Seit über zehn Jahren lehrt und forscht sie zu sozialen Fragen der Internetökonomie und Technikgestaltung

Ethische Innovation im digitalen Zeitalter: Werte sind das neue „Bio“

Sarah Spiekermann ist Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie leitet dort das Institut für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft. Seit über zehn Jahren lehrt und forscht sie zu sozialen Fragen der Internetökonomie und Technikgestaltung. Auf der OOP Konferenz in München vergangene Woche hält sie einen Impulsvortrag über ethische Innovation. Sie ist davon überzeugt, dass sich die Frage nach digitaler Ethik nicht nur auf die derzeit diskutierten Themen wie Privacy, Security, Bias und Transparency beschränken darf. Sie fordert ein Umdenken in der System- und Softwareentwicklung, in dem Werte anstelle von Funktionalität treten. Und zeigt dies exemplarisch an einem experimentellen Case der Essenslieferplattform Foodora.

Was verstehen wir unter Innovation? Was ist Fortschritt? Welche Philosophie legen wir mit den Begrifflichkeiten zugrunde? Dazu führt Sarah Spiekermann in einen historischen Exkurs. In der Antike ist es Aristoteles, der die Welt mit seiner Erfahrungswissenschaft weiterentwickelt. Weisheit, Klugheit, emotionale Intelligenz des Menschen stehen dabei im Vordergrund. Im 12. Jahrhundert prägt der Philosoph Albertus Magnus den Begriff der Innovation mit experimenteller Wissenschaft. Es geht darum, „neue Dinge zu erfinden“. Der Spirit „neu ist gleich innovativ ist gleich gut“ macht Europa groß und reich. Erfindungen wie der Buchdruck, der Kompass, der Motor oder die Elektrizität ermöglicht den Menschen in Europa völlig neue Entwicklungspotenziale. Aus der Agrargesellschaft entwickelt sich eine Industriegesellschaft und der Fortschritt wird immer weiter vorangetrieben.

Faszination Technik veraltet

Durch den Sprung ins Informationszeitalter hat die Innovationskraft eine neue Dimension erreicht. Die Geschwindigkeit, in der technologische Entwicklungen voranschreiten, wächst exponentiell. Das hat Folgen: „In einer von der IT durchzogenen Welt ist diese Objekt unseres Designwillens. Wenn wir heute genau hinschauen, sehen wir lauter Dinge und Funktionalität. So funktionieren heute auch Unternehmen und Organisationen. Und wir Menschen arbeiten Product Roadmaps ab“, erklärt Spiekermann.

Aber die Faszination Technik schwindet. Fakt ist: Ein großer Teil der technikgetriebenen Innovation scheitert oder ist wirtschaftlich ein Flop. Laut der Langzeitstudie „Chaos Report“ der Standish Group werden nur 29 Prozent aller Softwareprojekte erfolgreich abgeschlossen. Von der Dunkelziffer abgebrochener IT-Projekten und der damit versenkten Investitionen ganz zu schweigen. Die Analysten von Vision Mobile schätzen, dass die große Mehrheit der App-Entwicklungen nicht rentabel ist. Rund 50 Prozent der iOS- und 64 Prozent der Android-Entwickler erzielen pro App weniger als 500 Dollar pro Monat. Die Umsätze mit Apps nehmen inner- und außerhalb von App Stores weiter zu, konzentrieren sich aber auf relativ wenige Anbieter. Und wie viele Start-Ups haben schon Energie in Softwareentwicklung gesteckt, die gnadenlos gescheitert sind? Vor diesem Hintergrund plädiert Sarah Spiekermann dafür, sich bei Systementwicklungen aufs Wesentliche zu konzentrieren: „Wir müssen mehr denn je die Werte hinterfragen, die durch Technik entstehen - dabei geht es nicht um Geld oder Effizienz. Sondern um Zufriedenheit, Gemeinschaft und Wissen. Nur so können wir in einer digitalisierten Welt ein gutes Leben führen.“

Experimentelles Planspiel Foodora

Wissenschaftler haben in einer aktuellen Studie die Auswirkungen von App-basierter Arbeitsorganisation vor allem für Mitarbeiter anhand von Essenslieferdiensten untersucht. Die Apps versprechen den Arbeitnehmern neue Freiheiten, üben aber gleichzeitig eine ungeahnte Kontrolle aus. Speziell das Geschäftsmodell „Essen auf Rädern“ Foodora befindet sich immer wieder hinsichtlich sozialen Umgangs mit Mitarbeitern bzw. den Fahrradkurieren in negativen Schlagzeilen.

 

https://www.youtube.com/watch?v=2mnb-p7zVvM

 

Sarah Spiekermann hat eine Gruppe von 40 Studenten in einem Planspiel vor die Aufgabe gestellt, neue Features für die Lieferplattform Foodora zu entwickeln. Das Ergebnis ist zunächst eine Liste an Funktionalitäten, die die App noch besser machen sollte. Zum Beispiel die Einführung eines Bewertungssystems für die einzelnen Fahrradkuriere, die Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz, die auf Basis gefahrener Routen immer die schnellste Strecke für die Kuriere findet, Integration eines Fulltime GPS Tracking Systems, usw.

Wie geht ethische Innovation?

Spätestens an dieser Stelle schreitet die Universitätsprofessorin ein und schlägt eine andere Herangehensweise vor. Sie beauftragt ihre Studenten, sich bei der Aufgabenstellung mit drei philosophischen Fragen auseinanderzusetzen:

  • Wie wirkt sich die Technik langfristig auf den Charakter der betroffenen Stakeholdern, in diesem Beispiel speziell der Fahrradkuriere aus?
  • Welche menschlichen, sozialen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Werte sind im Positiven wie im Negativen durch den neuen Dienst tangiert? Überwiegen Vor- oder Nachteile?
  • Welche persönlichen Maximen oder Wertephilosophien seht ihr durch den Service betroffen, die ihr aus eurer Sicht für so wichtig haltet, dass ihr sie gerne in unserer Gesellschaft bewahren möchtet?

Auf Basis dieser Fragen formulieren die Studenten plötzlich ganz klare Nachteile und Probleme auf der sozialen Ebene, die eine Arbeitsorganisation per App mit sich bringt. Darunter z. B. Erschöpfung der Kuriere, Machtlosigkeit gegenüber dem Tracking der App, totale Überwachung und Zeitdruck. Im Umkehrschluss entwickeln sie Ideen für ein neues Release der Foodora-App, die ganz andere Zwecke erfüllen.

Für die Kuriere konzipieren sie einen Gamification-Ansatz, das Ausliefern muss ja Spaß machen. Die Community der Kuriere soll gestärkt werden, der Teamgedanke mehr in den Vordergrund gestellt werden, z. B. gemeinsame Treffen in Leerlaufzeiten. Sportliche Ziele für Kuriere, die den Job aus Leidenschaft machen, werden mit berücksichtigt und die Ausfahrrouten entsprechend angepasst. Auch für die Stakeholder „Essensbesteller“ ergeben sich daraus innovative Ideen. So rückt die gesunde Ernährung in den Vordergrund. Wie wäre es denn, wenn man eine Ernährungsberatung mit in die App integriert oder einen Diät-Service?

Auf die Frage, ob sie die Konzeptideen ihrer Studenten bei Foodora präsentieren durfte, schüttelt Spiekermann schmunzelnd den Kopf. Die Marke Foodora wird vom deutschen Markt verschwinden. Nach einer überraschenden Übernahme im Dezember 2018 wird die Lieferplattform in Zukunft unter dem Dienst Lieferando agieren.

Wertebasiertes Design digitaler Systeme

Mit diesem Case zeigt Spiekermann, dass durch die wertebasierte Herangehensweise eine ganz andere Kultur an Innovation entsteht, nämlich die Schaffung von Werten auf gesellschaftlicher und sozialer Ebene. „Die Zukunft unserer digitalen Ethik liegt in der Wiederentdeckung unserer Werte. Wenn wir Werte beim Design unserer digitalen Technologien systematisch berücksichtigen und ihren Einsatz so planen, dass unsere Welt wieder wertvoller wird, dann sind wir auf dem richtigen Weg“, ist die Professorin überzeugt. Digitale Systeme bilden niemals die Realität ab. Egal, wie sehr man sich in Zukunft der Automatisierung verschreiben wird, bei diesem Ansatz wird immer die menschliche und soziale Komponente fehlen. Bei der Entwicklung und Ausgestaltung digitaler Systeme muss man sich daher umso mehr die Frage stellen, welche menschlichen Werte uns weiter bringen. Welche unternehmerischen, gesellschaftlichen und sozialen Probleme gibt es auf der Welt und wie kann man sie mithilfe von Technologie lösen?

