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Digitale Arbeitswelt: Angst vor dem Umbruch?

Welche Veränderungen bringt die Digitalisierung in unsere Arbeitswelt? Diese Frage diskutiert Matthias Kamp, München-Korrespondent der WirtschaftsWoche, mit Siemens-Personalvorständin Janina Kugel und Unternehmerin Sabine Herold, Chefin des Hightech-Klebstoff-Herstellers Delo im WiWo-Clubgespräch. Es ist ein Ritt durch die Themenvielfalt Diversität, Automatisierung, Qualifikation, Weiterbildung, Führungsstil. Jedem Zuhörer im Literaturhaus in München wird klar, dass wir uns in unserer modernen, hochtechnisierten Welt mehr denn je hinterfragen müssen, ob wir offen für Neues sind und uns unseren Ängsten vor Veränderungen stellen müssen.

Der Einstieg in die Diskussion hätte nicht provokanter sein können. „Brauchen wir eine Frauenquote?“, fragt Matthias Kamp seine Gesprächspartnerinnen. Beide Unternehmerinnen wollen als Führungskraft keine Quotenfrauen sein. Janina Kugel kontert: „Es geht um die Gleichstellungsquote. Ich weiß nicht, ob wir sie wirklich brauchen, aber wir brauchen die Diskussion. Denn es gibt in den Vorständen deutscher Unternehmen mehr Michaels und Thomas als Frauen.“

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Rollenbilder sind in der Gesellschaft noch sehr stark eingefahren. Wir sind stark konditioniert, und das von klein auf. Was wir als Kinder zuhause vorgelebt und in Schulen erzählt bekommen, prägt enorm. Selbst heute noch werden zu sehr Rollenklischees vermittelt und Mädchen nicht ausreichend an vermeintliche Männerberufe herangeführt. Janina Kugel sieht hier einen großen Hebel, Veränderungen anzustoßen. „Wir müssen insbesondere die Mädchen motivieren, in die MINT-Berufe zu gehen. Abgesehen davon, dass sich hier viel größere Chancen auftun, weil wir diese Fachkräfte dringend brauchen, sind sie auch noch viel besser bezahlt als die klassischen Frauenberufe.“

Auf dem Arbeitsmarkt hat sich dank der technologischen Möglichkeiten viel getan: Teilzeitmodelle, Home-Office, Job-Sharing. Sabine Herold kann das bestätigen: „Wir als Mittelständler bieten unseren Mitarbeitern 42 verschiedene Teilzeitmodelle. Da steckt für HR sehr viel Arbeit dahinter.“ Es muss aber auch an anderer Stelle die Voraussetzungen für Flexibilität geschaffen werden, weiß Janina Kugel, Mutter von schulpflichtigen Zwillingen, aus eigener Erfahrung. „Es fehlt in Deutschland an einer gesicherten und flexiblen Betreuungsstruktur für Kinder, auf die sich beide Elternteile in ihrem Job verlassen können.“ Auch der Wiedereinstieg von Frauen ins Berufsleben wird angesprochen. Sabine Herold appelliert vor allem auch an Quereinsteiger und ermutigt weibliche Fachkräfte, die jahrelang wegen der Familie zuhause geblieben sind: „Diese Frauen haben ein kleines Familienunternehmen geführt. Natürlich sind sie für den Wiedereinstieg qualifiziert. Sie müssen es sich nur zutrauen und es wollen.“

Die Folgen der Automatisierung

Das Gefühl, abgehängt zu sein und das Nichtwissen über neue technologische Entwicklungen bei der Arbeit bleibt kein Phänomen derjenigen, die aus dem Beruf ausgestiegen sind. Vor dieser Herausforderung steht nun jeder Wissensarbeiter in unserer Dienstleistungsgesellschaft. Die Welle der Innovation durch Künstliche Intelligenz und Machine-Learning wird die Jobs in der Administration erfassen. Repetitiven Aufgaben wie zum Beispiel die von Sachbearbeitern oder Gutachtern werden in Zukunft durch Algorithmen gelöst. Bürojobs stehen auf der schwarzen Liste, es ist eine Frage der Zeit, wann sie obsolet werden.

Janina Kugel sieht hier sehr wohl die Unternehmen in der Pflicht, Pakete zu Weiterqualifikationen für betroffene Mitarbeiter zu schnüren. Sabine Herold pflichtet ihr bei, gibt jedoch zu bedenken, dass lediglich Großkonzerne und nur wenige wirklich sehr gut aufgestellte Mittelständler dazu die nötige Infrastruktur hätten. „Solche Angebote können kleinere und mittelständische Unternehmen vor allem in ländlichen Regionen nicht leisten. Der Weiterbildungsmarkt muss hierzulande noch stark entwickelt und auch gefördert werden.“

Angst und Skepsis überwinden

Voraussetzung ist, dass Mitarbeiter auch bereit sind, den Veränderungsprozess zu gehen. In dem Zusammenhang kommen beide auf Ängste zu sprechen. Allein zu akzeptieren, dass man im Job nicht mehr gebraucht wird, sei schon kaum zu ertragen. „Man stelle sich vor, man hat eine qualifizierte Ausbildung, zwanzig Jahre in einem Unternehmen erfolgreich gearbeitet und jetzt soll man nochmal die Schulbank drücken und sich Prüfungen unterziehen, um eine Weiterqualifikation zu absolvieren? Das ist nicht einfach“, erklärt Sabine Herold. Es muss in der Unternehmenskultur verankert sein, dass ein solcher Prozess ganz normal ist. Wichtig, dass mit diesen offen umgegangen wird und gemeinsam nach Lösungen sucht.

In diesen Fragen sind Führungskräfte mehr denn je gefordert. Das alte Führungsprinzip „command and control“ hat ausgedient. Gefragt sind Gestaltungsspielräume, Crowdsourcing, agile Prozesse, innovative Methoden der Mitarbeiterführung. Nicht jede Führungskraft kommt damit zurecht, oft kommen Zweifel auf. Janina Kugel zitiert eine Führungskraft aus dem Siemens-Konzern: „Ich habe Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, wenn all meine Mitarbeiter agil und mit Scrum arbeiten.“

Beide Managerinnen sind davon überzeugt, dass sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen lässt. Sie appellieren an Gesprächsbereitschaft und offenen Diskurs eines jeden. Nur so lassen dich die Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt bewältigen.

Foto: Thorsten Jochim


IT-Spezialistin Carolin Desirée Töpfer

Digitalisierung ist ein Konflikt der Weiterbildung

Carolin Desirée Töpfer ist Diplom-Politologin und Spezialistin für die digitale Transformation mittelständischer Unternehmen. Sie beschäftigt sich seit ihrer Teenager-Zeit mit Programmierung und Zukunftstechnologien, später dann auch mit Datenschutz und IT Sicherheit. Auf den B2B Marketing Days in Würzburg lerne ich sie persönlich kennen und merke schnell, wie sehr sie für ihre Sache brennt. Sie glaubt an die Sogwirkung von Digitalisierung und Technologie für junge Talente - Stichwörter New Work und Gamification. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft für Veränderung in Unternehmen. Im Interview schildert sie mir ihre Sicht der Diskrepanz zwischen Technologie und Weiterbildung.

Wie kam es dazu, dass du dich für IT begeisterst?

Das habe ich wohl meinem Umfeld und einem sehr engagierten Informatiklehrer am Gymnasium zu verdanken. Wir hatten dort ein MINT-Zentrum und ich habe etwa mit 14 Jahren mit Web Design und Programmieren angefangen. Man muss sich meine Begeisterung damals als Teenager wirklich so vorstellen: Nach der Schule zuhause die Rolläden runter und viel Zeit vor dem Bildschirm! Abgesehen davon habe ich mich aber auch als Schülersprecherin engagiert und wurde FDP-Mitglied.

Was war denn dein größtes IT Projekt als Schülerin?

Ich habe eine Music-Community aufgebaut, eine Website, über die sich lokale Bands präsentieren, zusammenfinden und mit ihren Fans austauschen konnten. Das waren dann irgendwann 20 Bands, die zusammen viel einfacher Konzerte organisieren konnten. Später gab es auch Festivals und wir hatten ein Street-Team, das auf der Straße Flyer verteilt hat. Das Ding ist sukzessiv gewachsen, obwohl wir damals nur ein Gästebuch integrieren und MySpace nutzen konnte, da es die großen Social Media Plattformen so noch nicht gab. Das war eine spannende Zeit.

 

"Die Einsicht für lebenslanges Lernen wird hierzulande noch viel zu wenig propagiert und gelebt."

 

Und wie ging es dann weiter?

