Auf dem Landau Media Talk mit Miriam Meckel am Dienstagabend im The Charles in München schafft Medienprofi und Moderator Peter Turi eine einzigartige, sehr persönliche Atmosphäre. Die Professorin und Herausgeberin der Wirtschaftswoche fesselt die einhundert geladenen Gästen aus der Medienbranche mit ihren Thesen über digitale und neuronale Netze. Ich bin um die Erkenntnis reicher, dass wir vom technologischen Fortschritt nicht nur profitieren, sondern uns dabei auch unseren Urängsten stellen müssen.
Überfordert uns die digitale Welt?
Miriam Meckel legt eine Bilderbuchkarriere hin. Die Journalistin wird Ende der 90er-Jahre mit nur 31 Jahren jüngste Professorin Deutschlands am Lehrstuhl für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Münster. 2001 wird sie Staatssekretärin und Regierungssprecherin von Nordrhein-Westfalen, vier Jahre später ereilt der Ruf als Professorin und Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen. Dann 2008 der Zusammenbruch. Burnout. Sie äußert sich offen über die Abgründe, mit denen sie konfrontiert war, und ihre Learnings daraus.
Sie weiß, dass das Phänomen der Überlastung sich mehr und mehr in der Gesellschaft manifestiert. „Wir leben in einer immer schneller werdenden Welt. Das Wissen wächst exponentiell, das Tempo der Medien und Digitalisierung beschleunigt unser Leben. Wir müssen mit immer schneller aufkommenden Informationen umgehen, die erst mal verarbeitet und bewältigt werden müssen. Das führt oft zu Überforderung.“
Grund genug, sich die Frage zu stellen, was passiert dabei eigentlich mit unserem Gehirn? Welche Einflüsse hat die digitale Welt auf unsere Gedanken und wie können wir sie verbinden? Ihre Recherchen teilt sie nun in ihrem kürzlich veröffentlichten Buch „Mein Kopf gehört mir“. Dieses beginnt mit dem Zitat: „Immer schon war ich anfällig dafür, Dinge auszuprobieren, die mir nicht guttun.“ Was sie damit meint, sind mehrere Experimente, die sie mit sich selbst durchgeführt hat, um herauszufinden, was sich in ihrem Gehirn eigentlich abspielt.
Miriam Meckels Selbstversuche
Sie erläutert zwei Beispiele aus ihrem Buch. Das erste Experiment ist der Reizentzug. Dafür schließt sie sich 24 Stunden in eine Dunkelkammer im Kellergeschoss der Hochschule Zürich. Völlige Dunkelheit, Stille. Als erstes stellt sich Langeweile ein. Gefolgt von Nervosität über Fantasien bis hin zu wahnhaften Rezeptionen und Halluzinationen. Sie beschreibt das Gefühl wie ein Drogentrip ohne Drogen. „Reizentzug führt zu Irritationen des Gehirns. Ich war beeindruckt, welch kreative Kraft ausgelöst werden kann und wie die Nervenzellen anfangen zu feuern, wenn äußere Reize ausfallen.“
Das zweite Experiment: In den USA hat Miriam Meckel das Lifestyle-Produkt Thynk getestet, mit dem man das Gehirn beeinflussen kann. Dazu bringt man ein Gerät mit zwei Sensoren am Kopf an, über eine App steuert man dann Stromzufuhr aufs Gehirn. Es gibt verschiedene Programme, von Entspannung über Konzentrationsförderung bis hin zu Aktivitätsstimulation. Sie wählt „Activity“ mit erheblichen Nebenwirkungen: Übelkeit, 36 Stunden keinen Schlaf, Gesichtsverzerrungen. „Meine größte Erkenntnis aus diesem Selbstversuch war, dass das Gehirn ein sehr sensibles Organ ist. Es ist das Tor zum innersten Kern der Persönlichkeit. Damit muss man behutsamer umgehen, als man das vielleicht mit anderen Körperteilen tut.“ Sie erfährt Grenzen am eigenen Körper, die durch Gehirnmanipulation entstehen können.