Der wertorientierte Ansatz bei der Softwareentwicklung steckt heute noch in den Kinderschuhen. Sarah Spiekermann arbeitet aktiv in der IEEE, der weltweit größte technische Berufsorganisation, die sich dem Fortschritt der Technologie zum Nutzen der Menschheit verschrieben hat. Die Professorin entwickelt einen Standard, der beim Systementwurf ethische Fragen von Anfang an einbezieht. Es ist eine Methodik, um ethische Bedenken der User zu Beginn eines System- und Software-Lebenszyklus zu identifizieren, zu analysieren und in Einklang zu bringen.

 

 »Fortschritt braucht Weisheit und Mut – Maschinen fehlt beides.«
Sarah Spiekermann

 

Der Standard IEEE P7000 ermöglicht eine pragmatische Anwendung von wertebasierter Design-Methodik bei der System- und Softwareentwicklung. Ingenieuren und Technologen wird ein implementierbarer Prozess zur Verfügung gestellt, der Innovationsmanagementprozesse, Systemdesign-Ansätze und Software-Engineering-Methoden aufeinander abstimmt. Ziel dabei ist es, das ethische Risiko für ihre Organisationen, Stakeholder und Endbenutzer zu minimieren. Dieser Ansatz erfordert jedoch ein Umdenken in Unternehmen und Organisationen. Es bedarf in den Köpfen ein anderes Bewusstsein für den Begriff der Innovation und eine neue Form des Innovationsdenkens. „Wenn dieses Umdenken nicht passiert, schaffen wir mit unserem vermeintlichen Fortschritt nur Rückschritt“, ist Spiekermann überzeugt.

 

Weiterführende Links

Bericht über Gig Economy bei Foodora und Deliveroo auf heise online

Standard IEEE P7000

Prof. Dr. Sarah Spiekermann

 

 

 


Anne Kjaer Richer, Founder ReDI School

Porträt über die „Mutmacherin des Jahres 2018“ Anne Kjaer Riechert:
Wie digitale Integration funktioniert

Anne Kjaer Riechert ist Gründerin der ReDI-School, eine Programmierschule für Flüchtlinge und Organisation für digitale Integration. Vom Handelsblatt wurde sie letzte Woche zur „Mutmacherin des Jahres 2018“ gekürt. Auf dem Charity Brunch „What’s your Jouney?“ Anfang Dezember in München stellt sie ihr neuestes Projekt vor: ReDI Women – ein spezielles Schulungsprogramm für geflüchtete Frauen, das hilft, digitale Fähigkeiten zu entwickeln, Netzwerke aufzubauen und Selbstständigkeit zu fördern. Anne liegt dieses Projekt besonders am Herzen, will es weiter ausbauen und sucht dafür finanzielle Unterstützer. Um meinem Netzwerk Annes Spirit und Antrieb näherzubringen, darf ich sie auf ihrer ganz persönlichen und wie ich finde sehr bewegenden Reise begleiten. Ein Porträt einer sehr inspirierenden Frau.

Annes Geschichte beginnt schon vor ihrer Geburt. Nämlich mit ihrer Familiengeschichte. Ihre Großeltern haben in Deutschland den ersten Weltkrieg erlebt und sich geschworen, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Sie werden Pazifisten und Verfechter der Demokratie. Sie produzieren in ihrem Familienbetrieb, einer Druckerei in Heide, pazifistische und sozialdemokratische Bücher und Schriften. Das passt den aufstrebenden Nationalsozialisten nicht, die Großeltern werden mehrmals verhaftet, die Druckerei gerät immer mehr unter Beschuss. Bei der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 treffen die Großeltern eine schwere Entscheidung, nämlich zu flüchten.

80er Jahre. Anne wächst in Dänemark auf. Ihre Eltern erzählen ihr immer wieder die Geschichte und sie verinnerlicht ein Mantra: Man muss um Werte kämpfen und dabei auch manchmal schwere Entscheidungen treffen. Als Einzelkind wächst sie in einem Umfeld auf, das sie viel an Diskussionen mit Erwachsenen teilhaben und sie immer wieder die Warum-Frage stellen lässt. Sie ist neugierig und idealistisch.

Scheitern am Business Case NGO

Sie absolviert ein Innovationsstudium an der privaten Business School Kaospilot in Dänemark. Sie wird dort inspiriert von der Methodik, Produkte und Dienstleistungen nach realen menschlichen Bedürfnissen zu gestalten und nicht nach Vorgaben von Gewinnmaximierung oder von technischer Entwicklung. Nach ihrem Studium startet sie ihr eigenes Projekt "Kids have a Dream", das Teenagern auf der ganzen Welt dabei hilft, ihre Träume für die Zukunft zu definieren und zu verfolgen. Mehr als 4000 Kinder in über 30 Ländern haben in den vergangenen zwölf Jahren teilgenommen. Sie ist jedoch nicht in der Lage, das Projekt auf ein fundiertes Geschäftsmodell zu stellen. Die Lektion, die sie daraus lernt und sie bis heute begleitet: „NGOs müssen auch Geld verdienen, um die Belegschaft zu bezahlen. Wenn nicht, ist das Projekt weder nachhaltig noch skalierbar.“

 

„ Ich habe eigentlich nie einen Job durch eine Bewerbung bekommen.
Ich wurde immer durch mein Netzwerk empfohlen oder geleitet.“

 

Als externe Beraterin arbeitet sie drei Jahre lang in Kopenhagen, u.a. für Samsung Electronics. Dort ist sie für die Entwicklung und Umsetzung einer Strategie für nachhaltige Unternehmensführung in Skandinavien verantwortlich. Sie lernt, wie man gewinnorientierte und gemeinnützige Organisationen zusammenbringt. Wie man Projekte entwickelt, die für beide Seiten von Vorteil sind. Die Arbeit im Konzern macht ihr Spaß und sie ist erfolgreich, für ihren Geschmack aber noch nicht innovativ und wirkungsvoll genug. Sie entscheidet sich für ein weiteres Studium, und bekommt bei Rotary ein Stipendiat für ein zweijähriges Master-Studium in Friedens- und Konfliktforschung in Japan.

Digitale Integration

Danach zieht sie es nach Berlin. 2013 gründet sie in Zusammenarbeit mit der Stanford University das Berlin Peace Innovation Lab. Das Netzwerk wächst innerhalb von drei Jahren zu einer Gemeinschaft von 1700 Menschen. „Wir haben einen monatlichen Co-Creation-Workshop ins Leben gerufen, um die lokalen sozialen Herausforderungen in Berlin zu diskutieren und Ideen zu erarbeiten, wie diese gelöst werden können.“ Im April 2016 sitzt sie mit 40 Teilnehmern im Berliner Rathaus zusammen, um Ideen für die Unterstützung der Asylbewerber, die zu dieser Zeit nach Deutschland kommen, zu erarbeiten. „Wir hatten viele Stakeholder am Tisch - aber die wichtigsten fehlten: Die Flüchtlinge selbst.“ Sie fängt an, die Flüchtlingslager zu besuchen, um die wirklichen Bedürfnisse richtig zu verstehen - und mit den Menschen selbst zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu finden.

Mark Zuckerberg trifft auf Rami Rihavi aus Alappo, der von einem Virtual Reality Projekt erzählt.
Begegnung zweier Tech-Geeks: Mark Zuckerberg und Rami Rihavi aus Alappo in der ReDI School.

Anne vergisst niemals, wie sie dort Mohammed begegnet, einem Programmierer aus dem Irak. Er hat Spaß am Programmieren, würde auch gerne arbeiten. Er besitzt aber weder einen Labtop noch das Netzwerk, um einen Job zu finden. Da kommt ihr der Gedanke: Warum nicht Technologien nutzen, um soziale Probleme zu lösen? Sie schreibt auf Facebook einen Post und fragt ihre Community, wer sie dabei unterstützen könne, Menschen wie Mohammed zu helfen. Mit der positiven Resonanz hätte sie nicht gerechnet. 30 Personen wollen gleich aktiv mitarbeiten. Bieten Hilfe in Form von Sachspenden wie Labtops an, erklären sich bereit, ehrenamtlich Kurse zu geben, stellen Räumlichkeiten zur Verfügung. Oder wollen einfach einen selbstgebackenen Kuchen mitbringen.