Eigentlich wollte ich Wirtschaftsjournalistin werden. Der beste Rat, den ich dann während eines Praktikums beim Handelsblatt Verlag bekommen habe, war, das zu studieren, was mich wirklich interessiert. Ich entschied mich für Politikwissenschaften mit VWL als Schwerpunkt und betrieb meine Technologiethemen eher nebenher als Hobby.

Wie wurde das Hobby dann doch zum Beruf?

Als ich ins Berufsleben einstieg und die ersten Erfahrungen in Unternehmen sammelte, u.a. in der Finanzbranche, musste ich feststellen, dass meine Technologie zuhause mehr state-of-the-art war als die in den Unternehmen.  Und da meine Kollegen schnell merkten, dass ich mich mit Datenbanken auskannte, sah ich mich plötzlich in der Rolle derjenigen, die die bestehende Technologie analysieren sollte, Datenprojekte übernommen hat und Briefings über Server-Latenzen erstellte.

So kam es dann auch zur deiner Gründungsidee?

Ja. Digitalisierung bedeutet eine grundlegende Veränderung – auf allen Ebenen einer Organisation. Das fällt vielen Mitarbeitern und Führungskräften so ganz ohne technische Kenntnisse besonders schwer. Ich bin in den Unternehmen, in denen ich gearbeitet habe, selbst immer wieder an Grenzen gestoßen, wenn es um digitale Zusammenarbeit und einfache Datenlösungen ging. Das war eine bittere Erfahrung. Ich hatte oft den Eindruck, wenn man als interner Mitarbeiter Probleme lösen will, läuft man gegen Betonwände. Gleichzeitig habe ich mir dann gedacht, dass bei diesen Themen ein externer Helfer die Unternehmen enorm weiterbringen würde. Genau das mache ich heute: Tech Coachings für Führungskräfte, Team Workshops und Vorträge über die verschiedenen Aspekte der Digitalen Transformation.

Inwiefern stehen sich Unternehmen selbst im Weg?

Ich empfinde es als persönlichen Vorteil, auch als Chefin ständig etwas Neues lernen und testen zu dürfen. Die Mentalität in vielen deutschen Unternehmen sieht aber ganz anders aus. Die Hierarchedenke hält an alten Strukturen fest und blockiert. Machtgefüge und Seilschaften spielen dabei eine große Rolle. Es geht oftmals darum, eine Position, in die man sich hochgearbeitet hat, zu halten. Viele Manager dürfen niemals zugeben, dass sie etwas nicht wissen. Auch meine Tech Coachings finden häufig virtuell statt oder so, dass es die Mitarbeiter meiner Klienten nicht mitbekommen.

Ist die Digitalisierung ein Generationenkonflikt?

Das habe ich am Anfang gedacht. Mittlerweile sehe ich es eher als Weiterbildungskonflikt. Ein solides Basiswissen zu digitalen Themen – und auch der Technik dahinter - gibt es in unserer Gesellschaft nicht, weil eine entsprechende Aus- und Weiterbildung nicht allen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen gleichermaßen gewährt wird. Die Einsicht für lebenslanges Lernen und die entsprechende Verantwortung des Einzelnen und der Unternehmen, wird hierzulande noch viel zu wenig propagiert und gelebt. Das große Ganze wird oft nicht gesehen und die Zukunft hat derzeit noch einen zu niedrigen Stellenwert. Auch, weil viele aktuelle Führungskräfte die Zukunft nur noch als Rentner erleben werden.

Welche Learnings kannst du Berufseinsteigern geben?

Zum einen müssen sie sich von dem Gedanken verabschieden, viele Jahre in ein und demselben Unternehmen arbeiten zu können und dort einen quasi automatischen Karriereweg einzuschlagen. Zum anderen wäre mein Rat, den Real-Life-Check zu machen: Heuer nicht nur bei hippen Start-Ups oder erfolgreichen Konzernen an, sondern arbeite auch mal bei bodenständigen Mittelständlern. Am besten bei denen mit dem langweiligsten Produkt. Schau dir das Unternehmen von innen an und achte darauf, was nicht funktioniert. Und stell dir dann die Frage, mit welchem disruptiven Geschäftsmodell man den Laden umkrempeln könnte. So erzielst du die besten Learnings, die du in jeden anderen Job mitnehmen kannst.

 

"Händeringend gesuchte Fachkräfte können sich heutzutage ihre Arbeitgeber nach Wohlfühlkriterien aussuchen."

 

Was müssen Unternehmen jungen Talenten heutzutage bieten um attraktive Arbeitgeber zu sein?

Ich bekomme immer wieder Gegenwind, wenn ich davon spreche, dass man von überall aus arbeiten können sollte und dass Arbeit Spaß machen darf. Für viele Führungskräfte geht das nicht zusammen. Die denken, ein Mitarbeiter ist nur produktiv, wenn man ihn sehen kann und Spaß ist etwas für die Freizeit. Absolute Fehlanzeige! Wer seinen Mitarbeitern keinen Spaß und Zugang zu neuen Technologien und digitalen Tools gönnt, bekommt also zunehmend Recruiting-Probleme. Dazu gehören auch Weiterbildungen mit Gamification-Ansatz. Alles was Spaß macht, muss auch im Büro stattfinden dürfen. Dafür muss Arbeit vielerorts anders gedacht und neu organisiert werden.

Wie wird man zum attraktiven Arbeitgeber? Welche Veränderungsprozesse muss man anstoßen?

Ich glaube, man sollte Bewerber und Mitarbeiter wertschätzen und unabhängig von der Art des Jobs, dem Alter und der Erfahrung des Arbeitnehmers mit ihm sprechen, also Feedback annehmen. Anhand der IT-Infrastruktur und dem Nutzerverhalten der Mitarbeiter kann ich zum Beispiel sehr schnell erkennen, ob ein Unternehmen heute schon digital affine Bewerber glücklich machen kann. Viele bleiben da leider hinter ihren eigenen Werbe-Versprechen zurück. Technisch attraktiv zu werden kostet Zeit und Geld. Aber wenn der Großteil der Belegschaft mitzieht, geht es schneller und kostet weniger.

Welche technologischen Veränderungen erwartest du in Zukunft?

Was die Zukunft angeht, finde ich vor allem den Hardware-Bereich interessant. Da gibt es noch viele Lücken im Angebot. Wenn man mit Technologiefans spricht, die z.B. bei Chip-Herstellern oder im Datencenter-Bereich arbeiten, weiß man relativ schnell, was in zehn bis 20 Jahren Alltag sein wird. Ich bin davon überzeugt, dass es in zehn Jahren keine Smartphones mehr geben wird, sondern wir Lösungen wie Google Glass wieder auf der Straße sehen und uns mit kleinen Geräten auseinandersetzen müssen, die sich in Echtzeit mit unserem Körper bzw. unserem Gehirn vernetzen möchten. Das Internet of Things mit all seinen Mini-Computern und Sensoren bietet enorm viele tolle Möglichkeiten.

Welche Ziele setzt du dir für deine berufliche Zukunft?

Im nächsten Jahr steht der Schritt in den US Markt an. Ich habe gelernt, dass man mit Zielen vorsichtig sein muss. Gerade in meinem Fachbereich dauert es am Ende doch immer länger, als ich es mir wünschen würde. Ich hatte übrigens keinen Plan dort zu landen, wo ich heute stehe, bin aber dankbar für die Erfahrungen – die aus meiner Zeit als Arbeitnehmer und besonders die letzten knapp drei Jahre als Gründerin. Dabei wollte ich eigentlich nicht gründen, bevor ich 30 bin. Das ist im nächsten Jahr der Fall. Ich entwickle gerne Ideen, lerne dazu, probiere Dinge aus und schaue, wohin sie mich führen. Meistens vermeide ich anschließend einfach, was für mich nicht funktioniert oder wovon mein Bauchgefühl mir abrät. Bisher bin ich damit ganz gut gefahren.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Weiterführende Links:

Carolins Blog Digitalisierung-jetzt.de zählt im deutschsprachigen Raum zu den renommiertesten, wenn es um die Digitalisierung von Mittelständlern geht.


Monokultur Gruppendenken 2018

Diversität als Ressource

Das Frauennetzwerk Media Women Connect und Medientage 2018. Emotionen kochen hoch, die Kluft kann kaum größer sein. Auf der einen Seite das Manifest der Media Women Connect, das u.a. eine Verpflichtung des Veranstalters für einen Anteil von  50 Prozent Frauen auf den Bühnen der Medientage im Jahr 2021 fordert. Auf der anderen Seite die These von Medientage-Chef Stefan Sutor, die Innovationspodien liebend gerne mit mehr Frauen besetzen zu wollen, wenn es denn Expertinnen in dem Bereich gäbe. Ein sachlicher Diskurs auf der Bühne kaum möglich. Prof. Dr. Isabell M. Welpe von der TU München nähert sich den Themen Diversität und Disruption aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive.

