Wirtschaft immer wichtiger. Wissen muss leicht teilbar sein, denn nur so kann es schnell weitergegeben werden. Und Schnelligkeit ist ein klares Merkmal unserer Zeit, genau wie der Zustand, dass alles gleichzeitig passiert. Verbindet man das Wissen von AI-Forschern mit dem von Elektronikingenieuren, entsteht daraus ein ganz neues Produkt und ganz neues Wissen. Dynamik heißt in diesem Zusammenhang auch, bereit zu sein, stets Neues zu lernen. Ich benenne das gerne mit dem Schlüsselbegriff „Talent Transfer“. Menschen gehen heute und erst recht in der Zukunft nicht mehr in ihrem Ausbildungsberuf in Rente. Wir müssen - auch in den Unternehmen – eine Kultur des Lernens etablieren.

Und wie schafft man das?

Indem man Raum für Inspiration schafft und Arbeit sichtbar werden lässt. Viele Entwicklungen gehen heute schon in diese Richtung. Es gibt Methoden wie Scrum, Business Model Canvas oder Design Thinking. Diese bestimmen immer mehr unser Tun. Der größte Benefit dieser Form der Arbeit ist das Teilhaben.

Inwieweit beeinflusst Technologie unsere zukünftige Arbeit?

Die Software von gestern ist morgen nichts mehr wert, genau wie die Hardware. Wir denken zu wenig darüber nach, dass die digitale Welt einer Kulisse gleicht. Wie Technologie unsere Arbeit beeinflusst, das bestimmen wir, aber auch was wir mit diesen vielen Möglichkeiten machen. Am Ende kann man die Leute nur einladen, sich damit auseinanderzusetzen, daran zu wachsen – mit dem Ziel, Technologie schließlich als Werkzeug für die Entwicklung größerer Ideen und Visionen zu benutzen.

 

"Technologie ist ein Werkzeug, sehr umfangreich, aber auch schnelllebig. Die Menschen machen auch in Zukunft den Unterschied." Raphael Gielgen

 

Wie siehst Du das Spannungsfeld „digitale Welt – physische Welt“ am Arbeitsplatz? Bekommt die physische Welt mehr Bedeutung, weil wir einen Großteil unserer Zeit heute in der digitalen Welt verbringen?

Der Mensch hat eine Sehnsucht nach physischen Orten. Je mehr wir digital konsumieren, umso mehr suchen wir eine Balance. Spannend wird es, wenn die Entwicklungen der virtuellen Technologien den nächsten Sprung machen. Wenn wir Wirklichkeit und Fiktion kaum unterscheiden können. Steven Spielbergs letzter Film „Ready Player One“ gibt uns einen ersten Geschmack auf diese Zeit. Anderseits gehen die Menschen zum „Waldbaden“, suchen Kraftorte auf und zelebrieren spirituelle Rituale.

Welches Umfeld braucht der Mensch in Zukunft, um den Arbeitsanforderungen gewachsen zu sein?

Menschen können heute 100 Jahre alt werden. Das verändert unser Bewusstsein für unsere Umgebung, unsere Umwelt und unseren Arbeitsplatz. Die Kinder von heute werden morgen keinen Arbeitsplatz wollen, indem sie nur Zahnrad in einem abstrakten Gebilde sind. Als Konsequenz müssen Unternehmen das Zusammenspiel von Produktivität und Vitalität überdenken. Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Mitarbeitergesundheit spielen in Zukunft eine immer größere Rolle. Man muss sich nur den Adidas-Neubau „Halftime“ in Herzogenaurach ansehen oder das noch im Bau befindliche Porsche-Werk für den Elekto Taycan, in dem es große hängende Gärten gibt. Diese haben einen unmittelbaren Einfluss auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter.

Du reist viel herum und siehst viel, auch Ideen und Trends aus Ländern und Gesellschaften, die gerne als unser Zukunftsmodell verkauft werden. Was sollten wir Europäer auf jeden Fall übernehmen?

Ganz klar die Neugier! Gerade die jungen Gesellschaften in Südostasien oder in den schnell wachsenden Metropolen wie Shenzhen sind viel neugieriger als wir Europäer – was auch daran liegen mag, dass sie im Schnitt viel jünger sind als wir.

Gibt es auch Entwicklungen, die wir besser nicht adaptieren sollten?

Ich habe nichts gesehen, was grundsätzlich schlecht wäre. Natürlich kann man alles auch für weniger wünschenswerte Ziele einsetzen. Ich denke hier zum Beispiel an die militärische Nutzung von Technologie. Auch die übermäßige Nutzung von Technologie kann man kritisch sehen, aber hier ist jeder einzelne selbst gefragt, etwas dagegen zu tun.

Wenn ein Unternehmer auf Dich zukommt und um Rat bittet, wie er die Transformation angehen soll, was würdest Du ihm sagen?

Ich empfehle gerne die nachfolgende Übung: Stellen Sie sich regelmäßig zwei Fragen: Was gibt es in zehn Jahren in Ihrem Arbeitsumfeld, was es heute noch nicht gibt? Wie wird dieses „Neue“ Ihr Geschäftsmodell beeinflussen und was bedeutet das für Sie? Was gibt es in zehn Jahren nicht mehr in Ihrem Arbeitsumfeld, was es heute noch gibt? Wie wird dies Ihr Geschäftsmodell beeinflussen und was bedeutet das für Sie? Jeden einzelnen Punkt würde ich dann in eine Skizze aufnehmen und auf einem großen Plakat am Arbeitsplatz aufhängen. Was glaubst du, was für eine angeregte Diskussion mit Mitarbeitern und Kollegen daraus entsteht! Plötzlich sieht der Unternehmer eine Perspektive für die Zukunft und kann diese proaktiv gestalten. Und die Mitarbeiter wissen, warum etwas gemacht wird.

"Eigentlich ist es so einfach! Wir haben nur irgendwann aufgehört oder verlernt, in einer längeren Perspektive zu denken und Zukunft zu gestalten." Raphael Gielgen

Danke Raphael für das superinteressante Interview!

Raphael Gielgen am 24. Juni 2019 auf der TDWI München

Wer Raphael gerne live erleben möchte, kann das am 24. Juni 2019 auf der TDWI München tun. Dort wird er die Keynote halten mit dem Thema "Die Kunst, seine persönliche Zukunft ständig neu zu erfinden"! Es lohnt sich! Hier geht's zur Konferenz: www.tdwi-konferenz.de

Links:

www.Vitra.com
www.tdwi-konferenz.de


Die Trends im Ladenbau

Retail Design: Die Trends der Ladenbauexperten

Habt ihr euch schon mal gefragt, welches Einkaufserlebnis würdig genug ist, dass es im Gedächtnis bleibt? Gar nicht so einfach. Und schon gar nicht eindeutig. Aber genau diese Frage treibt gerade den stationären Händler um. Wie lockt man den Kunden ins Geschäft und wenn er drin ist, wie schafft man es, dass er auch wiederkommt? Die Ladenbauexperten von umdasch, atelier 522, Gruschwitz und Blocher Partners zeigen die Trends im Retail Design. Das Urteil unisono: "Mehr Gastgeber, weniger Warenrampe!"

