Digitalisierung Schweiz

Porträt Thomas Lang: Der Schweizer Digitalbotschafter

Thomas Lang ist Gründer und Berater. Er ist gefragter Publizist und Dozent rund um die Themen E-Commerce und digitale Transformation im Handel. Kaum ein anderer bringt ein solch langjähriges Branchen-Knowhow mit. Seine Schweizer Herkunft kann er mit seinem sympathischen Akzent nicht verleugnen. Auf der K5 treffe ich mich zu einem ausführlichen Gespräch mit dem digitalen Gesandten aus der Schweiz. Schnell wird mir klar, was sein Erfolg ausmacht: Seine Leidenschaft für digitale Themen und sein diplomatisches Geschick.

Thomas Langs Gründergeschichte hat schon in der zweiten Hälfte der 1980er Jahren seinen Ursprung. Damals schon an Computertechnologien interessiert, schreibt er erste Anwendungen in seiner Banklehre. Während seines Studiums der Betriebsökonomie in Zürich schaltet er die ersten Websites live, damals noch über Compuserve. „Mich hat das immense Potenzial fasziniert, wenn man jeden Rechner – und heute jedes Gerät oder jedes Atom – miteinander verbindet und sich auf eine quasi unsichtbare Struktur verlassen kann.“ Nach seiner Ausbildung lebt er mehrere Jahre in Kalifornien, startet seine Karriere in der Tourismusbranche. Ende der 90er ist er einer der ersten, der Reisen online verkauft – mit Erfolg. Nur die von ihm konzipierte Reisetour durchs Silicon Valley ist ein absoluter Flop. Der sogenannte „Silicon Valley Explorer“ bringt nicht eine einzige Buchung. Als designierter Vordenker ist er damit einfach 15 Jahre zu früh.

E-Commerce Experte der ersten Stunde

Zurück in der Schweiz gründet er im Jahr 2000 Carpathia. „Gegen den digitalen Tsunami kann man entweder Dämme oder Schiffe bauen, ich habe mich damals für das Schiff Carpathia entschieden und das war goldrichtig“, blickt er schmunzelnd zurück. Der Name der Agentur ist repräsentativ für die Firmenphilosophie und Thomas Einstellung zum digitalen Business. „Die Carpathia war das Schiff, das als erstes und als einziges überhaupt der Titanic zu Hilfe eilte, als diese in Seenot geriet und unterging.“ Er möchte ein Garant für nachhaltige Lösungen sein, der Warnsignale frühzeitig wahrnimmt, keine Extrameile scheut und ein verlässlicher Partner ist. Was damals als Beratungsagentur für E-Commerce beginnt, steht heute ganzheitlich für die digitale Transformation. Dafür haben er und sein Team vor allem das Verständnis für Mechanik und Ausprägungen digitaler Geschäftsmodelle an Deck.

„Wer jetzt nicht auf den Digital-Zug aufspringt, investiert in ein endliches Geschäft.“

Thomas ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Digitalisierung, egal in welcher Branche, ob im Handel, in der Industrie, im Dienstleistungssektor oder in anderen Bereichen. „Was wir heute erleben, ist erst der Anfang. Es bieten sich für viele noch ungeahnte Potenziale wie auch Gefahren.“ Seine Mission ist, mitzugestalten, klare Akzente zu setzen und sein Knowhow zu teilen. Er sieht sich als Visionär und will überall dort Aufrütteln, wo er der Ansicht ist, dass die Lage noch unterschätzt wird. Damit macht er sich nicht immer nur Freunde, aber er hält überzeugt an seiner Mission fest. Er will heute und auch morgen die relevante Stimme im Schweizer Digital Commerce sein.

Zu Deutschland hat er ein ganz besonderes Verhältnis. Er ist sehr oft in Deutschland unterwegs. Früher mehr privat und heute eher beruflich. „Ich bin ein Mensch, der nicht gerne in Grenzen denkt und fühle mich im ganzen deutschsprachigen Raum zu Hause.“ Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Thomas auch hierzulande ein beliebter und gefragter Experte ist. Vor allem in der Frage, wie man einen deutschen Shop effizient „helvetisiert“, damit er auch bei den Eidgenossen im Nachbarland funktioniert. Aber auch in klassischen Beratungsfragen, bei denen sich viele deutsche Unternehmen einen internationalen Außenblick wünschen, wird er zu Rate gezogen.