„Wie viele Manager und Risikokapitalgeber behaupten von sich, sie würden so gerne Frauen fördern und deren Geschäftsideen finanzieren, wenn sie nur welche fänden? Sie geben den Frauen die Schuld. Andersherum würde ein Schuh draus: Frauen wären als Gründerinnen und Führungspersönlichkeiten sichtbarer und viel erfolgreicher, wenn sie im gleichen Maße finanziert würden. Es ist ein hässlicher Kreislauf: Die eine Seite sagt, sie könne keine guten Frauen finden, die andere Seite sagt, die Anstrengung sei es nicht wert.“

So spricht jemand, die es am eigenen Leib erfahren hat. Vivian Ming, Tech-Unternehmerin aus den USA, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat und erfahren muss,  dass sie als Frau anders behandelt wird als seinerzeit als Mann. Isabell Welpe zitiert Vivian Ming in ihrer Keynote auf den Medientagen, um aufzuzeigen, in welchem Teufelskreis wir uns in der Diversitätsfrage befinden. Und das in einer Epoche des Fachkräftemangels, in der die deutsche Wirtschaft es sich eigentlich nicht leisten kann, auf den Impact und die personellen Ressourcen von Frauen in Führungspositionen zu verzichten.

Veränderung und Geschwindigkeit

Das alt bekannte lineare Wachstum wird im Informationszeitalter vom exponentiellen Wachstum abgelöst. Noch befinden wir uns in der Ära des Datensammelns. Erfolg werden diejenigen haben, die den größten Datensatz zum Trainieren von Künstlicher Intelligenz haben. Blockchain wird das Internet revolutionieren und das Netz demokratisieren. Wir stehen gerade erst am Anfang dieser Entwicklung. Nie war die die Chancen für neue Geschäftsmodelle so groß. Die Kehrseite der Medaille: Noch nie war das Risiko so groß, dass unternehmerisches Handeln in kürzester Zeit obsolet wird, da es von einem neuen Geschäftsmodell abgelöst wird.

Die Halbwertszeit eines Unternehmens betrug im Jahr 1984 noch 30 Jahre, heute liegt sie bei fünf Jahren, so die IBM Leadership Survey. Was das für Management und Führungskräfte bedeutet, bezeichnet Isabell Welpe als Wildwasserbahnfahrt. Führungskräfte müssen sich jeden Tag neu die Existenzfrage stellen. Charles Darwin wusste schon damals: Nur die Spezies wird überleben, die bereit ist, sich zu verändern. Heute muss man im wirtschaftlichen Kontext wohl noch den Zeitfaktor einkalkulieren. Nur diejenigen Unternehmen überleben, die sich am schnellsten den Veränderungen anpassen.

Männliche Monokultur in den Chefetagen

Isabell Welpe nennt Ansatzpunkte, wie Unternehmen sich den disruptiven Veränderungen stellen können. Es gilt, die Pain Points zu finden. Die liegen da, wo man angreifbar ist. Um das herauszufinden, muss man seine eigenen Schwachpunkte  erkennen. Hilfreich,  sein unternehmerisches Handeln jeden Tag aufs Neue zu hinterfragen. Das verlangt nicht nur Mut, sondern fordert unabhängige Denkweisen und andere Perspektiven. Dazu bedarf es Menschen, die anders denken, anders ticken als man selbst.

Wie sehen aber derzeit die Chefetagen der deutschen Wirtschaftsunternehmen aus?  Eine Studie der Albright Stiftung belegt, dass lediglich 12 Prozent der Vorstandsmitglieder der 30 Dax-Konzerne weiblich sind (Stand: April). Deutschland befinde sich damit auf einer Stufe wie Indien und die Türkei mit einem Frauenanteil von jeweils rund 10 Prozent in der Führungsetage. Nicht nur traditionelle deutsche Industrieunternehmen bleiben männerdominiert, auch vermeintlich hippe und moderne Arbeitgeber aus der Medien- und Digitalbranche wie Rocket Internet und Zalando setzen nicht auf Frauen in Führungspositionen.

In der Diversität liegt die Chance

Die männerdominierte Monokultur in deutschen Unternehmen hat eine vermeintlich einfache gesellschaftliche Ursache, so Isabell Welpe. Menschen, die sich ähnlich sind, sind sich sympathisch und bilden Interessensgruppen. Auch das Festhalten am Gewohnten bremst die Entwicklung des Frauenanteils in deutschen Konzernen. Zur Bewältigung der Aufgaben von Digitalisierung und disruptivem Wandel ist diese Monokultur jedoch kontraproduktiv.

Die Problematik: In Zeiten der Unsicherheiten und Veränderungen verfallen Menschen den gelernten Verhaltensmustern und denken in Stereotypen. Sie sind unbewusst voreingenommen und das führt unbeabsichtigt zu Diskriminierungen, die schwer greifbar sind. Stereotypen hindern daran, Kreativität und Proaktivität unabhängig von allen soziodemografischen Merkmalen zuzulassen. Wichtig aber wäre, die (Geschlechter)stereotypen  zu überwinden und  Diversität als Ressource frei zu setzen. Das kann nur durch einen gesellschaftspolitischen Diskurs und gemeinsame Maßnahmen Medien, Bildung. Wissenschaft und Wirtschaft erfolgen.

 

Weiterführende Links

Interview Vivian Ming in der FAZ

Manifest der Media Women Connect

Konferenz zu Unconscious Bias und Stereotypen an der Technischen Universität München.

 

 


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Black Friday: Ein gefährliches Spiel mit Auswegen

Am 23. November ist es wieder soweit: Es ist Black Friday! Und dann beginnt sie wieder, die Jagd auf die billigsten Preise, krassesten Discounts und verrücktesten Verkaufsrekorde. Mindestens ein Wochenende lang herrscht dann Ausnahmezustand im Handel – sowohl online als auch auf der Fläche. Wehe dem Händler, der da nicht mitzieht und seinen Kunden nicht mindestens 25 Prozent Rabatt auf Alles einräumt. Aber: Können Händler sich das überhaupt leisten? Und gibt es einen Weg, um aus dieser Preisspirale heraus zu kommen?

Schnäppchenwahn als Gewinnkiller

„Inspiriert“ von den USA, hat die heimische Handelsszene erst vor wenigen Jahren den Black Friday als Schnäppchentag eingeführt. Heute liegt Deutschland mit einem geschätzten Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro am Black-Friday-Wochenende hinter den USA und Großbritannien weltweit auf dem dritten Platz. Inzwischen ist allerdings klar geworden, dass die „Erfindung eines Schnäppchentages“ so kurz vor Weihnachten ein gefährliches Spiel für den Handel ist. So mancher spricht gar von der Büchse der Pandora, die besser hätte geschlossen bleiben sollen. Denn es ist kein Geheimnis, dass der Black Friday die Erwartungen oft nicht erfüllt – schon gar nicht die des Handels. Im Januar 2018 beispielsweise verkündete der Mutterkonzern von MediaMarkt Saturn, dass der Schnäppchentag im November für deutlich weniger Gewinn im wichtigen Weihnachtsgeschäft sorgte. Die Preisreduzierungen am Black Friday seien einer der Hauptgründe dafür, dass das operative Ergebnis des größten deutschen Elektronikhändlers um mehr als 15 Prozent unter dem Vorjahreswert gelegen habe. Auch aus Konsumentensicht gab es durchaus Anlass für Ärger: Im allgemeinen Kaufwahn entpuppte sich so manches Superschnäppchen im Nachhinein als doch kein so gutes Angebot, weil mancher Händler den Rabatt von den unverbindlichen Preisempfehlungen der Hersteller berechnete, der ohnehin oft deutlich über dem Marktpreis liegt. Oder es wurden Ladenhüter verkauft, die längst abgeschrieben waren. Auch das Shoppingerlebnis selbst wurde oftmals zum Geduldsspiel, weil mancher Server dem Useransturm nicht gewachsen war.

Rekordverkäufe und extreme Retouren

Der Black Friday lebt vor allem von Spontankäufen. Viele Kunden überlegen es sich bei Lieferung aber wieder anders und retournieren das bestellte Produkt. Diese ungeplanten Einkäufe lassen somit zwar die Umsätze schlagartig in die Höhe schnellen, die Retourenquoten allerdings auch – und damit die Kosten pro Bestellung. Die extrem hohen Retouren zum Black Friday sind vor allem für kleine Händler schwer zu stemmen. Nicht nur, dass Rücksendungen die Marge verringern. Wenn Produkte teils wochenlang im Retourenprozess gebunden sind, können sie auch nicht verkauft werden. Laut Clear Returns waren in Großbritannien im Jahr 2015 zwischen dem Black-Friday-Wochenende und Mitte Dezember Waren im Wert von rund 680 Millionen Euro durch Retouren blockiert.

