Wie moderne Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) oder hochautomatisierte und datenbasierte Businessmodelle helfen können, Müll im Handel und beim Konsumenten zu vermeiden.
Overstocks im Fashionbereich, abgelaufene Ware im Lebensmittelhandel: Überproduktionen im Handel sind nicht nur wirtschaftlich katastrophal, sie sind auch für die Umwelt höchst belastend. Schließlich werden zu ihrer Herstellung Rohstoffe verarbeitet, Energie verbraucht und nicht zuletzt sogar Tiere getötet. Statistische Berechnungen im Lebensmittelhandel zeigen, dass jährlich alleine 2,6 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche bewirtschaftet wird, nur um die darauf angebauten Produkte anschließend wieder wegzuwerfen. Moderne Technologien können nicht nur helfen, unverkäufliche Ware von vorneherein zu vermeiden, sondern auch dafür sorgen, dass – wie im Falle von Textilien – gebrauchte Ware wieder einer sinnvollen Nutzung zugeführt wird.
Bessere Sortimentsplanung verbessert den Lebensmittelhandel
In der Europäischen Union werden jedes Jahr pro Person durchschnittlich 179 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen. Insgesamt bedeutet das ca. 89 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr. Es ist aber nicht nur der Endverbraucher, der die Nahrungsmittel wegwirft, denn laut WWF-Studie zur Lebensmittelverschwendung in Deutschland entstehen über 60 Prozent der Verluste entlang der Wertschöpfungskette – vom Produzenten bis hin zum Großverbraucher“. „Im Lebensmittelhandel ist jedes Lebensmittel, das z.B. aufgrund eines abgelaufenen Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatums nicht verkauft werden kann, ein Ärgernis“, erklärt Dirk Vater, Leiter der Alpenmetzgerei Völs, einem Produktionsbetrieb der österreichischen Supermarktkette MPreis. Denn Fleisch beispielsweise, dessen Verbrauchsdatum abgelaufen ist, darf nicht weiterverwendet werden und landet daher zu 100 Prozent im Müll und verursacht bei der Entsorgung sogar noch Kosten. Aber auch verpackte Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum zwar überschritten ist, dessen Verzehr aber unbedenklich wäre, werden von den Konsumenten nicht mehr angenommen und landen daher oft im Müll.
„Das Problem ist die Vorhersage der Abverkaufsmengen“, erklärt Dirk Vater. „In der Praxis wird diese Zahl meist aus einer Mischung aus Analysewerten aus dem Vorjahr, erfahrungsbasierten Vorhersagen und saisonalen Besonderheiten wie z.B. der Wetter oder Feiertagen ermittelt – und zwar für jedes einzelne Produkt.“ Allein die schiere Menge an Daten macht klar, dass dieser Anwendungsfall für die Nutzung von Technologien wie künstlicher Intelligenz geradezu prädestiniert ist: Unternehmensinterne Analysedaten liefern standortbezogen die wahrscheinlichen Verkaufsmengen und reichern diese anschießend mit externen Daten wie z.B. dem Wetterbericht (Ist Grillwetter?) und weiteren verkaufsrelevanten Informationen wie z.B. besonderen Events, Ferienbeginn oder Feiertagen an. Technisch ist es heute auch kein Problem mehr, neue Produkte, bei denen keine Erfahrungsdaten aus der Vergangenheit zur Verfügung stehen, in Vorhersagen zu integrieren. Das Ergebnis sind präzise Entscheidungshilfen auf Tagesbasis, die hoch individualisiert aus einer Unmenge an Daten und Wissen verlässliche Vorhersagen ermöglichen.
„Der Handel ist wie kaum eine andere Branche prädestiniert für die Nutzung von künstlicher Intelligenz – dank seiner Nähe zum Konsumenten und dank der Datenschätze, über die er schon heute verfügt.“ (Peter Breuer, McKinsey)
Mode: Nachhaltigkeit passt oft nicht zum Businessmodell
Auch im Modesektor helfen datenbasierte und hoch digitalisierte Unternehmen und Businessmodelle, das Müllaufkommen bei Textilien zu reduzieren. Zwar weiß niemand so genau, wie viel Neuware nicht verkauft werden kann (offizielle Zahlen werden nicht erhoben), doch Insider sagen, dass immerhin etwa 20 bis 30 Prozent aller produzierten Bekleidung sich auf dem ersten Vertriebsweg nicht verkaufen lassen. Bei rund 62 Millionen Tonnen Kleidung, die jährlich weltweit gekauft wird, ist das schon eine Menge! Kaufhäuser wie H&M oder Zara haben das Problem noch weiter verschärft, denn dort wechseln Kollektionen alle ein bis zwei Wochen und müssen dann – bei schlechtem Verkauf – in andere Verkaufskanäle geschoben oder dem Recycling zugeführt werden. Bestenfalls, denn gerade erst im Oktober enthüllte das dänische Fernsehen, dass H&M und die Bestseller Gruppe tonnenweise Restposten verbrennen – seit Jahren. Und dass, obwohl sich das Unternehmen Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt und deshalb Altkleider von seinen Kunden einsammelt um sie zu recyceln.
Gebrauchtwarenhandel für Fortgeschrittene
Für Konsumenten war es nie leichter als heute, Altkleider wieder zu verkaufen und damit der sinnvollsten aller Verwertungsmöglichkeiten zuzuführen. Denn auch das ist ein Verdienst unserer hoch technisierten Welt: Plattformen wie ebay Kleinanzeigen, willhaben.at oder z.B. Facebook Marketplace bieten einen attraktiven Verkaufskanal für ausgediente Kleidungsstücke und sind heute mehr gefragt denn je. Wer es gerne ganz komfortabel mag, schickt seine Textilien gleich zu einem Unternehmen wie Momox, das sich auf den An- und Wiederverkauf von gebrauchten Büchern, CDs, Spielen und seit 2014 auch auf Mode spezialisiert hat – und damit übrigens sehr erfolgreich ist. Im Geschäftsjahr 2016 erwirtschaftete Momox einen Gewinn von 6,8 Millionen Euro mit einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr von knapp 55 Prozent. Der Umsatz stieg im gleichen Zeitraum um rund 30 Prozent von knapp 120 auf 150 Millionen Euro.
Rund 400 Kleider-Pakete von Konsumenten treffen heute täglich im Momox-Lager ein, müssen beurteilt, fotografiert und für die eigene Verkaufs-Website ubup aufbereitet werden. Der Aufwand ist riesig. Damit er sich dennoch rechnet, hat das Unternehmen seine Prozesse bis ins letzte automatisiert und perfektioniert. Behilflich dabei sind nicht zuletzt speziell entwickelte dynamische Preisalgorithmen, die für jedes ankommende Kleidungsstück tagesaktuell den optimalen Marktpreis errechnen. „Rund 50 Prozent der angekauften Kleidungsstücke werden innerhalb von vier Wochen nach Ankauf weiterverkauft“, erklärte Heiner Kroke, Geschäftsführer von Momox, erst im Januar in einem Interview mit Fashionunited.de. Nur etwa drei Prozent der Artikel könne laut Kroke gar nicht verkauft werden.
Um uns zu helfen, dem immer größer werdenden Müllproblem auf der Erde Herr zu werden, können moderne, datengesteuerte Technologien und Geschäftsideen, die auf die Vermeidung von Müll zielen, eine Schlüsselrolle einnehmen. Denn – da sind sich alle einig – der Müll, der gar nicht erst entsteht, ist immer noch der beste.
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