Fit für den deutschen Arbeitsmarkt

So entsteht die Idee der "Refugee on Rails", die sich später zur ReDI School entwickelt. „Ich kann selbst nicht programmieren - daher habe ich keine Tech-Schule gegründet, um meine eigenen Fähigkeiten einzusetzen. Stattdessen ist die ReDI School eine sehr pragmatische Lösung, um den Newcomern in Deutschland, der deutschen Wirtschaft und der deutschen Gesellschaft zu helfen.“ Es kommen viele Geflüchtete nach Deutschland, die Programmier-Vorkenntnisse haben oder zumindest technikaffin sind. Anne will diesen Menschen eine Perspektive geben und die schlummernden Talente fit für den deutschen Arbeitsmarkt machen. Bedarf ist allemal da: Es gibt in Deutschland laut Bitkom über 55.000 unbesetzte IT-Jobs. Eine feste Arbeitsstelle zu haben, ist ihrer Meinung nach Grundvoraussetzung für Integration.

 

„Wir müssen eine Plattform schaffen, auf der sich die Menschen
durch ein gemeinsames Interesse leicht verbinden können: Technologie.“

 

Zunächst startet Refugee on Rails mit einer „Wir-schaffen-das-Euphorie“, aber schnell kommen Anne und ihre ehrenamtlichen Helfer an ihr Limit. Auch aus eigenen Erfahrungen in der Vergangenheit weiß sie, dass sie es nur schaffen kann, wenn sie eine gemeinnützige Organisation als Unternehmung aufbaut. In dieser Findungsphase spielen ihre Partner Weston Hankins und Ferdi van Heerden eine große Rolle. „Wir haben fünf Monate lang Konzepttests durchgeführt, bevor wir dann tatsächlich die Organisation gegründet haben. Wir hatten auch enormes Glück, von Anfang unseren ersten Unternehmenspartner Klöckner & Co an Bord gehabt zu haben, die uns monetär unterstützt haben. Ansonsten hätten wir es nicht geschafft.“

Dann kommt Mark Zuckerberg zu Besuch in die ReDI-School. Ein persönlicher Meilenstein für Anne. Denn Mark Zuckerberg trifft auf Rami Rihavi aus Alappo, der von einem Virtual Reality Projekt erzählt, das er plant, um mit seiner Mutter in Aleppo sprechen und dabei seine Heimat sehen zu können. Umgekehrt soll seine Mutter sehen, wie er lebt. Ein Milliardär trifft einen Flüchtling – so scheint es von außen. Aber innerhalb weniger Minuten entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden und es sind zwei Tech-Geeks, die sich unterhalten. So schnell verschwinden vermeintliche Grenzen. Für Anne ist dies einer dieser Aha-Momente, in denen sie merkt, dass sie das Richtige tut.

Umgang mit Bürokratie und Widerstand

Angela Merkel zu Besuch in der ReDI School
Politischer Besuch in der ReDI School: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit den Student*innen

Das Richtige zu tun, ist nicht immer einfach. Anne muss einige Hürden nehmen und braucht langen Atem. Für die deutsche Bürokratie hat sie fast nur ein Kopfschütteln übrig. Etwa, als sie vier geflüchtete Frauen in der ReDI School einstellen will und an der Antragsstellung beinah scheitert. Oder die Anerkennung als Weiterbildungsinstitution, mit der die ReDI School offiziell Diplome ausstellen kann: ein monatelanger Aufwand für das Team, verbunden mit hohen Kosten. Ohne Spendengelder nicht möglich. Mit welcher Leichtigkeit sie davon erzählt, lässt erahnen, dass sie niemals die Geduld verliert. Beharrlich und mit viel Durchsetzungsvermögen setzt sie ihre Arbeit fort. „Ich fange einfach mal an. Es ist ein iterativer Prozess, manche Dinge kappen auf Anhieb, manche nicht. Und daraus lerne ich.“ Sie spricht das Mysterium des Hummelflugs an. „Manchmal fühlt sich das so an. Da die Hummel ja nicht weiß, dass sie nicht fliegen kann, tut sie es einfach trotzdem", fügt sie lachend hinzu. Es ist harte Arbeit, aber das empfindet sie nicht so. Denn sie sieht etwas wachsen, was sinnstiftend für die Gesellschaft ist.

Politischen Widerstand von rechts bekommt sie glücklicherweise wenig zu spüren. Offenheit und Dialog schützt sie davor, davon ist sie überzeugt. „Unsere Türen im Berliner und Münchner Büro stehen für alle offen. Wenn jemand Fragen dazu hat, was wir tun, kann er gerne zu mir kommen und mit mir bei einem Kaffee über die Differenzen sprechen.“ Sie versteht, dass viele Menschen Ängste haben und deshalb sehr kritisch gegenüber Integration sind. Sie gibt einen Rat: „Hört auf, über Flüchtlinge zu reden, fangt an mit Flüchtlingen zu reden“. Es macht einen Riesenunterschied, wenn man die Leute, die man in die Schublade „Flüchtlinge“ gesteckt hat, persönlich kennt - und erkennt, dass es viel mehr Gemeinsamkeiten gibt als das, was sie voneinander unterscheidet.

Diversität - auch bei der ReDI School

Nach zwei Jahren Coding-Kurse für Newcomer, stellt sie fest, dass nur 10 Prozent weibliche Teilnehmerinnen in den Kursen präsent sind. Um das zu ändern, setzt sie und ihr Team Co-Creation Workshops mit Frauen verschiedener Hintergründe auf, um ein Programm zu gestalten, das den Bedürfnissen der Frauen entspricht. „Seit Anfang September läuft unser 'Digital Women Programme' in München. Anfangs haben wir mit 25 Teilnehmerinnen geplant, aber die Nachfrage ist so groß, dass wir mehr Frauen unsere Schulungen ermöglichen wollen.“ Dazu läuft eine Spendenkampagne auf der Plattform Betterplace.org

 

„Was wir für die geflüchteten Menschen tun, tun wir in Würde und Demut.“

 

Das ist nur eines der Projekte, die für 2019 auf ihrer todo-Liste stehen. Schulungsprogramme für Frauen will sie kontinuierlich ausbauen und das ReDI-Kids-Programm in Berlin weiterentwickeln: „Unsere ehemaligen Schüler sollen zu Lehrern ausgebildet werden, um sowohl deutsche als auch Migrantenkinder IT zu unterrichten. Denn digitale Bildung ist der Schlüssel – alle Gesellschaftsschichten brauchen Zugang dazu.“ Die Gründung einer ReDI School am Standort Hamburg steht ebenfalls auf ihrem Plan.

Aber auch persönlich hat Anne sich für das kommende Jahr Ziele gesetzt. Sie will eine witzige Facebook-Selbsthilfegruppe "Karma Kaolation" ins Leben rufen und alle Menschen ansprechen, die wie sie in Zukunft weniger konsumieren wollen. Zum Beispiel keine neuen Klamotten mehr kaufen. „Ich denke, hinsichtlich unseres Konsums braucht die Welt eine radikale Veränderung. Ich werde ein kleines bißchen dazu beitragen und versuchen, auch mein Verhalten zu ändern, um umweltfreundlicher zu sein.“ Sie möchte aber auch Zeit für sich selbst finden, um in der Natur Kraft zu schöpfen. Sie ist gerade dabei, mit ihrem Partner eine Farm im Wendland in Niedersachsen zu kaufen. „Ich arbeite viel, deshalb ist es schön, am Wochenende einen Ort zu finden, an dem Ruhe und Frieden herrscht. Und genug Zeit, um mit Freunden und Familie am Lagerfeuer zu sitzen und über die Dinge zu sprechen, die uns wichtig sind.“ Dinge, die die Welt ein bisschen besser machen.

 

Weiterführende Links

Spendenaufruf für das ReDI Women Programme

ReDI School

Facebook-Selbsthilfegruppe Karma Kaolation


Monokultur Gruppendenken 2018

Diversität als Ressource

Das Frauennetzwerk Media Women Connect und Medientage 2018. Emotionen kochen hoch, die Kluft kann kaum größer sein. Auf der einen Seite das Manifest der Media Women Connect, das u.a. eine Verpflichtung des Veranstalters für einen Anteil von  50 Prozent Frauen auf den Bühnen der Medientage im Jahr 2021 fordert. Auf der anderen Seite die These von Medientage-Chef Stefan Sutor, die Innovationspodien liebend gerne mit mehr Frauen besetzen zu wollen, wenn es denn Expertinnen in dem Bereich gäbe. Ein sachlicher Diskurs auf der Bühne kaum möglich. Prof. Dr. Isabell M. Welpe von der TU München nähert sich den Themen Diversität und Disruption aus einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive.