Mehr Wert in Zeiten des Billigen

Sind wir also auf dem Weg zu einer Discountgesellschaft? Wenn Rabattaktionen vom Kunden erwartet werden können, warum sollte er dann noch zum regulären Preis kaufen? Besonders nachhaltig ist es aus Sicht der Händler also nicht, regelmäßig neue Rabattschlachten anzuzetteln. Anstatt also stetig an der Preisschraube zu drehen, könnten Unternehmen einen anderen Weg einschlagen, nämlich den Wert des Produktes erhöhen. Das kann auf vielfache Weise geschehen und muss nicht zwangsläufig zu teuren, wohl aber zu wertvolleren Produkten führen. Eine Maßnahme kann Storytelling sein: Erst in einem begehrenswerten Kontext erhält ein Produkt seinen Wert, etwa weil es in einem besonderen Herstellungsverfahren erstellt wurde, Urlaubserinnerungen weckt oder aus einer besonderen Idee heraus entwickelt wurde. Dann macht es einen Unterschied, ob ein Produkt einem Dorf in Guatemala zugute kommt oder in einer kleinen Manufaktur in Deutschland hergestellt wurden. Menschen, die mit einem Produkt ein bestimmtes Gefühl verbinden, lassen sich weniger stark vom Preis lenken.

Production-on-Demand für weniger Angebot

Insbesondere die Fashionbranche versucht gerade, einen Weg aus der Preisspirale heraus zu finden - indem sie das Angebot verringert. „Production-on-Demand“ ist hier das Zauberwort. Asien möchte darin Vorreiter werden und entwickelt mit Hilfe staatlicher Waren- und Massenproduktionsverfahren, die Verbraucher direkt mit den Fabriken verbinden, um Massenproduktionssysteme auf Abruf zu etablieren. Damit will man die heute oft überbordenden Überproduktionen verhindern. Das grundlegende Problem der Branche ist, dass bei der Produktentwicklung und anschließenden Produktion noch niemand weiß, welche Produkte sich gut verkaufen werden. Um für den schwankenden Verbraucherwunsch gerüstet zu sein, sind Fashionfirmen gezwungen, viel zu produzieren – viele Kollektionsteile und hohe Stückzahlen. Das verschlingt nicht nur hohe Lager- und Produktionskosten, es ist auch klar, dass ein großer Teil der Ware keinen Käufer findet – jedenfalls nicht zum regulären Preis. Um die Marke durch Billigangebote nicht zu gefährden, vernichten manche Hersteller daher lieber ihren Überhang. Um die Produktentwicklungszyklen zu verkürzen experimentieren in Asien aktuell viele Hersteller mit Production on Demand – wenn auch im Moment nur im Bereich „Basics“ in Standardstoffen und –farben. Wie der Konsument auf ein geringeres Angebot und stabilere Preise reagieren wird bleibt abzuwarten – angesichts gewohnt übervoller Fashionläden und unendlicher Online-Sortimente ist das wahrscheinlich noch viel schwerer vorherzusagen.


Aufmacher Job 4.0

Bereit für Job 4.0?

Die Mitte September veröffentlichte Studie des Weltwirtschaftsforums (WEF) belegt in nackten Zahlen, was wir schon lange ahnen. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt radikal. Bis 2025 werden mehr Aufgaben von Robotern und Algorithmen erledigt als von Menschen. Millionen Jobs werden dadurch wegfallen. Die gute Nachricht: Noch mehr neue entstehen! Auf der Karrieremesse #hercareer in München letzte Woche diskutierten Expert*innen, welche Qualifikationen und Skills für neue digitale Berufe erforderlich sind.

Product Owner, Data Scientist, Social Media Manager, E-Commerce Specialist – mit der Digitalisierung wandeln sich heutige Job-Profile und völlig neue kommen hinzu. Die WEF-Studie prognostiziert, dass in Zukunft die  Nachfrage für eine Vielzahl von völlig neuen Fachrollen entstehen wird, die eng mit neuesten technologischen Entwicklungen verknüpft sind. Dazu zählen Berufsbezeichnungen wie zum Beispiel KI- und „Machine-Learning“-Spezialisten, Big Data-Experten, User-Experience-Designer, Robotik-Ingenieure und Blockchain-Spezialisten.

Dagmar Plieske, VP Business Intelligence & Customer Insights bei Payback weiß, dass man für die digitale Arbeitswelt nicht unbedingt IT-Spezialist oder Programmier-Nerd sein muss. „Aber eine gewisse technische Affinität und ein Interesse an digitalen Themen sind absolute Voraussetzungen.“ Oft ginge es bei den Jobs vor allem darum, ein Verständnis für die Technologien zu entwickeln und den Mehrwert für „Otto-Normalverbraucher“ zu erkennen – also eine Übersetzerrolle einzunehmen. „Die Softwareentwickler sind kreative Köpfe und wollen sich austoben, wobei die Geschäftsführung zu Recht nach dem Business Case fragt. In diesem Spannungsfeld gilt es, die richtigen Projekte und Produkte zu identifizieren. Das erfordert Fingerspitzengefühl“, so Dagmar Plieske weiter.

Fabian Dill, Gründer und Geschäftsführer der Digitalen Produktmacher bestätigt, dass bei der Entwicklung digitaler Produkte das Schnittstellenmanagement extrem wichtig ist. Dafür seien vor allem emotionale Intelligenz und Kommunikationsfähigkeiten gefragt. Qualifikationen, die sich nicht unbedingt aus Zeugnissen ablesen lassen. „Bei Einstellungsgesprächen achte ich vielmehr auf das Mind-Set des Bewerbers“, erklärt der Digitalberater. Dabei stehen innere Motivation, Anpassungsfähigkeit sowie Teamgeist im Vordergrund. In seiner Beratungsagentur gibt er den Mitarbeitern viel Freiraum für Austausch und kreative Prozesse. Das setzt aber ein hohes Maß an Selbstorganisation und Eigenverantwortung voraus. Fähigkeiten, die auch laut der WEF-Studie in Zukunft immer mehr gefragt sind.

Digitalisierung erfordert lebenslanges Lernen

Auch werden für Jobs  ganz neue Fachkenntnisse nötig sein. Kernkompetenzen vieler Berufe verschieben sich immer weiter in Richtung Technologie- und Prozess-Knowhow. So werden laut der WEF-Studie 58 Prozent aller Arbeitnehmer bis 2022 erhebliche Neu- und Weiterqualifizierungen benötigen – davon seien ganze 19 Prozent auf eine zusätzliche Ausbildung beziehungsweise Umschulung angewiesen, die zwölf Monate oder länger dauert. Zwei Drittel aller Unternehmen erwarten sogar von ihren Mitarbeitern, dass sie ihre Fähigkeiten mit den sich verändernden Jobanforderungen selbst weiterentwickeln und sich auf eigene Faust weiterbilden.

„Unternehmen werden zu lernenden Organisationen – diesen Schritt müssen auch die Mitarbeiter gehen“ ist Katja Vater, Audience Development Managerin bei der Süddeutschen Zeitung Digitale Medien, überzeugt. Es werde dafür eine hohe Bereitschaft für lebenslanges Lernen verlangt.  Wichtig sei, dass dies aus einem inneren Antrieb heraus erfolge. Es sei unmöglich, Menschen weiterbilden und –entwickeln zu wollen, die sich dem Neuen verweigern.

#DMW Podiumsdiskussion auf der HerCareer am 12.10.2018 in München. V.l.n.r: Fabian Dill, Moderatorin Simone Fasse, Dagmar Plieske, Katja Vater und Maren Martschenko.

Durch Netzwerke in Position

„Heute gibt es den klassischen Karriereweg nicht mehr“, so Maren Martschenko, Vorsitzende des Netzwerks Digital Media Women #DMW. Durch die Digitalisierung sind alte Strukturen stark im Umbruch. Alte Rollenklischees und Hierarchiedenke funktionieren nicht mehr. Auch die Unternehmen selbst müssen sich verändern. Dabei werden sich in Zukunft neue Chancen speziell für Frauen auftun, ist die Markenberaterin für Solopreneure und Start-Ups  überzeugt. In ihrer Rolle als Aktivistin für die Digital Media Women beobachtet sie derzeit eine Entwicklung, die sich positiv auf die Rolle der Frauen im Arbeitsleben auswirken kann: „Die Generation der Frauen, die heute auf den Arbeitsmarkt kommt, ist fordernder und findiger. Sie organisieren sich in Netzwerken, lösen sich aus den Klischees und werden selbst zum Vorbild. Sie erkennen die Möglichkeiten, aus einem funktionierenden Netzwerk heraus Dinge zu gestalten und zu verändern.“ Gepaart mit Neugier und Leidenschaft ein Erfolgsrezept – übrigens nicht nur für Frauen.