Es gibt gleich mehrere Gretchenfragen, mit denen der stationäre Handel sich gerade herumschlagen muss: Wie schaffe ich es, dass der Kunde meinen Laden überhaupt wahrnimmt? Und: Was muss ich tun, damit er sich im Laden wohlfühlt und wiederkommt? Philipp Beck, CEO von atelier 522 beschwört dazu die Theorie der 1000 Kleinigkeiten: „Es kommt darauf an, aus der Summe vieler Kleinigkeiten ein stimmiges „großes Ganzes“ entstehen zu lassen.“

 

Das Ziel: Maximale Aufenthaltsqualität

Bei dem sehr abstrakten „großen Ganzen“ spielen auch ganz unterbewusst wahrgenommene Faktoren wie etwa die Form des Türgriffs, das Gewicht und Geräusch der Türe eine Rolle. Auch Fragen wie „Kommt der Kunde beim Eintreten in das Ladenlokal aus einer Enge ins Weite? Gibt es Intimität und Größe?“ müssen vom Händler beachtet werden, wenn er beim Ladenbesucher ein angenehmes Erlebnis hervorrufen will. „Händler müssen sich grundsätzlich fragen, ob der Laden eine Atmosphäre schafft, in der es sich lohnt, die eigene wertvolle Zeit zu verbringen,“ bringt es Philipp Beck auf den Punkt. Dabei vergleicht er den Laden gar mit anderen Erlebnisorten wie z.B. dem Theater, Restaurants oder Cafés, mit denen Geschäfte von heute um die Gunst des Besuchers buhlen müssen.

 

Überraschung als Nachfrage-Stimulation

„Das grundsätzliche Konzept des Einkaufens wird sich zwar nicht so gravierend ändern,“ ist Maik Drewitz, Shop Consult Director bei umdasch, überzeugt, „wohl aber die Warenpräsentation am POS und die Einbeziehung des Kunden in diesen“. In Zeiten des Internets müssen Händler ihren Kunden mehr Anreize bieten, um ihn ins Geschäft zu locken und müssen auch mehr tun, damit sie bleiben. Dabei darf der Handel ruhig überraschen. Denn anders als im Internet hat der stationäre Handel die Möglichkeit, den Kunden multisensual zu begeistern. Und darum geht es schließlich: Im Laden einen Mehrwert gegenüber dem Onlineshop zu schaffen. Dazu gehören auch Produkte, die es online nicht ohne weiteres gibt. Inspiration geht im Laden schließlich viel besser, denn was der Kunde nicht kennt, kann er im Internet auch nicht suchen. Dazu passend gibt Philipp Beck zu Bedenken: „Ist es heute nicht so, dass ein überraschendes Angebot erst die Nachfrage erzeugt und die Zeiten, in denen man auf eine Nachfrage reagiert bzw. dieser folgt, vorbei sind?“

 

ROI als Risiko: Zeit für neue KPIs

Die immer mehr am Erlebnis ausgerichteten Ladenlokale brauchen aber auch neue Erfolgskennzahlen. Einen deutlichen und immer wichtiger werdenden Wandel in der Beurteilung von Store-Konzepten sieht Wolfgang Gruschwitz, Geschäftsführer der Gruschwitz GmbH: „Anstelle des ‚Return on Investment’ werden Kenngrößen wie Return on Interest/Involvement oder Integration immer entscheidender“. Schließlich geht es darum, dass der Kunde zurückkommt und sich mit dem Ort/dem Laden verbunden fühlt. Wer dagegen zu sehr den klassischen ROI im Fokus habe riskiert, schnell vergleichbar und damit austauschbar zu werden. „Händler sollten mutiger bei der Umsetzung von innovativen Konzepten sein“, wünscht sich Gruschwitz. Anstatt holistisch die gesamte Customer Journey zu betrachten und das Erlebnis in den Vordergrund zu stellen, seien viele Händlerkonzepte auch heute noch zu sehr auf die Verkaufszahlen ausgerichtet.

 

Faktor Mensch: Der Schlüssel zum nachhaltigen Markenerlebnis

Beim Retail Design der Zukunft geht es um Intuition, Gefühl und Authentizität. Ganz im Sinne des „story telling“ transportieren erfolgreiche Store-Beispiele stets eine klare und unverwechselbare Botschaft. Maik Gruschwitz ist überzeugt: „Dabei spielt der Faktor Mensch als Berater und Testimonial im Laden eine der größten Rollen.“ Denn tatsächlich ist es der Verkäufer oder die Verkäuferin im Laden, die mit dem Kunden interagiert und ganz erheblich zu einem begeisternden Shoppingerlebnis beitragen kann. Hier sieht Maik Gruschwitz viel Potenzial, das in Zukunft strategisch noch besser genutzt werden muss. Jutta Blocher von Blocher Partners sieht dazu auch einen weiteren Trend: „Wir stellen fest, dass stationäre Händler sich zunehmend mit allen Möglichkeiten auseinandersetzen, um Beziehungen zum Kunden aus- und aufzubauen und bewusst mit ihm in den Dialog zu treten“.

 

Technologie gehört dazu

Als Trend im Retail Design sehen die Ladenbauer, dass stationäre Geschäfte zur Werkstatt bzw. zum Experimentierfeld umfunktioniert und Testläden für neue Konzepte üblich werden. Dazu gehört auch der sinnvolle Einsatz von Technologie. Große Videowalls mit Imagevideos, Sportereignissen, Fashionshows oder anderen passenden Bewegtbildern sind längst ein gängiges Bild, um Läden emotional aufzuladen.

Arbeitserleichterung versprechen zudem Techniken wie Digital Signages, Self Checkouts oder die Einbindung mobiler Devices. Auch künstliche Intelligenz wird den Laden der Zukunft innovativer und kreativer machen. Erste mutige Konzepte mit Virtual Reality oder Robotik lassen erahnen, wo die Reise hingehen könnte.

Einig sind sich die Ladenbauexperten darüber, dass der stationäre Handel alles andere als tot ist. Jutta Blocher bringt es auf den Punkt: „Die stationäre Präsenz ist das größte Pfund im Wettbewerb mit dem Online-Handel. Das sieht man auch daran, dass die digitalen Anbieter ebenfalls offline gehen“.

 

Weiterführende Links zu den Ladenbauexperten:

www.atelier522.com

www.blocherpartners.com

www.gruschwitz.de

www.umdasch.com

 

 

 

 


Alpecin Banner zum Singles Day in China

Singles Day: Wie die Marke Alpecin China erobert

China ist mit 188 Milliarden Euro Außenhandelsvolumen der wichtigste Handelspartner Deutschlands (Quelle Statista 2017). Verkaufsrekorde am Singles Day in diesem Jahr bestärken deutsche Unternehmen, den Schritt in das Reich der Mitte zu wagen. Wie aber kommen deutsche Produkte zum chinesischen Verbraucher? Die deutsche Haarpflegemarke Alpecin macht es vor und zeigt, wie Logistik, Produktion und On- und Offline-Marketing am Point of Sale optimiert werden, um an den Verkaufsrekorden am spektakulären Singles Day Online zu partizipieren. Ganz nach dem chinesischen Sprichwort von Laotse: „Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt“.

Als deutsches Unternehmen den Singles Day in China aktiv mitzuerleben und Verkäufe dort in Echtzeit auszusteuern ist ein Erlebnis - und bedeutet 24 Stunden Daueranspannung. Chapeau, wenn man angesichts des Marktvolumens dort nicht die Übersicht verliert. Alpecin, bekanntes Männershampoo gegen Haarausfall und Marke der in Bielefeld ansässigen Dr.Wolff-Gruppe, hat am 11.11.2018 diesen Tag hautnah miterlebt. Dank der Erfahrungen aus dem Vorjahr konnte das deutsche Team gemeinsam mit seinen chinesischen Kollegen vor Ort eine tolle Performance hinlegen und sieht weiter große Wachstumspotenziale im asiatischen Markt.