„Wie viele Manager und Risikokapitalgeber behaupten von sich, sie würden so gerne Frauen fördern und deren Geschäftsideen finanzieren, wenn sie nur welche fänden? Sie geben den Frauen die Schuld. Andersherum würde ein Schuh draus: Frauen wären als Gründerinnen und Führungspersönlichkeiten sichtbarer und viel erfolgreicher, wenn sie im gleichen Maße finanziert würden. Es ist ein hässlicher Kreislauf: Die eine Seite sagt, sie könne keine guten Frauen finden, die andere Seite sagt, die Anstrengung sei es nicht wert.“

So spricht jemand, die es am eigenen Leib erfahren hat. Vivian Ming, Tech-Unternehmerin aus den USA, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat und erfahren muss,  dass sie als Frau anders behandelt wird als seinerzeit als Mann. Isabell Welpe zitiert Vivian Ming in ihrer Keynote auf den Medientagen, um aufzuzeigen, in welchem Teufelskreis wir uns in der Diversitätsfrage befinden. Und das in einer Epoche des Fachkräftemangels, in der die deutsche Wirtschaft es sich eigentlich nicht leisten kann, auf den Impact und die personellen Ressourcen von Frauen in Führungspositionen zu verzichten.

Veränderung und Geschwindigkeit

Das alt bekannte lineare Wachstum wird im Informationszeitalter vom exponentiellen Wachstum abgelöst. Noch befinden wir uns in der Ära des Datensammelns. Erfolg werden diejenigen haben, die den größten Datensatz zum Trainieren von Künstlicher Intelligenz haben. Blockchain wird das Internet revolutionieren und das Netz demokratisieren. Wir stehen gerade erst am Anfang dieser Entwicklung. Nie war die die Chancen für neue Geschäftsmodelle so groß. Die Kehrseite der Medaille: Noch nie war das Risiko so groß, dass unternehmerisches Handeln in kürzester Zeit obsolet wird, da es von einem neuen Geschäftsmodell abgelöst wird.

Die Halbwertszeit eines Unternehmens betrug im Jahr 1984 noch 30 Jahre, heute liegt sie bei fünf Jahren, so die IBM Leadership Survey. Was das für Management und Führungskräfte bedeutet, bezeichnet Isabell Welpe als Wildwasserbahnfahrt. Führungskräfte müssen sich jeden Tag neu die Existenzfrage stellen. Charles Darwin wusste schon damals: Nur die Spezies wird überleben, die bereit ist, sich zu verändern. Heute muss man im wirtschaftlichen Kontext wohl noch den Zeitfaktor einkalkulieren. Nur diejenigen Unternehmen überleben, die sich am schnellsten den Veränderungen anpassen.

Männliche Monokultur in den Chefetagen

Isabell Welpe nennt Ansatzpunkte, wie Unternehmen sich den disruptiven Veränderungen stellen können. Es gilt, die Pain Points zu finden. Die liegen da, wo man angreifbar ist. Um das herauszufinden, muss man seine eigenen Schwachpunkte  erkennen. Hilfreich,  sein unternehmerisches Handeln jeden Tag aufs Neue zu hinterfragen. Das verlangt nicht nur Mut, sondern fordert unabhängige Denkweisen und andere Perspektiven. Dazu bedarf es Menschen, die anders denken, anders ticken als man selbst.

Wie sehen aber derzeit die Chefetagen der deutschen Wirtschaftsunternehmen aus?  Eine Studie der Albright Stiftung belegt, dass lediglich 12 Prozent der Vorstandsmitglieder der 30 Dax-Konzerne weiblich sind (Stand: April). Deutschland befinde sich damit auf einer Stufe wie Indien und die Türkei mit einem Frauenanteil von jeweils rund 10 Prozent in der Führungsetage. Nicht nur traditionelle deutsche Industrieunternehmen bleiben männerdominiert, auch vermeintlich hippe und moderne Arbeitgeber aus der Medien- und Digitalbranche wie Rocket Internet und Zalando setzen nicht auf Frauen in Führungspositionen.

In der Diversität liegt die Chance

Die männerdominierte Monokultur in deutschen Unternehmen hat eine vermeintlich einfache gesellschaftliche Ursache, so Isabell Welpe. Menschen, die sich ähnlich sind, sind sich sympathisch und bilden Interessensgruppen. Auch das Festhalten am Gewohnten bremst die Entwicklung des Frauenanteils in deutschen Konzernen. Zur Bewältigung der Aufgaben von Digitalisierung und disruptivem Wandel ist diese Monokultur jedoch kontraproduktiv.

Die Problematik: In Zeiten der Unsicherheiten und Veränderungen verfallen Menschen den gelernten Verhaltensmustern und denken in Stereotypen. Sie sind unbewusst voreingenommen und das führt unbeabsichtigt zu Diskriminierungen, die schwer greifbar sind. Stereotypen hindern daran, Kreativität und Proaktivität unabhängig von allen soziodemografischen Merkmalen zuzulassen. Wichtig aber wäre, die (Geschlechter)stereotypen  zu überwinden und  Diversität als Ressource frei zu setzen. Das kann nur durch einen gesellschaftspolitischen Diskurs und gemeinsame Maßnahmen Medien, Bildung. Wissenschaft und Wirtschaft erfolgen.

 

Weiterführende Links

Interview Vivian Ming in der FAZ

Manifest der Media Women Connect

Konferenz zu Unconscious Bias und Stereotypen an der Technischen Universität München.

 

 


Demokratisierung von Wissen

Demokratisierung von Wissen: Was verträgt die Netzgemeinde?

Microsoft hat gerade erst für 7,5 Milliarden US-Dollar das Open Source Portal Github gekauft und entwickelt sich auch unternehmensintern immer mehr in diese Richtung. Auch der Zugang zu bislang sehr exklusivem Wissen wird in der Software-Szene immer offener gestaltet. In Europa dagegen will die EU das Urheberrecht reformieren und mit den umstrittenen Upload-Filtern die Offenheit des Internet drastisch beschneiden. Die Grundsatzfrage lautet: Demokratisierung von Wissen oder Kontrolle?

Es ist wie im richtigen Leben: Zwei Herzen schlagen in meiner Brust, wenn es darum geht, Freiheit und Sicherheit miteinander in Balance zu bringen. Lieber mehr Freiheit, mehr Innovation, mehr Spaß (?) oder doch besser die sichere und vielleicht auch gerechtere Variante, in der alles geregelt, normiert aber eben auch viel ausgebremst wird? Jeff Fritz, Senior Program Manager und Community Experte bei Microsoft Corp., hat sich da längst entschieden. In seiner Keynote auf der Developer Week in Nürnberg präsentierte er den neuesten Trend in der Entwicklerbranche: „Coden als Teamsport zwischen Product Owner, Kunde und Community“.

 

Mob-Programmierung als neue Art der Zusammenarbeit

Jeff Fritz by Developer Week
Jeff Fritz, Copyright by Developer Week

Das muss man sich mal vorstellen: Da sitzen Dienstleister, Kunde und Community zusammen und diskutieren gemeinsam über den besseren Code! Alles öffentlich und für jedermann einsehbar – auch für die Konkurrenz! Kein Gerangel mehr um Patente, Ideenklau oder Wettbewerbsvorteile? Was anfänglich nicht nur umständlich sondern auch nicht ganz clever erscheint, macht aber nach der Argumentation von Jeff Fritz wirklich Sinn: Denn niemand weiß und kann alles und das Ergebnis ist am Ende tatsächlich ein besseres, wenn nach dem „Viele-Augen-Prinzip“ Software entwickelt wird. Bei diesem Ansatz kodiert ein Entwickler und mehrere andere schauen zu und bieten Vorschläge. Zudem werden immer mehr Anwendungen und Tools als Open Source veröffentlicht. Für Microsoft ist dieses Vorgehen ein klarer Pluspunkt, denn Entwickler konzentrieren sich mehr auf die Qualität ihres Codes wenn sie wissen, dass die Community ihn überprüfen wird – und niemand würde Code besser und akribischer kontrollieren als die Community! Die verschiedenen Meinungen fordern das eigene Team zum Nachdenken heraus und bringen durch die unterschiedlichen Sichtweisen tatsächlich bessere Lösungen. „Ich glaube fest, dass dieser Ansatz in unserer Branche Standard und äußerst wertvoll für ihr Wachstum werden wird“, ist sich Jeff Fritz sicher. Und er verrät: „Tatsächlich kamen einige der größten Performance-Verbesserungen in ASP.NET Core von Entwicklern außerhalb von Microsoft.“