Weiterführende Links

WEF-Report "the future of jobs" 2018 

#DMW

 

 


Digitalberater Friends of C.

Porträt Dr. Armand Farsi: Der couragierte Driver

Dr. Armand Farsi ist promovierter Sozialwissenschaftler, Digitalberater bei Friends of C. von Arvato-Bertelsmann und Host des Podcasts „Commerce Corner“. Persönlich treffe ich ihn zum ersten Mal auf dem diesjährigen E-Channels Day. Selten bin ich im beruflichen Umfeld einer solch empathischen und authentischen Person begegnet. Klar strukturiert in seinen Auffassungen gepaart mit einem humorvollen Charakter. Ideale Voraussetzungen für einen Digitalmacher.

Armand ist Deutsch-Iraner. Auf seinem Lebensweg stellt er fest, je weiter er perspektivisch kommt, umso weniger Migranten sind um ihn herum. Das geht los in seinem Studium, konkret bei seinem Schwerpunkt Internationale BWL in Tübingen, und setzt sich in den Stipendienprogrammen und bei seinem Berufseinstieg bei Boston Consulting Group fort. Seine persönliche Erfahrung: Ehrgeizige Studierende aus anderen Kulturkreisen zeigen oft überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft. Dennoch stoßen sie offenbar an unsichtbare Grenzen und finden nicht leicht den Weg zu herausragenden Positionen in Wirtschaft, Forschung, Politik oder Kultur. Das Thema treibt ihn um.

Habitus und Netzwerk

Starke Karrieren beruhen nicht allein auf Leistung, Netzwerk und Habitus sind ebenso wichtig. Das lernt Armand schnell bei BCG. Er beobachtet dort aufmerksam, wie Netzwerke funktionieren und wie wichtig Sozialkapital ist. Durch ein paar Zufälle, die richtigen Begegnungen und Kontakte fällt er im Jahr 2009 eine unkonventionelle Entscheidung. Statt die Karriereleiter bei BCG weiter hochzusteigen, wechselt er das Fach und promoviert in Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg.

In seiner Dissertation untersucht er, welche Voraussetzungen Migranten für eine Karriere in der Wirtschaft benötigen. Er kommt in seiner quantitativen Studie zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die sich überwiegend in migrantischen Zirkeln bewegen, schlechtere Karriereperspektiven haben. „Es gilt den Effekt der sozialen Herkunft abzufedern. Migrantenkinder aus bildungsfernen Schichten müssen außerdem früh an identitätsstiftende kulturelle Inhalte herangeführt werden.“ Auch heute engagiert er sich noch in diesem Bereich und steht dem Hamburger Schotstek e. V. pro bono mit Rat zur Seite. Über Schotstek erhalten Migranten Zugang zu einem karrieredienlichen Netzwerk mit Ratgebern, Mentoren und Türöffnern aus der Hamburger Society.

Mut zu Entscheidungen

Nach der knapp dreijährigen Promotion kommt Armand 2012 über einen Headhunter zur E-Commerce-Schmiede für Fashion Brands Netrada. Bei diesem Karriereschritt ins Digital Business entscheidet er sich nicht zuallererst für das Unternehmen, sondern für seinen Chef: Dr. Tu-Lam Pham, damals dort als Director Performance Management positioniert. 2014 wird die Netrada von Arvato-Bertelsmann übernommen, Armand steigt in die Führungsebene auf. Im Juli 2018 wird sein Bereich zusammen mit anderen Digitalsparten in eine eigene Digitalagentur „Friends of C.“ ausgegründet. C steht für Commerce, Courage und Code. Er gehört zur Führungsmannschaft und propagiert vor allem eines: Mut zur Veränderung.

„Mit inspirierenden Leuten digitale Erfolgsmodelle bauen,
die im knallharten Wettbewerb nachhaltig bestehen - dafür schlägt mein Herz.“

Für ihn steckt im digitalen Umbruch etwas ganz Besonderes. Er nennt es Mutkultur. Um in disruptiven Zeiten wettbewerbsfähig zu bleiben, sollte man sich seiner Meinung nach Fragen über die fundamentalen Aspekte wie Mindset, Methoden und Organisationsstruktur stellen. Wie sehr stellt man den Kundennutzen in den Vordergrund? Wie mutig, technologisch befähigt und schnell bzw. schlank ist man aufgestellt für die Realisierung von Produktexperimenten? Wie viele Wetten und damit auch Fehler traut man sich zu?

Tiefgang in die digitale Szene

Mit diesen Fragen beschäftigt Armand sich nicht nur in der Rolle als Digitalberater und Führungskraft bei Friends of C. sondern auch, als er im August 2017 seinen eigenen Podcast ins Leben ruft.  Als Freund der schnellen Entscheidung probiert er mit einfachsten Mitteln aus, ein minimal überlebensfähiger Podcast auf die Beine zu stellen und zu testen, wie das Projekt im Markt ankommt. Inspiriert von „The Jason and Scot Show”, ein wöchentlicher Podcast über die E-Commerce-Branche aus den USA von Jason "Retailgeek" Goldberg und Channel Advisor Gründer Scot Wingo, lässt er kluge und einflussreiche Unternehmer zu Wort kommen. Im Fokus: Tiefe Tauchgänge zu Schlüsselthemen der digitalen Szene.

„Mit Commerce Corner habe ich im Kleinen das umgesetzt, was ich meinen Kunden ständig predige: Ein sogenanntes MVP – minimum viable product.“

Die positive Resonanz der Digitalbranche ermutigt ihn, das Projekt weiter voranzutreiben und mehr und mehr zu professionalisieren. Er sieht den Podcast als Lernplattform - für andere, aber auch für sich selbst. „Um spannende Geschichten zu kreieren und die Gedanken meiner Gesprächspartner spiegeln zu können, muss ich mich mit vielen neuen Themen und Branchen auseinandersetzen.“

Perspektive: Inspiration und Impact

Nachdem Armand bisher in seiner Karriere zum einen als Strategieberater Geschäftsmodelle konzipiert und zum anderen in seiner jetzigen Position als Digitalberater „hands-on“ konkrete Projekte auf die Straße gebracht hat, kann er sich vorstellen, sich perspektivisch noch mehr in den „Driver’s Seat“ zu begeben – in welcher Rolle er sich dann auch immer wiederfinden mag. Vermeiden will er politische Rangeleien, die aus seiner Sicht extrem energieraubend sind. „Taktieren ist nicht mein Ding, dafür ist mir meine Lebenszeit zu kostbar.“ Er will in Zukunft Digitales Business so gestalten, dass er damit auch einen relevanten Wirkungsgrad im Markt erreicht.


Li-Fi: Daten werden über Licht übertragen

Li-Fi: Das Internet des Lichts kommt

Eine schottische Schule ist gerade der Nabel der Internetwelt! Denn dort haben sich vor wenigen Tagen Schüler als erste in der Welt über Licht mit dem Internet verbunden. Auch im Handel gibt es erste Pilotprojekte, bei denen mithilfe des „Internet des Lichts“ Kundendaten gesammelt und -interaktionen gestartet werden können. Dem neuen Stern am Internethimmel Li-Fi (Light Fidelity) wird von Analysten ein kometenhafter Aufstieg prophezeit.

Jetzt gibt es also das Internet des Lichts. Was für ein poetischer Name für eine Technologie! Die Zeiten von WI-FI scheinen gezählt. Denn das inzwischen allgegenwärtige und Funk-basierte Wireless Local Area Network WLAN, das oft (nicht ganz korrekt) synonym mit Wi-Fi verwendet wird, soll durch Li-Fi, eine neuartige Technologie, die Daten über Lichtwellen übertragen kann, regelrecht überholt werden. Ende August hat die Tech-Firma pureLiFi an der Kyle Academy-Sekundarschule in Ayr, Schottland, erstmals ein LiFi-Netzwerk aktiviert, das LED-Glühbirnen verwendet, um drahtlose Internetverbindungen herzustellen. Entwickelt wurde Li-Fi in 16 Jahren Forschungsarbeit von Harald Haas, Professor für Mobile Kommunikation an der Uni Bremen und an der School of Engineering der Universität Edinburgh.