Manager ist nicht gleich Unternehmer

In seiner Beraterlaufbahn ist ihm schon viel untergekommen. Für ihn lassen sich Unternehmen typologisieren, und zwar nicht bezüglich ihrer Herkunft, sondern hinsichtlich ihrer Denkweise. Bei Unternehmen, die von einem klassischen Management geführt werden oder gar zu einem Konzern gehören, liegt der Fokus nach seinem Geschmack viel zu kurzfristig. „Es ist teilweise erschreckend, wie wenig Manager unternehmerisch denken. Ich habe schon oft fragwürdige Entscheidungen fallen sehen, weil das Management einen unmittelbaren Bezug zum persönlichen Vorwärtskommen oder Incentivierung hat.“ Familiengeführte Unternehmen sind dagegen aus seiner Sicht viel aufgeschlossener, denken langfristig und rechnen ihre Investitionen ganz anders. Es geht um viel nachhaltigere Überlebensfragen und um die Sicherung einer soliden Basis für die nächste Generation.

„Jedes Unternehmen kann mithilfe einer adäquaten Digitalisierungsstrategie mehr aus seinem Geschäftsmodell herausholen.“

Er selbst zählt sich eher zu den unternehmerisch, strategisch langfristig denkenden Unternehmern. Seine persönlichen Ziele in seinem Job definiert er fokussiert für das Team von Carpathia: Er möchte die Agentur weiterhin auf Erfolgskurs halten und die Crew bedacht und ausgewählt vergrößern. „Wir wollen immer eine Boutique bleiben. Klein aber fein. Klasse statt Masse. Damit unterscheiden wir uns auch bewusst von klassischen Unternehmensberatungen.“ Seinen langersehnten Traum erfüllt er sich dieses Jahr zu seinem 50. Geburtstag. Mit der Queen Mary 2 schippert er von Hamburg nach New York. Zuvor feiert er aber mit der ganzen Schweizer Digitalbranche den siebten Digital Commerce Award in Zürich, den er selbst ins Leben gerufen hat. Eine gute Kombination für einen persönlichen Meilenstein, wie er findet.

 


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Flixbus: Paradebeispiel der digitalen Disruption

Alle sprechen vom Wandel, der bevorstehenden digitalen Disruption. Sogar Angela Merkel sagt immer wieder, dass unserem Land so tiefgreifende Veränderungen bevor stünden. Aber was genau ist gemeint? Digitale Disruption klingt schließlich sehr abstrakt und so richtig greifbar ist dieses „Schreckgespenst“ ja auch nicht. Es gibt allerdings Beispiele, die helfen, die Zukunft zu erahnen. Unternehmen, die durch ihr datengetriebenes, hochautomatisiertes Geschäftsmodell plötzlich Märkte erobern, die vor wenigen Jahren noch als uneinnehmbar galten. Unternehmen, die es plötzlich wagen, auf den ersten Blick so investitionsintensive und monopolartig organisierte Branchen wie das Personentransportwesen mal ordentlich umzukrempeln: Unternehmen wie Flixbus.

copyright Reuters / Arnd Wiegmann

Erst die Straße, jetzt die Schiene

Flixbus wurde 2013, nach dem Fall des Bahnmonopols, gegründet und ist mittlerweile klarer Marktführer – nicht nur in Deutschland. Auf der Straße sind die grünen Busse längst ein bekanntes Bild. Und das Streckennetz des Unternehmens ist tatsächlich beachtlich: Täglich sind bereits 250.000 Verbindungen zwischen 1.400 Orten in 27 Ländern mit den Bussen erreichbar. Tickets für Fernbusreisen sind schon ab 5,- Euro erhältlich. Aber wie wir alle wissen, will sich Flixbus nicht nur auf die Straße beschränken, auch die Schiene und damit die Vorherrschaft der Deutschen Bahn wird angegriffen. Seit August 2017 ist die Strecke Berlin-Stuttgart in Betrieb, am 23. März soll Hamburg-Köln hinzukommen – ab April 2018 übrigens in Zügen im schicken grasgrünen Unternehmens-Outfit. „Zukünftig ist man per Flixtrain ohne Umsteigen von Düsseldorf, Essen oder Köln genauso schnell in Hamburg wie mit dem ICE", verspricht Flixbus-Gründer André Schwämmlein.