Offenheit zur Demokratisierung von Wissen

Dabei geht es Jeff Fritz aber nicht nur um ein offenes Internet und bessere Software, er will vor allem auch den Zugang zu gutem Code und damit zu bislang oft exklusivem Wissen demokratisieren. Regelmäßig führt er daher offene Live-Stream Workshops durch und teilt sein Entwickler-Know-how mit allen Interessierten. Und das begründet er ganz pragmatisch: „Jedes Unternehmen hat eine Website, viele weitere haben ihren eigenen Blog. Dazu kommen die vielen mobilen Anwendungen und wir sehen gerade erst den Beginn der Virtual-Reality- / Mixed-Reality- / Augmented-Reality-Technologien. Auf dem Fernseher läuft Code und in Kühlschränken und im Unterhaltungssystem von Autos. Das ist eine Menge Code, die geschrieben werden muss! Die nächsten Generationen von Entwicklern, die diese Anwendungsökosysteme pflegen und ausbauen werden, sollten eine gute Grundlage haben, damit sie diese Herausforderungen gut meistern.“

Europa als Bremse?

Während sich der Open Source Gedanke also als wachsendes Phänomen in den USA zeigt, scheint in Europa eine Entwicklung zu mehr Kontrolle und Reglementierung im Gange zu sein. Gerade erst vor wenigen Tagen wurde im Europäischen Parlament der Entwurf eines neuen Urheberrechts vorgelegt, das u.a. durch sog. Upload-Filter die Offenheit des Internets stark einschränken will. Zwar hat das Parlament in Straßburg den Plänen zunächst eine Absage erteilt – vom Tisch ist das Thema damit allerdings längst nicht: Im September schon soll ein überarbeiteter Vorschlag zur Abstimmung vorgelegt werden.

Kritisch gesehen werden vor allem die sog. Upload-Filter, eine spezielle Software, mit der das Hochladen urheberrechtlich geschützter Inhalte von Nutzern auf Online-Plattformen wie z.B. YouTube oder Facebook verhindert werden soll. Die Upload-Filter könnten viele Open-Source-Projekte gefährden, warnen Aktivisten der Free Software Foundation Europe und des openForum Europa. Denn auch Code-Hosting Plattformen wie Github sind laut dem Entwurf der EU-Urheberrechtsreform dazu verpflichtet, jeden neu hochgeladenen Programmiercode auf Urheberrechtsverletzungen zu kontrollieren. Das könnte die gemeinsame Entwicklung von Software, wie Jeff Fritz sie propagiert, unmöglich machen.

Auch ein Leistungsschutzrecht, mit dem Nachrichten-Portale wie z.B. Google News für kurze Ausschnitte aus Presseartikeln zahlen sollen, wurde strittig diskutiert. Kritiker befürchten dadurch u.a. Einschränkungen für Nutzer beim Teilen von Medieninhalten im Netz. Und Kritiker gibt es ausgesprochen viele – vor allem auch aus der Entwickler-nahen Szene wie z.B. Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales oder WWW-Erfinder Tim Berners-Lee. Beide haben sich öffentlich gegen die Änderung ausgesprochen, da die geplanten Upload-Filter aus dem offenen Internet "ein Werkzeug für die automatisierte Überwachung und Kontrolle der Nutzer“ machen könnte. Aber auch netzpolitische Vereine, Autoren, Wissenschaftler und Konzerne wie Google wollen ein solches Leistungsschutzrecht und Uploadfilter verhindern.

Die Realität schlägt das Ideal

Für mich stellt sich bei all den Diskussionen die Frage, welches „Gut“ hier das wertvollere ist: Der Schutz von Urheberrechten oder z.B. der freie Zugang zu Wissen? Natürlich ist die freiheitliche und vordergründig uneigennützige Einstellung von Jeff Fritz vorbildlich und sehr sympathisch. Auch, wenn sich das Argument, dass Microsoft auf diese Weise über die Community kostenfrei an wertvolles Knowhow herankommt, auch nicht ganz von der Hand weisen lässt. Wenn über das Internet alles Wissen frei zugänglich und für jedermann teilbar wäre, würde das die Innovationskraft unserer Welt wahrscheinlich enorm steigern. Das funktioniert allerdings nur, solange sich alle an das Prinzip der Offenheit halten. Und hier sind wir in der Realität noch weit entfernt.

Weiterführende Links

Developer Week 2019


Aufmacher Sports Business

Gesundheits- und Fitnesskult: Steigbügel für das Sport Business?

Sport verbinden wir mit Emotionen und Leidenschaft. Sport wird aber auch zunehmend digital. Grund genug für Großveranstalter Ispo, einen eigenen „Digitize Summit“ ins Leben zu rufen - oder für das E-Commerce Festival K5, einen Fokus auf das Sport Business zu legen! Denn die Herausforderungen für Brands und Retailer aus der Branche sind groß. Drei Erfolgsbeispiele aus den beiden Veranstaltungen.

Gesundheit ist nicht länger nur eine statische Größe, die unseren körperlichen IST-Zustand beschreibt. Vielmehr verstehen wir unter dem Thema „Health“ eine Lebenseinstellung, die maßgeblich auf unser Wohlbefinden und unsere Lebenserwartung wirkt. Um die Gesundheit hat sich regelrecht ein Kult entwickelt. Sport, Ernährung und Fitness liegen in der Gesellschaft hoch im Kurs.

Laut Zukunftsinstitut treiben heute 38 Prozent der Menschen mehrmals pro Woche Sport – ein generationenübergreifender Trend. Spaß ist für 40 Prozent der aktiven Deutschen eine der Motivationen, um sich körperlich zu betätigen. Durch Sport haben Menschen die Kraft, ihr Leben zu verändern. Ihre Leidenschaft für Sport verbindet sie. Über Social Media, Apps und Plattformen sind sie in der Lage, ihre sportlichen Erfolge und Fortschritte mit der ganzen Welt zu teilen, Freunde partizipieren zu lassen und Bestätigung dafür zu bekommen. Unternehmen aus der Sportbranche müssen darauf eine Antwort haben.

Digitales Selbstverständnis traditioneller Marken

adidas Vorstandsmitglied Roland Auschel auf dem Ispo Digitize Summit in München

Die große Sportmarke adidas zum Beispiel versteht sich als digitales Unternehmen. Die App ist für adidas wichtiger als jeder Turnschuh – so titelte das Handelsblatt zum Launch im März 2018 in Deutschland. Vorstandsmitglied Roland Auschel bestätigte auf dem Ispo Digitize Summit im Juni in München, dass es eine Schlüsselkompetenz sei, am Kurs der Digitalisierung festzuhalten. Dabei sei Kreativität die einzige Antwort. Das bedeutet für eine Marke wie adidas, zu testen und zu lernen, wie man Verbraucher in der digitalen Welt adressiert und involviert. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland sammelte adidas über die App Inhalte und Input von den Zuschauern, eine völlig neue Herangehensweise. Mit Erfolg: Allein im Vorrundenspiel Schweden gegen Deutschland verzeichnete die adidas-App einen Anstieg von 14 Prozent der Downloads, so Auschel auf dem Summit.

Florian Gschwandtner, Gründer und CEO Runtastic auf der K5 in Berlin

Technologie als Schlüssel zum Aufbau von Communities? Ein Ansatz, den adidas schon 2015 mit der Übernahme der Mehrheitsbeteiligung von Runtastic, internationales Mobile-Health- und Fitness-Unternehmen, verfolgte. Florian Geschwandtner, Mitgründer und CEO von Runtastic, präsentiert sich auf der K5 in Berlin in hervorragender Verfassung – das Unternehmen hat sich in den letzten Jahren unter dem Dach von adidas prächtig entwickelt. Immer noch eigenständig, aber mit Rückenwind durch die starke Marke.