Wachstumsmarkt Li-Fi

Analysten trauen dem neuen Trend einiges zu: Market Research Future (MRFR) bewertet den globalen Markt für Li-Fi bis 2023 mit rund 51 Milliarden US Dollar. Bei einer erwarteten jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 70 Prozent wird der Markt im Prognosezeitraum (2017-2023) geradezu explodieren. Die Financial Times berichtete erst kürzlich über die jüngste Partnerschaft zwischen O2 und pureLiFi, um die Einführung von 5G in Großbritannien voranzutreiben. Auch die Beleuchtungsindustrie hat das Potenzial von Li-Fi inzwischen erkannt und setzt zum Sprung in die digitale Welt an. Ihre Produkte wie Lampen und Glühbirnen sollen zukünftig eine Schlüsselfunktion in der digitalen Kommunikation übernehmen. So hat der niederländische Konzern Philips Lightingerst vor kurzem bekannt gegeben, eine französische Investorengruppe mit Li-Fi auszustatten. Die Arbeitsplätze dort können künftig über LED-Lichtstrahlen mit Breitband versorgt werden und dabei eine 30 Mb/s schnelle Verbindung im Downstream nutzen. Die speziellen LED-Leuchten haben ein Modem integriert, das die Lichtwellen so moduliert, dass sie Breitband-Internet auf dem beleuchteten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Da das vom Licht verwendete Spektrum laut Philips 10.000 mal so groß ist wie bei herkömmlichen WLAN-Funktechnologien, hat das Netz auch keine Probleme mit einer hohen Anzahl von Clients.

Internet dockt an Licht-Infrastruktur an

Beim Internet des Lichts nutzt man quasi die vorhandene Infrastruktur von Beleuchtung für das Internet – Strom ist dort per se vorhanden und auf den Lampen selbst ist ein kleiner Sensor schnell montiert. Die Daten werden dann entweder über das vorhandene Kabelnetz oder über die Lichtwellen übertragen. Und: diese Symbiose aus Licht und Sensoren kann natürlich auch außerhalb von Räumen genutzt werden. Sensoren in Parkhaus- oder Straßenlaternen könnten melden, wo ein freier Parkplatz ist und dies an Navigationsgeräte weitergeben. In Kombination mit Bluetooth-Technologie und einer App lässt sich Licht aber auch im stationären Handel gezielt nutzen, um auf der Fläche und standortbezogen gezielte Kundenansprachen zu realisieren.

Li-Fi Pilotprojekt im Einzelhandel

Die Zumtobel Group Services (ZGS), einer der führenden Lichtspezialisten aus Österreich, hat das gerade zusammen mit dem französischen Einzelhändler E.Leclerc Langon in Frankreich getestet. In einem Pilotprojekt sollte herausgefunden werden, welchen Mehrwert Lichtkonzepte gekoppelt an das Internet der Dinge (IoT) für den Einzelhandel haben. Für das Projekt installierte ZGS Bluetooth-Beacons in den vorhandenen Leuchten des Händlers und verband sie über eine Lokalisierungsplattform. Letztere wurde mit dem E.Leclerc-Kundenbindungsprogramm verknüpft und hatte zum Ziel, das Wissen über Kunden zu erweitern, um dadurch in Zukunft noch besser auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können. Über die App sollten Push-Nachrichten zu standortgebundenen Angeboten an Kunden übermittelt werden. Zum Beispiel, um bei der Produktsuche zu helfen, fehlende Produkte anzuzeigen oder einfach nachzufragen. Sobald ein Kunde also einen bestimmten Bereich betrat, machte sein Smartphone via Push-Nachricht in Echtzeit auf Sonderangebote vor Ort aufmerksam.

Erste Ergebnisse aus dem Anfang Dezember 2017 gestarteten Test liegen bereits vor. Im Vergleich zu den Nicht-App-Nutzern konnten durchweg höhere Verkäufe umgesetzt werden. Denn die Anzeige von Produktempfehlungen und Sonderangeboten auf dem Smartphone der Kunden führte bei E.Leclerc Langon zu einer deutlichen Verkaufssteigerung von bis zu 42 Prozent. Zudem ermöglichte die App eine intensivere Kundeninteraktion, zum Beispiel bei der Produktsuche bzw. bei der Meldung fehlender Produkte. Die Filiale kann diese Interaktion mit dem Kunden nun nutzen, um Rückschlüsse auf die Performance der Filiale und das Kaufverhalten des Kunden zu ziehen. Kunden können zusätzlich Feedback über ihre Einkaufserfahrungen direkt über die App an die Filiale weitergeben.

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Bei aller Begeisterung für die neue Technologie gibt es aber auch „Schattenseiten“ – und die muss man in diesem Falle durchaus wörtlich verstehen: So kann Licht eben nicht durch Gegenstände scheinen und wenn ein Benutzer beispielsweise mit dem Rücken zu einer Li-Fi-Lampe sitzt, kann der Sensor das Licht bzw. die Daten nicht mehr empfangen – ganz ähnlich wie bei der Fernbedienung am Fernseher. Hinzu kommt, dass künstliches Licht ja nicht immer überall erforderlich ist – zum Beispiel wenn es natürlicherweise schon ausreichend hell ist. Im wachsenden Internet der Dinge soll Li-Fi aber bald zum Alltag gehören – zumindest als sinnvolle Ergänzung zu funkbasiertem Internet.

Weiterführende Links:

Philips Lighting News über das Internet des Lichts

Pressemeldung von pureLiFi

Zumtobel Pilotprojekt mit E.Leclerc


Digitalisierung Schweiz

Porträt Thomas Lang: Der Schweizer Digitalbotschafter

Thomas Lang ist Gründer und Berater. Er ist gefragter Publizist und Dozent rund um die Themen E-Commerce und digitale Transformation im Handel. Kaum ein anderer bringt ein solch langjähriges Branchen-Knowhow mit. Seine Schweizer Herkunft kann er mit seinem sympathischen Akzent nicht verleugnen. Auf der K5 treffe ich mich zu einem ausführlichen Gespräch mit dem digitalen Gesandten aus der Schweiz. Schnell wird mir klar, was sein Erfolg ausmacht: Seine Leidenschaft für digitale Themen und sein diplomatisches Geschick.

Thomas Langs Gründergeschichte hat schon in der zweiten Hälfte der 1980er Jahren seinen Ursprung. Damals schon an Computertechnologien interessiert, schreibt er erste Anwendungen in seiner Banklehre. Während seines Studiums der Betriebsökonomie in Zürich schaltet er die ersten Websites live, damals noch über Compuserve. „Mich hat das immense Potenzial fasziniert, wenn man jeden Rechner – und heute jedes Gerät oder jedes Atom – miteinander verbindet und sich auf eine quasi unsichtbare Struktur verlassen kann.“ Nach seiner Ausbildung lebt er mehrere Jahre in Kalifornien, startet seine Karriere in der Tourismusbranche. Ende der 90er ist er einer der ersten, der Reisen online verkauft – mit Erfolg. Nur die von ihm konzipierte Reisetour durchs Silicon Valley ist ein absoluter Flop. Der sogenannte „Silicon Valley Explorer“ bringt nicht eine einzige Buchung. Als designierter Vordenker ist er damit einfach 15 Jahre zu früh.

E-Commerce Experte der ersten Stunde

Zurück in der Schweiz gründet er im Jahr 2000 Carpathia. „Gegen den digitalen Tsunami kann man entweder Dämme oder Schiffe bauen, ich habe mich damals für das Schiff Carpathia entschieden und das war goldrichtig“, blickt er schmunzelnd zurück. Der Name der Agentur ist repräsentativ für die Firmenphilosophie und Thomas Einstellung zum digitalen Business. „Die Carpathia war das Schiff, das als erstes und als einziges überhaupt der Titanic zu Hilfe eilte, als diese in Seenot geriet und unterging.“ Er möchte ein Garant für nachhaltige Lösungen sein, der Warnsignale frühzeitig wahrnimmt, keine Extrameile scheut und ein verlässlicher Partner ist. Was damals als Beratungsagentur für E-Commerce beginnt, steht heute ganzheitlich für die digitale Transformation. Dafür haben er und sein Team vor allem das Verständnis für Mechanik und Ausprägungen digitaler Geschäftsmodelle an Deck.