Streckennetz Flixbus in Mitteleuropa, Quelle Flixbus

Daten, Technologie, Kundenzugang

Basis der Erfolgsstrategie von Flixbus ist sein durch und durch datenbasiertes Geschäftsmodell. Umsatzträchtige Verbindungen und Strecken werden ausschließlich anhand von Daten identifiziert und es sind auch wieder Daten, aus denen das Unternehmen Infos für Optimierungspotenziale zieht – und aus Kundenfeedback. Denn Flixbus hat es geschafft, eine Community aus Flixbus-Reisenden aufzubauen und hat so – sicher auch gepaart mit der obligatorischen Sympathie für Underdogs – eine starke Kundenbindung mit hohen Sympathiewerten geschaffen. 1.626.353 Personen haben heute Flixbus auf Facebook abonniert und es gibt inzwischen zahlreiche Reiseberichte von Flixbus Travellern. Damit gelang es dem Unternehmen, einen direkten und persönlichen Zugang zum Kunden zu etablieren und erhält gleichzeitig einen unschätzbar wertvollen Fundus an Geschichten fürs eigene Marketing.

Auch Technologie-Innovationen wie ein unkompliziertes Buchungs- und Ticketingsystem, die FlixBus-App, GPS-Livetracking und ein automatisiertes Delay-Management lassen die Deutsche Bahn in mancherlei Hinsicht heute alt aussehen. Mit smarter Netzplanung und einem dynamischen Preismanagement verspricht Flixbus zudem stets das günstigste Angebot für eine Strecke. Damit kann das Unternehmen in Echtzeit auf Marktveränderungen wie z.B. den Start des Deutsche Bahn-Sprinters zwischen München und Berlin reagieren – und die Preise zu den Fahrtzeiten des Schnellzugs einfach ein bisschen herunterschrauben.

Auch Services wie z.B. kostenfreies WLAN in den Bussen hat Flixbus schon vor vielen Jahren eingeführt – übrigens lange vor der Deutsche Bahn. Daniel Krauss, Geschäftsführer und CIO der Flixmobility Tech GmbH, erklärte dazu in seinem Vortrag auf der Internet World Expo Anfang März 2018: „Seit wann gibt es Internet? Sagen wir seit ca. 20 Jahren. Die Deutsche Bahn hat kostenloses WLAN im ICE für Reisende der zweiten Klasse im Januar 2017 eingeführt.“ Weiterer Kommentar überflüssig.

Digitale Disruption

Auf der Internet World Expo machte Daniel Krauss in Jeans, T-Shirt und Rucksack auch optisch klar, dass er weiterhin frischen Wind in eine eingestaubte Branche bringen will. Und er lieferte mit seinem Unternehmen ein Paradebeispiel, wie digitale Disruption mit Hilfe von Technologie, Daten und einer gewissen Portion Frechheit auch alteingesessene Unternehmen wie die Deutsche Bahn angreifen können. Inwieweit Dr. Richard Lutz, seit März 2017 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, das Start-up aus Berlin schon auf dem Schirm hat, ist natürlich nicht bekannt – besser für ihn wäre es aber.


GMW Reportage Aufmacher

Reportage Mittelstand: Visionen kommen aus der Provinz

Im Rahmen eines Projektes für unseren Partner Wegerer, Wegerer durfte ich Maximilian Pfeifer interviewen, Geschäftsführer und Inhaber des metallverarbeitenden Betriebs Gersfelder Metallwaren im gleichnamigen 6000-Einwohnern-Ort in der Rhön. Von der unternehmerischen Persönlichkeit zeige ich mich nachhaltig beeindruckt. 