Technologieplattform als Rückgrat

Runtastic hat Technologie in seiner DNA. So bildet Runtastic die technische Plattform für die weltweite adidas Kampagne „Run for the Oceans“, eine globale Laufbewegung, um das Bewusstsein für die Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikmüll zu schärfen. Für jeden gelaufenen Kilometer spendet adidas einen US-Dollar. Mitmachen kann jeder bei den weltweit organisierten Lauftreffs oder einzeln über die Runtastic-App. So schafft man Communities und bildet eine emotionale  Verbindung zwischen Marke und Verbraucher. Das Bindeglied ist die technologische Plattform von Runtastic. Ein Erfolgsrezept, das auch in anderen Branchen Anwendung findet. Die Allianz Versicherung startete im März 2018 in Kooperation mit Runtastic eine Fitness-Plattform. Im Fokus steht die Begeisterung von Menschen für einen aktiven Lebensstil.

 

Best Practice im Sport Handel

Moritz Keller, Co-Founder Keller Sports auf der K5

Ein gesunder Körper und ein gesunder Geist sind die Basis für ein erfülltes Leben, das ist auch die Grundeinstellung, die Unternehmer Moritz Keller verfolgt. Auf der K5 beginnt er vor 3000 Zuhörern eine Geschichte, die zuvor noch nie erzählt wurde. Nämlich wie er den Grundstein zum Online-Pure-Player keller-sports.de in 2005 gemeinsam mit seinem Bruder legte. Die beiden folgten einem Trend – kauften Micky Mouse T-Shirts von H&M auf, die damals en vogue waren, ließen diese mit coolen Sprüchen bedrucken und vertickten diese im Internet – zum sechsfachen Preis. Damit war damals der Meilenstein gelegt, dass der Verkauf im Internet funktionieren kann. Heute ist Keller Sports einer der erfolgreichsten Händler.

Die Keller-Brüder hatten schon damals einen Riecher für Trends und haben mit ihrem Angebot auf kellersports.de den Nerv der Zeit getroffen. Seit 2015 haben sie eine kostenpflichtige Mitgliedschaft etabliert, bei der ihre Kunden limitierte Sortimente und Sonderrabatte bekommen. Mit im Angebot die Keller-Studios, die den Mitgliedern flexibles Trainieren ermöglicht. Nach drei Jahren zählt Keller-Sports 50.000 zahlende Mitglieder. Eine Kunden- und Datenbasis, von der manch anderer Händler nur träumen kann. Und Keller Sports investiert weiter in Kundenbindung. Im April startete der Sporthändler das Prämienprogramm Keller Smiles. Dabei handelt es sich um kein klassisches Bonussystem nach Konsum, sondern Kunden werden für ihre sportlichen Aktivitäten belohnt. Ein Anreizsystem, das die Community in einer ganz besonderen Art und Weise an den Händler bindet – nämlich mit Emotionen und Leidenschaft.

 

Weiterführende Links

Ispo Digitize Summit, das Format für die digitale Zukunft der Sportbranche

K5, Future Retail Konferenz

 


Work-Life-Balance

Work, Life oder Balance?

Auf der Developer Week trafen sich letzte Woche in Nürnberg 1.700 Softwareentwickler. Im Maschinenraum der Digitalisierung ging es aber nicht nur um Coden, Ethical Hacking oder Trends wie Blockchain. Besonders gut besucht waren die Sessions, in denen Expert*innen über Softskills wie Persönlichkeitsbildung, Sozialkompetenz und Teamfähigkeiten referierten. Eine von ihnen ist Julia Schüller, Personalleiterin bei der Schiesser AG. Die HR-Trainerin stellt infrage, ob das Streben nach Work-Life-Balance im Zeitalter der Digitalisierung wirklich zum Ziel führt.

Berufs- und Privatleben in Einklang zu bringen, galt lange Zeit als Lebenselexier. Seit das Modewort  „Work-Life-Balance“ Mitte der 90er-Jahre die HR-Abteilungen umtrieb, ist im Arbeitsumfeld viel passiert: Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Telearbeit, Kinderkrippe am Arbeitsplatz oder Home-Office, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. „Das Wort Work-Life-Balance hält einen Wertekonflikt für uns bereit und zwar zu Lasten der Wertigkeit von Arbeiten“, ist Julia Schüller überzeugt. Allein die Begrifflichkeit gehe davon aus, dass die Beruf- und Arbeitswelt etwas anderes sei und abseits vom Leben stattfinde. Im Zeitalter der Digitalisierung und agilen Arbeitsumfeldern sei das nicht mehr zeitgemäß, ja sogar irreführend, so Schüllers These.

Für den Job brennen, ohne auszubrennen

„I love my job!“ Die Leidenschaft, die mit dem Job verbunden ist, positive Erlebnisse, Herausforderungen, Aufgaben, an denen man wächst. Erfolgserlebnisse, die man teilt. Kollegen, die auf der gleichen Wellenlänge sind. Alle diese Dinge prägen unsere Persönlichkeit. Arbeitszeit ist Lebenszeit. Umgekehrt können auch negative Einflüsse aus der Arbeit am Wohlbefinden nagen. Ein Blick in die Statistiken (Quelle: Forsa) zeigt, dass in Deutschland die Arbeit zu einem der größten Stressfaktoren (46 Prozent) zählt. Auch die ständige Erreichbarkeit macht den Deutschen zu schaffen (26 Prozent). Einige können abends oder am Wochenende nicht richtig abschalten (19 Prozent). Meist lassen die Folgen nicht lange auf sich warten. Konflikte im privaten Umfeld sind vorprogrammiert oder der Körper meldet Symptome. Noch nie war die Burn-Out Rate so hoch wie heute.

Balance der Generationen

Work-Life-Balance
Julia Schüller zeigt auf der DWX 2018 die moderne Form der Maslowschen Bedürfnispyramide

Die Digitalisierung hat die Art, wie wir Arbeit definieren und gestalten komplett verändert. Vertrauensarbeitszeit, ergebnisorientiertes Arbeiten, mehr Selbstverantwortung. Was sich im ersten Moment positiv anhört, hat seine Tücken. Muss man wirklich ständig erreichbar sein? Auch am Wochenende auf E-Mails reagieren? Im Urlaub noch schnell das Projekt abschließen? Die Übergänge sind fließend. Nicht jeder kommt damit zurecht.

Die Situation wird dadurch noch verschärft, dass sich derzeit fünf Generationen auf dem Arbeitsmarkt tummeln. Während die Generation der Babyboomer das Rad der Zeit gerne mal zurückdrehen würde, ist bei der Generation Z der Einzug der Technologien gar nicht mehr wegzudenken, sie kennen nichts anders als 24/7 online zu sein. „Die unterschiedlichen Bedürfnisse der Generationen bringt automatisch eine Kluft in die Arbeitswelt, die es zusammenzubringen gilt“, erklärt Schüller.

Impulse für fokussiertes Arbeiten

Sie kennt all diese Konflikte aus ihrem Job als Personalleiterin und Coach. Sie versucht, ihren Mitarbeitern Impulse zu geben, wie sie es aus eigener Kraft schaffen, den Balanceakt zu meistern. Ein wichtiges Hilfsmittel ist die alt bewährte to-do-Liste. „Allein die 5-Minuten Auszeit, um sich zu sammeln, gibt eine Struktur“, weiß die HR-Trainerin. Es gibt nichts Schöneres, als ein to do abzuhaken - man sieht und spürt, was man geschafft hat. Weiterer Vorteil der to-do Liste: Prioritäten sind einfacher zu erkennen und man tut sich leichter, einfach mal den Rotstift anzusetzen. Es soll auch schon vorgekommen sein, dass sich manche Dinge einfach von selbst erledigt haben.

Julia Schüller
Julia Schüller, Bereichspersonalleiterin beim Textilunternehmen Schiesser AG

Apropos Prioritäten: Schüller rät, sich jeden Tag neu zu fokussieren. Die 4x4 Methode nennt sie das und erklärt: „Setze den Fokus auf vier Themen pro Tag und lege deine volle Aufmerksamkeit auf diese Themen, ohne sich davon ablenken oder gar abbringen zu lassen.“ Die Anzahl Vier sei dabei eine empirische Größe. Das hört sich zunächst einfacher an als es tatsächlich ist. Wer hat nicht schon mal in einem Gespräch mit dem Kollegen parallel noch schnell eine E-Mail verschickt. „Am besten, man schließt mit sich selbst einen Vertrag, das auch so umzusetzen“, fügt sie schmunzelnd hinzu.