„Wer jetzt nicht auf den Digital-Zug aufspringt, investiert in ein endliches Geschäft.“

Thomas ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Digitalisierung, egal in welcher Branche, ob im Handel, in der Industrie, im Dienstleistungssektor oder in anderen Bereichen. „Was wir heute erleben, ist erst der Anfang. Es bieten sich für viele noch ungeahnte Potenziale wie auch Gefahren.“ Seine Mission ist, mitzugestalten, klare Akzente zu setzen und sein Knowhow zu teilen. Er sieht sich als Visionär und will überall dort Aufrütteln, wo er der Ansicht ist, dass die Lage noch unterschätzt wird. Damit macht er sich nicht immer nur Freunde, aber er hält überzeugt an seiner Mission fest. Er will heute und auch morgen die relevante Stimme im Schweizer Digital Commerce sein.

Zu Deutschland hat er ein ganz besonderes Verhältnis. Er ist sehr oft in Deutschland unterwegs. Früher mehr privat und heute eher beruflich. „Ich bin ein Mensch, der nicht gerne in Grenzen denkt und fühle mich im ganzen deutschsprachigen Raum zu Hause.“ Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Thomas auch hierzulande ein beliebter und gefragter Experte ist. Vor allem in der Frage, wie man einen deutschen Shop effizient „helvetisiert“, damit er auch bei den Eidgenossen im Nachbarland funktioniert. Aber auch in klassischen Beratungsfragen, bei denen sich viele deutsche Unternehmen einen internationalen Außenblick wünschen, wird er zu Rate gezogen.

Manager ist nicht gleich Unternehmer

In seiner Beraterlaufbahn ist ihm schon viel untergekommen. Für ihn lassen sich Unternehmen typologisieren, und zwar nicht bezüglich ihrer Herkunft, sondern hinsichtlich ihrer Denkweise. Bei Unternehmen, die von einem klassischen Management geführt werden oder gar zu einem Konzern gehören, liegt der Fokus nach seinem Geschmack viel zu kurzfristig. „Es ist teilweise erschreckend, wie wenig Manager unternehmerisch denken. Ich habe schon oft fragwürdige Entscheidungen fallen sehen, weil das Management einen unmittelbaren Bezug zum persönlichen Vorwärtskommen oder Incentivierung hat.“ Familiengeführte Unternehmen sind dagegen aus seiner Sicht viel aufgeschlossener, denken langfristig und rechnen ihre Investitionen ganz anders. Es geht um viel nachhaltigere Überlebensfragen und um die Sicherung einer soliden Basis für die nächste Generation.

„Jedes Unternehmen kann mithilfe einer adäquaten Digitalisierungsstrategie mehr aus seinem Geschäftsmodell herausholen.“

Er selbst zählt sich eher zu den unternehmerisch, strategisch langfristig denkenden Unternehmern. Seine persönlichen Ziele in seinem Job definiert er fokussiert für das Team von Carpathia: Er möchte die Agentur weiterhin auf Erfolgskurs halten und die Crew bedacht und ausgewählt vergrößern. „Wir wollen immer eine Boutique bleiben. Klein aber fein. Klasse statt Masse. Damit unterscheiden wir uns auch bewusst von klassischen Unternehmensberatungen.“ Seinen langersehnten Traum erfüllt er sich dieses Jahr zu seinem 50. Geburtstag. Mit der Queen Mary 2 schippert er von Hamburg nach New York. Zuvor feiert er aber mit der ganzen Schweizer Digitalbranche den siebten Digital Commerce Award in Zürich, den er selbst ins Leben gerufen hat. Eine gute Kombination für einen persönlichen Meilenstein, wie er findet.

 


Demokratisierung von Wissen

Demokratisierung von Wissen: Was verträgt die Netzgemeinde?

Microsoft hat gerade erst für 7,5 Milliarden US-Dollar das Open Source Portal Github gekauft und entwickelt sich auch unternehmensintern immer mehr in diese Richtung. Auch der Zugang zu bislang sehr exklusivem Wissen wird in der Software-Szene immer offener gestaltet. In Europa dagegen will die EU das Urheberrecht reformieren und mit den umstrittenen Upload-Filtern die Offenheit des Internet drastisch beschneiden. Die Grundsatzfrage lautet: Demokratisierung von Wissen oder Kontrolle?

Es ist wie im richtigen Leben: Zwei Herzen schlagen in meiner Brust, wenn es darum geht, Freiheit und Sicherheit miteinander in Balance zu bringen. Lieber mehr Freiheit, mehr Innovation, mehr Spaß (?) oder doch besser die sichere und vielleicht auch gerechtere Variante, in der alles geregelt, normiert aber eben auch viel ausgebremst wird? Jeff Fritz, Senior Program Manager und Community Experte bei Microsoft Corp., hat sich da längst entschieden. In seiner Keynote auf der Developer Week in Nürnberg präsentierte er den neuesten Trend in der Entwicklerbranche: „Coden als Teamsport zwischen Product Owner, Kunde und Community“.

 

Mob-Programmierung als neue Art der Zusammenarbeit

Jeff Fritz by Developer Week
Jeff Fritz, Copyright by Developer Week

Das muss man sich mal vorstellen: Da sitzen Dienstleister, Kunde und Community zusammen und diskutieren gemeinsam über den besseren Code! Alles öffentlich und für jedermann einsehbar – auch für die Konkurrenz! Kein Gerangel mehr um Patente, Ideenklau oder Wettbewerbsvorteile? Was anfänglich nicht nur umständlich sondern auch nicht ganz clever erscheint, macht aber nach der Argumentation von Jeff Fritz wirklich Sinn: Denn niemand weiß und kann alles und das Ergebnis ist am Ende tatsächlich ein besseres, wenn nach dem „Viele-Augen-Prinzip“ Software entwickelt wird. Bei diesem Ansatz kodiert ein Entwickler und mehrere andere schauen zu und bieten Vorschläge. Zudem werden immer mehr Anwendungen und Tools als Open Source veröffentlicht. Für Microsoft ist dieses Vorgehen ein klarer Pluspunkt, denn Entwickler konzentrieren sich mehr auf die Qualität ihres Codes wenn sie wissen, dass die Community ihn überprüfen wird – und niemand würde Code besser und akribischer kontrollieren als die Community! Die verschiedenen Meinungen fordern das eigene Team zum Nachdenken heraus und bringen durch die unterschiedlichen Sichtweisen tatsächlich bessere Lösungen. „Ich glaube fest, dass dieser Ansatz in unserer Branche Standard und äußerst wertvoll für ihr Wachstum werden wird“, ist sich Jeff Fritz sicher. Und er verrät: „Tatsächlich kamen einige der größten Performance-Verbesserungen in ASP.NET Core von Entwicklern außerhalb von Microsoft.“

Offenheit zur Demokratisierung von Wissen

Dabei geht es Jeff Fritz aber nicht nur um ein offenes Internet und bessere Software, er will vor allem auch den Zugang zu gutem Code und damit zu bislang oft exklusivem Wissen demokratisieren. Regelmäßig führt er daher offene Live-Stream Workshops durch und teilt sein Entwickler-Know-how mit allen Interessierten. Und das begründet er ganz pragmatisch: „Jedes Unternehmen hat eine Website, viele weitere haben ihren eigenen Blog. Dazu kommen die vielen mobilen Anwendungen und wir sehen gerade erst den Beginn der Virtual-Reality- / Mixed-Reality- / Augmented-Reality-Technologien. Auf dem Fernseher läuft Code und in Kühlschränken und im Unterhaltungssystem von Autos. Das ist eine Menge Code, die geschrieben werden muss! Die nächsten Generationen von Entwicklern, die diese Anwendungsökosysteme pflegen und ausbauen werden, sollten eine gute Grundlage haben, damit sie diese Herausforderungen gut meistern.“

Europa als Bremse?

Während sich der Open Source Gedanke also als wachsendes Phänomen in den USA zeigt, scheint in Europa eine Entwicklung zu mehr Kontrolle und Reglementierung im Gange zu sein. Gerade erst vor wenigen Tagen wurde im Europäischen Parlament der Entwurf eines neuen Urheberrechts vorgelegt, das u.a. durch sog. Upload-Filter die Offenheit des Internets stark einschränken will. Zwar hat das Parlament in Straßburg den Plänen zunächst eine Absage erteilt – vom Tisch ist das Thema damit allerdings längst nicht: Im September schon soll ein überarbeiteter Vorschlag zur Abstimmung vorgelegt werden.

Kritisch gesehen werden vor allem die sog. Upload-Filter, eine spezielle Software, mit der das Hochladen urheberrechtlich geschützter Inhalte von Nutzern auf Online-Plattformen wie z.B. YouTube oder Facebook verhindert werden soll. Die Upload-Filter könnten viele Open-Source-Projekte gefährden, warnen Aktivisten der Free Software Foundation Europe und des openForum Europa. Denn auch Code-Hosting Plattformen wie Github sind laut dem Entwurf der EU-Urheberrechtsreform dazu verpflichtet, jeden neu hochgeladenen Programmiercode auf Urheberrechtsverletzungen zu kontrollieren. Das könnte die gemeinsame Entwicklung von Software, wie Jeff Fritz sie propagiert, unmöglich machen.