Der Markt muss zum Produkt passen

In Asien gilt gesundes, volles Haar als Status-Symbol. Asiatische Männer wie Frauen lassen sich Haarpflege-Produkte also durchaus etwas kosten. Der für das Jahr 2018 prognostizierte Umsatz im Bereich Hair Care beträgt in China umgerechnet rund 6 Mrd. Euro und ist seit Jahren stetig am Wachsen. Ein guter Grund für die deutsche Dr. Wolff-Gruppe, den Schritt nach Asien zu wagen. Zudem stehen deutsche Produkte in China hoch im Kurs beim Verbraucher. Auch Alpecin setzt beim Design der Flaschen auf „Made in Germany“ und färbt die Flaschenverschlüsse im Farbmuster der Deutschen Flagge.

30.000 Shampoo-Flaschen in 24 Stunden

2013 startete der Verkauf von Alpecin-Produkten in Asien, seit gut zwei Jahren ist die Marke auch in China vertreten. Um das gigantische Marktvolumen angemessen steuern zu können, entschied sich die Dr.-Wolff-Gruppe, zunächst Strukturen vor Ort aufzubauen. In Shanghai betreut heute ein achtköpfiges Team Vertrieb und Marketing in China – mit starkem Fokus auf verknüpfte Online- und Offline-Marketingaktivitäten. Jede dritte in Bielefeld produzierte Alpecin-Flasche wird heute nach Asien verkauft. Am vergangenen Singles Day erlebte die Marke einen wahren Kaufrausch.

Der 11. November 2018 , weltweit stärkster Verkaufstag nach dem US-amerikanischen Black Friday, lieferte dem Unternehmen einen Verkaufsrekord. Allein im eigenen Online-Flagshipstore setzte die Dr. Wolff-Gruppe 30.000 Produkte binnen 24 Stunden ab, insgesamt wurden rund 60.000 Shampoo-Flaschen verkauft. Aber dieser Ansturm wollte gut vorbereitet sein. Über Wochen hinweg bereitete sich das Unternehmen auf diesen Tag vor, passte Logistik und Produktion in Deutschland darauf an, stellte Verfügbarkeiten sicher und plante die Werbeaktivitäten. Dabei setzte das Alpecin-Team auf eine enge Verzahnung von stationärer und Online-Verfügbarkeit. Neben stationären Drogeriemärkten waren die Produkte vor allem auf Plattformen wir Alibaba, Tmall und JD präsent. In 3000 Premium-Supermärkten wurden zudem bereits Wochen vor dem Event spezielle Aktionspakete angeboten und promoted, die auch auf den Online-Umsatz einzahlten.

Werbemaßnahmen wurden in Echtzeit und kanalspezifisch ausgesteuert, auf  Kundenanfragen musste schnellstmöglich geantwortet werden. Gleichzeitig bestand eine Standleitung nach Deutschland, um die Zwischenstände Tag und Nacht zu berichten. In China sind Shopping-Möglichkeiten in Social Media-Kanälen sehr verbreitet und werden rege genutzt. Alpecin setzte daher am Singles Day auf zahlreiche Social Media Channels. Hier wurden verschiedene Werbemittel ausgetestet und in Echtzeit optimiert, Chat-Verläufe wurden ausgewertet, Reaktionen beobachtet und aus den Erfahrungswerten Learnings für zukünftige Kampagnen gezogen.

Alpecin im Online-Store zum SinglesDay China

Singles Day als Umsatzbooster?

Auch wenn viele Experten Extrem-Shopping-Tagen wie dem Singles Day oder Black Friday kritisch gegenüberstehen und warnen, dass bei hohen Werbeausgaben und Rabatten oft keine Gewinne übrig blieben: Für die Dr. Wolff-Gruppe hat sich die Teilnahme an dem Event nach eigenen Angaben rundherum gelohnt. Vor allem die Erfahrungen aus der Teilnahme schätzt das Unternehmen als sehr wertvoll ein. Allerdings hat sich Alpecin auch bewusst aus den oft desaströsten Rabattschlachten herausgehalten. Nur ganz normale Angebote habe das Alpecin-Team promoted, Rabatte lagen nicht höher als zehn Prozent.

Angetrieben durch die positiven Erfahrungen vom chinesischen Singles Day, plant das Unternehmen nun auch die Teilnahme am Black Friday in den USA. Gerade erst hat die Dr. Wolff-Gruppe ein Office in den USA eröffnet. Eines ist aber klar: Auch dort will man zuerst Erfahrungen sammeln, bevor in große Marketing-Kampagnen investiert wird. Unken-Rufen und Warnungen vor Schnäppchentagen wie Singles Day und Black Friday lassen das Unternehmen jedenfalls kalt: Wer seine Prozesse und Kosten im Griff hat, kann offensichtlich mit gestärkter Brust aus den Shoppingtagen hervorgehen.

Weiterführende Links:

www.alpecin.com

www.drwolffgroup.com

 

 

 


black friday summer up to 70% sale

Black Friday: Ein gefährliches Spiel mit Auswegen

Am 23. November ist es wieder soweit: Es ist Black Friday! Und dann beginnt sie wieder, die Jagd auf die billigsten Preise, krassesten Discounts und verrücktesten Verkaufsrekorde. Mindestens ein Wochenende lang herrscht dann Ausnahmezustand im Handel – sowohl online als auch auf der Fläche. Wehe dem Händler, der da nicht mitzieht und seinen Kunden nicht mindestens 25 Prozent Rabatt auf Alles einräumt. Aber: Können Händler sich das überhaupt leisten? Und gibt es einen Weg, um aus dieser Preisspirale heraus zu kommen?

Schnäppchenwahn als Gewinnkiller

„Inspiriert“ von den USA, hat die heimische Handelsszene erst vor wenigen Jahren den Black Friday als Schnäppchentag eingeführt. Heute liegt Deutschland mit einem geschätzten Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro am Black-Friday-Wochenende hinter den USA und Großbritannien weltweit auf dem dritten Platz. Inzwischen ist allerdings klar geworden, dass die „Erfindung eines Schnäppchentages“ so kurz vor Weihnachten ein gefährliches Spiel für den Handel ist. So mancher spricht gar von der Büchse der Pandora, die besser hätte geschlossen bleiben sollen. Denn es ist kein Geheimnis, dass der Black Friday die Erwartungen oft nicht erfüllt – schon gar nicht die des Handels. Im Januar 2018 beispielsweise verkündete der Mutterkonzern von MediaMarkt Saturn, dass der Schnäppchentag im November für deutlich weniger Gewinn im wichtigen Weihnachtsgeschäft sorgte. Die Preisreduzierungen am Black Friday seien einer der Hauptgründe dafür, dass das operative Ergebnis des größten deutschen Elektronikhändlers um mehr als 15 Prozent unter dem Vorjahreswert gelegen habe. Auch aus Konsumentensicht gab es durchaus Anlass für Ärger: Im allgemeinen Kaufwahn entpuppte sich so manches Superschnäppchen im Nachhinein als doch kein so gutes Angebot, weil mancher Händler den Rabatt von den unverbindlichen Preisempfehlungen der Hersteller berechnete, der ohnehin oft deutlich über dem Marktpreis liegt. Oder es wurden Ladenhüter verkauft, die längst abgeschrieben waren. Auch das Shoppingerlebnis selbst wurde oftmals zum Geduldsspiel, weil mancher Server dem Useransturm nicht gewachsen war.

Rekordverkäufe und extreme Retouren

Der Black Friday lebt vor allem von Spontankäufen. Viele Kunden überlegen es sich bei Lieferung aber wieder anders und retournieren das bestellte Produkt. Diese ungeplanten Einkäufe lassen somit zwar die Umsätze schlagartig in die Höhe schnellen, die Retourenquoten allerdings auch – und damit die Kosten pro Bestellung. Die extrem hohen Retouren zum Black Friday sind vor allem für kleine Händler schwer zu stemmen. Nicht nur, dass Rücksendungen die Marge verringern. Wenn Produkte teils wochenlang im Retourenprozess gebunden sind, können sie auch nicht verkauft werden. Laut Clear Returns waren in Großbritannien im Jahr 2015 zwischen dem Black-Friday-Wochenende und Mitte Dezember Waren im Wert von rund 680 Millionen Euro durch Retouren blockiert.