Auch das berühmte Pareto-Prinzip kann helfen. Es besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht werden. „Das Prinzip kann man auch nach unten weiterdenken. Was ist, wenn ich meinen Input auf vier Prozent herunterfahre, dann erreiche ich immer noch 64 Prozent Ergebnis“, erklärt Schüller. Eine gute Gedankenstütze, wenn man sich dem Druck ausgesetzt fühlt, immer 100 Prozent geben zu müssen.

Am Ende des Tages muss jeder für sich selbst herausfinden, was ihn stresst oder nicht guttut. Den idealen Weg, innere Ausgeglichenheit und Harmonie in einer immer technologisierten Welt zu finden, gibt es nicht. Fest steht: Zeit ist das kostbarste Gut, das wir haben. Es geht darum, sie zu gestalten, egal wo wir sind oder was wir gerade tun. „Carpe diem“, das hat schon der römische Dichter Horaz vor über 2000 Jahren gewusst. Das nennt man zeitgemäß.

 

 

 


New Worka Staircase to Innovation

New Work - die Renaissance der Bürokultur

Nicht nur das Arbeiten an sich verändert sich im Zuge der Digitalisierung, auch das Arbeitsumfeld. Wie dies aussehen könnte, habe ich mir in München im neu eröffneten Steelcase Learning and Innovation Center mal genau angesehen – und war begeistert! Auch Coworking Spaces boomen. Dort finden vor allem kleine Unternehmen und Freelancer einen Ort der Inspiration – und ich einen triftigen Grund, einen Selbstversuch zu starten.

Zeitgemäßes Arbeitsumfeld

Laptop und Homeoffice. Für mich bedeutete dies lange Zeit das höchste Maß an Flexibilität im Arbeitsumfeld. Doch es gibt eine Wiedergeburt des Großraum- bzw. Gemeinschaftsbüros, die aber ganz anders aussieht, als wir es bisher kennen. Man stelle sich vor, man käme morgens ins Büro und hat keinen festen Arbeitsplatz. Das ist die Ausgangssituation, wenn man als Mitarbeiter in das Learning und Innovation Center von Büromöbelausstatter Steelcase in München kommt. „Die Herausforderung ist, dass man seinen ganzen Arbeitstag komplett anders strukturieren muss“, erklärt Christiane Winckler, Account Manager EMEA bei Steelcase in der Briennerstrasse. Welche to do’s stehen heute an und wie lassen sich diese am effizientesten erledigen? Welche Räumlichkeiten brauche ich dazu und welche Teams muss ich mir dafür zusammenstellen? Diese Fragen stellen sich jeden Tag neu.

Steelcase Gebäude in der Briennerstrasse 42 in München

Die Welt der Arbeit ist heute einem hohen Wettbewerbsdruck ausgesetzt: Der digitale Wandel und disruptive Innovationen erschüttern vermeintlich etablierte Geschäftsmodelle und verschärfen den Wettbewerb zusehends. Wettbewerbsfähigkeit hängt mehr denn je von Innovationskraft ab. Dieses Potenzial will Steelcase ausschöpfen, indem das Unternehmen zeitgemäße Arbeitsbedingungen schafft. „Effiziente und agile Arbeitsumgebungen tragen dazu bei, Menschen zu inspirieren, Innovation anzuregen und damit den Unternehmenserfolg zu steigern“, ist Christiane Winckler überzeugt. Wertschöpfung spiele dabei eine zentrale Rolle.

Durchdachte Raumarchitektur

Die Tour durch das fünfstöckige Gebäude bringt einen wirklich zum Staunen. Abgesehen von den hochwertigen Büromöbeln aus dem Steelcase-Sortiment, die alle per se funktional durchdacht und auf jedes einzelne Arbeitsumfeld optimiert sind, ist das gestalterische Konzept des Gebäudes wirklich beeindruckend. Es geht schon beim Empfang los, der keine klassische Theke aufweist – wie man sie aus nahezu allen Unternehmen kennt - sondern komplett offen gestaltet ist.

Empfang, Steelcase Learning und Innovation Center

An der Geschäftsführung kommt man als Mitarbeiter und als Kunde nicht vorbei, denn die ist nicht abgeschottet im fünften Stock über den Dächern Münchens eingenistet – sondern als erste Anlaufstelle gleich am Aufgang in den ersten Stock in einem offenen Raumkonzept integriert. Leadership Community nennt man das bei Steelcase. Und das Treppenhaus selbst dient als zentraler Dreh- und Angelpunkt des gesamten Gebäudes. Offen gestaltet treffen sich hier die Mitarbeiter zum konspirativen Austausch. Es gibt Zonen für kreative Zusammenarbeit und Rückzugsorte für konzentrierte Einzelarbeit, insgesamt über drei Stockwerke verteilt. Das WorkCafé und ein gemütlicher Innenhof runden das Konzept ab. Der fünfte Stock ist abgeschottet und gleichzeitig der repräsentativste Ort. Hier finden Kundenworkshops statt, denn seien wir ehrlich, „New Work“ muss sich am Ende des Tages auch auszahlen: Auf den Mehrwert, den man für die Kunden dadurch schafft.

Rückzugsort für Mitarbeiter und Kunden  - Steelcase Bibliothek

Das Beispiel Steelcase zeigt ein Umdenken, wie man den kulturellen Wandel mit Mitarbeitern und einem agilen Arbeitsumfeld vollziehen kann. „Unser Konzept ist natürlich nicht eins zu eins auf andere Unternehmen übertragbar“, weiß Christiane Winckler, die durch langjährige und internationale Berufserfahrung bei großen Konzernen schon viel gesehen hat. Aber immer mehr Unternehmen kommen auf Steelcase zu und wollen nicht mehr nur eine Büroausstattung, sondern binden neue Arbeitskonzepte in ihre Unternehmensstrategie mit ein.

Coworking schafft nachweislich Inspiration

Das Ergebnis: Es entsteht ein ganz neuer Typus an Arbeitsorten, wo Austausch und Inspiration unter den Kollegen stattfindet. Das hat auch Einfluss auf seine Gestaltung. Die Entwicklung geht immer mehr hin zu einer Umgebung, die sich flexibel darauf anpasst, was gerade im Arbeitsprozess sinnvoll ist. Den Anfang dieser Entwicklung machten die Coworking Spaces, die aktuell aller Orten wie Pilze aus dem Boden sprießen. Im Jahr 2020 soll es laut einer Prognose des Instituts Emergent Research weltweit über 77 Prozent mehr Coworking Spaces geben als es noch im Jahr 2017 der Fall war.

Eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts untersucht, inwieweit Coworking die Innovationsfähigkeit von Unternehmen wirksam unterstützen kann. Im Ergebnis zeigt sich, dass es zwar keine Coworking-Universallösung gibt, die meisten der befragten Unternehmen aber große Chancen sehen, durch Corporate Coworking strategische Wettbewerbsvorteile zu verwirklichen. „Corporate Coworking ist prinzipiell in sehr unterschiedlichen organisatorischen und räumlichen Varianten vorstellbar. So können beispielsweise Arbeitsplätze in Coworking Spaces angemietet werden oder aber ein Unternehmen versucht, seinen eigenen Coworking Space zu entwickeln. Ebenfalls denkbar ist die zugegebenermaßen gewagte Vorstellung, dass Coworking projektweise an Urlaubsorten stattfindet“, erläutert Klaus-Peter Stiefel, Projektleiter Office 21 Coworking Studien beim Fraunhofer Institut.

Und weil ich an neuen Ideen und Denkweisen per se schon immer interessiert bin, erkläre mich nun selbst zur Testperson: Nach zehn Jahren Home-Office, das mir in der letzten Dekade wirklich ein optimales Arbeitsumfeld bot,- insbesondere unter dem Aspekt der Vereinbarung von Familie und Beruf - werde ich ab Sommer 2018 in den neuen Coworking Space WeWork am Oskar-von-Miller Ring in München einziehen. Flexibel und agil habe ich eigentlich schon immer gearbeitet, aber ich freue mich auf mehr Inspiration als in den eigenen vier Wänden.