Das menschliche Gehirn im Visier
Technologischer Fortschritt ist längst im Gehirn angekommen. Was uns nicht bewusst ist: Alle digitalen Services der Internetriesen GAFA sind Produkte der Gehirnforschung. Mögen es anfangs noch Algorithmen gewesen sein, heute stehen lernende Systeme dahinter, die wie unser Gehirn funktionieren. Und sie lernen ständig durch die tägliche Nutzung von Millionen von Usern hinzu und werden besser. Künstliche Intelligenz macht es möglich. Miriam Meckels These ist, dass es in Zukunft eine Verbindung von menschlicher und künstlicher Intelligenz geben wird. Die nächste Evolutionsstufe wird sein, unser Gehirn direkt an die Technologien anzuschließen. Medizinische Forschung zeigt, dass das technologisch möglich ist. Es gibt Forschungsprojekte, bei denen Querschnittsgelähmte über Gedanken einen Roboterarm bewegen können. Für die Medizin ein Riesenfortschritt.
Kritisch wird es dann, wenn die Entwicklungen in Richtung Massenmarkt gehen. Mark Zuckerberg hat im Sommer 2017 angekündigt, ein Gerät entwickeln zu wollen, mit dem man Textnachrichten ins Handy „reindenken“ kann, mit einer Geschwindigkeit von 100 Worten pro Minute. Elon Musk will mit der Firma Neuralink datenleitfähige Substanzen über das menschliche Gehirn legen. Das große Ziel: Hirn-Computer-Schnittstellen. Die Vision: Im Jahr 2050 werden Menschen vernetzt über Implantate – drahtlos – an eine intelligente Cloud angeschlossen sein. Das Horrorszenario schlechthin: Das menschliche Gehirn als nächstes Geschäftsmodell des Silicon Valley.
Neue Formation des Menschseins
Klingt alles nach Science Fiction? Dass die Kapazität unseres Gehirns begrenzt ist und Künstliche Intelligenz diese Grenze schon heute überwinden kann, zeigt kein besseres Beispiel als die Google-Software AlphaGO. Die selbstlernende KI-Software im Brettspiel „GO“ hat das menschliche Gehirn längst abgehängt. Es schlägt binnen kürzester Zeit nicht nur den Internationalen Champion Lee Sedol im Brettspiel GO, sondern wird selbst immer besser. Warum das so ist, können wir Menschen nicht mehr nachvollziehen. Es ist eine Blackbox. Wir wissen nur, dass es so ist.
Menschen sind dafür empfänglich, immer leistungsfähiger und effizienter werden zu wollen. In den USA sei es laut Meckel beispielsweise unter Studenten an den Universitäten gang und gäbe, das Medikament Ritalin einzunehmen, um das Denken und die Konzentration beim Lernen und bei Prüfungen zu verbessern. Wenn uns nun Künstliche Intelligenz dabei unterstützt, unsere Leistungsfähigkeit zu steigern, dann wird der technologische Fortschritt auch in diese Richtung weiter vorangetrieben.
Miriam Meckel ist davon überzeugt, dass es eine Verbindung von Biochemie des menschlichen Wesens und Technologie in Zukunft geben wird. Wie das Zusammenspiel von neuronalen und digitalen Netzen aussehen wird, kann heute keiner vorhersehen. Wir müssen mit der Entwicklung verantwortungsvoll umgehen. Dazu gehört in erster Linie, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich die richtigen Fragen zu stellen. Was ist mit der Privatheit der Gedanken? Was ist mit der Integrität der Persönlichkeit? Wo kann Künstliche Intelligenz uns das Leben erleichtern? Wo stellt es eine Gefahr dar? Wie ist es dann um unsere Selbstbestimmung bestellt? Wie schützen wir uns vor Manipulation und Missbrauch? Was Miriam Meckel fordert, ist Aufgeklärtheit: „Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass wir Menschen nicht auf ewig Herr unseres Oberstübchens sind. Es gibt dafür keine Bestandsgarantie. Wenn wir das Gehirn als Refugium behalten wollen, dann müssen wir uns darum kümmern.“