Mehr Wert in Zeiten des Billigen

Sind wir also auf dem Weg zu einer Discountgesellschaft? Wenn Rabattaktionen vom Kunden erwartet werden können, warum sollte er dann noch zum regulären Preis kaufen? Besonders nachhaltig ist es aus Sicht der Händler also nicht, regelmäßig neue Rabattschlachten anzuzetteln. Anstatt also stetig an der Preisschraube zu drehen, könnten Unternehmen einen anderen Weg einschlagen, nämlich den Wert des Produktes erhöhen. Das kann auf vielfache Weise geschehen und muss nicht zwangsläufig zu teuren, wohl aber zu wertvolleren Produkten führen. Eine Maßnahme kann Storytelling sein: Erst in einem begehrenswerten Kontext erhält ein Produkt seinen Wert, etwa weil es in einem besonderen Herstellungsverfahren erstellt wurde, Urlaubserinnerungen weckt oder aus einer besonderen Idee heraus entwickelt wurde. Dann macht es einen Unterschied, ob ein Produkt einem Dorf in Guatemala zugute kommt oder in einer kleinen Manufaktur in Deutschland hergestellt wurden. Menschen, die mit einem Produkt ein bestimmtes Gefühl verbinden, lassen sich weniger stark vom Preis lenken.

Production-on-Demand für weniger Angebot

Insbesondere die Fashionbranche versucht gerade, einen Weg aus der Preisspirale heraus zu finden - indem sie das Angebot verringert. „Production-on-Demand“ ist hier das Zauberwort. Asien möchte darin Vorreiter werden und entwickelt mit Hilfe staatlicher Waren- und Massenproduktionsverfahren, die Verbraucher direkt mit den Fabriken verbinden, um Massenproduktionssysteme auf Abruf zu etablieren. Damit will man die heute oft überbordenden Überproduktionen verhindern. Das grundlegende Problem der Branche ist, dass bei der Produktentwicklung und anschließenden Produktion noch niemand weiß, welche Produkte sich gut verkaufen werden. Um für den schwankenden Verbraucherwunsch gerüstet zu sein, sind Fashionfirmen gezwungen, viel zu produzieren – viele Kollektionsteile und hohe Stückzahlen. Das verschlingt nicht nur hohe Lager- und Produktionskosten, es ist auch klar, dass ein großer Teil der Ware keinen Käufer findet – jedenfalls nicht zum regulären Preis. Um die Marke durch Billigangebote nicht zu gefährden, vernichten manche Hersteller daher lieber ihren Überhang. Um die Produktentwicklungszyklen zu verkürzen experimentieren in Asien aktuell viele Hersteller mit Production on Demand – wenn auch im Moment nur im Bereich „Basics“ in Standardstoffen und –farben. Wie der Konsument auf ein geringeres Angebot und stabilere Preise reagieren wird bleibt abzuwarten – angesichts gewohnt übervoller Fashionläden und unendlicher Online-Sortimente ist das wahrscheinlich noch viel schwerer vorherzusagen.


Li-Fi: Daten werden über Licht übertragen

Li-Fi: Das Internet des Lichts kommt

Eine schottische Schule ist gerade der Nabel der Internetwelt! Denn dort haben sich vor wenigen Tagen Schüler als erste in der Welt über Licht mit dem Internet verbunden. Auch im Handel gibt es erste Pilotprojekte, bei denen mithilfe des „Internet des Lichts“ Kundendaten gesammelt und -interaktionen gestartet werden können. Dem neuen Stern am Internethimmel Li-Fi (Light Fidelity) wird von Analysten ein kometenhafter Aufstieg prophezeit.

Jetzt gibt es also das Internet des Lichts. Was für ein poetischer Name für eine Technologie! Die Zeiten von WI-FI scheinen gezählt. Denn das inzwischen allgegenwärtige und Funk-basierte Wireless Local Area Network WLAN, das oft (nicht ganz korrekt) synonym mit Wi-Fi verwendet wird, soll durch Li-Fi, eine neuartige Technologie, die Daten über Lichtwellen übertragen kann, regelrecht überholt werden. Ende August hat die Tech-Firma pureLiFi an der Kyle Academy-Sekundarschule in Ayr, Schottland, erstmals ein LiFi-Netzwerk aktiviert, das LED-Glühbirnen verwendet, um drahtlose Internetverbindungen herzustellen. Entwickelt wurde Li-Fi in 16 Jahren Forschungsarbeit von Harald Haas, Professor für Mobile Kommunikation an der Uni Bremen und an der School of Engineering der Universität Edinburgh.

Wachstumsmarkt Li-Fi

Analysten trauen dem neuen Trend einiges zu: Market Research Future (MRFR) bewertet den globalen Markt für Li-Fi bis 2023 mit rund 51 Milliarden US Dollar. Bei einer erwarteten jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 70 Prozent wird der Markt im Prognosezeitraum (2017-2023) geradezu explodieren. Die Financial Times berichtete erst kürzlich über die jüngste Partnerschaft zwischen O2 und pureLiFi, um die Einführung von 5G in Großbritannien voranzutreiben. Auch die Beleuchtungsindustrie hat das Potenzial von Li-Fi inzwischen erkannt und setzt zum Sprung in die digitale Welt an. Ihre Produkte wie Lampen und Glühbirnen sollen zukünftig eine Schlüsselfunktion in der digitalen Kommunikation übernehmen. So hat der niederländische Konzern Philips Lightingerst vor kurzem bekannt gegeben, eine französische Investorengruppe mit Li-Fi auszustatten. Die Arbeitsplätze dort können künftig über LED-Lichtstrahlen mit Breitband versorgt werden und dabei eine 30 Mb/s schnelle Verbindung im Downstream nutzen. Die speziellen LED-Leuchten haben ein Modem integriert, das die Lichtwellen so moduliert, dass sie Breitband-Internet auf dem beleuchteten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Da das vom Licht verwendete Spektrum laut Philips 10.000 mal so groß ist wie bei herkömmlichen WLAN-Funktechnologien, hat das Netz auch keine Probleme mit einer hohen Anzahl von Clients.

Internet dockt an Licht-Infrastruktur an

Beim Internet des Lichts nutzt man quasi die vorhandene Infrastruktur von Beleuchtung für das Internet – Strom ist dort per se vorhanden und auf den Lampen selbst ist ein kleiner Sensor schnell montiert. Die Daten werden dann entweder über das vorhandene Kabelnetz oder über die Lichtwellen übertragen. Und: diese Symbiose aus Licht und Sensoren kann natürlich auch außerhalb von Räumen genutzt werden. Sensoren in Parkhaus- oder Straßenlaternen könnten melden, wo ein freier Parkplatz ist und dies an Navigationsgeräte weitergeben. In Kombination mit Bluetooth-Technologie und einer App lässt sich Licht aber auch im stationären Handel gezielt nutzen, um auf der Fläche und standortbezogen gezielte Kundenansprachen zu realisieren.