Im Jahr 2014 übernahm Maximilian Pfeifer unerwartet früh das Ruder von seinem verstorbenen Vater. In kürzester Zeit ist im Unternehmen viel passiert. Pfeifers Visionen und seine unternehmerische Passion prägen die Erfolgsgeschichte. „Mittelständler müssen nicht in Jahren, sondern in Generationen denken“, sagt er. Eine Bürde. Als er das Erbe seines Vaters angetreten hat, habe er das Unternehmen für die nächste Generation zukunftssicher machen wollen. Dazu gehöre, dass man zunächst das Bestehende erst mal hinterfrage und auch das Risiko auf sich nähme, Veränderungen in die Wege zu leiten. Pfeifer hat den richtigen Weg eingeschlagen. Nach anfänglicher Skepsis in der Belegschaft, haben am Ende des Tages alle an einem Strang gezogen.

Konsequentes Change Management

Der 32-Jährige erläutert weiter, was er in den letzten Jahren als Geschäftsführer konkret verändert hat: „Wir haben die Unternehmensstruktur, die vorher eher zentralistisch organisiert war, komplett am Kunden ausgerichtet. Dies beinhaltete zum Beispiel die Schaffung einer neuen Abteilung „Supply Chain Management“, die den gesamten Lieferprozess – vom Angebot über den Auftrag bis zur Auslieferung überwacht und managt und somit die Performance verbessert. Außerdem haben wir den Vertriebsinnendienst neu organisiert und die interne Kommunikation verbessert. In der Produktion haben wir den Materialfluss verbessert. Wir haben in einen Routenzug investiert, der einen stapelfreien Materialzufluss ermöglicht. Dadurch haben wir mehr Kapazitäten für mehr Umsatz geschaffen.“

Der Erfolg gibt dem Unternehmer Recht: „Im Vergleich zum Vorjahr können wir in 2017 ein Umsatzwachstum von zehn Prozent vorweisen und stehen mit einem Jahresumsatz von 42 Millionen Euro sehr gut da“, kommentiert Pfeifer stolz. Nicht nur die Geschäftszahlen des 275-Mann-Betriebs stimmen, auch ist das Unternehmen für die Zukunft gerüstet. Volle Auftragsbücher, Auslieferungen von Präzisionsteilen für den prestigeträchtigen Porsche 911er, Exporte bis nach China, die Erfolgsliste ließe sich beliebig lange fortsetzen.

Lediglich der Fachkräftemangel würde dem Unternehmenswachstum zu schaffen machen, aber auch das bekämen sie mittelfristig in den Griff. In junge Fachkräfte investiere man, um sie langfristig an den Familienbetrieb zu binden. Schließlich komme ihnen auch die zentrale Lage des Unternehmens im Herzen Deutschlands mit Einzugsgebieten aus drei Bundesländern zugute.

Digitale Transformation um ihrer selbst willen?

Auf die Frage um den Hype der digitalen Transformation und die Herausforderungen gerade für ihn als Mittelstandsunternehmer, herrschte bei meinem Gesprächspartner erst mal Stille. Ich war mir nicht sicher, ob ihm klar war, auf welchen vermeintlich wunden Punkt, der durch einschlägige Medien getragen wird, ich hinauswollte. Wo man hinschaut die Thesen, dass der Mittelstand in Sachen Digitalisierung hinterherhinke. Pfeifers klare Antwort öffnete mir jedoch die Augen für knallharte wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Relation:  „Wo uns die Digitalisierung hilft, unsere Prozesse zu vereinfachen oder zu beschleunigen, werden wir natürlich in Zukunft investieren.“

So habe das Unternehmen das gesamte Warenwirtschaftssystem auf SAP umgestellt, um hier die Prozesse und Kapazitätsplanungen digital abbilden zu können. Außerdem habe man in eigene Glasfaserleitungen investiert, um den Zugang zum Netz abzusichern und Produktionsdaten schneller bearbeiten zu können. Im nächsten Jahr werde eine digitale Scannerlösung im Wareneingang- und -ausgang eingeführt.

Weltoffene, kluge und kreative Unternehmer wie Maximilian Pfeifer wissen genau, wo sie stehen, wo sie hin wollen und wie sie ihre Ziele erreichen. Es besteht keinerlei Gefahr, dass sie sich der Digitalisierung verschließen, ihre unternehmerische Verantwortung lässt sie aber genau rechnen, welche Investition sich in der Zukunft auszahlen wird.