Medical stethoscope and electronics

Digitalisierung in der Arztpraxis: Das Rezept für medizinische Versorgungsengpässe

Im Modellprojekt „elektronische Visite“ kommunizieren seit Mai 2016 neun Pflegeheime und elf Arztpraxen mit der gleichnamigen Videosprechstunde. Im Februar 2018 wurde die eintausendste Sprechstunde durchgeführt und in einer begleitenden Evaluation die Effektivität des Projekts bescheinigt. Schon Mitte letzten Jahres, als elVi® vom Deutschen Ärzteblatt mit dem Praxis-Preis des ausgezeichnet und vom TÜV zertifiziert wurde, durfte ich  Business Developer Jan Beckmann über die zukünftigen Herausforderungen der medizinischen Versorgung in Deutschland befragen und wie ein Digitalprojekt hilft, diese zu meistern. 

Herr Beckmann, was ist die elektronische Visite und warum brauchen wir sie?

Der demographische Wandel wird die medizinische Versorgung der Bevölkerung vor eine große Herausforderung stellen. Denn nicht nur das Durchschnittsalter der Menschen und damit der Bedarf an Medizin steigen, gleichzeitig entsteht auch ein Mangel an Ärzten und Pflegekräften, der schon jetzt zu spüren ist – besonders im ländlichen Raum. Mit Hilfe der elektronischen Visite, einem telemedizinischen Videokommunikationssystem, an das auch Messgeräte angeschlossen werden können, können Ärzte ihre Patienten medizinisch betreuen, ohne dass diese in die Praxis kommen müssen.

Wo liegt der Vorteil für den Patienten und wie profitieren Ärzte von der digitalen Sprechstunde? 

Patienten brauchen nicht mehr in jedem Fall die unter Umständen lange Fahrt zum Arzt auf sich nehmen. Chronisch kranke Menschen z.B., bei denen die Diagnose klar ist und deren Krankheitsverlauf nur überwacht werden soll, können sehr gut via Video-Visite behandelt werden. Dabei kann elVi, z.B. über ein mobiles EKG, auch Vitalparameter messen, die der Arzt in Echtzeit sehen und auswerten kann. Der Arzt wiederum profitiert, weil er über die Videosprechstunde die Praxis entlastet: Es gibt keine Vor- und Nachbereitungszeiten und er kann – wenn er das will – Patienten auch von zuhause oder unterwegs betreuen. Zudem entfallen Anreisekosten und –zeiten. Das ist nicht unerheblich, wenn man bedenkt, dass Hausärzte im Notdienst teilweise für Gebiete von 80 x 80km verantwortlich sind.  Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Arzt den Patienten immer kennt. Es geht also nicht um anonyme Sprechstunden.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, bei dem der Nutzen der digitalen Sprechstunde deutlich wird?

Bei dem Bewohner eines Pflegeheims wurde bei einem früheren Arztbesuch Herzinsuffizienz festgestellt. Zur Beobachtung des Gesundheitszustandes setzt der zuständige Arzt elVi ein. Er vereinbart mit der Pflegekraft einen Kontrolltermin und wenn gewünscht, kann auch gleich ein Angehöriger an dem Videotermin teilnehmen. Über das mobile EKG, das sehr leicht zu bedienen ist, kann der Patient oder die Pflegekraft die Herztöne messen, die der Arzt sofort über ElVi einsehen kann.  Im Gespräch mit den Teilnehmern der Videokonferenz erhält der Arzt ein umfassendes Bild des Gesundheitszustandes.

Das E-Health-Gesetz ermöglicht ab dem 01. Juli 2017 die reguläre Abrechnung von Online-Videosprechstunden über die Krankenkassen. Was glauben Sie, wie wird sich das auf den Bereich der Telemedizin auswirken?

Die Einbindung in die Regelversorgung ist eine große Chance. Immer mehr Ärzte werden dann von Online-Sprechstunden Gebrauch machen. Wir erwarten für das Jahr 2017 ein starkes Wachstum in der Verbreitung von telemedizinischen Dienstleistungen.

Das Honorar ist aber gedeckelt. Glauben Sie, dass sich das trotzdem durchsetzen wird?

Unser System ElVi wird in Deutschland bereits von einigen Hundert Ärzten getestet, zum Teil über geförderte Projekte, zum Teil aber auch, weil die Ärzte einfach den hohen Nutzen für sich  erkannt haben. Vor allem bei den jungen, online-affinen Ärzten ist das Interesse sehr groß und auch die Rückmeldungen sind sehr positiv. Wir glauben fest daran, dass die Video-Sprechstunde sich durchsetzten wird, weil sie wirklich Sinn macht – auch wenn die Krankenkassen den abrechnungsfähigen Honorarsatz recht niedrig ansetzen.

In anderen europäischen Ländern ist man in der Telemedizin schon sehr viel weiter. Wieso ist man in Deutschland so restriktiv?

In der Schweiz z.B. wird Telemedizin heute schon oft genutzt. Das lässt sich auf geographisch erklären. In Deutschland ist der Datenschutz immer eine Herausforderung für medizinische IT-Dienstleistungen. Die Anforderungen sind wirklich hoch. Aber alle Systeme, die heute am Markt sind, genügen natürlich diesen Anforderungen.

Können Sie genauer erklären, warum wir uns bei der Nutzung von elVi keine Sorgen um unsere Datensicherheit machen brauchen?

elVi ist eine sogenannte Peer-to-Peer-Lösung. Der Computer des Arztes kommuniziert direkt mit dem des Patienten und es findet keinerlei Zwischenspeicherung auf irgendeinem externen Server statt. Das ist bei Skype z.B. ganz anders und unterscheidet telemedizinische Videokonferenzen grundlegend von Skype – auch wenn die Anwendung selbst durchaus Ähnlichkeit mit dem bekannten skypen hat. Selbstverständlich ist die Direktverbindung auch verschlüsselt und es findet eine Zugangskontrolle über ein Kennwort statt.

Der Markt für Gesundheitswesen boomt. Täglich schießen neue Start-Ups aus dem Boden. Wie schätzen Sie den Markt ein?

In Deutschland gibt es 135.000 niedergelassene Ärzte. Dieses Klientel ist sehr treues und nicht besonders preissensitiv. Wenn man ihnen eine Lösung an die Hand gibt, die ihnen wirklich die Arbeit erleichtert und einen guten Service bietet, hat man gute Chancen, den Arzt als überaus treuen Kunden zu gewinnen. Natürlich wissen das auch andere Anbieter. Sowohl die Nachfrage nach als auch das Angebot von telemedizinischen Dienstleistungen wird steigen.

Was ist ihr USP gegenüber den anderen Wettbewerbern wie zum Beispiel TeleClinic oder Patientus?

Zum einen ist das unsere Technologie. elVi bietet z.B. Konferenzschaltungen mit fünf Teilnehmern oder mehr. Außerdem entwickeln wir Zusatzgeräte wie z.B. das mobile EKG, mit denen der Einsatz von elVi zusehends erweitert werden wird. Ein weiterer großer Pluspunkt ist unsere hervorragende Vernetzung in der Ärzteschaft und in verschiedenen politischen Gremien. Das ist auch der Grund, warum elVi im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten schon heute von hunderten von Ärzten genutzt wird. Die daraus resultierende Erfahrung verschafft uns wiederum einen großen Vorsprung gegenüber anderen Anbietern.

Wie viel kostet elVi?

elVi kostet 59,- Euro pro Monat und wird als Lizenzmodell vertrieben.

Das Ärztebewertungsportal Jameda wurde 2015 vom Burda-Verlag übernommen und hat jetzt hat sich 2017 in die Telemedizin eingekauft und das Berliner Start-up Patientus erworben. Wie wirkt sich das auf Ihre Wettbewerbssituation aus?

Ehrlichgesagt sind wir sehr skeptisch ob die Kombination mit dem Bewertungsportal für Patientus wirklich vorteilhaft ist. Die Vorbehalte aus der Ärzteschaft jedenfalls sind diesbezüglich sehr groß.

Ihre Software hat beim diesjährigen Praxis-Preis des Deutschen Ärzteblatts den 1. Preis gewonnen. Glückwunsch! Wie wichtig sind solche Preise für elVi?

Sehr wichtig – und zum Glück haben wir auch bereits einige gewonnen. Erst Anfang des Jahres z.B. den „Erfolgs-Rezept Praxis-Preis“ der Verlagsgruppe Springer Medizin. Besonders gefreut hat uns hier, dass der Sieger über ein Online-Voting unter Ärzten sowie durch eine Fachjury  ermittelt wurde.  Als Start-up ist diese Aufmerksamkeit natürlich immens wichtig und gibt uns Motivation und Bestätigung, auf dem richtigen Kurs zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch und in die Einblicke in die Digitalisierung im Gesundheitswesen!