Li-Fi Pilotprojekt im Einzelhandel

Die Zumtobel Group Services (ZGS), einer der führenden Lichtspezialisten aus Österreich, hat das gerade zusammen mit dem französischen Einzelhändler E.Leclerc Langon in Frankreich getestet. In einem Pilotprojekt sollte herausgefunden werden, welchen Mehrwert Lichtkonzepte gekoppelt an das Internet der Dinge (IoT) für den Einzelhandel haben. Für das Projekt installierte ZGS Bluetooth-Beacons in den vorhandenen Leuchten des Händlers und verband sie über eine Lokalisierungsplattform. Letztere wurde mit dem E.Leclerc-Kundenbindungsprogramm verknüpft und hatte zum Ziel, das Wissen über Kunden zu erweitern, um dadurch in Zukunft noch besser auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können. Über die App sollten Push-Nachrichten zu standortgebundenen Angeboten an Kunden übermittelt werden. Zum Beispiel, um bei der Produktsuche zu helfen, fehlende Produkte anzuzeigen oder einfach nachzufragen. Sobald ein Kunde also einen bestimmten Bereich betrat, machte sein Smartphone via Push-Nachricht in Echtzeit auf Sonderangebote vor Ort aufmerksam.

Erste Ergebnisse aus dem Anfang Dezember 2017 gestarteten Test liegen bereits vor. Im Vergleich zu den Nicht-App-Nutzern konnten durchweg höhere Verkäufe umgesetzt werden. Denn die Anzeige von Produktempfehlungen und Sonderangeboten auf dem Smartphone der Kunden führte bei E.Leclerc Langon zu einer deutlichen Verkaufssteigerung von bis zu 42 Prozent. Zudem ermöglichte die App eine intensivere Kundeninteraktion, zum Beispiel bei der Produktsuche bzw. bei der Meldung fehlender Produkte. Die Filiale kann diese Interaktion mit dem Kunden nun nutzen, um Rückschlüsse auf die Performance der Filiale und das Kaufverhalten des Kunden zu ziehen. Kunden können zusätzlich Feedback über ihre Einkaufserfahrungen direkt über die App an die Filiale weitergeben.

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Bei aller Begeisterung für die neue Technologie gibt es aber auch „Schattenseiten“ – und die muss man in diesem Falle durchaus wörtlich verstehen: So kann Licht eben nicht durch Gegenstände scheinen und wenn ein Benutzer beispielsweise mit dem Rücken zu einer Li-Fi-Lampe sitzt, kann der Sensor das Licht bzw. die Daten nicht mehr empfangen – ganz ähnlich wie bei der Fernbedienung am Fernseher. Hinzu kommt, dass künstliches Licht ja nicht immer überall erforderlich ist – zum Beispiel wenn es natürlicherweise schon ausreichend hell ist. Im wachsenden Internet der Dinge soll Li-Fi aber bald zum Alltag gehören – zumindest als sinnvolle Ergänzung zu funkbasiertem Internet.

Weiterführende Links:

Philips Lighting News über das Internet des Lichts

Pressemeldung von pureLiFi

Zumtobel Pilotprojekt mit E.Leclerc


Demokratisierung von Wissen

Demokratisierung von Wissen: Was verträgt die Netzgemeinde?

Microsoft hat gerade erst für 7,5 Milliarden US-Dollar das Open Source Portal Github gekauft und entwickelt sich auch unternehmensintern immer mehr in diese Richtung. Auch der Zugang zu bislang sehr exklusivem Wissen wird in der Software-Szene immer offener gestaltet. In Europa dagegen will die EU das Urheberrecht reformieren und mit den umstrittenen Upload-Filtern die Offenheit des Internet drastisch beschneiden. Die Grundsatzfrage lautet: Demokratisierung von Wissen oder Kontrolle?

Es ist wie im richtigen Leben: Zwei Herzen schlagen in meiner Brust, wenn es darum geht, Freiheit und Sicherheit miteinander in Balance zu bringen. Lieber mehr Freiheit, mehr Innovation, mehr Spaß (?) oder doch besser die sichere und vielleicht auch gerechtere Variante, in der alles geregelt, normiert aber eben auch viel ausgebremst wird? Jeff Fritz, Senior Program Manager und Community Experte bei Microsoft Corp., hat sich da längst entschieden. In seiner Keynote auf der Developer Week in Nürnberg präsentierte er den neuesten Trend in der Entwicklerbranche: „Coden als Teamsport zwischen Product Owner, Kunde und Community“.

 

Mob-Programmierung als neue Art der Zusammenarbeit

Jeff Fritz by Developer Week
Jeff Fritz, Copyright by Developer Week

Das muss man sich mal vorstellen: Da sitzen Dienstleister, Kunde und Community zusammen und diskutieren gemeinsam über den besseren Code! Alles öffentlich und für jedermann einsehbar – auch für die Konkurrenz! Kein Gerangel mehr um Patente, Ideenklau oder Wettbewerbsvorteile? Was anfänglich nicht nur umständlich sondern auch nicht ganz clever erscheint, macht aber nach der Argumentation von Jeff Fritz wirklich Sinn: Denn niemand weiß und kann alles und das Ergebnis ist am Ende tatsächlich ein besseres, wenn nach dem „Viele-Augen-Prinzip“ Software entwickelt wird. Bei diesem Ansatz kodiert ein Entwickler und mehrere andere schauen zu und bieten Vorschläge. Zudem werden immer mehr Anwendungen und Tools als Open Source veröffentlicht. Für Microsoft ist dieses Vorgehen ein klarer Pluspunkt, denn Entwickler konzentrieren sich mehr auf die Qualität ihres Codes wenn sie wissen, dass die Community ihn überprüfen wird – und niemand würde Code besser und akribischer kontrollieren als die Community! Die verschiedenen Meinungen fordern das eigene Team zum Nachdenken heraus und bringen durch die unterschiedlichen Sichtweisen tatsächlich bessere Lösungen. „Ich glaube fest, dass dieser Ansatz in unserer Branche Standard und äußerst wertvoll für ihr Wachstum werden wird“, ist sich Jeff Fritz sicher. Und er verrät: „Tatsächlich kamen einige der größten Performance-Verbesserungen in ASP.NET Core von Entwicklern außerhalb von Microsoft.“

Offenheit zur Demokratisierung von Wissen

Dabei geht es Jeff Fritz aber nicht nur um ein offenes Internet und bessere Software, er will vor allem auch den Zugang zu gutem Code und damit zu bislang oft exklusivem Wissen demokratisieren. Regelmäßig führt er daher offene Live-Stream Workshops durch und teilt sein Entwickler-Know-how mit allen Interessierten. Und das begründet er ganz pragmatisch: „Jedes Unternehmen hat eine Website, viele weitere haben ihren eigenen Blog. Dazu kommen die vielen mobilen Anwendungen und wir sehen gerade erst den Beginn der Virtual-Reality- / Mixed-Reality- / Augmented-Reality-Technologien. Auf dem Fernseher läuft Code und in Kühlschränken und im Unterhaltungssystem von Autos. Das ist eine Menge Code, die geschrieben werden muss! Die nächsten Generationen von Entwicklern, die diese Anwendungsökosysteme pflegen und ausbauen werden, sollten eine gute Grundlage haben, damit sie diese Herausforderungen gut meistern.“

Europa als Bremse?

Während sich der Open Source Gedanke also als wachsendes Phänomen in den USA zeigt, scheint in Europa eine Entwicklung zu mehr Kontrolle und Reglementierung im Gange zu sein. Gerade erst vor wenigen Tagen wurde im Europäischen Parlament der Entwurf eines neuen Urheberrechts vorgelegt, das u.a. durch sog. Upload-Filter die Offenheit des Internets stark einschränken will. Zwar hat das Parlament in Straßburg den Plänen zunächst eine Absage erteilt – vom Tisch ist das Thema damit allerdings längst nicht: Im September schon soll ein überarbeiteter Vorschlag zur Abstimmung vorgelegt werden.