Auch ein Leistungsschutzrecht, mit dem Nachrichten-Portale wie z.B. Google News für kurze Ausschnitte aus Presseartikeln zahlen sollen, wurde strittig diskutiert. Kritiker befürchten dadurch u.a. Einschränkungen für Nutzer beim Teilen von Medieninhalten im Netz. Und Kritiker gibt es ausgesprochen viele – vor allem auch aus der Entwickler-nahen Szene wie z.B. Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales oder WWW-Erfinder Tim Berners-Lee. Beide haben sich öffentlich gegen die Änderung ausgesprochen, da die geplanten Upload-Filter aus dem offenen Internet "ein Werkzeug für die automatisierte Überwachung und Kontrolle der Nutzer“ machen könnte. Aber auch netzpolitische Vereine, Autoren, Wissenschaftler und Konzerne wie Google wollen ein solches Leistungsschutzrecht und Uploadfilter verhindern.

Die Realität schlägt das Ideal

Für mich stellt sich bei all den Diskussionen die Frage, welches „Gut“ hier das wertvollere ist: Der Schutz von Urheberrechten oder z.B. der freie Zugang zu Wissen? Natürlich ist die freiheitliche und vordergründig uneigennützige Einstellung von Jeff Fritz vorbildlich und sehr sympathisch. Auch, wenn sich das Argument, dass Microsoft auf diese Weise über die Community kostenfrei an wertvolles Knowhow herankommt, auch nicht ganz von der Hand weisen lässt. Wenn über das Internet alles Wissen frei zugänglich und für jedermann teilbar wäre, würde das die Innovationskraft unserer Welt wahrscheinlich enorm steigern. Das funktioniert allerdings nur, solange sich alle an das Prinzip der Offenheit halten. Und hier sind wir in der Realität noch weit entfernt.

Weiterführende Links

Developer Week 2019


Aufmacher Sports Business

Gesundheits- und Fitnesskult: Steigbügel für das Sport Business?

Sport verbinden wir mit Emotionen und Leidenschaft. Sport wird aber auch zunehmend digital. Grund genug für Großveranstalter Ispo, einen eigenen „Digitize Summit“ ins Leben zu rufen - oder für das E-Commerce Festival K5, einen Fokus auf das Sport Business zu legen! Denn die Herausforderungen für Brands und Retailer aus der Branche sind groß. Drei Erfolgsbeispiele aus den beiden Veranstaltungen.

Gesundheit ist nicht länger nur eine statische Größe, die unseren körperlichen IST-Zustand beschreibt. Vielmehr verstehen wir unter dem Thema „Health“ eine Lebenseinstellung, die maßgeblich auf unser Wohlbefinden und unsere Lebenserwartung wirkt. Um die Gesundheit hat sich regelrecht ein Kult entwickelt. Sport, Ernährung und Fitness liegen in der Gesellschaft hoch im Kurs.

Laut Zukunftsinstitut treiben heute 38 Prozent der Menschen mehrmals pro Woche Sport – ein generationenübergreifender Trend. Spaß ist für 40 Prozent der aktiven Deutschen eine der Motivationen, um sich körperlich zu betätigen. Durch Sport haben Menschen die Kraft, ihr Leben zu verändern. Ihre Leidenschaft für Sport verbindet sie. Über Social Media, Apps und Plattformen sind sie in der Lage, ihre sportlichen Erfolge und Fortschritte mit der ganzen Welt zu teilen, Freunde partizipieren zu lassen und Bestätigung dafür zu bekommen. Unternehmen aus der Sportbranche müssen darauf eine Antwort haben.

Digitales Selbstverständnis traditioneller Marken

adidas Vorstandsmitglied Roland Auschel auf dem Ispo Digitize Summit in München

Die große Sportmarke adidas zum Beispiel versteht sich als digitales Unternehmen. Die App ist für adidas wichtiger als jeder Turnschuh – so titelte das Handelsblatt zum Launch im März 2018 in Deutschland. Vorstandsmitglied Roland Auschel bestätigte auf dem Ispo Digitize Summit im Juni in München, dass es eine Schlüsselkompetenz sei, am Kurs der Digitalisierung festzuhalten. Dabei sei Kreativität die einzige Antwort. Das bedeutet für eine Marke wie adidas, zu testen und zu lernen, wie man Verbraucher in der digitalen Welt adressiert und involviert. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland sammelte adidas über die App Inhalte und Input von den Zuschauern, eine völlig neue Herangehensweise. Mit Erfolg: Allein im Vorrundenspiel Schweden gegen Deutschland verzeichnete die adidas-App einen Anstieg von 14 Prozent der Downloads, so Auschel auf dem Summit.

Florian Gschwandtner, Gründer und CEO Runtastic auf der K5 in Berlin

Technologie als Schlüssel zum Aufbau von Communities? Ein Ansatz, den adidas schon 2015 mit der Übernahme der Mehrheitsbeteiligung von Runtastic, internationales Mobile-Health- und Fitness-Unternehmen, verfolgte. Florian Geschwandtner, Mitgründer und CEO von Runtastic, präsentiert sich auf der K5 in Berlin in hervorragender Verfassung – das Unternehmen hat sich in den letzten Jahren unter dem Dach von adidas prächtig entwickelt. Immer noch eigenständig, aber mit Rückenwind durch die starke Marke.

Technologieplattform als Rückgrat

Runtastic hat Technologie in seiner DNA. So bildet Runtastic die technische Plattform für die weltweite adidas Kampagne „Run for the Oceans“, eine globale Laufbewegung, um das Bewusstsein für die Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikmüll zu schärfen. Für jeden gelaufenen Kilometer spendet adidas einen US-Dollar. Mitmachen kann jeder bei den weltweit organisierten Lauftreffs oder einzeln über die Runtastic-App. So schafft man Communities und bildet eine emotionale  Verbindung zwischen Marke und Verbraucher. Das Bindeglied ist die technologische Plattform von Runtastic. Ein Erfolgsrezept, das auch in anderen Branchen Anwendung findet. Die Allianz Versicherung startete im März 2018 in Kooperation mit Runtastic eine Fitness-Plattform. Im Fokus steht die Begeisterung von Menschen für einen aktiven Lebensstil.

 

Best Practice im Sport Handel

Moritz Keller, Co-Founder Keller Sports auf der K5

Ein gesunder Körper und ein gesunder Geist sind die Basis für ein erfülltes Leben, das ist auch die Grundeinstellung, die Unternehmer Moritz Keller verfolgt. Auf der K5 beginnt er vor 3000 Zuhörern eine Geschichte, die zuvor noch nie erzählt wurde. Nämlich wie er den Grundstein zum Online-Pure-Player keller-sports.de in 2005 gemeinsam mit seinem Bruder legte. Die beiden folgten einem Trend – kauften Micky Mouse T-Shirts von H&M auf, die damals en vogue waren, ließen diese mit coolen Sprüchen bedrucken und vertickten diese im Internet – zum sechsfachen Preis. Damit war damals der Meilenstein gelegt, dass der Verkauf im Internet funktionieren kann. Heute ist Keller Sports einer der erfolgreichsten Händler.

Die Keller-Brüder hatten schon damals einen Riecher für Trends und haben mit ihrem Angebot auf kellersports.de den Nerv der Zeit getroffen. Seit 2015 haben sie eine kostenpflichtige Mitgliedschaft etabliert, bei der ihre Kunden limitierte Sortimente und Sonderrabatte bekommen. Mit im Angebot die Keller-Studios, die den Mitgliedern flexibles Trainieren ermöglicht. Nach drei Jahren zählt Keller-Sports 50.000 zahlende Mitglieder. Eine Kunden- und Datenbasis, von der manch anderer Händler nur träumen kann. Und Keller Sports investiert weiter in Kundenbindung. Im April startete der Sporthändler das Prämienprogramm Keller Smiles. Dabei handelt es sich um kein klassisches Bonussystem nach Konsum, sondern Kunden werden für ihre sportlichen Aktivitäten belohnt. Ein Anreizsystem, das die Community in einer ganz besonderen Art und Weise an den Händler bindet – nämlich mit Emotionen und Leidenschaft.

 

Weiterführende Links

Ispo Digitize Summit, das Format für die digitale Zukunft der Sportbranche

K5, Future Retail Konferenz