Kritisch gesehen werden vor allem die sog. Upload-Filter, eine spezielle Software, mit der das Hochladen urheberrechtlich geschützter Inhalte von Nutzern auf Online-Plattformen wie z.B. YouTube oder Facebook verhindert werden soll. Die Upload-Filter könnten viele Open-Source-Projekte gefährden, warnen Aktivisten der Free Software Foundation Europe und des openForum Europa. Denn auch Code-Hosting Plattformen wie Github sind laut dem Entwurf der EU-Urheberrechtsreform dazu verpflichtet, jeden neu hochgeladenen Programmiercode auf Urheberrechtsverletzungen zu kontrollieren. Das könnte die gemeinsame Entwicklung von Software, wie Jeff Fritz sie propagiert, unmöglich machen.

Auch ein Leistungsschutzrecht, mit dem Nachrichten-Portale wie z.B. Google News für kurze Ausschnitte aus Presseartikeln zahlen sollen, wurde strittig diskutiert. Kritiker befürchten dadurch u.a. Einschränkungen für Nutzer beim Teilen von Medieninhalten im Netz. Und Kritiker gibt es ausgesprochen viele – vor allem auch aus der Entwickler-nahen Szene wie z.B. Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales oder WWW-Erfinder Tim Berners-Lee. Beide haben sich öffentlich gegen die Änderung ausgesprochen, da die geplanten Upload-Filter aus dem offenen Internet "ein Werkzeug für die automatisierte Überwachung und Kontrolle der Nutzer“ machen könnte. Aber auch netzpolitische Vereine, Autoren, Wissenschaftler und Konzerne wie Google wollen ein solches Leistungsschutzrecht und Uploadfilter verhindern.

Die Realität schlägt das Ideal

Für mich stellt sich bei all den Diskussionen die Frage, welches „Gut“ hier das wertvollere ist: Der Schutz von Urheberrechten oder z.B. der freie Zugang zu Wissen? Natürlich ist die freiheitliche und vordergründig uneigennützige Einstellung von Jeff Fritz vorbildlich und sehr sympathisch. Auch, wenn sich das Argument, dass Microsoft auf diese Weise über die Community kostenfrei an wertvolles Knowhow herankommt, auch nicht ganz von der Hand weisen lässt. Wenn über das Internet alles Wissen frei zugänglich und für jedermann teilbar wäre, würde das die Innovationskraft unserer Welt wahrscheinlich enorm steigern. Das funktioniert allerdings nur, solange sich alle an das Prinzip der Offenheit halten. Und hier sind wir in der Realität noch weit entfernt.

Weiterführende Links

Developer Week 2019


Saturn Express Innsbruck

Kassenloses Bezahlen: Wirklich ein Vorteil für die Kunden?

Erst vor wenigen Tagen verkündete Walmart völlig überraschend, sein kassenloses Testprogramm “Scan&Go” einzustellen. Dabei hatte der Discount-Riese erst Anfang des Jahres bekannt gegeben, kassenloses Bezahlen auf 100 Filialen in 33 Staaten der USA ausweiten zu wollen. Der Grund: Es sei zu umständlich für den Kunden. Auch MediaMarktSaturn experimentiert seit März mit dem kassenlosen Kaufprozess in einer Filiale in Innsbruck – mit ungewissem Ausgang. Was sind die Learnings aus beiden Fällen?

Neue POS-Modelle händeringend gesucht

Anfang März avancierte Innsbruck, genauer gesagt ein Shop von MediaMarktSaturn in einem Einkaufszentrum in Innsbruck, zum Star der europäischen Handelsszene: Denn ausgerechnet dort eröffnete der Elektroriese einen Saturn Express Shop, den ersten kassenlosen Store in Europa. Das Medienecho war riesig! Nicht nur europäische Pressevertreter berichteten darüber, sogar die malaysische Tageszeitung „The Star“ informierte ihre Leser über die Neueröffnung. Der Informationsbedarf über innovative Technologien wie kassenloses Bezahlen für den Handel scheint enorm, ebenso die Verunsicherung darüber, wie der POS der Zukunft denn aussehen soll.

Saturn Express App
Über die Saturn Express App scannt der Kunde den Preis des Produkts und bezahlt per PayPal oder Kreditkarte. Quelle: MediaMarktSaturn Österreich

Saturn Express in Innsbruck: schnell testen, schnell lernen

Florian Gietl, CEO MediaMarktSaturn Österreich brachte es bei der Eröffnung in Innsbruck auf den Punkt: „Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wie der Shop sich entwickelt. Wir wissen es ja selbst nicht genau und deswegen probieren wir es aus.“ Nur vier Monate habe es von der Idee bis zur Umsetzung des Pop-up Stores in Innsbruck gebraucht – bemerkenswert für einen Branchenriesen, den manche gerne mit einem Tanker vergleichen. Auch Martin Wild, Innovationschef der Unternehmensgruppe, kritisierte bei mehreren Anlässen immer wieder, dass der deutsche Handel einfach zu wenig risikobereit sei. Neue Ideen müssten über zig Abteilungen hinweg bis in kleinste Detail besprochen werden bis der Markt neue Erkenntnisse liefert und man wieder von vorne beginnen müsse. Und mal ehrlich: Wenn man etwas nicht machen will, scheint es immer viel mehr Gründe zu geben, die gegen etwas sprechen, als Gründe, es zu tun.

Das Dilemma: Innovationen sind riskant

Doch was ist, wenn sich die Innovation – schließlich als Verbesserung gedacht – dann als Irrtum erweist und die Kunden sie nicht annehmen? Sie sogar testen und dann für unbrauchbar erachten, wie im Falle Walmart? Dann hat man viel Geld investiert, möglicherweise Kunden verärgert und sich zudem noch das eigene Image als Innovationstreiber befleckt. Der zurückhaltende Umgang mit neuen Ideen am POS ist also durchaus verständlich. Dennoch gibt es keine Alternative. Denn „Late Mover im Handel zu sein, ist schwer zu überleben“, ist Martin Wild überzeugt.

Bei Walmart war der entscheidende Faktor für das Aus des kassenlosen Bezahlens, dass zu viele Kunden den Kaufprozess im Laden zu umständlich fanden. Vor allem, wenn es darum ging, Waren wie frisches Obst und Gemüse zu verpacken, zu wiegen und dann zu scannen. Viele Kunden fühlten sich überfordert oder sahen einfach keinen Nutzen für sich. Der propagierte Zeitvorteil blieb demnach aus. Durchaus denkbar, wenn man sich vorstellt, dass die „alte“ Schlange vor der Kasse bei “Scan&Go” nun wahrscheinlich einfach durch die „neue“ Schlange an der Gemüsewaage ersetzt wurde.

Saturn Express setzt auf „To-go-Sortimente“

Einfach die Kasse im Laden abbauen und schon winkt die rosige Zukunft funktioniert also nicht. Das wäre wohl auch viel zu einfach. MediaMarktSaturn geht hier einen etwas differenzierteren Weg: Anstatt kassenloses Bezahlen über alle Sortimente hinweg anzubieten, hat der Pop-up-Store in Innsbruck ganz bewusst nur ein sehr kleines und ausgewähltes Sortiment in den Regalen – bietet darüber hinaus als verlängerte Ladentheke aber auch einen Webshop-Zugang über einen großen Touchscreen. Erhältlich sind wenig beratungsintensive Zubehörprodukte wie Ladekabel, Handyhüllen oder Lautsprecherboxen. Zudem will der typische Saturn Express Kunde wahrscheinlich nicht mit einem Einkaufswagen voll Produkte auschecken. Diese Tatsache scheint dem Elektroladen in die Hände zu spielen, denn mengenmäßig große Warenkörbe selbst auszuchecken, dürfte tatsächlich nicht besonders praktisch sein.

Selbsttest: Ich könnte auf eine Kasse verzichten

Und da Innsbruck in Sachen Einkaufen ja sonst nicht unbedingt zu den zukunftsweisendsten Pflastern dieser Welt zählt und ich zufällig dort wohne, habe ich einen Selbsttest in Sachen kassenloses Bezahlen gemacht. Von außen extrem unauffällig, bin ich tatsächlich sogar erst einmal am Saturn Express Shop vorbei gelaufen, bis ich ihn im Einkaufscenter Sillpark in Innsbruck endlich entdeckt hatte. Und auf den ersten Blick fällt auch gar nicht auf, dass die Kasse fehlt. Zwei freundliche Verkäufer erklären mir die Vorgehensweise und ich installiere direkt im Laden die Saturn Express App auf mein Smartphone. Ich öffne sie und scanne damit den am Produkt angebrachten Barcode ein. Ich wähle aus, ob ich per PayPal oder Kreditkarte zahlen möchte, bestätige den Kauf und kann wieder gehen. Die Rechnung bekomme ich prompt per Mail zugeschickt. Alles zusammen dauert keine zwei Minuten. Ohne den Download der App sogar nur Sekunden. Alles supereinfach und bequem – auch wenn ich nicht verhindern kann, mich beim Passieren der Alarmanlage beim Hinausgehen ein bisschen unwohl zu fühlen.

Das Learning: Es kommt darauf an...

„Die Digitalisierung eröffnet den Menschen neue Möglichkeiten und verändert damit ihr Einkaufsverhalten“, erläuterte Florian Gietl der Tiroler Tageszeitung die aktuelle Situation im Handel. „Konsumenten schätzen das rasche und einfache Onlineshopping genauso wie die persönliche Beratung im Geschäft. Saturn Express will hier die Brücke schlagen!“ Und genau darin liegt vielleicht das Learning aus Saturn Express und Walmart “Scan&Go”: Unser Kaufverhalten ist inzwischen so differenziert und wir als Käufer so auf Prozessoptimierung fixiert, dass eine Universallösung für den Check-out im Geschäft nicht mehr möglich sein kann.  Es wird in Zukunft wahrscheinlich mehr um das gezielte „sowohl als auch“ als um das gieskannenmäßige „entweder oder“ gehen.

Und selbst wenn man sich vorstellt, dass der kassenlose Laden sortiment- und prozessoptimiert bald zur Gewohnheit werden sollte: Wie viele Apps will der Konsument auf sein Handy laden? Und was ist mit Shops, in denen er nicht ständig einkaufen geht? Vieles ist noch unklar, doch das Pilotprojekt „kassenloser Pop-up Store Saturn Express in Innsbruck“ wird in diesen Tagen auslaufen, weitere Standorte seien zunächst nicht geplant. Wie ich schon sagte – der Ausgang ist ungewiss.

 

 

 

 


Digitalsierung und Müllvermeidung

Digitalisierung für die Tonne - Müllvermeidung im Handel

 

Wie moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) oder hochautomatisierte und datenbasierte Businessmodelle helfen können, Müll im Handel und beim Konsumenten zu vermeiden.

Overstocks im Fashionbereich, abgelaufene Ware im Lebensmittelhandel: Überproduktionen im Handel sind nicht nur wirtschaftlich katastrophal, sie sind auch für die Umwelt höchst belastend. Schließlich werden zu ihrer Herstellung Rohstoffe verarbeitet, Energie verbraucht und nicht zuletzt sogar Tiere getötet. Statistische Berechnungen im Lebensmittelhandel zeigen, dass jährlich alleine 2,6 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche bewirtschaftet wird, nur um die darauf angebauten Produkte anschließend wieder wegzuwerfen. Moderne Technologien können nicht nur helfen, unverkäufliche Ware von vorneherein zu vermeiden, sondern auch dafür sorgen, dass – wie im Falle von Textilien - gebrauchte Ware wieder einer sinnvollen Nutzung zugeführt wird.

Bessere Sortimentsplanung verbessert den Lebensmittelhandel

In der Europäischen Union werden jedes Jahr pro Person durchschnittlich 179 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen. Insgesamt bedeutet das ca. 89 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr. Es ist aber nicht nur der Endverbraucher, der die Nahrungsmittel wegwirft, denn laut WWF-Studie zur Lebensmittelverschwendung in Deutschland entstehen über 60 Prozent der Verluste entlang der Wertschöpfungskette – vom Produzenten bis hin zum Großverbraucher“. „Im Lebensmittelhandel ist jedes Lebensmittel, das z.B. aufgrund eines abgelaufenen Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatums nicht verkauft werden kann, ein Ärgernis“, erklärt Dirk Vater, Leiter der Alpenmetzgerei Völs, einem Produktionsbetrieb der österreichischen Supermarktkette MPreis. Denn Fleisch beispielsweise, dessen Verbrauchsdatum abgelaufen ist, darf nicht weiterverwendet werden und landet daher zu 100 Prozent im Müll und verursacht bei der Entsorgung sogar noch Kosten. Aber auch verpackte Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum zwar überschritten ist, dessen Verzehr aber unbedenklich wäre, werden von den Konsumenten nicht mehr angenommen und landen daher oft im Müll.

„Das Problem ist die Vorhersage der Abverkaufsmengen“, erklärt Dirk Vater. „In der Praxis wird diese Zahl meist aus einer Mischung aus Analysewerten aus dem Vorjahr, erfahrungsbasierten Vorhersagen und saisonalen Besonderheiten wie z.B. der Wetter oder Feiertagen ermittelt – und zwar für jedes einzelne Produkt.“ Allein die schiere Menge an Daten macht klar, dass dieser Anwendungsfall für die Nutzung von Technologien wie künstlicher Intelligenz geradezu prädestiniert ist: Unternehmensinterne Analysedaten liefern standortbezogen die wahrscheinlichen Verkaufsmengen und reichern diese anschießend mit externen Daten wie z.B. dem Wetterbericht (Ist Grillwetter?) und weiteren verkaufsrelevanten Informationen wie z.B. besonderen Events, Ferienbeginn oder Feiertagen an. Technisch ist es heute auch kein Problem mehr, neue Produkte, bei denen keine Erfahrungsdaten aus der Vergangenheit zur Verfügung stehen, in Vorhersagen zu integrieren. Das Ergebnis sind präzise Entscheidungshilfen auf Tagesbasis, die hoch individualisiert aus einer Unmenge an Daten und Wissen verlässliche Vorhersagen ermöglichen.

 

„Der Handel ist wie kaum eine andere Branche prädestiniert für die Nutzung von künstlicher Intelligenz – dank seiner Nähe zum Konsumenten und dank der Datenschätze, über die er schon heute verfügt.“ (Peter Breuer, McKinsey)

 

Mode: Nachhaltigkeit passt oft nicht zum Businessmodell

Auch im Modesektor helfen datenbasierte und hoch digitalisierte Unternehmen und Businessmodelle, das Müllaufkommen bei Textilien zu reduzieren. Zwar weiß niemand so genau, wie viel Neuware nicht verkauft werden kann (offizielle Zahlen werden nicht erhoben), doch Insider sagen, dass immerhin etwa 20 bis 30 Prozent aller produzierten Bekleidung sich auf dem ersten Vertriebsweg nicht verkaufen lassen. Bei rund 62 Millionen Tonnen Kleidung, die jährlich weltweit gekauft wird, ist das schon eine Menge! Kaufhäuser wie H&M oder Zara haben das Problem noch weiter verschärft, denn dort wechseln Kollektionen alle ein bis zwei Wochen und müssen dann – bei schlechtem Verkauf – in andere Verkaufskanäle geschoben oder dem Recycling zugeführt werden. Bestenfalls, denn gerade erst im Oktober enthüllte das dänische Fernsehen, dass H&M und die Bestseller Gruppe tonnenweise Restposten verbrennen – seit Jahren. Und dass, obwohl sich das Unternehmen Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt und deshalb Altkleider von seinen Kunden einsammelt um sie zu recyceln.

Gebrauchtwarenhandel für Fortgeschrittene

Für Konsumenten war es nie leichter als heute, Altkleider wieder zu verkaufen und damit der sinnvollsten aller Verwertungsmöglichkeiten zuzuführen. Denn auch das ist ein Verdienst unserer hoch technisierten Welt: Plattformen wie ebay Kleinanzeigen, willhaben.at oder z.B. Facebook Marketplace bieten einen attraktiven Verkaufskanal für ausgediente Kleidungsstücke und sind heute mehr gefragt denn je. Wer es gerne ganz komfortabel mag, schickt seine Textilien gleich zu einem Unternehmen wie Momox, das sich auf den An- und Wiederverkauf von gebrauchten Büchern, CDs, Spielen und seit 2014 auch auf Mode spezialisiert hat – und damit übrigens sehr erfolgreich ist. Im Geschäftsjahr 2016 erwirtschaftete Momox einen Gewinn von 6,8 Millionen Euro mit einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr von knapp 55 Prozent. Der Umsatz stieg im gleichen Zeitraum um rund 30 Prozent von knapp 120 auf 150 Millionen Euro.

Rund 400 Kleider-Pakete von Konsumenten treffen heute täglich im Momox-Lager ein, müssen beurteilt, fotografiert und für die eigene Verkaufs-Website ubup aufbereitet werden. Der Aufwand ist riesig. Damit er sich dennoch rechnet, hat das Unternehmen seine Prozesse bis ins letzte automatisiert und perfektioniert. Behilflich dabei sind nicht zuletzt speziell entwickelte dynamische Preisalgorithmen, die für jedes ankommende Kleidungsstück tagesaktuell den optimalen Marktpreis errechnen. „Rund 50 Prozent der angekauften Kleidungsstücke werden innerhalb von vier Wochen nach Ankauf weiterverkauft“, erklärte Heiner Kroke, Geschäftsführer von Momox, erst im Januar in einem Interview mit Fashionunited.de. Nur etwa drei Prozent der Artikel könne laut Kroke gar nicht verkauft werden.

Um uns zu helfen, dem immer größer werdenden Müllproblem auf der Erde Herr zu werden, können moderne, datengesteuerte Technologien und Geschäftsideen, die auf die Vermeidung von Müll zielen, eine Schlüsselrolle einnehmen. Denn – da sind sich alle einig - der Müll, der gar nicht erst entsteht, ist immer noch der beste.

 

Weiterführende Links:

WWF-Studie 

Foodwaste Report

Interview auf fashionunited

 


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Flixbus: Paradebeispiel der digitalen Disruption

Alle sprechen vom Wandel, der bevorstehenden digitalen Disruption. Sogar Angela Merkel sagt immer wieder, dass unserem Land so tiefgreifende Veränderungen bevor stünden. Aber was genau ist gemeint? Digitale Disruption klingt schließlich sehr abstrakt und so richtig greifbar ist dieses „Schreckgespenst“ ja auch nicht. Es gibt allerdings Beispiele, die helfen, die Zukunft zu erahnen. Unternehmen, die durch ihr datengetriebenes, hochautomatisiertes Geschäftsmodell plötzlich Märkte erobern, die vor wenigen Jahren noch als uneinnehmbar galten. Unternehmen, die es plötzlich wagen, auf den ersten Blick so investitionsintensive und monopolartig organisierte Branchen wie das Personentransportwesen mal ordentlich umzukrempeln: Unternehmen wie Flixbus.

copyright Reuters / Arnd Wiegmann

Erst die Straße, jetzt die Schiene

Flixbus wurde 2013, nach dem Fall des Bahnmonopols, gegründet und ist mittlerweile klarer Marktführer – nicht nur in Deutschland. Auf der Straße sind die grünen Busse längst ein bekanntes Bild. Und das Streckennetz des Unternehmens ist tatsächlich beachtlich: Täglich sind bereits 250.000 Verbindungen zwischen 1.400 Orten in 27 Ländern mit den Bussen erreichbar. Tickets für Fernbusreisen sind schon ab 5,- Euro erhältlich. Aber wie wir alle wissen, will sich Flixbus nicht nur auf die Straße beschränken, auch die Schiene und damit die Vorherrschaft der Deutschen Bahn wird angegriffen. Seit August 2017 ist die Strecke Berlin-Stuttgart in Betrieb, am 23. März soll Hamburg-Köln hinzukommen – ab April 2018 übrigens in Zügen im schicken grasgrünen Unternehmens-Outfit. „Zukünftig ist man per Flixtrain ohne Umsteigen von Düsseldorf, Essen oder Köln genauso schnell in Hamburg wie mit dem ICE", verspricht Flixbus-Gründer André Schwämmlein.

Streckennetz Flixbus in Mitteleuropa, Quelle Flixbus

Daten, Technologie, Kundenzugang

Basis der Erfolgsstrategie von Flixbus ist sein durch und durch datenbasiertes Geschäftsmodell. Umsatzträchtige Verbindungen und Strecken werden ausschließlich anhand von Daten identifiziert und es sind auch wieder Daten, aus denen das Unternehmen Infos für Optimierungspotenziale zieht – und aus Kundenfeedback. Denn Flixbus hat es geschafft, eine Community aus Flixbus-Reisenden aufzubauen und hat so – sicher auch gepaart mit der obligatorischen Sympathie für Underdogs – eine starke Kundenbindung mit hohen Sympathiewerten geschaffen. 1.626.353 Personen haben heute Flixbus auf Facebook abonniert und es gibt inzwischen zahlreiche Reiseberichte von Flixbus Travellern. Damit gelang es dem Unternehmen, einen direkten und persönlichen Zugang zum Kunden zu etablieren und erhält gleichzeitig einen unschätzbar wertvollen Fundus an Geschichten fürs eigene Marketing.

Auch Technologie-Innovationen wie ein unkompliziertes Buchungs- und Ticketingsystem, die FlixBus-App, GPS-Livetracking und ein automatisiertes Delay-Management lassen die Deutsche Bahn in mancherlei Hinsicht heute alt aussehen. Mit smarter Netzplanung und einem dynamischen Preismanagement verspricht Flixbus zudem stets das günstigste Angebot für eine Strecke. Damit kann das Unternehmen in Echtzeit auf Marktveränderungen wie z.B. den Start des Deutsche Bahn-Sprinters zwischen München und Berlin reagieren – und die Preise zu den Fahrtzeiten des Schnellzugs einfach ein bisschen herunterschrauben.

Auch Services wie z.B. kostenfreies WLAN in den Bussen hat Flixbus schon vor vielen Jahren eingeführt – übrigens lange vor der Deutsche Bahn. Daniel Krauss, Geschäftsführer und CIO der Flixmobility Tech GmbH, erklärte dazu in seinem Vortrag auf der Internet World Expo Anfang März 2018: „Seit wann gibt es Internet? Sagen wir seit ca. 20 Jahren. Die Deutsche Bahn hat kostenloses WLAN im ICE für Reisende der zweiten Klasse im Januar 2017 eingeführt.“ Weiterer Kommentar überflüssig.

Digitale Disruption

Auf der Internet World Expo machte Daniel Krauss in Jeans, T-Shirt und Rucksack auch optisch klar, dass er weiterhin frischen Wind in eine eingestaubte Branche bringen will. Und er lieferte mit seinem Unternehmen ein Paradebeispiel, wie digitale Disruption mit Hilfe von Technologie, Daten und einer gewissen Portion Frechheit auch alteingesessene Unternehmen wie die Deutsche Bahn angreifen können. Inwieweit Dr. Richard Lutz, seit März 2017 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, das Start-up aus Berlin schon auf dem Schirm hat, ist natürlich nicht bekannt – besser für ihn wäre es aber.